Joseph Smith Fletcher
Kampf um das Erbe
Joseph Smith Fletcher

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7. Kapitel.

Das Testament.

Als Triffitt mit seinen kostbaren Informationen forteilte, sah ihm Selwood nachdenklich nach. Aber es blieb ihm nicht viel Zeit, sich seinen Grübeleien hinzugeben, denn er wurde von Barthorpe Herapath gerufen.

»Wir haben eben die Schlüssel gefunden«, sagte Barthorpe. »Sie besinnen sich doch noch darauf, daß man in den Taschen meines Onkels keine Schlüssel fand. Sie lagen unter einigen Papieren auf dem Schreibtisch. Wahrscheinlich hat er sie auf die Tischplatte gelegt, als er sich zur Arbeit niedersetzte, und sie haben sich unter die Papiere geschoben, als er vornüberfiel. Sie erkennen die Schlüssel doch wieder?«

»Natürlich«, erwiderte Selwood kurz.

»Ich möchte Sie gerne dabei haben, wenn ich seinen Safe öffne«, fuhr Barthorpe fort. »Bei solchen Ereignissen muß man an alles denken. Haben Sie jemals gehört, daß mein Onkel von einem Testament sprach? Hat er Ihnen vielleicht gesagt, wo er es verwahrte?«

»Mir gegenüber hat er nichts davon erwähnt.«

»Nun, unter uns, auch mir hat er nichts davon gesagt. Ich habe alle juristischen Dinge für ihn erledigt, seit ich mich als Rechtsanwalt niederließ. Soviel ich weiß, hat er niemals ein Testament aufgesetzt, obwohl ich ihm mehr als einmal geraten habe, es zu tun. Aber wie viele Leute, die sich gesund und wohlauf fühlen, hat er es stets abgelehnt. Trotzdem müssen wir alle seine Papiere und Dokumente sowohl hier als auch in der Wohnung durchsehen.«

Selwood folgte Barthorpe schweigend in das Privatbüro. Der Tote war bereits fortgebracht worden, und es sah alles wieder aus wie sonst. Milner und ein Detektiv durchsuchten aufmerksam den ganzen Raum. Der Inspektor prüfte gerade die Fenstergriffe, und der Detektiv suchte die glatte Oberfläche des Schreibtisches nach Fingerabdrücken ab.

»Ich möchte Sie nicht in Ihrer Beschäftigung stören«, sagte Barthorpe liebenswürdig. »Mr. Selwood und ich wollen nur den Inhalt des Safes prüfen.« Er reichte Selwood den Schlüsselbund. »Wissen Sie, welcher Schlüssel es ist?«

Selwood griff mechanisch danach und betrachtete die Schlüssel oberflächlich. Aber dann erschrak er.

»Ein Schlüssel fehlt!« rief er. »Ich kenne sie alle sehr genau, es waren immer sechs Stück. Der Schlüssel zu seinem Privatfach bei der Alpha-Bank fehlt!«

Barthorpe runzelte die Stirn, und die beiden Beamten traten näher.

»Sind Sie Ihrer Sache auch ganz sicher?« fragte Barthorpe.

»Ja. Ich hatte den Schlüsselbund doch jeden Tag mehrmals in der Hand, seitdem ich Sekretär bei Mr. Herapath war.«

»Wann haben Sie den Schlüsselbund zum letztenmal gesehen?«

»Gestern nachmittag, kurz bevor Mr. Herapath zum Parlament ging. Er gab mir die Schlüssel, damit ich einige Papiere von dort holen sollte.«

»Haben Sie denn die Schlüssel nachgezählt?«

»Sie waren alle vorhanden, das weiß ich ganz bestimmt. Das ist der Schlüssel zu dem Geldschrank hier«, sagte Selwood.

»Dann schließen Sie einmal auf. Er hatte also auch noch ein Geheimfach auf der Alpha-Bank!« erwiderte Barthorpe halb ironisch. »Das war mir bis jetzt unbekannt. Wissen Sie, ob er das Geheimfach wirklich benützte?«

»Ich habe erst vor zwei Tagen einige Dokumente hingebracht. In diesem Safe liegt nicht viel«, fuhr er fort, während er die Tür des Geldschranks öffnete. »Soviel ich weiß, werden keine Privatpapiere hier aufbewahrt.«

»Nun, wir wollen aber trotzdem einmal nachsehen«, meinte Barthorpe und begann mit der Durchsicht des Inhalts. Nach zwanzig Minuten war er fertig und legte die Papiere in den Schrank zurück.

»Ein Testament ist nicht darunter«, sagte er halblaut. »Wir wollen jetzt zusammen zu der Wohnung fahren, Mr. Selwood. Es ist ja auch wahrscheinlich, daß er das Testament in seinem eigenen Hause verwahrte, wenn er überhaupt eine letztwillige Verfügung getroffen hat.« –

Mr. Tertius und Peggie Wynne saßen noch in dem Arbeitszimmer, als Barthorpe und Selwood ankamen. Der Chauffeur war eben gegangen, und Mr. Tertius sprach noch mit Peggie über diesen Zwischenfall, als sie Barthorpes Stimme in der Diele hörten. Er sah sie warnend an.

»Tun Sie bitte, was ich gesagt habe, und schweigen Sie von dem Chauffeur. Mr. Barthorpe soll jetzt noch nichts davon erfahren. Ich werde Ihnen später sagen, warum ich Sie darum gebeten habe.«

Barthorpe Herapath trat gewichtig in das Zimmer. Selwood folgte ihm. Peggie hatte den Eindruck, daß er den Anordnungen ihres Vetters nur widerwillig nachkam. Als Barthorpe Tertius sah, blieb er plötzlich stehen und runzelte die Stirn.

»Ich möchte in Ihrer Gegenwart nicht über Privatdinge sprechen, Mr. Tertius«, sagte er eisig. »Ich dachte, ich hätte Ihnen das bereits deutlich genug zu verstehen gegeben. Meine Kusine und ich haben noch viel zu beraten, und ich wäre Ihnen zu Dank verbunden, wenn Sie sich zurückziehen würden.«

»Wünschen Sie, daß ich fortgehe?« wandte sich der alte Herr an Peggie.

»Es handelt sich hier nicht darum, was Miß Wynne wünscht, sondern was ich anordne«, fuhr Barthorpe ihn an. »Sie wissen doch ganz genau, daß ich hier zu bestimmen habe, bis ein Testament meines Onkels gefunden ist.«

»Du bist in keiner Weise mein Vorgesetzter, Barthorpe«, erwiderte Peggie unwillig. »Ich kenne die Wünsche meines Onkels genau, soweit sie Mr. Tertius betreffen, und ich habe die Absicht, sie zu respektieren. Ich habe hier stets den Haushalt geführt, und ich werde auch weiterhin hier alle Anordnungen treffen, bis mir bewiesen wird, daß ich kein Recht dazu habe. Mr. Tertius, Sie bleiben hier!«

»Das ist auch meine Absicht«, entgegnete Tertius kühl. »Und ich glaube, Mr. Barthorpe Herapath ist vernünftig genug, sich darein zu fügen.«

Barthorpe biß sich auf die Lippen.

»Also so steht es hier? Nun gut, Mr. Tertius, ich werfe Sie nicht mit Gewalt aus dem Zimmer hinaus, aber ich werde einen moralischen Druck auf Sie ausüben, so daß Sie sich meinem Willen fügen müssen.«

»Wollen Sie mir drohen?« fragte Mr. Tertius ruhig.

Barthorpe wandte sich ärgerlich an Selwood.

»Wir wollen jetzt den Safe öffnen. Sie kennen ja den Schlüssel genau. – Du hast doch nie gehört, daß der Onkel ein Testament gemacht hat?« fragte er dann Peggie, die über sein Benehmen empört war. »Wir haben bereits den Geldschrank in dem Siedlungsbüro durchsucht und nichts gefunden. Persönlich glaube ich ja nicht, daß er überhaupt ein Testament aufgesetzt hat. Er hätte mir sonst sicher etwas davon erzählt.«

Mr. Tertius räusperte sich.

»Es erspart vielleicht unnötige Mühe, wenn ich jetzt eine Erklärung abgebe. Es existiert ein Testament von Mr. Jacob Herapath.«

Barthorpe wurde plötzlich bleich, trotzdem er sich die größte Mühe gab, gleichgültig auszusehen. Er wandte sich erregt zu Mr. Tertius um.

»Wie kommen Sie dazu, zu behaupten, daß er ein Testament gemacht hat? – Was wissen Sie denn davon?«

»Ich weiß alles – wann und wo es aufgesetzt wurde, und wo es sich jetzt befindet.«

»Wo ist es denn jetzt?«

»Es wurde vor sechs Monaten in diesem Zimmer geschrieben. Mr. Herapath ließ mich eines Tages rufen. Sein damaliger Sekretär, Mr. Burchill, war bei ihm, als ich eintrat. Mr. Herapath nahm ein Dokument aus einer Schublade, sagte uns beiden, daß es sein Testament sei, unterzeichnete es in unserer Gegenwart, und wir setzten unsere Namen als Zeugen darunter. Dann schloß er das Testament in einen Briefumschlag ein und versiegelte ihn. Ich kenne den Inhalt nicht, aber ich weiß, wo sich das Testament jetzt befindet.«

»Nun, wo ist es denn?« fragte Barthorpe ungeduldig.

Mr. Tertius führte Peggie quer durch das Zimmer zu einer Nische, in der ein alter Sekretär stand.

»In diesem Schrank liegt das Testament. Hinter dieser Schublade hier ist ein Geheimfach verborgen.« Er zog es heraus. »Ich habe selbst gesehen, wie Jacob Herapath das Testament hier verwahrte.«

Barthorpe, der alle Vorgänge gespannt beobachtet hatte, streckte die Hand aus, aber Mr. Tertius reichte Peggie das versiegelte Kuvert.

»Es ist an Miß Wynne adressiert.«

Barthorpe konnte sich nur mit Mühe beherrschen.

»Dann öffne es.«

Peggie brach das Siegel auf, gehorchte dann aber einem plötzlichen Impuls und reichte Selwood das Dokument.

»Bitte, lesen Sie es vor, ich kann es nicht.«

Selwood war in eine seltsame Bewegung geraten. Hastig öffnete er den Briefumschlag vollends und zog ein Schriftstück heraus, das nicht allzu lang war. Als er zu lesen begann, zitterte seine Stimme.

»Dies ist mein, Jacob Herapaths, letzter Wille. Ich gebe und vererbe im Fall meines Todes alles was ich an Barvermögen und Liegenschaften besitze, meiner Nichte Margaret Wynne, die jetzt in meinem Hause, 500 Portman Square, wohnt, und ich ernenne Margaret Wynne zur einzigen Vollstreckerin dieses meines letzten Willens. Hiermit widerrufe ich alle früheren letztwilligen Verfügungen.

18. April 19..

Jacob Herapath.«

Selwood machte eine Pause.

»Und die Zeugenunterschriften?« fragte Barthorpe mit schriller Stimme.

Selwood sah wieder auf das Dokument.

»Die sind in Ordnung. Ich dachte, es sei nicht nötig, sie vorzulesen. Aber wenn Sie wünschen, werde ich es tun: Unterzeichnet von dem Testamentslasser in Gegenwart der beiden endunterzeichneten Zeugen.

John Christopher Tertius, wohnhaft 500, Portman Square, London, Privatier.

Frank Burchill, 331, Upper Seymour Street, London, Sekretär.«

Selwood überreichte das Schriftstück wieder Peggie, die es Mr. Tertius gab. Kurze Zeit sprach niemand, dann trat Barthorpe einen Schritt vor.

»Ich möchte das Testament sehen«, sagte er mit merkwürdig ruhiger Stimme. »Ich will es gar nicht selbst in die Hand nehmen, halten Sie es mir nur hin.«

Er betrachtete aufmerksam die Unterschriften, drehte sich dann plötzlich um und verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer und das Haus.

 


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