Joseph Smith Fletcher
Kampf um das Erbe
Joseph Smith Fletcher

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13. Kapitel.

Vertagt.

Seitdem Triffitt das Glück gehabt hatte, über den Herapath-Mord in der Zeitung zu berichten, lebte er in gehobener Stimmung und hoffte, daß sich dieser Erfolg auch auf seine Stellung bei der Zeitung auswirken würde. Er war einer der jüngsten Berichterstatter und hatte sich bisher nicht hervortun können. Aber nun hatte er einen großen Treffer gemacht und die Gelegenheit ausgenützt. Der Nachrichtenredakteur lobte ihn ein wenig und sagte, daß er auch weiterhin den Herapath-Fall bearbeiten könnte. Seitdem dachte er nur noch an seinen Fall, ob er aß, trank, rauchte oder schlief. Kein anderer Gedanke hatte in seinem Kopfe Platz. Aber am dritten Tage nach Beginn dieses großen Ereignisses saß er in gedrückter Stimmung in der High Street in Kensington und verzehrte einige Schinkenbrote. Zweieinhalb Stunden hatte er nun bei den Verhandlungen der Totenschau zugebracht, aber es war nichts Neues dabei herausgekommen. Kein Zeuge hatte etwas Bemerkenswertes oder Wichtiges vorbringen können, und es war keinerlei Stoff für einen hübschen Artikel vorhanden.

»Verdammt und zugenäht!« sagte Triffitt zu sich selbst, als er seinen Kaffee trank. »Alle Leute halten zurück, keiner will etwas Rechtes sagen!«

Im selben Augenblick trat ein anderer junger Mann in die Nische, in der Triffitt so verzweifelt und traurig saß. Er sah gesund aus, war kräftig gebaut und trug einen Tweedanzug von einem auffällig großkarierten Muster, dazu einen kecken grünen Jägerhut mit einer Feder. Triffitt erkannte seinen Kollegen Carver, der bei einem Konkurrenzblatt tätig war. Er entsann sich, daß er ihn schon bei der Verhandlung gesehen hatte, und bot ihm höflich einen Stuhl an.

»Nehmen Sie doch Platz!«

»Danke!« entgegnete Carver. Er bestellte sich auch einige Brote und Kaffee.

»Diese Verhandlung heute war wirklich langweilig!«

»Meinen Sie?« fragte Carver. »Es ist doch allerhand dabei herausgekommen!«

»Das wußte ich schon alles«, brummte Triffitt. »Ich war doch der erste am Platze!«

»Ach, Sie haben den Artikel im ›Argus‹ geschrieben?« fragte Carver mit gespielter Gleichgültigkeit. »Na, da haben Sie ja Glück gehabt!«

»Heute nachmittag kommt sicher auch nicht viel mehr heraus, wahrscheinlich wird vertagt.«

»Das glaube ich auch. Die Sache wird wohl noch öfter vertagt werden. Aber sind Ihnen denn nicht einige Punkte aufgefallen?«

»Gewiß. Vor allem stimmen die Zeitangaben des Arztes in bezug auf den Tod nicht mit den Aussagen der Dienerschaft am Portman Square überein.«

»Das ist natürlich sehr merkwürdig. Übrigens ist mir klar, daß die Person, die um ein Uhr die Wohnung betrat, von dort nach dem Siedlungsbüro zurückkehrte.«

»Das ist mir allerdings noch nicht aufgefallen. Woraus schließen Sie das?«

»Also der Mann, der um ein Uhr nach Portman Square kam, trug den pelzbesetzten Mantel und den weichen Filzhut des alten Herapath. Beide Kleidungsstücke wurden aber später im Siedlungsbüro gefunden. Ich erkläre mir die Sache so. Nachdem der Mörder den alten Herapath erledigt hatte, zog er Mantel und Hut seines Opfers an, nahm die Schlüssel an sich und ging zu der Wohnung. Was er dort tat, weiß ich noch nicht. Dann kehrte er zu dem Büro zurück und ließ Mantel und Hut dort an einem Haken. Das ist nach allen bisher bekannten Tatsachen die einzige Möglichkeit. Bei der Verhandlung eben ist man den Dingen nicht nachgegangen. Ich habe auch den Eindruck, daß die Beamten von Scotland Yard etwas zurückhalten. Ich bringe nur einen ganz einfachen Bericht in unsere Zeitung. Aber ich habe heute allerhand erfahren und möchte vor allem zweierlei wissen. Wenn Sie mit mir zusammengehen wollen, Triffitt – zwei können immer mehr erreichen als einer – ich wag's!«

»Gut, ich bin dabei. Welche Punkte meinen Sie denn? Vielleicht bin ich auch schon darauf gekommen.«

»Irgendein Chauffeur hat den Mann, der Jacob Herapaths Mantel und Hut trug, doch an dem Morgen nach dem Siedlungsbüro zurückgefahren. Warum ist dieser Mann noch nicht entdeckt worden, und warum forscht man nicht nach ihm? Sie haben das ja selbst in Ihrem Artikel angeregt. Wissen Sie, was ich glaube? Der Mann ist längst gefunden, aber man schweigt darüber.«

»Sie mögen recht haben. Und der andere Punkt?«

»Mit wem ist Jacob Herapath aus dem Parlament gekommen? Der Chauffeur Mountain hat ihn doch ziemlich eingehend beschrieben. Meiner Meinung nach ist auch dieser Mann bereits gefunden und wird nur bei der Verhandlung unterschlagen.«

»Das haben Sie ganz gut herausgearbeitet. Nun habe ich aber auch etwas zu sagen. Wo ist der Schlüssel für das Schließfach bei der Alpha-Bank geblieben? Selwood hat doch bestimmt behauptet, daß er den Schlüssel noch um drei Uhr nachmittags gesehen hat.«

»Ja, das ist ebenfalls eine sehr wichtige Frage«, meinte Carver. »Vielleicht hören wir bei der Nachmittagsverhandlung noch darüber.«

Aber als sie in den dichtbesetzten Verhandlungssaal zurückkehrten, wurde nichts von alledem erwähnt. Nach langen Beratungen der Gerichtsbeamten erhob sich der Vorsitzende und verkündete, daß der Fall auf zwei Wochen vertagt würde. Triffitt und Carver verließen mit den anderen unbefriedigten Zuhörern den Saal und sahen sich bedeutungsvoll an.

»Mehr habe ich auch nicht erwartet«, meinte Carver. »Die Polizei steckt wahrscheinlich hinter dieser ganzen Geheimniskrämerei. Aber vielleicht erfahren wir in vierzehn Tagen etwas Sensationelles.«

»Aber ich habe nicht die Absicht, vierzehn Tage zu warten«, brummte Triffitt übelgelaunt, »ich brauche heute irgendeinen guten Schlager.«

»Dann müssen Sie sich aber schnell an die Arbeit machen und selbst etwas herausbringen. Die Polizei hilft Ihnen vorläufig nicht weiter.«

Triffitt wußte das selbst gut genug. Am Morgen hatte er noch mit einigen Polizeibeamten und Detektiven gesprochen, und die waren merkwürdig zurückhaltend gewesen. Beim besten Willen hatte er nichts aus ihnen herausholen können.

»Ich werde Ihnen sagen, was wir tun müssen! Wir wollen die Polizei schon hernehmen!«

»Wie meinen Sie das?« fragte Carver zweifelnd.

»Wir machen einfach allerhand Andeutungen, daß die Beamten mehr wissen, als sie zugeben wollen. Ich habe Vollmacht, für unser Blatt zu schreiben, was ich will, und ich bringe morgen früh einen Artikel in die Zeitung, der die Leser schon hochbringt. Und dann beraten wir beide einmal, ob wir nicht als Detektive auf eigene Faust etwas herausbringen können. Also auf Wiedersehen morgen in der Fleet Street.«

Triffitt ging zu seiner Redaktion und schrieb einen brillanten Artikel über die Totenschau, der dem detaillierten Bericht vorangestellt werden sollte. Er jonglierte mit schlauen und versteckten Hinweisen und Angriffen auf die Polizei und sagte voraus, daß die Untersuchung des Mordes an Jacob Herapath in nächster Zeit noch aufsehenerregende Tatsachen ans Licht bringen würde.

Er war selbst mit seinem Artikel sehr zufrieden und ging am nächsten Morgen vor dem Frühstück auf die Straße, um eine Nummer des »Argus« zu kaufen. Als er aber das Blatt öffnete, fand er, daß sein schöner Artikel elend zusammengestrichen und die Einleitung vollständig weggelassen war. Der Appetit zum Frühstück verging ihm, und er eilte zum Büro. Der Nachrichtenredakteur grinste, als der junge Mann hereinkam.

»Sehen Sie einmal her, Mister Triffitt«, sagte er. »Man muß nicht allzu schlau und allwissend sein. Ihre Voraussagen gestern abend waren mir denn doch ein wenig zu zweifelhaft, und ich läutete deshalb Scotland Yard an. Machen Sie so etwas nicht wieder. Sie meinen es ja sehr gut, aber die Beamten kennen ihre Pflicht doch besser, als Sie ahnen. Wenn sie in dieser Angelegenheit zunächst Ruhe haben wollen, so haben sie auch ihre wichtigen Gründe dafür. Unterlassen Sie in Zukunft solche niederträchtigen Andeutungen. Haben Sie mich verstanden?«

»Sie wissen also doch etwas?« erwiderte Triffit verärgert. »Dann hatte ich trotzdem recht!«

»Sie werden unrecht bekommen, wenn Sie Ihre Nase in Dinge stecken, die Sie nichts angehen. Prophezeien Sie nichts, sondern halten Sie sich an Tatsachen. Und nun gehen Sie einmal zu dem Begräbnis des alten Herapath. Es findet um zwölf Uhr in Kensal Green statt. Da haben Sie genug zu tun. Sicher sind viele Abgeordnete und andere bekannte Leute dort. Führen Sie ihre Namen auf, und machen Sie einen netten, schönen Artikel. Aber kein unnötiges Feuerwerk.«

Triffitt ging zur Beerdigung, aber er war mit sich und der Welt zerfallen. Natürlich wußte die Polizei Verschiedenes! Was mochte das nur sein? Er mußte es herausbringen. Trotz der kalten Abreibung, die ihm der Redakteur hatte zuteil werden lassen, kannte Triffitt die Tendenz seiner Zeitung nur zu gut. Wenn es ihm gelang, das Geheimnis um Mr. Herapath aufzuklären und eine große Sensation daraus zu machen, schlug die Redaktion alle Ermahnungen der Polizei und alle offiziellen Wünsche in den Wind. Nein, er wollte sich nicht ins Bockshorn jagen lassen, sondern die Sache selbst in die Hand nehmen.

 


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