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Bald darauf befanden sie sich in einem wunderbar ausgestatteten Wohnzimmer. Auf der einen Seite des großen Tisches saßen Professor Cox und Selwood, auf der anderen ein untersetzter, etwas korpulenter Herr, offenbar ein Ausländer, der ziemlich verängstigt aussah. Vor dem Kamin stand in eleganter Pose Burchill, wie immer tadellos gekleidet. Seine Haltung drückte aus, daß er sich als Herr der Situation fühlte. Eine weißhaarige ältere Dame erhob sich aus einem Lehnstuhl in der Ecke, um Triffitt und den Inspektor zu begrüßen.
Davidge verneigte sich tief vor ihr.
»Guten Abend«, sagte er kühl und sachlich. »Ich habe mir die Freiheit genommen, einen meiner Freunde mitzubringen. Da doch alles hier sozusagen öffentlich verhandelt wird, werden Sie wohl gegen die Anwesenheit eines Herrn von der Presse nichts einzuwenden haben. Darf ich vorstellen? Mr. Triffitt von der Redaktion des ›Argus‹. Die Herren kennen sich bereits.« Er begrüßte Selwood und den Professor. »Ach, sehen Sie, da ist ja auch Mr. Burchill. Wie geht es Ihnen? Wir haben uns früher schon getroffen und werden uns zweifellos auch in Zukunft noch häufiger sehen.«
Während Davidge sprach, hatte er alle Anwesenden eingehend betrachtet, griff nun zu einem Stuhl und nahm zwischen der Tür und dem Tisch Platz. Dann sah er zu Mrs. Engledew hinüber.
»Warum haben Sie mich eigentlich hergerufen? Als Sie heute nachmittag mit mir telefonierten, sagten Sie, daß ich verschiedene Neuigkeiten und Enthüllungen hören würde. Ich bin sehr gespannt darauf. Wer wird denn diese Enthüllungen machen?«
»Mr. Burchill wird uns einen Vortrag halten«, erwiderte Mrs. Engledew, als auch sie sich wieder setzte. »Sein Freund –«
»Ach so, der Herr dort«, bemerkte der Inspektor.
Burchill warf seine Zigarette fort und trat vor.
»Davidge, Sie wissen ganz genau, warum wir Sie hergebeten haben«, begann er. »Sie sollen den wahren Sachverhalt über den Mord an Mr. Herapath hören. Das hat Ihnen doch Mrs. Engledew heute nachmittag eindeutig mitgeteilt. Die beiden Einzigen, die diesen wahren Sachverhalt kennen, sind ich und mein Freund, Mr. Dimambro.«
Selwood und Cox horchten plötzlich auf und sahen den Fremden interessiert an, während Davidge vollständig gleichgültig blieb.
»Da Mr. Dimambro nicht gut englisch spricht –« fuhr Burchill fort.
»Ich weiß viele Worte, kann mich aber schlecht ausdrücken«, unterbrach ihn Mr. Dimambro und deutete mit seiner fetten Hand auf ihn. »Er spricht für uns beide.«
Burchill zog jetzt auch einen Stuhl an den Tisch und setzte sich Selwood und dem Professor gegenüber.
»Ehe ich mit meinen Erklärungen beginne, muß ich noch vorausschicken, daß ich auch im Namen von Mrs. Engledew spreche, die mir die Erlaubnis dazu gegeben hat. Ich will die Umstände und Ereignisse, die mit dem Fall verknüpft sind, in chronologischer Reihenfolge erzählen, zunächst aber noch etwas über den verstorbenen Mr. Herapath sagen, was Mr. Selwood bestätigen kann. Mr. Herapath war nicht nur eine Autorität auf dem Gebiet des modernen Wohnbaus, sondern auch ein vorzüglicher Kenner kostbarer Steine.«
»Ich war nicht lange genug in seinen Diensten, um das beurteilen zu können«, erwiderte Selwood.
»Das tut auch augenscheinlich nichts zur Sache. Es genügt, daß die Tatsache festgestellt wird. Wir kommen jetzt zum ersten Kapitel der Geschichte. Mrs. Engledew wohnt seit Vollendung dieses Baues hier und ist eine alte Bekannte, ich darf wohl sagen Freundin des verstorbenen Mr. Herapath. Gelegentlich bat sie auch in geschäftlichen Dingen um seinen Rat, zum Beispiel am vergangenen 12. November. Sie hatte von einer Verwandten altmodisch gefaßten Familienschmuck geerbt, der von dem berühmten Experten Skins auf ungefähr siebentausend Pfund geschätzt wurde. Mrs. Engledew wollte ihn neu aufarbeiten lassen, und da sie wußte, daß Mr. Jacob Herapath in dieser Beziehung Geschmack und viel Erfahrung hatte, besuchte sie ihn mittags in seinem Büro und zeigte ihm die Diamanten. Er riet ihr, die Juwelen bei ihm zu lassen; er wollte am selben Tage noch mit einem Fachmann über die Steine sprechen und ihn um Rat fragen. Mrs. Engledew gab ihm daraufhin den Kasten mit den Diamanten, und er steckte ihn in die Tasche. Hoffentlich habe ich alles richtig erzählt, Mrs. Engledew?«
»Ja, es stimmt alles«, pflichtete sie ihm bei.
»Nun kommen wir zu Mr. Dimambro. Er ist Juwelier und handelt mit kostbaren Steinen. Wohnt zwar in Genua, aber seine Geschäfte führen ihn in ganz Europa umher. Mr. Dimambro hatte während der letzten Jahre schon verschiedene Geschäfte mit Mr. Herapath gemacht, aber am 12. November war es ungefähr ein Jahr her, daß er ihn nicht gesehen hatte. Bei ihrem letzten Zusammensein hatte Mr. Herapath erwähnt, daß er Perlen von einer bestimmten Sorte und Größe sammelte, und Mr. Dimambro verschiedene Beispiele gezeigt. Er wollte ein Perlenhalsband für Miß Wynne zusammenstellen und gab Mr. Dimambro den Auftrag, derartige Perlen für ihn zu suchen. Am 11. November dieses Jahres kam nun Mr. Dimambro in London an und teilte Mr. Herapath seine Ankunft mit. Gleichzeitig schrieb er auch, daß er die gewünschten Perlen mitgebracht hätte. Mr. Herapath verabredete daraufhin mit ihm, daß er ihn am Abend des 12. November um halb elf treffen wollte. Dimambro erschien auch zur verabredeten Stunde dort, zeigte Mr. Herapath die Perlen, die er für ihn erworben hatte, und verkaufte sie ihm. Als Zahlung hierfür erhielt er einen Scheck über dreitausend Guineen. Mr. Herapath nahm dann den Schmuckkasten von Mrs. Engledew aus der Tasche und fragte Dimambro, wie man die Steine am besten neu fassen könnte. Welchen Rat ihm Dimambro gab, ist im Augenblick gleichgültig. Herapath steckte den Schmuck von Mrs. Engledew wieder ein, verließ kurz darauf das Parlament und fuhr zu seinem Siedlungsbüro. Er hatte also sowohl die Perlen als auch die Juwelen von Mrs. Engledew bei sich. Mr. Dimambro kehrte zum Hotel Ravenna zurück, kassierte am nächsten Morgen den Scheck und reiste noch am selben Vormittag nach dem Kontinent ab. Erst am nächsten Tage erfuhr er von dem Morde an Mr. Herapath. Ich bitte nun Mr. Dimambro, sich darüber zu äußern, ob ich alles korrekt berichtet habe. Wenn nicht, so bitte ich ihn, mich zu verbessern.«
»Sie haben alles gut gesagt«, erklärte Dimambro, der aufmerksam zugehört hatte. »Erst in Berlin habe ich in englischen Zeitungen von dem Morde gelesen.«
»Warum sind Sie denn nicht sofort zurückgekommen?« fragte Professor Cox.
Dimambro streckte die Hände aus.
»Ach, ich habe doch mein Geschäft! Viel zu tun. Außerdem war ich nicht verwickelt – aber Mr. Burchill erzählt Ihnen das besser.«
»Ich muß nun von mir selbst sprechen«, fuhr Burchill fort. »Sie werden sich entsinnen, daß sowohl bei der Totenschau als auch vor dem Polizeigericht – aus gewissen Gründen konnte ich bei der Verhandlung nicht anwesend sein – ein Brief erwähnt wurde, den ich an Jacob Herapath geschrieben hatte, und den man später in Barthorpes Besitz fand, als man ihn verhaftete. Man faßte den Inhalt dieses Briefes als Erpressung auf, aber ich erkläre, daß ich ihn nicht in dieser Absicht geschrieben habe, obwohl man nach dem Wortlaut auf den Gedanken kommen konnte. Mr. Herapath war über den Brief aufgebracht und schrieb mir auch, daß er sehr unzufrieden mit mir sei. Ich hatte aber nicht die Absicht, ihn irgendwie zu ärgern, und als ich seine Antwort erhielt, entschloß ich mich, ihn persönlich aufzusuchen. Da ich seine Gewohnheiten genau kannte, wußte ich auch, daß er das Parlament gewöhnlich um Viertel nach elf verließ. Ich wartete deshalb im Palace Yard und wollte ihn ansprechen, wenn er aus dem Gebäude kam. Als ich aber sah, daß er in angeregter Unterhaltung mit Mr. Dimambro heraustrat, zog ich mich zurück, und keiner von beiden sah mich. Ich beobachtete, wie er sich von Dimambro verabschiedete, und hörte, daß er den Chauffeur anwies, zu dem Siedlungsbüro zu fahren. Ich überlegte mir die Sache, rief ein vorüberfahrendes Auto an und fuhr zur High Street.
Burchill machte eine Pause und sah Davidge verständnisvoll an.
»Ich stieg in der Nähe aus, ging die Straße entlang, bis ich an das große Gebäude kam. Sie sind ja alle genügend mit der Örtlichkeit vertraut und wissen, daß der Eingang an einem verdeckten Fahrweg liegt, der von einer Seitenstraße zu dem großen Platz führt. Als ich nun in die Seitenstraße einbog, sah ich auf der entgegengesetzten Seite einen Mann herauskommen. Und diesen Mann kannte ich!«
Burchill machte eine theatralische Pause und sah sich um. Alle verharrten in tiefem Schweigen.
»Ich kannte ihn gut, aber ich möchte seinen Namen im Augenblick noch nicht nennen. Wir wollen ihn zunächst einmal als Mr. X. bezeichnen.«