Joseph Smith Fletcher
Kampf um das Erbe
Joseph Smith Fletcher

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5. Kapitel.

Das Glas und das Brot.

Mr. Tertius verließ niedergeschlagen das Haus, nachdem Barthorpe Herapath ihn so hochfahrend behandelt hatte. Aber als er auf der Straße stand, beruhigte und faßte er sich wieder. Er hielt ein Mietauto an und fuhr nach Portman Square zurück, denn er hatte wichtige Dinge vor.

Im Hause bemerkte niemand, daß Mr. Tertius zurückkam. Er hatte sich die Tür selbst aufgeschlossen und ging nun schnell in das Arbeitszimmer von Mr. Herapath. Die düstere Stimmung des trüben Novembermorgens lag auch über diesem Raum und machte ihn noch trauriger und einsamer. Ein Frösteln überkam Mr. Tertius, als er nach dem leeren Stuhl hinüberschaute, in dem er Jacob Herapath so oft hatte sitzen sehen. Er seufzte tief.

Aber plötzlich dachte er daran, daß er keine Zeit hatte, trüben Gedanken nachzuhängen. Jetzt mußte gehandelt werden, und er war es, der handeln mußte, solange er das Arbeitszimmer noch für sich allein hatte. Vorsichtig und planvoll ging er ans Werk. Einen Augenblick sah er noch nachdenklich auf das Tablett, das auf dem kleinen Tischchen neben dem Schreibtisch stand, dann hob er das benützte Glas auf, nachdem er Handschuhe angezogen hatte, und hielt es gegen das Licht. Behutsam setzte er es wieder nieder, ging ins Speisezimmer und kam mit einem anderen Glas von gleicher Form und Größe wieder zurück. In dem neuen Glas mischte er einen Whiskysoda und goß dann den Inhalt auf einen Blumentopf, der vor dem Fenster stand. Dann stellte er das zweite Glas auf das Tablett und nahm das erste zu seinen Wohnräumen im Obergeschoß mit.

Fünf Minuten später kam Mr. Tertius mit einem kleinen, viereckigen Behälter wieder herunter. Er ging behutsam und vorsichtig die Treppe hinab und trat auf den Platz hinaus. An der Ecke der Orchard Street nahm er ein Auto und ließ sich nach Endsleigh Gardens fahren.

Als er an seinem Ziel angekommen war, klingelte er an einem Hause und fand sich kurz darauf einem sauberen Dienstmädchen gegenüber. Sie lächelte und zeigte dadurch, daß ihr der Besucher nicht unbekannt war.

»Ist der Professor zu Hause?« fragte Mr. Tertius.

Der Professor arbeitete in seinem Laboratorium, und sie führte Mr. Tertius die Treppe hinauf, die mit dickem, grünem Filz belegt war. Oben klingelte sie, und kurze Zeit darauf öffnete sich die Tür automatisch. Mr. Tertius befand sich in einem geräumigen Zimmer, das durch ein großes Oberlicht erhellt wurde. In der Mitte stand ein Schreibtisch, an dem der Professor gerade saß. Er richtete sich auf, als Mr. Tertius auf ihn zukam, reichte ihm seine große Hand zum Gruß und sah neugierig auf den Behälter.

»Was haben Sie denn da mitgebracht?« fragte er. »Sind das etwa Präparate, die Sie angefertigt haben?«

Mr. Tertius setzte sein Paket behutsam nieder, wischte sich die Stirn mit seinem Taschentuch und seufzte erleichtert auf.

»Ich freue mich, daß ich die Sachen glücklich und sicher hierhergerettet habe. Es sind gerade keine Präparate, aber vielleicht Beweise für eine Schandtat. Kommen Sie nur einmal her.«

Der Professor erhob sich zu seiner vollen Größe, nahm seine Pfeife, die neben ihm auf dem Schreibtisch lag, und begann heftig zu rauchen, als er zu Tertius trat.

»Haben Sie etwas Lebendiges mitgebracht?«

Tertius öffnete den Behälter, und der Professor beugte sich darüber. Plötzlich fuhr er wieder in die Höhe.

»Was soll denn das bedeuten? Sie bringen mir da ein Trinkglas und ein Butterbrot? Was in aller Welt soll ich denn damit anfangen?«

Er wollte die beiden Gegenstände herausnehmen, aber Tertius hielt ihn zurück.

»Bitte seien Sie vorsichtig, mein lieber Professor, Sie dürfen diese Dinge nur ganz leicht berühren. Ich werde Ihnen alles erklären. Kommen Sie, wir wollen uns hinsetzen, und ich rauche dabei eine Ihrer schönen Zigarren.«

Der Professor wußte nicht, was er dazu sagen sollte. Schweigend reichte er seinem Gast den Zigarrenkasten und schaute sich die merkwürdigen Gegenstände an.

»Ein Butterbrot und ein Glas«, sagte er nachdenklich. »Nun?« Er ließ sich wieder in seinen Sessel fallen.

»Es ist möglich, daß diese unscheinbaren Dinge ein aufsehenerregendes Verbrechen aufklären können. Ich bin ganz sicher, daß Jacob Herapath ermordet wurde!«

»Ermordet!«

Tertius gab Professor Cox einen genauen Bericht. Er sprach leise und erregt und nahm die beiden Gegenstände aus dem Behälter heraus. Der Professor hatte seine Brille abgenommen und prüfte das Glas mit einer großen Lupe.

»Ja«, sagte er nach einer Weile. »Ich kann verschiedene Daumen- und Fingerabdrücke am oberen Teil des Glases unterscheiden. Sicherlich wird das viel zur Aufklärung des Falles beitragen können!«

Nun wies Mr. Tertius auf das Brot.

»Betrachten Sie das doch auch einmal.«

Der Professor nickte hochbefriedigt und klopfte Mr. Tertius auf die Schulter.

»Das ist ja ganz hervorragend. Sonnenklar!«

»Aber wir müssen sehr vorsichtig mit diesen Dingen umgehen. Deswegen habe ich sie Ihnen gebracht.«

»Nichts leichter als das. Ich werde sie so konservieren, daß sie nach Jahrzehnten noch so frisch wie heute sind. Aber wem wollen Sie diese Beweisstücke zeigen? Etwa der Polizei?«

»Ja, das dachte ich. Aber ich glaube, die Zeit ist jetzt noch nicht dafür gekommen. Wir wollen abwarten, was die Totenschau ergibt.«

»Ach, da wird nur das allgemein Bekannte wiederholt. Dabei kommt wahrscheinlich wenig Neues heraus.«

»Das ist auch meine Meinung. Aber trotzdem wollen wir warten.«

Mr. Tertius beobachtete noch, daß der Professor die beiden Gegenstände luftdicht verschloß, verließ dann das Haus und ging langsam nach Portman Square zurück. Als er in die Orchard Street einbog, kam ihm ein Zeitungsjunge entgegen und rief eine Extraausgabe des »Argus« aus.

 


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