Joseph Smith Fletcher
Kampf um das Erbe
Joseph Smith Fletcher

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9. Kapitel.

Ein Diplomat.

Burchill hatte bisher mitten im Zimmer gestanden, aber jetzt setzte er sich in die Ecke eines Sofas seinem Besucher gegenüber und sah diesen fragend an, bevor er antwortete. Barthorpe wußte, daß es nicht leicht war, etwas aus ihm herauszubringen.

»Also vermutet man, daß ich ein Testament von Mr. Jacob Herapath als Zeuge unterzeichnete?«

Barthorpe machte eine ungeduldige Bewegung.

»Reden Sie keinen Unsinn«, sagte er schroff. »Ein Mann weiß doch genau, ob er ein Testament unterzeichnet hat oder nicht.«

»Entschuldigen Sie, ich bin nicht ganz Ihrer Ansicht. Ich kann mir sehr wohl vorstellen, daß ein Mann glaubt, er habe ein Testament als Zeuge unterzeichnet, wenn er nichts Derartiges getan hat. Desgleichen kann ich es mir als möglich denken, daß jemand seine Unterschrift als Zeuge unter ein Testament setzt, während er der Meinung war, ein weniger wichtiges Dokument unterschrieben zu haben. Sie sind doch ein Rechtsanwalt, ich bin es nicht. Aber ich glaube, daß das, was ich eben sagte, viel mehr mit den wirklichen Vorgängen im Leben übereinstimmt als das, was Sie äußerten.«

»Machen Sie nicht soviel Umstände, und beantworten Sie meine Frage.«

»Ich habe Sie vollkommen verstanden. Sie waren deutlich genug.«

»Warum wollen Sie mir denn keine Antwort geben?«

Burchill lachte leise vor sich hin.

»Warum beantworten Sie denn nicht zuvor meine Frage? Ich will sie aber in einer präziseren Form stellen. Haben Sie selbst meine Unterschrift als Zeuge unter einem Testament gesehen, das Jacob Herapath gemacht hat?«

»Ja.«

»Sind Sie sicher, daß es meine Unterschrift war?«

Barthorpe sah ihn scharf an, aber die Züge dieses Mannes waren undurchdringlich. So schwieg er, und Burchill lächelte.

»Ich kann alles Mögliche annehmen, zum Beispiel, daß die Unterschrift gefälscht ist. Vielleicht sind auch zwei Unterschriften gefälscht – vielleicht drei – wer will das sagen? Halten Sie es nicht für besser, zu warten, bis dieses Testament vor Gericht kommt? Dann müßte mich ja sowieso einer der Richter in seiner amtlichen Eigenschaft fragen, ob das meine Unterschrift ist. Es hat doch keinen Zweck, daß Sie jetzt versuchen, direkte Fragen an mich zu stellen. Ich überlasse es Ihnen allerdings vollkommen, zu handeln, wie Sie wollen. Vielleicht sagen Sie mir alles, was Sie von der Sache wissen?« Er machte eine Pause und beobachtete Barthorpe, und als dieser nicht antwortete, fuhr er leiser, aber eindringlich fort: »Alles, was Sie wissen.«

Barthorpe warf plötzlich seine Zigarette ins Feuer. Er hatte einen Entschluß gefaßt.

»Nun gut, ich will Ihnen alles sagen. Vielleicht ist das der kürzeste Weg zum Ziel. Mein Onkel wurde heute nacht etwa zwischen zwölf und drei in seinem Büro ermordet. Nach den ersten Vernehmungen forschte ich natürlich nach, ob er ein Testament gemacht hat.«

»Es ist mir ganz klar, daß Sie ein großes Interesse daran hatten.«

»Ich glaubte selbst nicht daran, aber Mr. Tertius erklärte in Gegenwart meiner Kusine und Selwoods, daß Jacob Herapath ein Testament aufgesetzt hätte, und holte es aus einem Geheimfach in einem alten Sekretär hervor.«

»Aus einem Geheimfach in einem alten Sekretär?« wiederholte Burchill leise. »Das ist ja äußerst interessant, direkt dramatisch. Nun – und was weiter?«

»Das Testament war von Anfang bis zu Ende von Jacob Herapath selbst geschrieben.«

»Und wer hatte es beglaubigt?«

»Tertius als erster Zeuge, und Sie als zweiter. Jetzt wissen Sie alles. Geben Sie mir noch keine Antwort? Seien Sie doch vernünftig, und sagen Sie mir, ob Sie tatsächlich das Testament unterschrieben haben! Um Himmels willen, sehen Sie denn nicht ein, wie wichtig Ihre Aussage für mich ist?«

»Wie soll ich Ihnen denn etwas darüber sagen, wenn Sie mir nicht einmal mitteilen, was in dem Testament steht?«

Barthorpe wurde wütend, aber er zwang sich zur Ruhe.

»Mein Onkel hat seinen ganzen Besitz – meiner Kusine hinterlassen.«

»Und Sie sind in dem Testament überhaupt nicht erwähnt?« fragte Burchill in sonderbar gedehntem Ton. »Das ist in der Tat verteufelt unüberlegt gehandelt. Ja, jetzt begreife ich, daß die Sache ernst ist. Aber – nur für Sie.« Er sah die Erregung Barthorpes und sprach deshalb beruhigend weiter. »Es hat keinen Zweck, mit mir Krach zu machen, Sie verschwenden nur Ihre Energie. Die Sache ist wirklich zu ernst. Aber bedenken Sie, daß es nur gefährlich für Sie werden kann, wenn das Testament – echt ist. Wissen Sie, was ich meine?«

Barthorpe sprang wie elektrisiert auf und ging nervös im Zimmer auf und ab.

»Ich möchte nur wissen, was das heißen soll, Burchill! Haben Sie das Testament unterschrieben, oder haben Sie es nicht unterschrieben?«

»Wie kann ich das sagen, wenn ich es nicht selbst gesehen habe?« fragte Burchill so unschuldig als möglich. »Wir wollen meine Entscheidung vertagen, bis ich es zu Gesicht bekomme. Nebenbei bemerkt, hat Mr. Tertius denn behauptet, daß es meine Unterschrift sein soll?«

»Was wollen Sie nun damit wieder sagen? Natürlich hat er das gesagt! Er gab an, daß er und Sie zusammen das Testament als Zeugen unterschrieben haben.«

»Nun, wir müssen die ganze Sache zurückstellen, bis das Testament dem Gericht zwecks Anerkennung vorgelegt wird. Jetzt wollen wir lieber über etwas Anderes sprechen, zum Beispiel über meinen Brief an Ihren Onkel, den Sie natürlich gelesen haben.«

Barthorpe setzte sich nieder und starrte ihn an.

»Sie sind aber ein verwegener Bursche! Sie führen irgend etwas im Schilde! Also heraus damit – was wollen Sie?«

Burchill lächelte verächtlich.

»Sagen Sie mir doch lieber, was Sie wollen. Oder wenn Ihnen diese Frage im Augenblick noch zu kitzlig ist, sprechen wir lieber über meinen Brief. Haben Sie etwas darüber zu fragen?«

Barthorpe nahm das Schreiben wieder aus der Tasche und tat so, als ob er es noch einmal läse, während Burchill ihn mit zusammengekniffenen Augenlidern von der Seite beobachtete.

»Ich finde hier eine unklare Stelle«, sagte Barthorpe schließlich. »Auf welche Vorschläge sollte mein Onkel denn eingehen? Sollte er Ihnen Geld leihen?«

»Wenn Sie dem Ding durchaus einen Namen geben wollen«, entgegnete Burchill gewandt, »so können Sie es ja eine Schenkung nennen. Das klingt besser, in Ihren Augen vielleicht ehrenhafter.«

»Es kommt gar nicht darauf an, wie Sie es nennen«, erwiderte Barthorpe trocken. »Den ganzen Ton Ihres Briefes nach werden die meisten Menschen das wahrscheinlich als eine Erpressung bezeichnen.«

»Ja, aber höfliche Leute würden das nicht tun«, unterbrach ihn Burchill. »Und Sie gehören doch zu diesen. In Ihrer jetzigen Zwangslage sind Sie sicher höflich zu mir. Also wollen wir es ruhig eine Schenkung nennen. Sehen Sie, ich habe die Absicht, eine wöchentlich erscheinende Kunstzeitschrift herauszugeben, und ich dachte, Ihr Onkel, der jetzt leider verstorben ist, könnte mir die nötigen Geldmittel dazu zur Verfügung stellen. Es ist gerade keine übermäßig große Summe notwendig.«

»Wieviel?« fragte Barthorpe barsch. »Der Betrag ist hier nicht genannt.«

»Er stand in den beiden früheren Briefen. Er war wirklich nicht hoch – nur zehntausend Pfund.«

»Damit wollten Sie Ihr Schweigen bezahlen lassen?«

»Sie müssen selbst sagen, daß das eine Bagatelle dafür war.«

Barthorpe steckte das Schreiben wieder in die Tasche, nahm eine neue Zigarette und steckte sie an. Dann beugte er sich vor.

»Was ist denn das für ein Geheimnis?« fragte er in vertraulichem Ton.

Burchill fuhr auf und tat äußerst erstaunt.

»Aber mein lieber Mann, das ist doch gegen jede Regel.«

»Sie meinen gegen jede Regel der Unterwelt?« sagte Barthorpe ärgerlich. »Verdammt noch einmal, warum weichen Sie mir immer aus und sprechen in Rätseln? Rücken Sie doch endlich mit der Sprache heraus!«

»Sie vergessen, daß ich Ihrem Onkel das Angebot machte, zu schweigen – für zehntausend Pfund. Deshalb ist es nur logisch, wenn ich jetzt ebensoviel dafür verlange, daß ich es sagen soll. Wenn Sie zufällig zehntausend Pfund in der Tasche haben –«

»Also wissen Sie um ein Geheimnis?« fragte Barthorpe und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Ich spreche jetzt vollkommen im Ernst. Ich lasse mich nicht weiter von Ihnen an der Nase herumführen!«

»Diese Frage will ich Ihnen anstandslos mit Ja beantworten. Ich weiß um ein Geheimnis!«

»Und das Geheimnis ist so schwerwiegend, daß Sie zehntausend Pfund dafür verlangen?«

»Verzeihen Sie, in Anbetracht der veränderten Lage, will ich sehr viel mehr dafür haben«, erklärte Burchill ruhig. »Es ist wohl wahr, daß ich zehntausend Pfund Schweigegeld von Ihrem Onkel haben wollte, aber sehen Sie, sein Tod hat die Situation von Grund aus verwandelt.«

Barthorpe schwieg einige Minuten.

»Das sieht wirklich verflucht nach – Erpressung aus«, sagte er dann leise.

»Verzeihen Sie«, unterbrach ihn Burchill, »meiner Meinung nach ist das durchaus keine Erpressung. Ich bin in der angenehmen Lage, um eine gewisse Sache zu wissen –«

»Es hat doch gar keinen Zweck, daß wir noch albernes Zeug reden«, rief Barthorpe. »Wie lange wollen wir beide uns noch gegenseitig etwas vormachen? Wollen Sie mir jetzt sagen, ob Sie Ihre Unterschrift unter das Testament setzten?«

»Sicherlich nicht eher, als bis ich das Schriftstück gesehen habe«, entgegnete Burchill prompt.

»Wollen Sie es mir wenigstens dann sagen?«

»Das hängt ganz davon ab.«

»Wovon hängt das ab?«

»Von den Umständen!«

»Haben denn diese Umstände etwas mit Ihrem Geheimnis zu tun?«

»Ja, jetzt mehr als je.«

»Was wollen Sie mit diesem Jetzt sagen?«

»Jetzt, da Mr. Jacob Herapath tot ist. Werden Sie doch vernünftig und lassen Sie die Sache mit dem Testament einmal im Augenblick aus dem Spiel. Besuchen Sie mich wieder – sagen wir, heute abend um zehn. Dann kann ich Ihnen mehr erzählen. Sind Sie damit einverstanden?«

»Ja«, sagte Barthorpe, nachdem er einen Moment gezögert hatte. »Also gut, ich komme heute abend wieder.«

Er stand auf und ging zur Tür. Auch Burchill erhob sich.

»Sie haben vermutlich keine Ahnung, wer Ihren Onkel ermordet haben könnte?« sagte Burchill.

»Nein. Haben Sie irgendwelche Vermutungen?«

»Ich? Nein. Die Polizei befaßt sich mit der Angelegenheit?«

»Natürlich!«

»Nun – dann bis heute abend.«

Er öffnete seinem Besucher die Tür und nickte ihm zum Abschied zu.

 


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