Joseph Smith Fletcher
Kampf um das Erbe
Joseph Smith Fletcher

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19. Kapitel.

Das Netz zieht sich zusammen.

An diesem Abend erhielt Triffitt Burchills Adresse von Carver; am nächsten Tage ließ er sich hundert Pfund von der Redaktionskasse auszahlen und machte sich auf den Weg nach Calengrove Mansions. Er wollte Näheres über die Person Burchills herausbringen, und zu diesem Zweck mußte er sich vor allem in der Nähe dieses Mannes aufhalten, damit er ihn im Auge behalten, sein Kommen und Gehen kontrollieren und seine Besucher beobachten konnte. Auf diese Weise wollte er sich mit Burchills täglichem Leben vertraut machen. Triffitt traute sich augenblicklich die Lösung jeder Aufgabe zu, denn er arbeitete mit Einwilligung seines Chefredakteurs, und er konnte sich auf die Redaktionskasse stützen.

Calengrove Mansions gehörte zu den Gebäuden, die in den letzten Jahren in der Nähe von Maida Vale und St. John's Wood errichtet worden waren. Das Haus hatte sechs Stockwerke, und soweit Triffitt von der Straße aus beobachten konnte, war es noch nicht vollständig bewohnt. Viele Fenster hatten noch keine Gardinen, und besonders die oberen Geschosse machten einen unbewohnten Eindruck. Triffitt nahm deshalb an, daß es ihm nicht schwer fallen würde, sich eine Wohnung innerhalb desselben Hauses zu sichern. Zuerst wollte er einmal feststellen, wo Burchills Wohnung lag, und trat kurz entschlossen ein. Auf der Tafel im Korridor sah er, daß Burchill im obersten Stockwerk wohnte, und daß dort noch zwei Wohnungen frei sein mußten, weil die Tafel keine Namen aufwies.

Triffitt ging in das Büro und trug dem Angestellten dort seine Wünsche vor. Der junge Mann entrollte sofort farbige Grundrisse von den einzelnen Geschossen auf dem Tisch.

»Wie groß soll die Wohnung sein? Für eine Familie mit Kindern, einzelnes Ehepaar oder Junggesellen?«

»Ich bin nicht verheiratet und möchte, wenn möglich, möblierte Räume haben.«

»Zufällig habe ich etwas Passendes an Hand.« Er zeigte auf den Abschnitt eines Grundrisses. »Einer unserer Mieter ist für vier Monate außer Landes gegangen und wird froh sein, wenn er seine möblierte Wohnung vermieten kann. Tadellos eingerichtet, kann sofort bezogen werden.«

Triffitt beugte sich über den Plan und war hocherfreut, als er erkannte, daß gegenüber dieser Wohnung Frank Burchills Name eingetragen war. Die dritte Wohnung schien frei zu sein.

»Das würde mir zusagen«, erklärte Triffitt.

»Sie können sie für ungefähr fünfzig Schilling die Woche haben, einschließlich Möbel, Geschirr, Wäsche, Glas, Porzellan und allem Zubehör. Die Frau des Hausverwalters kann die Wohnung in Ordnung halten und kochen. Wollen Sie sich die Räume einmal ansehen?«

Triffitt folgte dem jungen Mann, und sie waren bald einig. Eine halbe Stunde später war Triffitt schon im Besitz der Wohnung, nachdem sich der Angestellte bei den aufgegebenen Referenzen erkundigt und besonders von der Redaktion des »Argus« die beste Auskunft erhalten hatte. Er zahlte eine Monatsrate im voraus, ging nach Hause, packte dort alles, was er nötig hatte, und verproviantierte sich. Am Nachmittag hatte er sich schon häuslich niedergelassen und seine Habschaften verstaut. Nun kam die Frage, was er jetzt beginnen sollte.

Er hätte es nicht besser treffen können. Burchills Tür lag der seinigen direkt gegenüber, und durch den Schlitz des Briefkastens konnte er den Eingang genau beobachten. Zunächst hielt er es für richtig, einmal die nächste Umgebung und die Geographie des Hauses kennenzulernen.

Es fiel ihm auf, daß kein Fahrstuhl vorhanden war. Aber das kam ihm sogar gelegen, denn manchmal ist es von großem Vorteil, wenn man von oben beobachten kann, wer heraufkommt. Dann prägte er sich die Lage seiner Räume genau ein. Auf dem Plan hatte er gesehen, daß Burchills Wohnung denselben Grundriß hatte wie die seine. Man kam durch eine Doppeltür in ein verhältnismäßig großes Wohnzimmer, rechts davon lag eine kleine Küche und eine Speisekammer, auf der anderen Seite Schlafzimmer und Bad. Die Fenster des Schlafzimmers gingen auf die Straße hinaus. Vom Wohnzimmer aus hatte man Ausblick auf einen quadratischen Garten, der den Bewohnern des Hauses zur Erholung diente. Triffitt bemerkte zu seiner größten Freude, daß vor dem Wohnzimmer ein Balkon war, der sich an der ganzen Front des Hauses entlangzog. Als er hinunterschaute, sah er, daß sich in allen Stockwerken dasselbe wiederholte. Man konnte also seine Nachbarn leicht besuchen, man brauchte nur auf dem Balkon entlangzugehen und an ein Fenster zu klopfen. Triffitt studierte die Fenster seiner eigenen und der nächsten Wohnung. In den oberen Scheiben waren Ventilatoren eingelassen. Wie leicht konnte man ein Gespräch, das im Raum geführt wurde, auf dem Balkon hören, selbst wenn die Leute nicht außergewöhnlich laut sprachen.

In den nächsten zwei Tagen passierte nichts. Zweimal traf Triffitt Burchill auf der Treppe, der ihn natürlich nicht kannte und gar keine Notiz von dem neuen Hausbewohner nahm. Um so eingehender, wenn auch unauffällig, studierte dafür Triffitt den anderen. Natürlich war das der Mann, den er damals auf der Anklagebank in Schottland gesehen hatte. Er hatte sich wenig verändert, höchstens kleidete er sich jetzt viel eleganter.

Aber am dritten Nachmittag kam Barthorpe Herapath die Treppe herauf, als Triffitt eben hinuntergehen wollte. Triffitt war dankbar, daß das Treppenhaus nur mäßig beleuchtet war, und daß draußen düstere Novemberstimmung herrschte. Barthorpe hatte ihn zwar nur an dem Morgen nach dem Morde gesehen, aber er mochte ein gutes Gedächtnis haben und ihn wiedererkennen. Triffitt zog also schnell den Hut ins Gesicht, drückte das Kinn in den hochgeklappten Mantelkragen und eilte in schnellem Tempo an dem anderen vorüber. Barthorpe erkannte ihn nicht.

»Das eine habe ich jedenfalls schon herausbekommen«, sagte Triffitt triumphierend zu sich selbst. »Barthorpe Herapath ist in Fühlung mit Burchill. Der Neffe und der frühere Sekretär des Ermordeten! Was hat das wohl zu bedeuten, daß die beiden die Köpfe zusammenstecken?«

Er überlegte diese Frage noch, als er ins Büro kam und eine kurze Notiz von Carver vorfand, der ihn sofort sprechen wollte. Triffitt machte sich sofort zur Redaktion des »Magnet« auf und konnte dort mit Carver in einer ruhigen Ecke sprechen.

»Ich habe ihn erwischt«, sagte dieser mit Genugtuung.

»Wen denn?«

»Nun, den Chauffeur. Sie wissen doch, wen ich meine. Ich habe ihn heute mittag aufgegabelt. Er hat den bewußten Herrn vom Portman Square in die Nähe von St. Mary Abbot gefahren, und zwar um zwei Uhr morgens, nach der Ermordung von Herapath. Da haben wir wenigstens eine sichere Tatsache. Die Geschichte hat mich fünf Pfund gekostet, die Sie mir ja wiedererstatten werden. Ich habe nach und nach alle Autos, die in der Gegend Nachtdienst versehen, ausfindig gemacht und stieß so auf unseren Mann. Er hat mir allerdings noch nicht viel verraten, und eins ist besonders unangenehm. Was er weiß, hat er nämlich dem alten Tertius auch schon erzählt, und der hat ihm absolutes Schweigen auferlegt, bis seine Aussage gebraucht würde. Die Zeit scheint noch nicht gekommen zu sein, denn er hat ihn bis jetzt nicht wieder angesprochen. Aber der Chauffeur ist auf Geld aus. Als ich nur so nebenbei davon sprach, spitzte er gleich die Ohren. Er will uns alles sagen, natürlich für Geld und unter der Bedingung, daß wir vorläufig keinen Gebrauch davon machen und nichts in die Zeitung bringen. Wenn Sie ihm einen anständigen Preis zahlen, wird er schon reden.«

»Gut. Kann er uns aber tatsächlich Positives berichten?«

»Er kennt den Mann, den er in der Mordnacht um zwei Uhr gefahren hat. Als er mit Mr. Tertius sprach, hatte er die Persönlichkeit noch nicht identifiziert. Und er ist nicht abgeneigt, uns seine Kenntnis unter Diskretion zu verkaufen.«

 


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