Joseph Smith Fletcher
Kampf um das Erbe
Joseph Smith Fletcher

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6. Kapitel.

Der Chauffeur.

Mr. Tertius kaufte ein Blatt, trat auf dem Gehsteig zur Seite und las interessiert und überrascht die Geschichte, die Triffitt schnell und gewandt verfaßt hatte. Dann ging er traurig nach Hause.

Als er in die Diele eintrat, öffnete sich die Tür des Arbeitszimmers, und Peggie kam heraus. Tertius sah, daß sie geweint hatte, und er legte scheu und gerührt seine Hand auf ihren Arm.

»Ja, ich bin auch so traurig, seitdem das geschehen ist«, sagte er leise. »Aber wir dürfen nicht mehr unseren trüben Gedanken nachhängen, wir müssen auch an das Weitere denken.«

Peggie trocknete ihre Augen und schaute ihn an. Er war ein so ruhiger, liebenswürdiger, alter Herr.

Mr. Tertius reichte ihr das Extrablatt, das er noch zerknittert in der Hand hielt.

»Woher mögen nur die Zeitungsleute das so schnell erfahren haben?« fragte sie, als sie den Inhalt schnell überflogen hatte.

»Die Polizei wird das absichtlich mitgeteilt haben. Die Veröffentlichung der Sache kann ja nur zur Aufklärung beitragen. Es melden sich vielleicht Leute, die etwas gesehen oder gehört haben. Aber es wird noch lange dauern, bevor dieser Fall endgültig aufgeklärt ist.«

Peggie ließ das Blatt sinken und sah Mr. Tertius fragend an.

»Sagen Sie mir doch«, bat sie plötzlich, »warum hat Barthorpe Sie heute morgen nicht an unserer Besprechung teilnehmen lassen?«

Er beantwortete die Frage nicht gleich, sondern ging zu dem Fenster und schaute eine Weile auf den Platz hinaus. Als er dann nach einer Weile sprach, war seine Stimme ruhig; er hatte seine Erregung niedergekämpft.

»Ich kann es nicht genau sagen. Aber ich weiß schon seit langer Zeit, daß Mr. Barthorpe Herapath mir nicht wohlgesinnt ist. Er ist mir immer sehr kühl, ja fast verächtlich entgegengetreten. Meine Anwesenheit hier im Hause scheint ihm nicht zu passen, und da ich doch nicht unmittelbar zur Familie gehöre, hielt er es wohl nicht für richtig, mich zu der Beratung zuzuziehen.«

»Aber Sie sind doch kurz nach mir ins Haus gekommen, und Sie wohnen doch schon viele Jahre mit uns zusammen!«

»Ja, ich wohne nun schon fünfzehn Jahre unter dem Dach meines alten Freundes«, erwiderte er nachdenklich. »Jacob und ich waren wirklich sehr gute Freunde.«

Bei den letzten Worten rann eine Träne über seine Wange, und Peggie küßte ihn liebevoll.

»Mr. Tertius, lassen Sie es sich nicht zu nahe gehen. Sie und ich werden auch immer Freunde bleiben. Ich bin mit Barthorpes Benehmen gar nicht einverstanden, ich hasse diese hochfahrende Art. Er ist mir überhaupt gleichgültig.«

Er schüttelte ernst den Kopf.

»Mr. Barthorpe mag aber sehr großen Einfluß auf die Zukunft haben. Er besitzt Energie und Tatkraft. Ich weiß ja nicht, welche letztwilligen Bestimmungen Jacob Herapath getroffen hat, aber Barthorpe ist sein Neffe, und soviel ich weiß, sein einziger männlicher Verwandter. Und in dem Fall –«

Ein Diener trat zu ihnen und unterbrach ihr Gespräch.

»Draußen ist ein Chauffeur, Miß Wynne, der gern jemand von der Familie sprechen möchte. Er hat das Extrablatt gelesen.«

Peggie sah Mr. Tertius an, der nickte.

»Bringen Sie den Mann sofort ins Arbeitszimmer«, sagte er und folgte Peggie in den Raum. Gleich darauf trat ein junger Mann ein, der das Extrablatt noch in der Hand hielt.

»Sie haben uns etwas mitzuteilen?« begann Tertius gespannt, nachdem er dem Fremden einen Stuhl angeboten hatte. »Diese Dame ist Miß Wynne, eine Nichte des verstorbenen Mr. Herapath. Wissen Sie etwas Näheres über die Angelegenheit?«

»Ich habe gerade diesen Artikel gelesen«, erwiderte der Chauffeur und zeigte auf das Papier.

»Ich glaube, daß ich Mr. Herapath heute morgen gefahren habe. Jedenfalls sah ihm der Herr sehr ähnlich.«

»Haben Sie Mr. Herapath dem Aussehen nach gekannt?«

»Nein, ich kam erst gestern in diese Gegend, aber ich bin meiner Sache ganz sicher.«

»Dann erzählen Sie uns doch alles.«

»Also, ich arbeite bei einem Droschkenverleiher, der etwa zehn Wagen hat, und seit gestern hat er mir die Nachtschicht hier in der Gegend gegeben. Es war ungefähr Viertel vor zwei heute morgen, als ein großer, schlanker Herr aus der Orchard Street herauskam und auf meinen Wagen zuging. ›Wissen Sie, wo St. Mary Abbot's Church ist?‹ fragte er mich, als er einstieg. ›Fahren Sie mich dorthin und halten Sie vor dem Tor.‹ Ich habe ihn dann sofort dorthin gebracht. Er gab mir fünf Schilling und ging fort. Das ist alles.«

»Nach welcher Richtung ging er denn?« fragte Mr. Tertius.

»Nach Westen zu, die High Street entlang, am Rathaus vorbei, und dort ging er quer über die Straße. Ich sah noch, wie er auf die andere Seite ging, denn ich mußte einige Zeit halten, weil ich etwas mit dem Kühler zu tun hatte.«

»Beschreiben Sie uns doch einmal diesen Herrn etwas genauer.«

»Sein Gesicht habe ich nicht deutlich gesehen, weil er den Pelzkragen hochgeschlagen hatte. Und sein Filzhut hatte einen breiten Rand. Aber der Mann hatte eine frische Gesichtsfarbe.«

»Und dann haben Sie noch beobachtet, daß er schlank und groß war?«

»Ja.«

»Haben Sie nicht eine Photographie von Mr. Herapath aus der letzten Zeit?« wandte sich Tertius an Peggie. »Vielleicht kann ihn unser Freund hier nach dem Bilde erkennen. – Ist Ihnen sonst nichts aufgefallen?« fragte Tertius weiter, als Peggie aus dem Zimmer gegangen war.

Der Chauffeur sah auf den Teppich, als ob er in dem Muster die Antwort lesen könnte. Plötzlich schien ihm etwas einzufallen.

»Ja, er trug einen schönen, großen Diamantring an der linken Hand.«

»Wie haben Sie denn das beobachtet?«

»Er legte seine Hand auf die Tür, als er einstieg, und dabei blitzte der Diamant auf.«

»Also trug er keine Handschuhe?«

»Nein. Er hatte irgendwelche Papiere in der Hand. Sie waren zusammengerollt.«

»Nun, das ist doch wenigstens ein Anhaltspunkt«, meinte Mr. Tertius. »Ein Diamantring an der linken Hand und eine Rolle Papier.«

Er stand auf und steckte die Hände in die Taschen.

»Haben Sie schon zu einem anderen darüber gesprochen?« fragte er, als er dem Mann ein paar Pfundnoten gab.

»Nein, ich bin direkt hierhergekommen.«

»Das ist also zunächst einmal für Ihre Mühe, und Sie können noch mehr verdienen, wenn Sie das tun, was ich Ihnen sage. Sprechen Sie mit niemand darüber, bis ich es Ihnen gestatte. Selbst der Polizei teilen Sie nichts mit. Ich weiß ja, wo ich Sie finden kann, wenn Ihr Stand hier in der Nähe ist. Wenn die junge Dame jetzt wieder hereinkommt und Ihnen die Photographie zeigt, so sagen Sie ihr nichts von dem Diamantring. Das ist eine ganz merkwürdige Sache, und es soll jetzt noch nicht zuviel herauskommen. Ich werde Sie für Ihr Schweigen belohnen. Haben Sie mich verstanden?«

Der Chauffeur steckte die Geldscheine ein und lächelte verschmitzt.

»Ist in Ordnung, mein Herr. Verlassen Sie sich nur auf mich.«

In diesem Augenblick kam Peggie Wynne mit einem halben Dutzend großer Photos in der Hand zurück, die sie dem Chauffeur einzeln zeigte.

»Erkennen Sie ihn nach diesen Bildern?« fragte sie.

Aber der Chauffeur schüttelte unsicher den Kopf, bis er ein Bild von Mr. Herapath in Mantel und Hut vor sich sah.

»Die Gesichtszüge erkenne ich nicht bestimmt wieder, aber ich möchte einen Eid darauf schwören, daß er denselben Mantel und denselben Hut trug.«

»Das ist allerdings sehr gut«, meinte Tertius. »Wir sind Ihnen für Ihre Mitteilungen sehr dankbar.«

Er begleitete den Mann in die Diele und redete ihm noch einmal zu, den Mund zu halten. Dann ging er langsam in das Arbeitszimmer zurück.

»Ein Diamantring!« sagte er zu sich selbst und lächelte ironisch. »Jacob Herapath hat niemals einen Diamantring getragen!«

 


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