Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil III
Henry Fielding

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel.

Die Abenteuer in dem Wirthshause zu Upton endigen.

Der Herr also, welcher eben ankam, war kein anderer als der Squire Western, der seine Tochter suchte. Wäre er nur zwei Stunden früher gekommen, so würde er nicht nur diese, sondern auch seine Nichte gefunden haben, denn das war die Frau Fitzpatricks, der mit derselben vor fünf 172 Jahren aus der Aufsicht der klugen Dame Western entflohen war.

Diese Dame hatte das Wirthshaus zu derselben Zeit verlassen wie Sophie, denn als sie die Stimme ihres Mannes hörte, schickte sie nach der Wirthin, erfuhr von derselben was es gab und vermochte die gute Frau durch ein gutes Stück Geld, ihr Pferde zur Flucht zu verschaffen. So viel vermochte das Geld in dieser Familie.

Herr Western und sein Neffe kannten einander noch nicht persönlich, auch würde der erstere von dem letzteren keine Notiz genommen haben, wenn er ihn gekannt hätte, denn da die Heirath eine geheime, folglich nach der Ansicht des Squire Western eine unnatürliche war, so hatte er das junge Mädchen, die damals höchstens achtzehn Jahre zählte, als mißrathen ihrem Schicksale überlassen und in seiner Gegenwart sie nicht einmal erwähnen lassen.

Die Küche war jetzt ein Schauplatz allgemeiner Verwirrung. Western fragte nach seiner Tochter, und Fitzpatrick eben so fleißig nach seiner Frau, als Jones unglücklicherweise mit Sophiens Muff in der Hand eintrat.

Sobald Western unsern Helden erblickte, begann er den Jagdruf, welchen die Jäger hören lassen, wenn sie das Wild erblicken. Er packte Jones zu gleicher Zeit und rief: »jetzt haben wir den Fuchs, die Füchsin wird nicht weit davon sein.«

Als Jones sich durch die Vermittelung einiger Anwesenden von Western frei gemacht hatte, betheuerte er seine Unschuld und daß er nichts von der Dame wüßte, worauf der Geistliche Supple auftrat und sagte: »es ist Thorheit, hier zu leugnen, denn er hat die Beweise seiner Schuld in der Hand. Ich will es beschwören, daß der Muff, den er in der Hand hat, Sophien gehörte, denn ich habe denselben in der letztern Zeit sehr oft bei ihr gesehen.« – 173 »Meiner Tochter Muff!« fiel der Squire heftig ein. »Hat er meiner Tochter Muff? bezeugt es, man hat Sachen bei ihm gefunden. Ich werde ihn sogleich vor einen Friedensrichter stellen. Wo ist meine Tochter?« – »Beruhigen Sie sich nur,« antwortete Jones. »Der Muff gehört allerdings der jungen Dame, ich gestehe es, sie selbst aber habe ich auf meine Ehre! nicht gesehen.« Western verlor bei diesen Worten alle Geduld und konnte vor Wuth nicht weiter sprechen.

Einige der Diener erzählten dem Herrn Fitzpatrick, wer der Herr Western sei, und der gute Irländer, der eine Gelegenheit gefunden zu haben glaubte, seinem Oheime einen Dienst zu erzeigen und dadurch vielleicht die Gewogenheit desselben zu gewinnen, trat zu Jones und sagte: »nun Herr, Sie sollten sich schämen, in meiner Gegenwart zu läugnen, die Tochter des Herrn gesehen zu haben, da Sie doch wissen, daß ich Sie mit ihr im Bette überrascht habe.« Dann wendete er sich an Western und erbot sich, ihn sogleich in das Zimmer zu führen, wo sich seine Tochter befinde. Das Anerbieten wurde angenommen und der Squire, der Geistliche und einige andere begaben sich alsbald in das Zimmer der Madame Waters, in welches sie mit nicht geringerem Ungestüm eindrangen als es Fitzpatrick in der Nacht gethan hatte.

Die arme Frau fuhr verwundert und erschrocken aus dem Schlafe auf und sah an ihrem Bette eine Gestalt, die man wohl für eine aus dem Narrenhause entlaufene halten konnte, eine solche Wildheit lag in dem Gesicht des alten Western, der aber kaum die Dame erblickt hatte, als er zurückprallte und durch sein Benehmen deutlich bewies, noch ehe er sprach, daß sie die Gesuchte nicht sei.

Die Frauen halten auf ihren Ruf in dem Maße mehr als auf ihre Person, daß, obgleich die letztere jetzt in größerer 174 Gefahr zu sein schien als früher, die Dame, da der erstere gesichert war, nicht so heftig schrie als das erste mal. Sobald sie aber wieder allein war, gab sie jeden Gedanken an fernere Ruhe auf und kleidete sich schnell an, da sie Grund genug hatte, mit ihrer Wohnung sehr unzufrieden zu sein.

Herr Western durchsuchte das ganze Haus eben so vergeblich, als er die arme Mad. Waters gestört hatte und kehrte endlich trostlos in die Küche zurück, wo Jones von den Dienern im Gewahrsam gehalten wurde.

Der heftige Lärm hatte alle Leute im Hause geweckt, obgleich der Tag kaum angebrochen war. Unter ihnen befand sich auch ein ernster Mann, welcher die Ehre hatte, für die Ruhe und den Frieden der Grafschaft Worcester sorgen zu müssen. Western hatte dies kaum erfahren, als er ihm seine Klage vorlegte. Der Richter weigerte sich, sein Amt hier zu verwalten, indem er sagte, er habe weder einen Secretair, noch ein Buch bei sich, könne aber unmöglich alle Gesetze über das Entführen von Mädchen und dergleichen im Kopfe mit sich herum tragen.

Fitzpatrick erbot sich sogleich, ihm behülflich zu sein, indem er den Anwesenden erzählte, daß er selbst für die richterliche Laufbahn bestimmt gewesen sei. (Er hatte wirklich drei Jahre bei einem Advokaten in dem Norden von Irland gearbeitet, aber, da ein bequemeres Leben ihm besser gefiel, denselben verlassen, sich nach England begeben und das Geschäft begonnen, welches keine Lehrzeit erfordert, das eines Stutzers nämlich, in welchem er denn auch, wie wir um Theil bereits erwähnten, Glück gehabt hatte.)

Herr Fitzpatrick erklärte, das Gesetz über Mädchen komme hier gar nicht in Betracht, sondern die Entwendung eines Muffs, die denn auch vollkommen könne 175 bewiesen sein, da man das corpus delicti in den Händen des Angeklagten gefunden habe.

Der Friedensrichter wurde endlich durch den Zuspruch eines so gelehrten Beistandes und durch das heftige Andrängen des Squire veranlaßt, seinen Platz einzunehmen. Jones hielt den Muff noch in der Hand, der Geistliche beschwur es, daß derselbe dem Fräulein Sophie Western angehöre und der Friedensrichter forderte Herr Fitzpatrick auf, eine Anklage zu entwerfen, die er unterzeichnen wolle.

Jones verlangte gehört zu werden, was man ihm denn endlich auch gestattete. Er berief sich auf das Zeugniß des Herrn Partridge, den Muff gefunden zu haben, und was noch mehr ist, Susanne erklärte, Sophie selbst habe ihr den Muff übergeben, damit sie denselben in das Zimmer trage, in welchem Jones ihn gefunden hatte.

Ich will es nicht untersuchen, ob Susanna zu dieser Aussage durch ihre Gerechtigkeitsliebe oder durch die ungewöhnliche Schönheit des Herrn Jones veranlaßt wurde; ihre Aussage aber hatte die Folge, daß der Friedensrichter erklärte, die Sache sei auf Seiten des Angeklagten völlig klar. Der Geistliche stimmte ihm bei und sagte: »Gott verhüte, daß wir Ursache sein sollten, einen Unschuldigen in Haft zu bringen.« Der Richter erhob sich darauf von seinem Sitze und sprach den Angeklagten frei.

Western verfluchte alle Anwesenden mit kräftigen Worten, verlangte sogleich seine Pferde und setzte die Verfolgung seiner Tochter fort, ohne sich im mindesten um seinen Neffen Fitzpatrick zu kümmern trotz dem Diensteifer, den derselbe bewiesen hatte. In seiner leidenschaftlichen Eile vergaß er jedoch zum Glücke, von Jones den Muff zurück zu verlangen; ich sage »zum Glücke,« denn Jones würde ihn nur mit seinem Leben von sich gegeben haben.

Jones brach mit seinem Freunde Partridge ebenfalls, 176 sobald sie ihre Rechnung bezahlt hatten, auf, um die liebenswürdige Sophie zu suchen, denn er hatte sich vorgenommen, nicht abzulassen, bevor er sie gefunden. Er konnte es nicht einmal über das Herz bringen, Abschied von Mad. Waters zu nehmen, die er jetzt vom Grunde seines Herzens haßte, da sie, wenn auch unabsichtlich, die Ursache gewesen war, daß er Sophien nicht traf, der er ewige Treue geschworen hatte.

Mad. Waters selbst benutzte die Kutsche, welche nach Bath fuhr, wohin sie sich in Gesellschaft der beiden Irländer begab, nachdem die Wirthin ihr gutmüthig ihre Kleidungsstücke geliehen hatte, für welche sie freilich den doppelten Werth an Geld erhielt. Unterwegs söhnte sie sich vollkommen mit dem Herrn Fitzpatrick aus, der ein sehr schöner Mann war, und sie that Alles, um ihn über die Abwesenheit seiner Frau zu trösten.

So endigten die mannigfaltigen und seltsamen Abenteuer, die dem Herrn Jones in dem Wirthshause zu Upton begegneten, wo man noch heutigen Tages von der Schönheit und dem liebenswürdigen Benehmen der reizenden Sophie spricht, welche man den Engel von Somersetshire nennt.


 << zurück weiter >>