Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil III
Henry Fielding

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Neuntes Kapitel.

Verschiedene Gespräche zwischen Jones und Partridge über Liebe, Kälte, Hunger und andere Dinge; auch entgeht Partridge mit genauer Noth aber glücklich der Gefahr, seinem Freunde eine schlimme Entdeckung zu machen.

Die Schatten der hohen Berge begannen sich länger zu dehnen; die gefiederten Bewohner der Luft hatten sich zur Ruhe begeben. Die höchste Klasse der Sterblichen setzte sich zur Mittagsmahlzeit, die niedrigste zum Abendessen nieder; mit einem Worte, es schlug fünf Uhr, als Jones von Gloucester Abschied nahm, eine Stunde, in welcher (da es mitten im Winter war) die schmuzigen Finger der Nacht ihren dunkeln Vorhang über die Welt gezogen haben würden, hätte ihr der Mond nicht gewehrt, der jetzt mit einem vollen und rothen Gesichte, wie das mancher Menschen, die, wie er, die Nacht zum Tage machen, sich von dem Bette zu erheben begann, wo er den Tag verschlafen 44 hatte, um die ganze Nacht aufzubleiben. Jones war noch nicht weit gegangen, als er dem schönen Himmelskörper seine Huldigung darbrachte, sich an seinen Begleiter wendete und denselben fragte, ob er jemals einen so herrlichen Abend gesehen habe. Da Partridge auf die Frage nicht sogleich antwortete, so pries er den Mond weiter und citirte einige Stellen von Milton, der alle andern Dichter in seiner Beschreibung der Himmelskörper übertroffen. Dann erzählte er eine Geschichte von zwei Liebenden, die übereingekommen waren, dadurch in der Ferne sich an einander zu erinnern, daß sie zu einer bestimmten Stunde den Mond betrachteten. »Diese Liebenden,« setzte er hinzu, »müssen im Stande gewesen sein, die ganze Wonne des erhabensten aller menschlichen Gefühle zu empfinden.« – »Wahrscheinlich,« antwortete Partridge; »aber ich würde sie mehr beneiden, wenn sie im Stande gewesen wären, die Kälte nicht zu fühlen; ich bin fast erfroren und fürchte sehr, ein Stück von meiner Nase zu verlieren, ehe wir ein anderes Wirthshaus erreichen. Es ist uns auch ganz recht, wenn wir für unsere Thorheit gestraft werden, so in der Nacht eines der trefflichsten Gasthäuser zu verlassen, die ich jemals betreten habe. Ich glaube in meinem Leben nichts Schöneres gesehen zu haben und der größte Herr im Lande kann in seinem eigenen Hause nicht besser leben wie dort. Und ein solches Haus zu verlassen, um im Freien herumzulaufen, Gott weiß wohin! per devia rura viarum! Ich für meinen Theil sage nichts, andere Leute aber könnten wohl auf den Gedanken kommen, wir wären nicht recht bei Sinnen.« – »Pfui, Partridge!« entgegnete Jones; »fassen Sie mehr Muth; Sie wollen gegen einen Feind kämpfen und fürchten sich vor ein wenig Kälte? Ich wünsche nichts weiter, als daß wir einen Führer hätten, der uns sagte, welchem von diesen Wegen wir folgen müssen.« – »Darf ich einen 45 Rath geben?« fragte Partridge. »Interdum stultus opportuna loquitur.« – »Nun welchen würden Sie empfehlen?« – »Keinen von allen,« antwortete Partridge. »Den einzigen, den wir gewiß finden, ist der Weg, auf dem wir bis jetzt gegangen sind. Wenn wir gut ausschreiten, kommen wir in einer Stunde nach Gloucester zurück; gehen wir vorwärts, so mag der Teufel wissen, wenn wir ein Wirthshaus treffen, denn ich kann wenigstens 50 (engl.) Meilen weit sehen, erblicke aber durchaus nichts von einem Hause.« – »Wir haben wirklich eine schöne Aussicht hier,« sagte Jones, »die durch den ungewöhnlichen Glanz des Mondes noch lieblicher wird. Ich werde hier links weiter gehen, da dieser Weg nach den Bergen zu führen scheint, die nicht fern von Worcester liegen sollen. Wollen Sie mich verlassen, so thun Sie es und kehren Sie um, ich für meinen Theil gehe gewiß weiter.«

»Es ist nicht recht von Ihnen,« meinte Partridge, »eine solche Absicht in mir zu vermuthen. Ich gab meinen Rath eben so gut Ihret-, als meinetwegen, da Sie aber durchaus weiter gehen wollen, so bin ich bereit zu folgen. I prae, sequar te.«

Sie gingen einige Meilen schweigend weiter; Jones seufzte dabei oft und tief und Benjamin stöhnte, indeß aus ganz andern Gründen. Endlich blieb Jones stehen, drehete sich um und sagte: »Wer weiß, Partridge, ob nicht das liebenswürdigste Mädchen in der Welt in demselben Augenblicke auch den Mond betrachtet, gleich mir!« – »Wohl möglich,« antwortete Partridge; »aber wenn ich ein gutes Stück Roastbeef vor mir sähe, möchte der Teufel den Mond und die Hörner desselben dazu nehmen.« – »Partridge! Haben Sie in Ihrem Leben niemals Liebe gefühlt oder hat die Zeit alle Spuren davon aus Ihrer Erinnerung verwischt, da Sie eine so prosaische Antwort 46 geben können?« – »Ach!« seufzete Partridge, »wohl mir, hätte ich nie gewußt, was Liebe ist. Infandum, regina, jubes renovare dolorem. Ich habe alle Wonne und alles Leid der Liebe empfunden.« – »War Ihre Geliebte so schlimm?« fragte Jones. – »Sehr schlimm,« antwortete Partridge, »denn sie heirathete mich und wurde eines der bösesten Weiber auf Gottes Erdboden. Doch, dem Himmel sei Dank, sie ist todt, und wenn ich glaubte, sie befände sich in dem Monde, wie ein Buch, das ich einst gelesen habe, meint, er sei der Aufenthalt abgeschiedener Geister, ich sähe ihn nicht wieder an, aus Furcht, sie wieder zu erblicken. Dagegen wünsche ich um Ihretwillen, der Mond wäre ein Spiegel und Fräulein Sophie Western stände jetzt vor ihm.« – »Welcher Gedanke, Partridge!« sprach Jones; »ein solcher kann nur in der Seele eines Liebenden entstehen. Ach, Partridge, könnte ich hoffen, dieses Antlitz noch einmal zu sehen! Aber ach, alle diese goldenen Träume sind für immer entschwunden und ich kann mich vor zukünftigem Elende nur dadurch retten, daß ich den Gegenstand meines frühern Glückes vergesse.« – »Und verzweifeln Sie wirklich ganz daran, Fräulein Western jemals wieder zu sehen?« antwortete Partridge. »Wenn Sie meinem Rathe folgen wollen, so wette ich, daß Sie die Schöne nicht blos wiedersehen, sondern sogar in Ihre Arme bekommen.« – »Wecken Sie keine solchen Gedanken in mir!« sprach Jones; »ich habe genug gekämpft, um solche Wünsche niederzuhalten.« – »Wenn Sie nicht wünschen, Ihre Geliebte in Ihren Armen zu halten, so sind Sie ein ganz ungewöhnlicher Liebhaber.« – »Sprechen wir nicht weiter davon,« sagte Jones;»aber theilen Sie mir Ihren Rath mit.« – »Da wir Soldaten sind, so will ich Ihnen denselben militairisch ausdrücken: »rechtsumkehrt!« Wir wollen umkehren; wir können Gloucester noch diese Nacht 47 erreichen, wenn es auch spät wird, während wir, gehen wir noch weiter vorwärts, allem Anscheine nach, noch lange wandern müssen, ehe wir ein Haus finden.« – »Ich habe bereits meinen Entschluß ausgesprochen, weiter zu gehen,« antwortete Jones; »kehren Sie in Gottes Namen um. Ich danke Ihnen, daß Sie mich so weit begleiteten und nehmen Sie diese Guinée als Zeichen meiner Dankbarkeit an. Ich würde wirklich grausam sein, wollte ich Sie noch weiter mitgehen lassen, denn, um es gerade herauszusagen, ich suche einen ruhmvollen Tod in dem Dienste für König und Vaterland.« – »Ihr Geld, Herr, stecken Sie ein,« sagte Partridge; »ich nehme jetzt nichts von Ihnen an, denn ich bin gegenwärtig, glaube ich, reicher als Sie. Sind Sie entschlossen, weiter zu gehen, so bin ich es nicht minder, Ihnen zu folgen. Meine Anwesenheit scheint sogar nothwendig zu sein, weil Sie so verzweifelte Absichten haben, die ich durchaus nicht theile. Wie Sie entschlossen sind, wo möglich in der Schlacht zu fallen, so habe ich mir vorgenommen, wenn es angeht, mit heiler Haut davon zu kommen. Mich tröstet überhaupt der Gedanke, die Gefahr werde nicht eben groß sein, denn ein katholischer Priester sagte mir erst kürzlich, der Sache würde bald abgeholfen sein und zwar ohne Schlacht.« – »Einem katholischen Priester,« antwortete Jones, »kann man, wie ich gehört habe, nicht immer glauben, wenn er für seine Religion spricht.« – »Er sprach gar nicht für seine Religion,« fuhr Partridge fort, »sondern versicherte vielmehr, die Katholiken erwarteten keinen Gewinn von der Veränderung, denn Prinz Karl sei ein so guter Protestant als irgend Einer in England; nur die Rücksicht auf das Recht mache ihn und die übrige katholische Partei zu Jacobiten.« – »Ich glaube, sein Protestantismus ist eben so groß wie sein Recht,« sagte Jones; »ich zweifele an unserm Siege nicht, aber 48 nicht ohne Schlacht, und hegt also keine so sanguinischen Erwartungen wie Ihr katholischer Priester.« – »Nun,« fuhr Partridge fort, »alle Prophezeihungen, die ich gelesen habe, sagen, es würde viel Blut in dem Streite vergossen werden, und der Müller mit drei Daumen, der jetzt lebt, soll, bis an die Knie in Blut, die Pferde dreier Könige halten. Gott sei uns allen gnädig und sende uns bessere Zeiten!« – »Mit welchem Unsinne haben Sie Ihren Kopf gefüllt?« rief Jones; »das kommt wohl auch von dem katholischen Priester? Wunder und Ungeheuer sind die rechten Gründe zur Unterstützung ungeheuerlicher, alberner Lehren. Die Sache des Königs Georg ist die Sache der Freiheit und der wahren Religion, mit andern Worten, die Sache des gesunden Verstandes, und sie wird siegen und ob Briareus selbst mit seinen hundert Daumen wieder aufstände und Müller würde.« – Partridge antwortete darauf nicht. Er war durch die Erklärung seines Freundes in die äußerste Bestürzung gerathen, denn, um dem Leser ein Geheimniß mitzutheilen, das zu enthüllen, wir noch keine passende Gelegenheit gefunden haben, Partridge war in der That ein Jacobit und immer der Meinung gewesen, Jones gehöre zu derselben Partei und wolle sich den Rebellen anschließen. Diese seine Meinung war auch nicht unbegründet, das vieläugige, vielzüngige, vielmündige, vielöhrige Ungethüm Virgils, das Gerücht, hatte die Geschichte von dem Streite zwischen Jones und dem Officiere mit seiner gewöhnlichen Rücksicht auf die Wahrheit erzählt. Es hatte den Namen Sophiens in den des Prätendenten umgeändert und berichtet, Jones sei darum zu Boden geworfen worden, weil er die Gesundheit desselben betrunken habe. Dies hatte Partridge gehört und steif und fest geglaubt. Man braucht sich also nicht zu wundern, daß er die oben erwähnte Meinung von Jones hegte, die er beinahe 49 ausgesprochen hätte, ehe er seinen Irrthum erkannte. Alle Umstände hatten ihn von demselben nicht abgebracht, weil er glaubte, die ganze Nation sei im Herzen jacobitisch; ja auch das hatte ihn nicht gewundert, daß Jones in Gesellschaft von Soldaten gewesen, weil er wähnte, die Armee hege dieselbe Gesinnung, wie sie seinem Glauben nach das Volk hegte.

So sehr er aber auch Jacob oder Karl zugethan sein mochte, so war er doch dem kleinen Benjamin noch mehr zugethan und kaum hatte er die Grundsätze seines Reisegefährten erkannt, so beschloß er, die seinigen gegen den Mann zu verbergen oder äußerlich aufzugeben, durch welchen er sein Glück zu machen gedachte, indem er keineswegs glaubte, daß die Sache des Herrn Jones bei dem Herrn Allworthy so schlecht stehe, als es wirklich der Fall war. Da er mit einigen seiner Freunde, seit er jene Gegend verlassen, fortwährend in Briefwechsel geblieben war, so hörte er viel, mehr als wahr war, von der großen Liebe des Herrn Allworthy zu diesem jungen Manne, der, wie man dem Herrn Partridge gemeldet hatte, denselben beerben würde und den er, wie wir bereits erwähnten, durchaus für den Sohn dieses Herrn hielt.

Er meinte deshalb, wenn auch eine Uneinigkeit zwischen beiden eingetreten sei, so würde sie bei der Rückkehr des Herrn Jones gewiß beseitigt werden. Von diesem Umstande versprach er sich große Vortheile, wenn er sich den jungen Herrn verpflichten könnte. Konnte er irgend auf eine Weise dazu beitragen, die Rückkehr desselben zu bewirken, so, meinte er, würde dies ihm auch die Gunst des Herrn Allworthy wieder gewinnen. Wir haben bereits bemerkt, daß er ein sehr gutmüthiger Mensch war und er selbst hat seine große Zuneigung zu der Person und dem Charakter des Herrn Jones ausgesprochen; wahrscheinlich bestimmten 50 ihn jedoch die Absichten, die ich eben erwähnte, zum Theil auch mit, diese Wanderung anzutreten, wenigstens dieselbe fortzusetzen, nachdem er entdeckt, daß sein Begleiter und er selbst einem ganz verschiedenen Ziele nachgingen. Zu dieser Vermuthung bringt mich die Bemerkung, welche ich gemacht habe, daß, obgleich Liebe, Freundschaft, Achtung und dergl. großen Einfluß auf das Herz des Menschen haben, der Eigennutz doch selten das Ingrediens ist, welches kluge Leute übergehen, wenn sie für Anderer Zwecke zu arbeiten scheinen.


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