Joseph Smith Fletcher
Kampf um das Erbe
Joseph Smith Fletcher

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22. Kapitel.

Ja und Nein.

Als Mr. Halfpenny wußte, daß Barthorpe Herapath das Testament anfechten wollte, überlegte er sich die Sache hin und her, und am nächsten Morgen fuhr er zu Barthorpes Büro.

Der junge Rechtsanwalt trat selbst aus seinem Sprechzimmer heraus und bat seinen Besucher höflich, näherzutreten. Mr. Halfpenny war sehr erstaunt über dieses veränderte Verhalten. Spielte Barthorpe Komödie, oder war er wirklich so zuversichtlich?

»Sie haben also Protest gegen das Testament bei dem Nachlaßgericht eingelegt?« begann er.

»Ja, das habe ich getan.«

»Wollen Sie denn das Testament anfechten?«

»Ganz gewiß.«

Auf Mr. Halfpenny machte der feste und entschiedene Ton Eindruck. Es mußte doch noch Dinge geben, die er nicht kannte. Barthorpe Herapath konnte seine Behauptungen doch nicht vollständig aus der Luft greifen.

»Und Sie sind fest davon überzeugt, daß Sie Erfolg haben?«

»Ich habe allen Grund dazu.«

Mr. Halfpenny dachte einen Augenblick nach.

»Als Erben kommen nur zwei Leute in Frage, Miß Wynne und Sie. Darf ich einen Vorschlag machen?«

»Vernunftgründen bin ich stets zugänglich.«

»Nun gut. Wir können einer prozessualen Entscheidung mit aller Ruhe entgegensehen. Aber ich möchte Ihnen nahelegen, doch vorher noch einmal mit Ihrer Kusine und den Zeugen, die das Testament unterschrieben haben, in meinem Büro zusammenzukommen und dort erst einmal klarlegen, was Sie gegen das Testament vorzubringen haben. Könnten wir nicht eine Besprechung im Familienkreis herbeiführen? Das würde wahrscheinlich einen langen Prozeß verhindern.«

Barthorpe überlegte den Vorschlag.

»Ich soll zu Ihrem Büro kommen und meiner Kusine sagen, warum ich das Testament anfechte? Habe ich Sie richtig verstanden?«

»Ja, ganz genau.«

»Wer soll denn noch zugegen sein?«

»Die beiden Zeugen, die das Testament unterschrieben haben, Professor Cox, der mit den meisten Anwesenden befreundet ist, und ich.«

»Und dann soll ich mit offenen Worten erklären, warum ich die Echtheit des Testamentes bezweifle?«

»Ja.«

Barthorpe sah den alten Rechtsanwalt unsicher an.

»Das würde eine unangenehme Sache für meine Kusine werden«, sagte er dann.

»Ich habe nicht die geringste Ahnung, was Sie meinen. Aber wenn es schon für Ihre Kusine in so engem Kreise peinlich ist, wieviel peinlicher müßte es für sie sein, wenn sie es öffentlich vor Gericht erführe! Wenn Sie irgendwelche Enthüllungen zu machen haben, wäre doch der erste Weg vorzuziehen.«

»Gut, ich nehme Ihren Vorschlag an. Das wird viele unangenehme Auseinandersetzungen ersparen. Wann soll die Besprechung stattfinden?«

»Heute ist Donnerstag – sagen wir Freitag morgen um zehn Uhr.«

»Ich werde pünktlich dort sein. Bitte, laden Sie alle interessierten Parteien ein. Haben Sie Burchills Adresse?«

»Ja. Ich will mich gleich mit ihm in Verbindung setzen.«

Barthorpe machte eine kurze Verbeugung, erhob sich und begleitete Mr. Halfpenny bis zur Tür.

Der alte Rechtsanwalt kehrte verwundert zu seinem Büro zurück. Welche Gegengründe mochte Barthorpe wohl vorbringen können? Gab es wirklich ein Geheimnis in Verbindung mit diesem Testament, das nur er kannte? Sein Auftreten war so überzeugt und selbstbewußt, als ob er seiner Sache ganz sicher wäre.

»Eine merkwürdige Verwicklung«, sagte Mr. Halfpenny halblaut zu sich selbst, als er wieder allein in seinem Büro saß. »Offenbar hat Barthorpe gar keine Ahnung, daß er unter schwerem Verdacht steht, daß ihn die Polizei beobachtet und seine Spur verfolgt. Er wird erstaunt sein, wenn die Sache zum Klappen kommt.«

Am Freitagmorgen erschien Barthorpe pünktlich in Halfpennys Büro, und einige Minuten später kam auch Peggie Wynne, begleitet von Mr. Tertius und Professor Cox. Sie war etwas nervös und ängstlich. Alle wurden in das Privatbüro des Rechtsanwalts geführt, wo sie sich höflich, aber kühl grüßten. Fünf Minuten nach zehn sah Mr. Halfpenny auf Barthorpe.

»Wir warten nur noch auf Mr. Burchill«, bemerkte er. »Ich habe ihm gestern geschrieben, und erhielt die Antwort, daß er heute morgen kommen wollte. Es ist jetzt –«

Aber in diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und Mr. Frank Burchill trat ein. Auch ihm war nicht bewußt, daß er auf seinem Wege hierher von mehreren Detektiven beobachtet worden war. Er trat in seiner bekannten selbstbewußten Art auf, verneigte sich nach allen Seiten und entschuldigte sich bei Mr. Halfpenny wegen der Verspätung.

»Es ist schon gut, Mr. Burchill«, erwiderte der alte Rechtsanwalt, den die überhöflichen Phrasen Burchills langweilten. »Ein paar Minuten machen nicht viel aus. Nehmen Sie bitte Platz. Wir wollen uns alle um den großen, runden Tisch in der Mitte setzen.« Er wies allen Plätze an, und sobald er sich selbst gesetzt hatte, sah er auf Barthorpe.

»Dies ist natürlich nur eine informatorische Besprechung. Wir sind hier zusammengekommen, um von Ihnen, Mr. Herapath, zu hören, warum Sie das Testament Ihres Onkels anfechten wollen. Ich halte es deshalb für das Beste, daß Sie uns Ihre Gründe jetzt auseinandersetzen.«

Aber Barthorpe schüttelte entschieden den Kopf.

»Sagen Sie mir bitte erst einmal, was für das Testament spricht. Soviel ich weiß, ist es in Ihrem Besitz. Ich habe das Schriftstück selbst gesehen, das als Testament des verstorbenen Jacob Herapath ausgegeben wird, und gebe seine Existenz zu. Zwei Personen, Mr. Tertius und Mr. Burchill, haben es als Zeugen beglaubigt und sind wie ich auf Ihre Einladung hin hierhergekommen. Der richtige Gang der Verhandlung ist meiner Meinung nach, daß Sie erst einmal die beiden fragen, unter welchen Umständen dieses angebliche Testament aufgesetzt wurde.«

»Ich habe nichts dagegen einzuwenden«, entgegnete Mr. Halfpenny. »Und ich glaube auch, daß Miß Wynne nichts dagegen haben wird. Ich konstatiere also noch einmal, daß Sie die Existenz dieses Dokumentes nicht bestreiten. Es ist natürlich in meinem Gewahrsam. Ich bitte also zunächst den älteren Zeugen, Mr. Tertius, zu erzählen, was er von der Sache weiß.«

Mr. Tertius war mindestens ebenso nervös, als ob er als Zeuge vor Gericht auftreten sollte, fuhr bei dieser direkten Aufforderung zusammen und starrte Mr. Halfpenny fast hilflos an.

»Ich soll –«

»Es ist eine rein informatorische Besprechung, wie ich schon vorhin festgestellt habe«, beruhigte ihn der Rechtsanwalt. »Sagen Sie uns in einfachen Worten, was Sie von den damaligen Vorgängen noch wissen. Dann wollen wir hören, was der andere Zeuge zu sagen hat.«

»Vielleicht darf ich eine Anregung geben«, unterbrach ihn Barthorpe. »Legen Sie doch das angebliche Testament vor sich auf den Tisch und fragen Sie die beiden Zeugen. Das wird die Sache wesentlich vereinfachen.«

Mr. Halfpenny überlegte den Vorschlag, sprach leise mit Peggie und holte dann das Dokument aus seinem Safe.

»Mr. Tertius«, sagte er, »sehen Sie hierher. Dieses Testament soll am 18. April dieses Jahres aufgesetzt worden sein. So viel ich weiß, hat Mr. Jacob Herapath Sie an dem betreffenden Abend in sein Arbeitszimmer gerufen und Sie und Mr. Burchill, seinen damaligen Sekretär, aufgefordert, seine Unterschrift unter einem Testament, das er aufgesetzt und selbst geschrieben hatte, durch Ihre Unterschriften zu beglaubigen. Es waren zu gleicher Zeit anwesend Mr. Herapath, dann Sie, dann Mr. Burchill. Habe ich den Vorgang richtig erzählt?«

»Ja.«

»Ist dies das Dokument, das Jacob Herapath Ihnen damals zeigte?«

»Ja.«

»War der Text damals schon vollständig geschrieben – ich stelle diese Frage nur zur Orientierung.«

Es war ausgeschrieben, es fehlten nur noch die Unterschriften. Jacob Herapath zeigte es uns, obgleich er uns den Inhalt nicht mitteilte. Dann legte er es auf seinen Schreibtisch, bedeckte die Schrift mit einem Löschpapier und setzte in unserer Gegenwart seinen Namen darunter. Ich stand an seiner einen Seite, Mr. Burchill an der anderen. Dann zeichnete ich das Dokument an der Stelle, die er mir angab. Und nach mir tat Mr. Burchill dasselbe.«

»Und ist dies hier Ihre Unterschrift?« fragte Halfpenny.

»Gewiß.«

»Und dies sind also die Unterschriften von Mr. Jacob Herapath und Mr. Burchill? Sie haben nicht den mindesten Zweifel daran?«

»Nein«, erwiderte Mr. Tertius bestimmt und entschieden.

Mr. Halfpenny schob das Testament jetzt vor Burchill hin und zeigte auf dessen Unterschrift.

»Mr. Burchill, haben Sie das geschrieben?«

Burchill betrachtete das Dokument ruhig und sah den Rechtsanwalt dann gleichsam entschuldigend an.

»Nein, Mr. Halfpenny«, erklärte er beinahe traurig. »Das ist nicht meine Unterschrift!«

 


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