Joseph Smith Fletcher
Kampf um das Erbe
Joseph Smith Fletcher

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4. Kapitel.

Der Berichterstatter.

Der Chauffeur rückte unwillkürlich ein wenig näher an den Tisch heran und sah ängstlich und gespannt auf Herapath.

»Soviel ich weiß, haben Sie meinen Onkel gestern abend vom Parlament abgeholt?« begann Barthorpe.

»Jawohl.«

»Wo ist er eingestiegen?«

»Wie gewöhnlich in Palace Yard, direkt vor der Eingangshalle.«

»Um wieviel Uhr war das?«

»Viertel nach elf. Die große Turmuhr schlug gerade.«

»War Mr. Herapath allein, als er aus dem Gebäude herauskam?«

»Nein. Ein anderer Herr, den ich nicht kannte, begleitete ihn. Sie blieben noch einen Augenblick bei dem Wagen stehen und unterhielten sich miteinander.«

»Hörten Sie etwas von dem Gespräch?«

»Ich verstand nur ein paar Worte, als sie sich verabschiedeten.«

»Was sagten sie denn?«

»›Halten Sie die Sache morgen für mich bereit. Ich spreche gegen Mittag bei Ihnen vor‹, sagte Mr. Herapath. Mehr habe ich nicht verstanden.«

»Und was passierte dann?«

»Der Fremde ging fort, und Mr. Herapath stieg in das Auto. Er sagte mir, ich sollte zu dem Siedlungsbüro fahren.«

»Sie haben ihn bis vor die Haustür gebracht?«

»Nein, das Auto wartete immer auf der Straße, und er ging die Anfahrt allein in die Höhe. Ebenso machte er es gestern abend.«

»Konnten Sie von Ihrem Halteplatz aus sehen, ob Licht in den Büros war?«

»Nein.«

»Sagte Mr. Herapath etwas zu Ihnen, als er ausstieg?«

»Ja, er meinte, daß er in einer Dreiviertelstunde wiederkommen würde.«

»Hat am Eingang jemand auf ihn gewartet?«

»Ich habe nichts gesehen. Sobald er wegging, steckte ich das Licht an und las die Zeitung.«

»Wie lange blieb er wohl fort?«

»Ungefähr eine Stunde.«

»Haben Sie beobachtet, daß während dieser Zeit jemand ins Haus ging?«

»Nein.«

»Aber es wäre doch möglich, daß jemand ins Haus gegangen ist, ohne daß Sie es bemerkten?«

»Ja, das wäre leicht möglich.«

»Schließlich kam Mr. Herapath wieder heraus. Stieg er dann gleich ein?«

»Ja.«

»Hat er Ihnen noch etwas Besonderes gesagt?«

»Nein. Er kam schnell auf den Wagen zu, öffnete die Tür, sagte ›Nach Hause‹ und stieg ein.«

»Ist Ihnen nichts an ihm aufgefallen?«

»Nein. Er hielt nur den Kopf gesenkt, als er über die Straße kam, als ob er tief nachdächte.«

»Sie sind also sofort nach Portman Square gefahren. Um wieviel Uhr kamen Sie dort an?«

»Punkt ein Uhr.«

»Stimmt diese Zeit genau?«

»Jawohl. Als ich zur Garage kam, war es fünf Minuten nach eins. Ich habe auf die Uhr gesehen.«

»Was geschah nun, als Sie hier vor dem Hause hielten?«

»Nichts Besonderes. Mr. Herapath stieg aus, schloß die Tür und sagte Gutenacht. Dann ging er die Stufen hinauf und zog dabei den Hausschlüssel heraus. Das war alles.«

»Haben Sie denn nicht gesehen, daß er ins Haus ging?«

»Nein.« Mountain schüttelte entschieden den Kopf. »Ich sah nur, daß er den Schlüssel ins Loch steckte. In dem Augenblick fuhr ich ab.«

Barthorpe zögerte eine Sekunde, dann wandte er sich an Milner.

»Ist Ihnen etwas dabei aufgefallen?«

»Ja, Verschiedenes. Aber ich möchte jetzt keine Fragen stellen, da wir uns ja erst einmal einen Überblick über die Vorgänge der letzten Nacht verschaffen wollen.«

»Ganz recht«, pflichtete Barthorpe bei. »Nun, Kitteridge, jetzt kommen Sie an die Reihe. Woher wußten Sie, daß Mr. Herapath heute morgen nicht im Hause war?«

»Der Kammerdiener Charlesworth hat es entdeckt. Er fand das Bett unberührt, kam sofort herunter und erzählte es mir. Ich ging gleich ins Arbeitszimmer und sah, daß Mr. Herapath nach Hause gekommen sein mußte, weil er gegessen und getrunken hatte. Es steht dort immer noch ein kleiner Imbiß für ihn bereit.«

»Konnte nicht jemand anders davon gegessen und getrunken haben?«

»Ich hatte um diese Zeit schon mit dem Chauffeur gesprochen und wußte, daß Mr. Herapath um ein Uhr zurückgekehrt war.«

Barthorpe machte eine Pause. Er schien nachzudenken, dann erhob er sich.

»Ich glaube nicht, daß wir unsere Untersuchung im Augenblick weiter fortsetzen können. Kitteridge und Mountain, Sie können nach Hause gehen. Sie auch Hancock. Sprechen Sie nicht zuviel über die Sache, nicht mehr, als unbedingt notwendig ist.«

Als die drei gegangen waren, nahm der Inspektor Barthorpe beiseite.

»Wenn der Tote fortgeschafft ist, müssen wir beide den Raum genau untersuchen. Das ist bis jetzt noch nicht geschehen. Das ist aber vor allem nötig. Wäre es nicht besser, daß die junge Dame nach Portman Square zurückkehrte?«

»Ja, ich will dafür sorgen. Gehen Sie nur voraus.« Er drehte sich kurz um.

»Peggie, du fährst jetzt am besten nach Hause. In zwei Stunden komme ich zu deiner Wohnung, denn wir müssen Verschiedenes zusammen erledigen. Mr. Selwood, würden Sie die Güte haben, Miß Wynne zum Auto zu bringen? Und dann kommen Sie bitte zu mir zurück, ich brauche Ihre Hilfe.«

Peggie verließ den Raum ohne Widerspruch, aber als sie im Wagen saß, wandte sie sich noch einmal an Selwood.

»Warum ist eigentlich Mr. Tertius nicht zugegen gewesen?«

Selwood zögerte.

»Haben Sie denn nicht gehört, was dort an der Tür vorging?« fragte er und sah sie aufmerksam an.

»Ich hörte wohl, daß mein Vetter und Mr. Tertius miteinander sprachen, aber ich konnte nichts verstehen.«

»Barthorpe hat Mr. Tertius den Zutritt verweigert.«

»Verweigert?« rief sie. »Warum denn verweigert?«

»Das weiß ich leider nicht.«

»Sie kommen doch auch nach Portman Square zurück, wenn Sie hier fertig sind?«

»Ich weiß es noch nicht – vermutlich ja«, entgegnete Selwood stockend. »Ich werde die Anweisungen Ihres Vetters ausführen müssen.«

Peggie sah ihn durchdringend an.

»Das ist doch Unsinn!« sagte sie scharf. »Erledigen Sie, was Barthorpe Ihnen aufträgt, aber kommen Sie nach Portman Square, sobald Sie fertig sind. Ich brauche Sie.«

Dann gab sie dem Chauffeur ein Zeichen und fuhr ab.

Selwood ging langsam und unwillig zurück. Als er die wenigen Stufen hinaufstieg, kam ein junger Mann eilig durch den Eingang und hielt ihn an.

»Mr. Selwood?« fragte er atemlos. »Entschuldigen Sie, Sie sind doch der Sekretär von Mr. Herapath? Ich habe Sie schon zusammen gesehen. Mein Name ist Triffitt, Berichterstatter vom ›Argus‹. Zufällig erfuhr ich eben auf der Polizeistation, was passiert ist, und ich eilte hierher. Wollen Sie mir nicht alles erzählen? Das ist eine glänzende Gelegenheit für mich. Ich kann dann sofort zur Redaktion, und im Handumdrehen kommt ein Extrablatt heraus. Und ob Sie es mir glauben oder nicht, das wird der Polizei bei ihren Nachforschungen riesig helfen. Also geben Sie mir die Unterlagen!«

Selwood starrte den Zeitungsmann verwundert an, dann führte er ihn in die Eingangshalle, wo Barthorpe Herapath mit dem Polizeiinspektor stand.

»Dies ist Mr. Triffitt vom ›Argus‹. Er möchte gern wissen, was hier vorgefallen ist.«

Barthorpe musterte den Fremden von oben bis unten, während dieser eine Karte aus der Tasche zog und sie mit einer Verbeugung überreichte.

»Es ist schon gut«, sagte Barthorpe. »Mr. Selwood, Sie kennen ja die Tatsachen. Nehmen Sie Mr. Triffitt mit ins Wartezimmer und geben Sie ihm einen kurzen Bericht. Wir können die Unterstützung der Presse gut gebrauchen. Erwähnen Sie vor allem, daß mein Onkel in Begleitung eines anderen Herrn aus dem Parlament kam. Man kann ihn ja durch die Zeitung auffordern, sich zu melden. Ferner ist mein Onkel doch offensichtlich nach dem Büro zurückgekehrt, nachdem er zu Hause angekommen war. Die Zeitung kann deshalb auch den Chauffeur zur Meldung auffordern, der ihn hierhergefahren hat. Denn sicher hat Mr. Herapath nachts diesen Weg nicht zu Fuß gemacht. Im übrigen genügt es, wenn Sie die Tatsachen angeben.«

Triffitt stenografierte mit fliegender Eile, während Selwood ihm eine kurze Übersicht über alles Wesentliche gab.

»Das ist aber ein sonderbarer Fall!« sagte er schließlich.

»Wieso?« fragte Selwood.

»Nun, auf der einen Seite scheint doch festzustehen, daß Herapath um ein Uhr in seiner Wohnung war, und auf der anderen Seite erklärt der Arzt, der ihn heute morgen gegen acht sah, daß er schon acht Stunden tot war. Nach Ansicht des Arztes muß er also um Mitternacht gestorben sein, und dabei tauchte er eine Stunde später in seinem Hause auf. Das ist doch mindestens merkwürdig. Aber um so besser für mich. Ich will jetzt gehen, in einer Stunde ist die Sache gedruckt und allgemein bekannt. Mr. Selwood, Sie glauben nicht, mit welcher Geschwindigkeit die Presse arbeitet!«

 


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