Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil III
Henry Fielding

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Elftes Kapitel.

Der Mann vom Berge fängt an seine Geschichte zu erzählen.

Ich wurde in einem Dorfe in Somersetshire, Mark mit Namen, in dem Jahre 1657 geboren. Mein Vater war ein angesehener Pachter, besaß ein eigenes Gut, das etwa 300 Pf. St. jährlich einbrachte und hatte ein anderes von etwa gleicher Größe in der Nähe gepachtet. Er war klug und fleißig und ein so guter Landmann, daß er ein sehr gemächliches Leben hätte führen können, wäre ihm dasselbe nicht von einem bösen Weibe verbittert worden. Obwohl nun dieser Umstand ihn unglücklich machte, wurde er doch nicht arm dabei, denn er beschränkte sie fast gänzlich auf das Haus und ertrug lieber fortwährendes Gezänke in demselben, als daß er ihr erlaubte sein Vermögen zu gefährden durch ein glänzendes Leben auswärts.

Von dieser Xantippe (– »So hieß die Frau des Socrates,« bemerkte Partridge –) hatte er zwei Söhne, und 61 ich war der jüngere. Er wollte uns beiden eine gute Erziehung geben lassen, mein älterer Bruder aber, der zu seinem Unglücke der Liebling meiner Mutter war, vernachlässigte das Lernen ganz und gar, so daß mein Vater, als der Lehrer ihm sagte, es würde durchaus nichts nützen, den Jungen noch länger in der Schule zu lassen, endlich der Mutter den Willen that und ihn von dem Tyrannen, wie sie den Lehrer nannte, weg und nach Hause nahm. Obgleich der Lehrer den Jungen weit weniger züchtigte, als er nach seiner Faulheit verdient hatte, so war es doch schon mehr, als ihm gefiel, denn er klagte fortwährend gegen die Mutter über Mißhandlung und sie hörte ihn immer an.

»Ja, ja,« fiel Partridge ein, »ich habe auch solche Mütter gesehen, und bin von ihnen ganz mit Unrecht geschmähet worden. Solche Mütter verdienen Züchtigung eben so wie ihre Kinder.«

Jones schalt den Pädagogen wegen der Unterbrechung und der alte Mann fuhr sodann fort: –

Mein Bruder entsagte in einem Alter von funfzehn Jahren allem weitern Lernen und überhaupt jeder Beschäftigung als der mit seinen Hunden und seiner Flinte, in deren Gebrauche er so geschickt wurde, daß er nicht blos mit großer Sicherheit jedes Ziel traf, sondern wirklich ein Mal eine Krähe im Fluge schoß. Er wußte auch sehr geschickt einen Hasen im Lager aufzufinden und galt deshalb bald für einen der besten Jäger im Lande, über welchen Ruf er selbst und seine Mutter sich eben so sehr freuten, als hätte er für den größten Gelehrten gegolten.

Ich selbst hielt, da ich in der Schule bleiben mußte, im Anfange mein Schicksal für hart; bald jedoch änderte sich meine Ansicht, denn da ich schnelle Fortschritte in dem Wissen machte, wurde mir die Arbeit leicht, so angenehm und genußreich, daß die Ferien die lästigste Zeit für mich 62 waren; denn meine Mutter, die mich niemals liebte, fürchtete jetzt, ich würde von meinem Vater am meisten geliebt, fand oder glaubte zu finden, daß gebildete Leute, namentlich der Geistliche des Ortes mich meinem Bruder vorzogen, warf deshalb einen Haß auf mich und machte mir den Aufenthalt im älterlichen Hause so unangenehm, daß ich gern in die Schule zurückkehrte.

Von dieser ersten Schule kam ich in das Exeter-College in Oxford, wo ich vier Jahre blieb, bis ein unglückliches Ereigniß meinen Studien mich gänzlich entzog. Von da an schreibt sich alles her, was mich später im Leben betraf.

Es befand sich mit mir in dem Exeter-College ein gewisser George Gresham, ein junger Mann, der einmal ein bedeutendes Vermögen erben sollte, in dessen vollen Besitz er aber nach dem Testamente seines Vaters erst mit dem fünfundzwanzigsten Jahre eintreten konnte. Seine Vormünder ließen ihn indeß diese Bestimmung seines Vaters wenig bedauern, denn sie verwilligten ihm jährlich 500 Pf. St. (3000 Thlr.), so lange er auf der Universität blieb, wo er sich Pferde und Mädchen hielt und ein so ausschweifendes Leben führte, als könne er über sein ganzes Vermögen verfügen, denn außer den 500 Pf. St., die er von seinen Vormündern erhielt, gab er wenigstens noch 1000 aus. Er stand etwa im einundzwanzigsten Jahre und es wurde ihm nicht schwer, soviel Geld, als er brauchte, aufzunehmen.

Dieser junge Mann besaß außer andern ziemlich schlechten Eigenschaften eine ganz teuflische. Es machte ihm nämlich das größte Vergnügen, Jünglinge von geringerm Vermögen dadurch zu ruiniren, daß er sie in Ausgaben hineinzog, denen sie weniger gewachsen waren als er; je besser, würdiger und mäßiger solche Jünglinge waren, um so größeres Vergnügen machte es ihm, sie in's Unglück zu stürzen.

Das Unglück wollte es, daß ich mit ihm bekannt und 63 befreundet wurde. Da ich in dem Rufe stand, fleißig mich mit meinen Studien zu beschäftigen, so war ich für seine boshaften Absichten ganz geeignet und meine eigene Neigung machte es ihm leicht, das Ziel zu erreichen; denn ob ich mich gleich eifrig mit den Büchern beschäftigt hatte, die mir große Freude gewährten, so fand ich doch noch größeres Vergnügen an andern Beschäftigungen; ich besaß eine unbändige Lebenskraft, war etwas ehrgeizig und sehr verliebt.

Bald nachdem ich mit Georg bekannt geworden, nahm ich an allen Vergnügungen desselben Theil und als ich erst diese Bühne betreten hatte, erlaubte mir meine Neigung nicht, mit einer untergeordneten Rolle mich zu begnügen. Ich gab keinem in der Gesellschaft in irgend einer Ausschweifung etwas nach, ja ich zeichnete mich bald in allem Unfug so aus, daß mein Name auf der Liste der Taugenichtse obenan stand, und statt als der unglückliche Verführte beklagt zu werden, für den Verführer des hoffnungsvollen jungen Gresham galt, der zwar überall der Rädelsführer und Anstifter war, niemals aber dafür galt. Endlich gerieth ich in die Hände des Vicekanzlers und nur mit Mühe entging ich der Strafe der Ausstoßung.

Sie werden leicht glauben, daß ein solches Leben, wie ich es eben beschrieben habe, mit fernerem Fortschreiten in Kenntnissen unverträglich war, und daß ich, je mehr ich mich den lockern Vergnügungen hingab, mehr und mehr in meinen Studien zurückkommen mußte. Dies war auch wirklich die Folge davon, jedoch nicht die einzige. Meine Ausgaben überstiegen nicht blos weit mein früheres Einkommen, sondern auch die Zuschüsse, welche ich meinem armen edeln Vater als die Summen abpreßte, die ich zur Erlangung des Baccalaureats nöthig zu haben vorgab. Diese Forderungen wurden endlich so häufig und so groß, daß mein Vater allmälig auf das Gerücht hörte, das ihm von vielen Seiten 64 her über mein Betragen zukam, und das meine Mutter stets treu und laut nachsprach, während sie hinzusetzte: »das ist das junge Herrchen, der Gelehrte, welcher der Familie so große Ehre macht. Ich habe es gleich gedacht, was aus all' der Gelehrsamkeit werden würde. Er wird uns alle ruiniren, nachdem seinem ältern Bruder um seinetwillen das Nothwendigste entzogen worden ist. Ich dachte mir es gleich, welche Zinsen er uns dafür zahlen würde.« In diesem Tone ging es lange fort. Mein Vater fing an, mir auf meine Forderungen Vorwürfe, aber kein Geld zu schicken, was meine Angelegenheiten wahrscheinlich etwas früher zu einer Crisis brachte; hätte er mir aber auch alles gegeben, was er besaß, es würde doch, wie Sie sich denken können, nur auf eine kurze Zeit für Einen hingereicht haben, der mit dem Aufwande Gresham's Schritt hielt.

Höchst wahrscheinlich würde die Geldnoth, in welcher ich mich befand und die Unmöglichkeit, auf dem betretenen Wege fortzugehen, mich wieder zu Verstand gebracht und zu meinen Studien zurückgeführt haben, hätte ich die Augen geöffnet, ehe ich in Schulden gestürzt wurde, aus denen ich mich nie herauszuarbeiten hoffen konnte. Dies war die große Kunst Georg's, wodurch er das Verderben vieler vollendete, die er nachher als Narren auslachte, weil sie, wie er sich ausdrückte, mit einem Manne von seinem Vermögen zu wetteifern gesucht. Er pflegte ihnen selbst bisweilen kleine Summen vorzuschießen, um ihren Credit bei andern Leuten zu erhalten, bis sie eben durch diesen Credit völlig zu Grunde gerichtet waren.

Nachdem mein Gemüthszustand so verzweifelt geworden war wie mein Vermögen, dachte ich wohl an jede Schlechtigkeit, durch die ich mir Erleichterung hätte verschaffen können. Selbst über Selbstmord ging ich ernstlich mit mir zu Rathe und ich würde mich auch sicherlich dazu entschlossen 65 haben, hätte ihn nicht ein schändlicherer, obgleich vielleicht minder sündhafter Gedanke aus meinem Kopfe verdrängt. – Hier hielt der Alte einen Augenblick inne, dann sprach er: so viele Jahre, die seitdem vergangen sind, haben die Schaam über diese That nicht vertilgt, und ich werde erröthen, während ich sie erzähle. – Jones äußerte, er möchte doch Alles mit Stillschweigen übergehen, was ihn schmerzlich berühre, Partridge aber meinte: dies erzählen Sie uns doch ja, ich höre dies lieber als alles Uebrige, und werde, so wahr ich selig werden will, kein Wort davon weiter erzählen. – Jones wollte ihn darüber schelten, der Alte verhinderte es aber, indem er fortfuhr: ich hatte als Stubenburschen einen recht klugen und eingezogen lebenden jungen Mann, der zwar keine große Summe zu seinem Unterhalte erhielt, sich aber doch gegen vierzig Guineen erspart hatte, die er in seinem Schreibpulte verwahrte. Ich benutzte also einmal die Gelegenheit, während er schlief, den Schlüssel aus seiner Beinkleidertasche zu nehmen, und eignete mir seinen ganzen Schatz zu; dann steckte ich den Schlüssel wieder in seine Tasche, stellte mich als schliefe ich, ob ich gleich kein Auge schloß, und blieb im Bett liegen, bis er aufstand und zum Gebete ging, das ich schon seit langer Zeit versäumte.

Schüchterne Diebe setzen sich oft durch zu große Vorsicht der Entdeckung aus, welcher sichere entgehen. So erging es mir; hätte ich sein Schreibpult keck aufgebrochen, so wäre sein Verdacht vielleicht gar nicht auf mich gefallen; da aber so offenbar der Dieb, welcher ihn beraubt, seinen Schlüssel benutzt hatte, so zweifelte er, sobald er sein Geld vermißte, keinen Augenblick, daß sein Stubenbursch der Dieb sein müsse. Da er jedoch sehr furchtsam war, mir auch an Kraft und, wie ich glaube, an Muth nicht gleichkam, so wagte er nicht, mir die That vorzuhalten, aus Besorgniß, er könne sich körperliche Züchtigungen zuziehen. Er begab sich deshalb 66 sogleich zu dem Vicekanzler, beschwur den Diebstahl und erhielt leicht einen Haftbefehl gegen Einen, der bei der ganzen Universität in sehr schlechtem Rufe stand.

Zum Glück für mich schlief ich den nächsten Abend auswärts, denn ich fuhr diesen Tag mit einem jungen Mädchen nach Witney, wo wir die ganze Nacht blieben, und bei der Rückkehr früh nach Oxford begegnete ich einem Bekannten, der mir so viel von dem Vorfalle mittheilte, daß ich es für gerathen hielt, sogleich wieder umzukehren.

»Erwähnte er etwas von dem Haftbefehl?« fragte Partridge; Jones aber ersuchte den Alten, sich durch solche Fragen nicht stören zu lassen, und der Erzähler fuhr demnach fort:

Da ich jeden Gedanken an eine Rückkehr nach Oxford aufgeben mußte, so entschied ich mich zuerst für eine Reise nach London. Ich theilte diese meine Absicht meiner Begleiterin mit, welche anfangs Einwendungen dagegen machte, aber sogleich einwilligte, als ich ihr mein Vermögen zeigte. Am zweiten Abend waren wir bereits in London.

Wenn Sie bedenken, an welchem Orte und in welcher Gesellschaft ich nun war, so werden Sie wohl glauben, daß das Geld, in dessen Besitz ich auf so unrechtmäßige Weise gekommen war, sehr bald zu Ende ging.

Ich befand mich nun in weit größerer Noth als vorher; die nothwendigsten Bedürfnisse fingen an, mir zu fehlen, und das Schlimmste dabei war, daß das Mädchen, das ich grenzenlos liebte, die Noth mit mir tragen mußte. Eine Geliebte in Noth zu sehen, ihr nicht helfen zu können und von dem Gedanken gepeinigt zu werden, die Ursache von ihrem Unglücke zu sein, ist vielleicht ein Fluch, von dessen Schrecken sich die, welche sie nicht selbst fühlten, gar keine Vorstellung machen können – »Ich glaube es,« unterbrach Jones den Erzähler, »und bemitleide sie aus 67 Herzensgrunde.« Dann ging er ein paar mal in dem Zimmer auf und ab, bat um Verzeihung, warf sich auf einen Stuhl und rief: »Gott sei Dank, dem bin ich entgangen!«

Dieser Umstand, fuhr der Erzähler fort, verschlimmerte die Schrecken meiner damaligen Lage so sehr, daß sie mir völlig unerträglich wurde. Mit minderm Schmerz hätte ich selbst Hunger und Durst ertragen können, als ich die launenhaftesten Einfälle eines Mädchens unbefriedigt zu sehen vermochte, die ich so heftig liebte, daß ich fest entschlossen war, sie zu heirathen, ob ich gleich recht wohl wußte, daß sie bereits die Geliebte der Hälfte meiner Bekannten gewesen war. Das gute Wesen wollte indeß in einen Schritt nicht willigen, welchen die Welt mir so sehr zum Nachtheil auslegen würde, und da sie wahrscheinlich Mitleid mit der Sorge fühlte, die ich mir täglich um ihretwillen machte, entschloß sie sich, meine Noth zu endigen. Sie fand bald Mittel, mich aus meiner angstvollen Lage zu befreien, denn während ich mich abmühete, ihr Vergnügungen zu verschaffen, – verrieth sie mich einem ihrer frühern Liebhaber zu Oxford, durch dessen Vermittelung ich sogleich festgenommen und in das Gefängniß gebracht wurde.

Hier fing ich zuerst an, über mein früheres Leben ernstlich nachzudenken, über die Verirrungen, deren ich mich schuldig gemacht, über das Unglück, das ich mir zugezogen, und über den Kummer, den ich dem besten Vater bereitet haben mußte. Wenn ich dazu die Treulosigkeit meiner Geliebten rechnete, wurde mir das Leben, statt noch länger wünschenswerth zu erscheinen, der Gegenstand meines Abscheus, und ich würde gern dem Tode, als dem besten Freund, in die Arme geeilt sein, hätte ich es ohne Schande thun können.

Die Zeit der Assisen rückte heran und ich wurde nach Oxford gebracht, wo ich sicher Ueberführung und 68 Verurtheilung erwartete. Zu meiner großen Verwunderung erschien indeß kein Ankläger gegen mich und ich wurde deshalb nach Beendigung der Assisen frei gelassen. Mein Stubenbursche hatte nämlich unter der Zeit Oxford verlassen und entweder aus Trägheit, oder aus irgend einem andern Grunde, sich nicht weiter mit der Sache befassen mögen.

»Vielleicht,« fiel Partridge ein, »wollte er Ihren Tod nicht auf dem Gewissen haben, und er hatte ganz Recht. Wenn durch mich eine Person an den Galgen käme, würde ich mein Lebtage lang nicht wieder allein schlafen können, aus Furcht, den Geist des Gehenkten zu sehen.«

»– Ich werde nun bald nicht wissen, Partridge,« bemerkte Jones dagegen, »ob es Ihnen mehr an Muth oder an gesundem Verstande fehlt.« – »Sie können mich auslachen, wenn Sie wollen,« antwortete Partridge; »Sie werden aber Ihre Meinung ändern, wenn Sie eine kleine Geschichte anhören wollen, die ich Ihnen erzählen kann. In dem Kirchspiele, in welchem ich geboren wurde . . .« Jones wollte ihn zur Ruhe verweisen, der Alte bat aber, er möge ihn nur die Geschichte erzählen lassen, er selbst würde sich unterdeß auf die seinige vollends besinnen.

Partridge fuhr also fort: »In dem Kirchspiele, in welchem ich geboren wurde, lebte ein gewisser Pachter Bridle, der einen Sohn, Franz, hatte, einen guten, hoffnungsvollen jungen Burschen. Ich besuchte die Schule mit ihm, wo er bis zu Ovid's Episteln kam, in denen er oft drei Zeilen zusammenbringen konnte, ohne daß er dreimal in das Wörterbuch zu sehen brauchte. Ueberdies war er ein sehr guter Junge, versäumte nie Sonntags die Kirche und galt für einen der besten Psalmsänger in der Gemeinde. Sein einziger Fehler war, daß er bisweilen ein Glas zu viel trank.« – »Nun, kommen Sie zu Ihrem Geiste!« rief ihm Jones zu. – »Ganz unbesorgt, lieber Herr! Ich 69 werde bald genug zu ihm kommen,« antwortete Partridge. »Sie müssen wissen, Pachter Bridle verlor einmal eine Stute, eine braune, so viel ich mich besinnen kann. Bald nachher nun, ich denke, es war . . . ich kann mich auf den Tag nicht besinnen, kurz er war zu Hindon und siehe da, er sah einen Mann auf seines Vaters Stute. Franz rief sogleich: »Haltet den Dieb!« und da es mitten auf dem Markte war, so konnte der Mann nicht entkommen. Man hielt ihn fest und führte ihn vor den Richter, es war, wie ich mich erinnere, Villoughby von Noyle, ein sehr würdiger Mann, der ihn ins Gefängniß setzen ließ. Endlich kam der Lord Oberrichter Page, um die Assisen abzuhalten. Der Mann sollte vor denselben erscheinen und Franz gegen ihn zeugen. Ich werde mein Lebtage das Gesicht des Richters nicht vergessen, als er ihn fragte, was er gegen den Gefangenen zu sagen habe. Der arme Franz zitterte und bebte am ganzen Leibe bis in die Fußzehen. »Was hast Du zu sagen?« fragte der Richter wieder. »Steh nicht so stumm da, sondern rede.« Dann wendete er sich an den Angeklagten und fragte ihn, was er zu seiner Vertheidigung vorzubringen habe, und der Mann sagte, er habe das Pferd gefunden. »Ach,« erwiederte der Richter, »Du bist ein glücklicher Patron; ich bin nun vierzig Jahre im Lande umher gereiset und habe mein Lebtage kein Pferd gefunden. Ich will Dir etwas sagen, Freund, Du warst glücklicher, als Du wußtest, denn Du fandest nicht blos ein Pferd, sondern auch einen Strick.« Das werde ich nie vergessen. Alle lachten; wer konnte es unterdrücken? Er machte noch zwanzig andere Witze, deren ich mich jetzt nicht sogleich erinnere. Der Richter muß ein sehr braver Mann gewesen sein, wie ein sehr gelehrter. Ueberhaupt ist es eine angenehme Unterhaltung, Verhören über Leben und Tod beizuwohnen. Eins nur hielt ich für etwas hart, daß nämlich 70 der Advocat des Gefangenen nicht für denselben sprechen durfte, ob er gleich nur um ein Paar Worte bat. Der Richter wollte ihn nicht anhören, ob er gleich einen Rath eine halbe Stunde lang gegen den Mann sprechen ließ. Ich hielt dies für hart, daß so viele, der Richter, der Gerichtshof, die Geschwornen, die Advocaten und die Zeugen, gegen einen einzigen, den armen Gefesselten, sein sollten. Genug, der arme Kerl wurde gehangen und der gute Franz wurde sein Lebtage nicht wieder froh. Sobald er allein im Dunkeln war, glaubte er den Geist des Gehenkten zu sehn.« – »Und das ist die Geschichte?« fragte Jones. – »Nein,« antwortete Partridge. »Gott stehe mir bei! Jetzt eben komme ich zur Hauptsache. Einmal in der Nacht, als Franz aus einem Bierhause durch eine lange, schmale, dunkele Gasse allein nach Hause ging, rannte der Geist, der ganz weiß aussah, gerade an ihn an; Franz, ein starker Mann, packte seiner Seits den Geist und es kam zu einer Balgerei, bei welcher der arme Franz tüchtige Puffe erhielt; endlich entwischte er aber doch und schlich nach Hause. Freilich mußte er wegen der Puffe und der Furcht vierzehn Tage lang im Bette liegen. Das ist die vollkommene Wahrheit und die ganze Gemeinde wird es bezeugen.«

Der Unbekannte lachte über die Erzählung und Jones folgte dem Beispiele, worauf Partridge rief: »Ja, lachen Sie nur; andere Leute haben auch gelacht, besonders ein Herr, der wohl nicht besser ist, als ein Atheist, und der behauptete, weil man am andern Tage ein todtes Kalb mit einem weißen Kopfe in demselben Gäßchen fand, Franz habe mit diesem Kalbe gekämpft, als wenn ein Kalb einen Mann anfiele! Franz hat mir überdies gesagt, er wisse es genau, daß es ein Geist gewesen, und er könnte es vor jedem Gerichte in der ganzen Christenheit beschwören, auch habe er damals nicht eben gerade sehr viel getrunken gehabt. 71 Der Herr sei uns gnädig und bewahre uns davor, daß wir unsere Hände in Blut tauchen.«

»Da Partridge nun seine Geschichte beendigt hat,« sagte Jones zu dem Unbekannten, »so hoffe ich, er wird Sie nicht wieder unterbrechen, wenn Sie die Gefälligkeit haben wollen, fortzufahren.« Der Alte setzte seine Erzählung auch wirklich fort, da er aber eine Zeit lang ausgeruhet hatte, so halten wir es für gerathen, auch dem Leser ein wenig Ruhe zu gönnen und werden also dieses Kapitel schließen.


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