Joseph Smith Fletcher
Kampf um das Erbe
Joseph Smith Fletcher

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16. Kapitel.

Namenlose Furcht.

Wenn Triffitt noch etwas länger auf dem Friedhof geblieben wäre, hätte er bemerkt, daß sich Mr. Frank Burchill bei der Trauerfeier sehr bescheiden, zurückhaltend und unauffällig benahm. Wie alle anderen ging er an dem Grabe vorbei, an dem die Hauptleidtragenden standen, aber er zeigte nicht, daß er jemand erkannte, vor allem nicht Barthorpe Herapath. Aber als er sich entfernte, folgte ihm ein scharfäugiger Detektiv, der wie zufällig die Gräber und Monumente betrachtet hatte und im Augenblick von dem imposanten Trauerzug angelockt schien, der dem Toten das letzte Geleit gab. Ein anderer Mann folgte in gleicher Weise Barthorpe Herapath, der nach dem Begräbnis zum Portman Square fuhr. Selwood, Tertius, Cox und Halfpenny waren gemeinsam zur Beerdigung erschienen, und sie gingen auch zusammen fort.

Sie waren gerade in der Wohnung angekommen und standen bei Peggie im Arbeitszimmer, als Barthorpe vorfuhr.

»Wir müssen uns sofort über die Lage klar werden«, sagte Halfpenny, als er Barthorpes Stimme in der Halle hörte. »Es hat keinen Zweck, daß wir uns etwas vormachen. Barthorpe hat es abgelehnt, mich in meinem Büro aufzusuchen oder mich in seinen Räumen zu empfangen. Jetzt werde ich ihn dazu zwingen, offen Stellung zu nehmen. Und Sie, Miß Wynne, müssen ebenfalls darauf bestehen, daß er sich klar äußert, so schwer Ihnen das auch fallen mag.«

»Worüber denn?« fragte Peggie.

»Er soll uns sagen, was er vorhat – wenn er etwas im Schilde führt. Ich weiß wirklich nicht, wie ich sein Benehmen deuten soll«, entgegnete Mr. Halfpenny bestimmt.

Im nächsten Augenblick trat Barthorpe in das Zimmer, blieb einen Augenblick stehen und sah sich erstaunt um.

»Ach, Peggie, ich wollte dich eigentlich allein sprechen«, sagte er. »Ich wußte nicht, daß hier eine Konferenz stattfindet.«

»Barthorpe, du weißt ganz genau«, erwiderte sie ernst, »daß diese Herren Onkel Jacob nahestanden. Außerdem sind es auch meine Freunde. Geh bitte nicht fort, Mr. Halfpenny muß mit dir sprechen.«

Barthorpe hatte sich schon halb zur Tür gewandt und drehte sich unentschlossen noch einmal um.

»Mr. Halfpenny will mich in geschäftlicher Angelegenheit sprechen«, sagte er eisig, »und er weiß, wo mein Büro ist.«

Er hatte die Hand schon auf die Türklinke gelegt, als ihm Mr. Halfpenny energisch antwortete.

»Mr. Herapath, ich weiß zwar, wo Ihre Büroräume liegen, aber ich habe in den beiden letzten Tagen vergeblich versucht, eine Unterredung mit Ihnen herbeizuführen. Ich bestehe darauf, daß Sie jetzt mit uns sprechen, zum mindesten mit Ihrer Kusine. Dazu sind Sie verpflichtet, das erfordert der einfache Anstand.«

»Ich wollte mich ja privatim mit meiner Kusine unterhalten.«

»Über einen gewissen Punkt müssen wir aber in aller Öffentlichkeit sprechen. Sie wissen ganz genau, was ich meine. Es handelt sich um das Testament Ihres Onkels!«

»Was wollen Sie denn mit dem Testament meines Onkels – oder vielmehr seinem angeblichen Testament?« fragte Barthorpe ärgerlich.

Mr. Halfpenny wollte ihm eine heftige Antwort geben, aber er besann sich und wandte sich an Peggie.

»Nun hören Sie, liebe Miß Wynne. Er brauchte eben den Ausdruck angebliches Testament.«

Peggie sah ihren Vetter mit einem bittenden Blick an.

»Barthorpe, ist das fair? Heute haben wir erst unseren Onkel beerdigt, und du magst dich so benehmen? Du weißt, daß es sein Testament ist! Welche Zweifel könnten denn daran bestehen?«

Barthorpe antwortete nicht gleich. Seine Hand ruhte auf der Klinke, und er schaute zu Mr. Halfpenny hinüber.

»Was wollen Sie denn von mir wissen?« fragte er schließlich.

»Erkennen Sie das Testament an und handeln Sie für Ihre Kusine? Ich bitte, meine Frage direkt zu beantworten.«

Barthorpe zögerte wieder, bevor er sprach. Dann machte er eine Bewegung, als ob er die Tür öffnen wollte.

»Ich lehne es ab, mich über das vorgelegte Testament zu äußern, besonders in Gegenwart dieses Herrn.« Er wies dabei auf Mr. Tertius.

»Barthorpe!« rief Peggie, die vor Empörung über seinen boshaften und gehässigen Ton errötete. »Wie kannst du dich so aufführen – noch dazu in meinem Hause?«

Barthorpe lachte auf, und öffnete nun die Tür wirklich.

»Recht so – dein Haus, liebe Peggie! Wohlverstanden nach dem vorgelegten Testament.«

»Es wird auch vom Gericht bestätigt werden«, warf Mr. Halfpenny dazwischen. »Da Sie es ablehnen oder doch wenigstens abzulehnen scheinen, werde ich für Ihre Kusine handeln, und zwar sofort!«

Barthorpe drehte sich noch einmal um.

»Handeln Sie doch – wenn Sie können!« Damit schloß er die Tür hinter sich. Mr. Halfpenny wandte sich an die anderen.

»Das Testament muß sofort vom Gericht bestätigt werden«, erklärte er entschieden. »Wir haben alle gehört, daß er von einem angeblichen Testament sprach. Das kommt mir doch sehr verdächtig vor, Mr. Tertius, Sie haben doch nicht den geringsten Zweifel an der Echtheit des Dokumentes, das ich jetzt in meinem Safe aufbewahre?«

»Ich habe persönlich gesehen, wie die Unterschriften ausgefertigt wurden, wie könnte ich daran zweifeln?«

»Ich muß diesen Mr. Burchill aufsuchen, und zwar sofort. Wenn ich nur seine Adresse wüßte!«

Peggie errötete leicht.

»Ist es wirklich notwendig, Mr. Burchill persönlich zu sprechen?« fragte sie nervös.

»Das ist sogar dringend notwendig, denn es ist Gefahr im Verzuge.«

»Schade«, meinte Mr. Tertius. »Ich habe den jungen Mann vorhin auf dem Kirchhof gesehen. Wie dumm, das ich das vergessen habe!«

»Ich habe seine Adresse«, sagte Peggie. »Er gab seine Karte an dem Tage ab, als mein Onkel starb. Ich habe sie hier in die Schublade gelegt.«

Selwood beobachtete sie neugierig, und es beschlich ihn ein unangenehmes Gefühl, als sie zum Schreibtisch ging und das Fach aufzog. Er hatte eine gewisse Erregung in ihrer Stimme bemerkt, als sie von Burchill sprach, und ihre Wangen hatten sich bei der Erwähnung seines Namens gerötet.

Mr. Halfpenny nahm die Karte.

»Sehen Sie, ›Calengrove Mansions, Maida Vale‹. In einer Viertelstunde können wir dort sein. Tertius, wir wollen den jungen Mann sofort aufsuchen.«

»Was halten Sie davon, Professor?« wandte sich Tertius an seinen Freund. »Wird das wohl gut sein?«

»Tun Sie nur, was Halfpenny vorschlägt«, brummte der Gelehrte und strich seinen langen, schwarzen Bart. »Aber ich möchte Sie vorher noch einmal allein in der Halle sprechen.«

Er verabschiedete sich in einer rauhen, aber herzlichen Art von Peggie und folgte den anderen. Sie blieb mit Selwood allein und sah ihn fast bittend an.

»Es ist alles so anders gekommen«, sagte sie, setzte sich wieder und faltete die Hände über den Knien. »Ich fühle mich entsetzlich hilflos.«

»Das dürfen Sie aber nicht sagen«, erwiderte Selwood, der sich Mühe gab, ruhig zu sprechen. »Sie haben Mr. Tertius, Mr. Halfpenny und den Professor – und – und wenn ich etwas tun könnte, wäre ich sehr glücklich. Sie wissen doch, daß Sie sich auf mich verlassen können.«

Peggie streckte impulsiv ihre Hand aus, aber Selwood übersah es. Er traute sich selbst nicht, denn hätte er ihre Hand genommen, so hätte er ihr alles sagen müssen, was er doch verheimlichen wollte. Er ging hinüber zu dem Schreibtisch und machte sich mit den Papieren dort zu schaffen.

»Ich bin Ihnen sehr dankbar. Aber ich habe Angst.«

Selwood wandte sich schnell um und sah sie scharf an.

»Warum haben Sie denn Angst?«

»Das weiß ich selbst nicht. Ich habe das Gefühl, daß irgendein Unglück bevorsteht, und dann – fürchte ich mich vor Mr. Burchill.«

Die Papiere entglitten Selwoods Fingern.

»Ich fürchtete mich schon vor ihm, als er noch im Hause war, und besonders, als er neulich hierherkam.«

»Haben Sie ihn gesprochen?« fragte Selwood.

»Nein, er hat nur seine Karte heraufgeschickt. Aber selbst dieser an und für sich geringfügige Umstand hat mir Schrecken eingejagt.«

Selwood lehnte sich an den Schreibtisch und betrachtete sie aufmerksam.

»Ich glaube, daß Sie sich nicht ohne Grund fürchten. Ich habe allerdings kein Recht, Sie danach zu fragen, aber wenn Sie dieser Mensch irgendwie belästigt, so sagen Sie es mir bitte. Ich –«

»Was würden Sie denn tun?« fragte sie mit leisem Lächeln.

»Ich würde ihm das Genick brechen«, grollte Selwood. »Ich wünschte nur, Sie würden mir alles sagen. Ist er Ihnen zu nahe getreten?«

»Nein. Er machte mir nur einen Heiratsantrag, kurz bevor er die Stellung bei meinem Onkel aufgeben mußte.«

»Und welche Antwort gaben Sie ihm?« Selwood mußte sich zwingen, ruhig zu bleiben.

»Ich lehnte natürlich ab. Er nahm damals meine Antwort ruhig auf und ging. Und deshalb fürchte ich mich vor ihm.«

»Aber das verstehe ich nicht. Sie fürchten sich, weil er die Sache ruhig hinnahm und ohne Widerspruch ging? Darüber bin ich sehr erstaunt!«

»Sie kennen ihn nicht. Es ist gerade diese scheinbare Ruhe, die mich nervös macht, dieses unheimliche Schweigen. Er hat etwas an sich, das mich bedrückt. Ich wünschte, daß mein Onkel ihn niemals ins Haus genommen hätte, daß er niemals hergekommen wäre – und lieber würde ich arm und ohne Vermögen dastehen, als das Testament meines Onkels von ihm als Zeugen unterschrieben wissen!«

Selwood konnte hierauf nicht antworten, denn er verstand die Zusammenhänge nicht.

»Nun gut«, sagte er verbissen. »Ich werde ihn beobachten und darüber wachen, daß Ihnen nichts geschieht.«

Peggie streckte wieder die Hand aus, aber Selwood tat zum zweitenmal so, als ob er es nicht sähe, und beschäftigte sich wieder intensiv mit den Papieren auf dem Schreibtisch.

 


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