Joseph Smith Fletcher
Kampf um das Erbe
Joseph Smith Fletcher

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21. Kapitel.

Die verlassene Wohnung.

Als Triffitt in seiner Wohnung angelangt war und überlegte, was er eben erfahren hatte, kam ihm zum Bewußtsein, daß die Polizei bedeutend mehr wissen mußte, als er selbst. Sicher bereiteten diese Leute einen großen Schlag vor und ernteten dann allen Ruhm.

Das war aber gar nicht nach dem Wunsche Triffitts, denn er wollte selbst große Entdeckungen machen. Er hatte gehofft, eines Tages mit der Lösung des Rätsels zu Marcledew gehen zu können. Der Chef hätte dann ja nach seinem eigenen Ermessen handeln können. Aber daß er sich jetzt schon mit Scotland Yard in Verbindung setzte, war Triffitt unangenehm. Auch hatte er heute während seiner Berichterstattung im Polizeipräsidium das bedrückende Gefühl gehabt, daß er dem scheinbar teilnahmlosen Inspektor Davidge und den anderen Beamten erzählte, was diese längst wußten. Besonders, als er die Mordanklage gegen Benson in Schottland erwähnte, merkte er, daß sie genau über die Sache orientiert waren. Auch schien ihnen schon bekannt zu sein, daß Barthorpe um zwei Uhr nachts zu dem Siedlungsbüro gefahren war. Sie hatten ihm höflich, aber gleichgültig und kühl zugehört, bis er erwähnte, daß er die Wohnung neben Burchill innehatte.

Er fühlte sich jetzt nur als winziges Zahnrad in einem großen Getriebe. Nun, das war wenigstens noch eine Kleinigkeit. Außerdem hatte er zur Zufriedenheit seines Chefs gearbeitet und würde wahrscheinlich heute abend von Inspektor Davidge mehr erfahren.

Am Abend bezog er seinen Posten an dem Briefschlitz und beobachtete Burchills Wohnungstür. Sicher würde Davidge dankbar sein, wenn er ihm sagen konnte, ob der von gegenüber zu Hause war oder nicht. Und er hatte Glück. Kurz vor sieben verließ Burchill in Frackmantel und Zylinder seine Wohnung; er sah stattlich und elegant aus. Zehn Minuten später hörte Triffitt Schritte auf dem Gang und öffnete seine Tür. Vor ihm standen Davidge und ein anderer Herr in Zivil.

»Guten Abend, Mr. Triffitt. Ich stelle Ihnen hier Mr. Milsey, einen meiner Freunde, vor. Sie haben doch nichts dagegen, daß ich ihn mitgebracht habe?«

Triffitt führte die beiden in sein Wohnzimmer und bot ihnen Stühle an. Dann reichte er ihnen Erfrischungen, die er schon am Nachmittag vorbereitet hatte.

»Darf ich Ihnen etwas Whisky-Soda und Zigarren anbieten?«

»Sehr liebenswürdig«, erwiderte Davidge. »Ein kleiner Schluck Whisky kann nicht schaden, aber keine Zigarre. Wenn wir rauchen, nehmen die Kleider einen gewissen Geruch an, und man kann bei solchen Expeditionen nicht sorgfältig genug sein. Wir wollen vor allem keine Geruchsspuren hinterlassen.«

»Das ist ein interessantes Detail, an das ich noch nicht dachte«, sagte Triffitt. »Wo wollen Sie denn heute abend hingehen, wenn ich fragen darf?«

Davidge trank Triffitt zu und zeigte nach der anderen Wohnung.

»Dorthin. Das ist schon seit einigen Tagen meine Absicht. Aber es wäre sehr umständlich gewesen, diesen Plan auszuführen, denn ich hätte einen Befehl zur Durchsuchung der Wohnung haben müssen, und wer weiß was sonst noch alles. Der Hauseigentümer wäre davon benachrichtigt worden, und der Verwalter unten im Parterre. Deshalb habe ich die Sache noch verschoben. Aber als Sie mir heute erzählten, daß Sie hier wohnten, sah ich Licht. Schon seit einer Woche habe ich mich genau mit dem Hause vertraut gemacht und mir die Pläne unten im Büro angesehen, als ich den Fall in die Hand nahm.«

»Dann haben Sie diesen Herrn also gleich mit der Sache in Verbindung gebracht?« rief Triffitt.

»Wir haben ihn seit Beginn unserer Nachforschungen im Auge behalten«, sagte Davidge kühl.

»Er ist gerade ausgegangen«, bemerkte Triffitt.

»Das wissen wir. Es ist uns auch bekannt, wohin er gegangen ist. Heute abend ist Premiere im Terpsichoreum, und er muß dort sein. Vor Mitternacht kommt er nicht zurück, wir haben also viel Zeit, uns inzwischen ein wenig bei ihm umzusehen.«

»Wie wollen Sie denn in die Wohnung kommen?«

»Über den Balkon. Wir brauchen nur das eine Fenster zu öffnen. Das macht uns nicht die geringsten Schwierigkeiten.«

»Burchill wird es aber von innen verschlossen haben. Jedenfalls habe ich das getan.«

»Ach, darauf sind wir vorbereitet. Zeigen Sie einmal Ihr Werkzeug, Jim. Wir sind ja hier unter uns.«

Der unschuldig dreinschauende Mr. Milsey, der während der Unterhaltung nur mechanisch ab und zu einen Schluck Whisky-Soda genommen und nachdenklich die gerahmten Stiche an der Wand betrachtet hatte, holte aus einer tiefen Tasche seines Mantels einen langen Kasten hervor und öffnete ihn. Dann schob er ihn über den Tisch, und Triffitt sah eine große Zahl von Schlüsseln und Instrumenten vor sich.

»Damit kann man so ziemlich alle Schlösser knacken, nicht wahr, Jim?«

»Alle gewöhnlichen Schlösser. Geldschränke und Safes sind ausgeschlossen«, entgegnete Mr. Milsey.

»Ich glaube, Burchill hat keinen Geldschrank in seiner Wohnung«, erwiderte Davidge in guter Laune. »Aber vielleicht finden wir in seinem Schreibtisch ein paar interessante und wichtige Dinge. Wir sind immer wieder darüber erstaunt, daß die Leute Papiere aufheben, die sie besser verbrennen sollten. Wir wollen uns jetzt aber gleich an die Arbeit machen. Die Tür- und Fensterverschlüsse sind in diesen Häusern meistens ziemlich gleich, und wenn wir erst Ihre Tür studiert haben, sind wir mit der anderen auch bald fertig.«

Mr. Milsey ging mit seinem Kasten auf den Balkon hinaus. Die Tür wurde von innen geschlossen, aber nach einer Minute hatte er sie bereits geöffnet und trat mit einem wohlgefälligen Grinsen ein.

»Also, dann los«, sagte Davidge. »Sie können nicht mit uns kommen, weil das gegen unsere Regeln verstößt. Lesen Sie solange ein Buch oder rauchen Sie eine Pfeife. Vielleicht können wir Ihnen etwas Interessantes berichten, wenn wir zurückkommen.«

»Fürchten Sie denn nicht, daß Sie unterbrochen werden könnten?« fragte Triffitt, der sie brennend gern begleitet hätte. »Nehmen wir einmal an, Burchill kommt unerwartet zurück?«

Der Inspektor schüttelte den Kopf und lächelte verständnisinnig.

»Dann werden wir schon rechtzeitig gewarnt. Ich habe noch mehrere Leute dabei. Sollte er seinen Plan ändern und zurückkommen, so verwickelt ihn unten ein Mann in eine Unterhaltung, und ein anderer verständigt uns inzwischen. Nein, wir sind vollkommen sicher, sorgen Sie sich nur nicht um uns.«

Die beiden gingen, und Triffitt versuchte, einen spannenden französischen Kriminalroman zu lesen, aber er entdeckte bald, daß die Beschreibung von Verbrechen lange nicht so faszinierend ist wie tatsächliche Detektivarbeit im wirklichen Leben. Schon nach kurzer Zeit warf er das Buch beiseite und wartete auf die Rückkehr der Beamten. Was mochten sie wohl in der Wohnung finden? Zeit ließen sie sich jedenfalls. Es wurde acht, neun und schließlich zehn Uhr, ohne daß sie wieder auf der Bildfläche erschienen. Kurz vor elf kamen sie endlich über den Balkon zurück. Milsey sah unschuldig und nichtssagend aus wie immer, aber der Gesichtsausdruck des Inspektors war ernster als gewöhnlich.

»Nun?« fragte Triffitt. »Hatten Sie Erfolg?«

Davidge zog die Gardinen vor dem Balkonfenster zu, bevor er antwortete.

»Mr. Triffitt, Sie müssen uns die Nacht über hier behalten. Nach dem, was wir gefunden haben, möchte ich diesen Mann nicht verlieren. Etwas kann ich Ihnen erzählen. Morgen früh um zehn Uhr findet in Mr. Halfpennys Büro eine vorläufige Untersuchung des Testaments von Jacob Herapath statt, und alle Parteien, die an der Sache interessiert sind, treffen sich dort. Ich weiß, daß auch Burchill kommt. Und ich will ihn von seiner Rückkehr ab beobachten, bis er dorthin geht. Was später geschieht, werden Sie ja selbst sehen. Während Milsey und ich hier im Wohnzimmer warten, können Sie ruhig zu Bett gehen. Milsey kann noch etwas Abendbrot in der Nähe kaufen.«

»Das ist nicht nötig«, erwiderte Triffitt schnell. »Ich habe alles Mögliche hier, Fleischpastete, Butter und Käse, auch einige Flaschen Ale und Whisky. Warten Sie einen Augenblick, ich bringe alles herein.«

Davidge rieb sich befriedigt die Hände.

»Noch vor morgen abend werden Sie wundervollen Stoff für einen Zeitungsartikel haben!«

 


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