Joseph Smith Fletcher
Kampf um das Erbe
Joseph Smith Fletcher

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14. Kapitel.

Das schottische Urteil.

Triffitt schrieb die Namen der Unterstaatssekretäre, Parlamentsmitglieder und bekannter Leute auf, die in dem Trauergefolge erschienen, und hatte bald eine lange Liste glänzender Persönlichkeiten zusammengestellt. Mr. Barthorpe Herapath ging als Hauptleidtragender an der Spitze des Zuges. Triffitt entdeckte auch Mr. Selwood, von dem er sicher noch allerhand erfahren konnte. Er schloß deshalb sein Notizbuch und stellte sich hinter einen Zypressenbaum, um von dort aus das Begräbnis zu beobachten.

Aber plötzlich sah Triffitt jemand in dem Gefolge, der Erinnerungen in ihm wachrief, und schrak zusammen. Er nahm seinen Zylinder ab und rieb sich verwirrt die Stirn. Dann folgte er unauffällig den anderen und hielt sich in der Nähe des Grabes auf. Als die Zeremonie vorüber war, machte er sich an Selwood heran und berührte ihn am Ärmel.

»Einen Augenblick, Mr. Selwood. Würden Sie so liebenswürdig sein, mir die Namen einiger Herren des Trauergefolges zu nennen?«

Er schrieb mit großer Geschwindigkeit, während Selwood seine Bitte erfüllte.

»Sagen Sie, wer ist eigentlich der Herr dort drüben, der gerade an das Grab tritt? Er sieht aus wie ein Schauspieler. Ist er tatsächlich von der Bühne?«

»Ach der? Das ist Mr. Frank Burchill. Er war früher Sekretär bei Mr. Herapath – mein Vorgänger.«

»Ach so!« erwiderte Triffitt gedehnt. In diesem Augenblick entdeckte er Carver dicht in der Nähe, steckte sein Notizbuch ein, dankte Selwood und verabschiedete sich. Schnell trat er zu seinem Kollegen, der auch eifrig Notizen machte, und zog ihn hinter ein großes Grabmonument.

»Ich habe etwas entdeckt, stecken Sie nur ruhig Ihr Buch weg, ich habe alle Namen. Hören Sie einmal zu, und sehen Sie mich nicht so erstaunt an. Betrachten Sie sich den Mann, der wie ein Schauspieler aussieht, er kommt jetzt gerade den Weg herunter.«

Carver sah hinüber, und seine Gesichtszüge erhellten sich.

»Den kenne ich, ich habe ihn schon ein paarmal im Klub gesehen. Er ist zwar kein Mitglied, aber er schreibt Theaterkritiken für den ›Magnet‹. Er heißt Burchill.«

Triffitt ließ den Arm seines Bekannten los.

»Ach, kennen Sie ihn? Das ist sehr gut. Jetzt wollen wir aber machen, daß wir fortkommen.«

Die beiden verließen den Kirchhof, gingen Harrow Road entlang und ließen sich in dem ersten Restaurant an ihrem Wege nieder.

»Ich kann Ihnen eine Geschichte erzählen, daß Ihnen die Haare zu Berge stehen«, sagte Triffitt, nachdem er sich etwas bestellt hatte. »Und zwar über diesen Mr. Frank Burchill, den früheren Sekretär von Jacob Herapath.«

»Was sollte denn an dem Geheimnisvolles sein?« fragte Carver.

»Ich kenne ihn von früher her.«

»Wo haben Sie denn seine Bekanntschaft gemacht?«

»Wo? Auf der Anklagebank habe ich ihn gesehen!« erwiderte Triffitt leise.

Sein Kollege sah ihn bestürzt an.

»Was, auf der Anklagebank? Wo und wann war denn das?«

»Vor neun Jahren war ich bei Verwandten in Schottland zu Besuch, und gleich bei meiner Ankunft erzählte mir mein Onkel, daß in einigen Tagen ein großer aufsehenerregender Mordprozeß verhandelt würde.«

»Und Burchill war angeklagt?«

»Das Verbrechen ist als der Kelpies'-Glen-Fall bekannt und unter diesem Namen in alle Zeitungen gekommen. Wir können in den alten Jahrgängen die Sache noch nachschlagen. In der Nähe von Bedford Birth lebte ein Mann namens Fergusson, der seit langem eine Privatschule für Knaben leitete. Er war schon ein älterer Herr, der eine junge Frau geheiratet hatte, und die beiden verstanden sich gar nicht. Es war in Bedford allgemein bekannt, daß sie wie Hund und Katze miteinander lebten. Gerade zu der Zeit trat bei Fergusson ein neuer Lehrer ein, ein Mr. Francis Benson.«

»F. B.«, unterbrach ihn Carver, »das sind ja dieselben Anfangsbuchstaben.«

»Ganz recht, und um es vorwegzunehmen, es ist auch derselbe Mann. Der alte Fergusson starb sehr plötzlich, und wie man damals annahm, eines natürlichen Todes. Das war ungefähr sechs Monate nach dem Eintritt Bensons. Die Witwe führte die Schule weiter und behielt Benson als Lehrer. Ein halbes Jahr nach dem Tode ihres ersten Mannes heiratete sie ihn.«

»Das ging ja schnell.«

»Die Leute haben auch viel Nachteiliges über die beiden geredet. Die Heirat änderte den Charakter der Frau jedoch nicht. Sie ließ das Trinken nicht, und es dauerte nicht lange, so hatte sie sich auch mit ihrem zweiten Gatten vollständig überworfen. Ehe sie noch ein Jahr verheiratet waren, starb die Frau. Man fand sie eines Abends mit gebrochenem Genick am Fuß der Klippen.«

»Ach so, ich verstehe.«

»Kelpies' Glen war eine Schlucht, die zwischen der Stadt und der Schule lag. Der Weg führte dicht am Abhang vorbei, und an einer Stelle, wo die Klippen zwanzig bis dreißig Meter steil abfielen, fand man sie zerschmettert. Zuerst nahm man an, daß sie in betrunkenem Zustande abgestürzt sei, weil man sie mehr als einmal diesen Weg entlangwanken sah. Aber ihr Bruder glaubte das nicht. Der alte Fergusson hatte seiner Frau sein ganzes, nicht unbeträchtliches Vermögen hinterlassen, und der Bruder der Mrs. Benson war gerade nicht sehr erfreut, als sich kurze Zeit nach dem Tode seiner Schwester herausstellte, daß sie ihren ganzen Besitz testamentarisch Francis Benson vermacht hatte. Er begann nachzuforschen, und vierzehn Tage später wurde Benson verhaftet und des Mordes angeklagt.

Man hatte allerdings nur wenig Beweismaterial gegen ihn; zur fraglichen Zeit war er eine halbe Stunde von Hause abwesend gewesen, und es konnte nachgewiesen werden, daß verschiedene Fußspuren am Tatort von ihm herrührten. Bei der Verhandlung erwiderte er darauf, daß er, wie schon häufig vorher dort nach seiner Frau ausgeschaut habe. Schließlich wurde er wegen mangelnden Beweises freigesprochen.«

 


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