Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil III
Henry Fielding

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38 Achtes Kapitel.

Jones kommt nach Gloucester und begiebt sich in die Glocke. Beschreibung dieses Hauses und eines Rabulisten, den er da trifft.

Jones und Partridge oder der kleine Benjamin (das Beiwort »klein« war ihm offenbar spottweise beigelegt, da er fast sechs Fuß maß) verließen in der angegebenen Weise ihr letztes Quartier und wanderten nach Gloucester, ohne ein Abenteuer zu erleben, das des Erzählens werth wäre.

In dieser Stadt kehrten sie in der »Glocke« ein, einem vortrefflichen Hause, das ich jedem empfehle, der jene alte Stadt besucht. Der Wirth ist ein geradherziger redlicher Mann. Seine Frau mag früher recht hübsch gewesen seyn und ist noch immer nicht häßlich. Ihre Figur und Haltung dürften in den fashionablesten Zirkeln Aufsehen erregt haben; aber ob ihr gleich diese und viele andere Vorzüge bekannt sein müssen, so scheint sie doch mit ihrem Berufe vollkommen zufrieden zu seyn. Sie ist dabei eine gutmüthige freundliche Frau und beeifert sich so, Jedermann gefällig zu sein, daß die Gäste sehr hypochondrisch sein müssen, wenn sie ihr Haus nicht völlig befriediget verlassen.

Madame Whitfield war eben in dem Hofe, als Jones mit seinem Begleiter eintrat. Sie erkannte in unserm Helden sogleich etwas, das ihn von den gemeinen Leuten unterschied. Sie befahl deshalb ihren Leuten, ihn sofort in ein Zimmer zu führen und lud ihn darauf ein, mit ihr zu speisen, welche Einladung er dankbar annahm, denn nach so langem Fasten und so weitem Gange würde ihm eine weit minder angenehme Gesellschaft als die der Madame Whitfield und ein geringeres Essen, als sie ihm vorsetzte, willkommen gewesen sein.

Außer Jones und der guten Hausfrau befand sich am 39 Tische ein Advokat von Salisbury, derselbe, welcher die Nachricht von Mad. Blifil's Tode dem Herrn Allworthy überbracht hatte und dessen Name, den wir vorher nicht erwähnten, Dowling war. Ferner war ein Mann zugegen, der sich ebenfalls einen Advokaten nannte und in der Nähe von Linlinch zu Hause war. Dieser Mann nannte sich, sage ich, einen Advokaten, war aber ein höchst gemeiner Rabulist, ohne alle Kenntnisse, ein Mensch, den man den Schleppenträger des Gesetzes nennen konnte, ein Supernumerar in dem Advokatenstande.

Bei Tische erinnerte sich dieser Mann des Gesichtes Jones', den er bei Herrn Allworthy gesehen hatte, bei welchem er häufig einzusprechen pflegte. Auch fragte er sogleich nach der trefflichen Familie mit einer Vertraulichkeit, als sei er Herrn Allworthy's bester Freund. Ueberhaupt bot er alles auf, um sich als einen solchen darzustellen, ob er gleich mit Niemanden in dem Hause, als den Bedienten in der Küche gesprochen hatte. Jones beantwortete alle Fragen sehr artig, ob er sich gleich nicht erinnerte, den Mann früher gesehen zu haben, und aus dem Aussehen desselben schloß, er gebe sich für mehr aus als er eigentlich sei.

Da ihm die Unterhaltung nicht zusagte, so entfernte sich Jones sobald der Tisch abgeräumt war, und nöthigte so Madame Whitfield, ihren Gästen Gesellschaft zu leisten, was die Wirthe nicht selten mit Recht für eine große Strafe erklären.

Jones hatte das Zimmer kaum verlassen, als der Rabulist halblaut Madame Whitfield fragte, ob sie wüßte, wer der junge Mensch sei. Sie erklärte, den Herrn noch niemals gesehen zu haben. »Den Herrn! hm!« erwiederte der Rabulist; »ein schöner Herr! Er ist der Bastard eines Kerls, der wegen Pferdediebstahls gehangen wurde. Man setzte ihn an Herrn Allworthy's Thüre aus, wo er von 40 einem der Dienstleute in einer Schachtel gefunden wurde, die so voll Regenwasser war, daß er sicherlich ertrunken wäre, hätte ihn das Schicksal nicht zu etwas anderm aufgespart.« – »Ja, ja, Sie brauchen das »etwas Anderes« nicht zu nennen,« fiel Dowling ein, »wir wissen schon, was Sie meinen.« – »Der Herr Allworthy ließ das Kind in das Haus nehmen, denn er ist bekanntlich ein gutmüthiger Mensch. Da wurde der Bastard genährt und gekleidet wie anständiger Leute Kind, später schwängerte er eine Magd und überredete sie, es zu beschwören, der Herr Allworthy selbst sei der Vater ihres Kindes; nachher zerschlug er einem Geistlichen Thwackum den Arm, blos weil dieser ihm empfahl, nicht den Huren nachzulaufen; ferner schoß er ein Pistol hinter Herrn Blifil's Rücken ab und als Herr Allworthy einmal krank war, nahm er eine Trommel und trommelte in dem ganzen Hause herum, damit er nicht schlafen könne. Kurz er machte tausend schlechte Streiche, bis ihn der Herr, einige Tage, bevor ich mich aus jener Gegend entfernte, aus dem Hause jagte.« – »Und das mit Recht, behaupte ich,« sagte Dowling; »ich würde meinen eigenen Sohn aus dem Hause werfen, wenn er sich halb so viel zu Schulden kommen ließe. Und, sagen Sie, wie heißt der Monsieur?«

»Sein Name? Man nennt ihn Thomas Jones.«

– »Jones!« antwortete Dowling etwas rasch, »Herr Jones, der in dem Hause des Herrn Allworthy war! Das war der Herr, der hier mit uns aß?« – »Derselbe,« sagte der Andere. – »Ich habe oft von ihm gehört,« fuhr Dowling fort, »aber niemals etwas Unrechtes.« – »Und ich sage,« bemerkte Madame Whitfield, »wenn nur die Hälfte von dem wahr ist, was der Herr da eben erzählte, so trügt das Gesicht dieses Herrn Jones mehr als irgend eines, das ich jemals sah; denn nach seinen Zügen erwartet man etwas ganz anderes von ihm, und nach der kurzen Zeit, die ich 41 ihn gesehen habe, scheint er ein ganz artiger, wohlerzogener und gebildeter junger Mann zu sein.«

Der Rabulist bestätigte und betheuerte das, was er erzählt hatte, mit so vielen Eiden und Schwüren, daß der Wirthin die Ohren summten und sie dem Schwören dadurch ein Ende machte, daß sie erklärte, sie glaube ihm. Darauf fuhr jener fort: »Sie werden hoffentlich mir nicht zutrauen, daß ich falsche Dinge von Jemanden sage, wenn ich von der Wahrheit nicht überzeugt bin. Was kann mir es helfen, Jemanden, der mich nie beleidiget hat, um den guten Ruf zu bringen? Ich versichere Sie, jede Sylbe von dem, was ich gesagt habe, ist Wahrheit und die ganze Gegend weiß es.«

Da Madame Whitfield keinen Grund zu der Vermuthung hatte, der Rabulist könne absichtlich Jones verläumden, so wird der Leser sie nicht tadeln, daß sie glaubte, was ihr mit so vielen Eidschwüren versichert wurde. Sie gab ihren Glauben an die Physiognomie auf und faßte eine so schlimme Meinung von ihrem Gaste, daß sie herzlich wünschte, er möge aus ihrem Hause fort sein.

Der Widerwille wurde durch einen Bericht gesteigert, den Herr Whitfield aus der Küche mitbrachte, wo Partridge erzählt hatte, ob er gleich den Tornister trage und sich begnüge bei den Dienstleuten zu bleiben, während Tom Jones (wie er ihn nannte) in dem Gastzimmer tafele, so sei er doch der Diener desselben nicht, sondern ein Freund und Begleiter, so viel und so gut als der Herr Jones selbst.

Dowling saß die ganze Zeit über schweigend da, kauete an den Nägeln, verzog das Gesicht, lächelte und gab sich ein höchst schlaues Aussehen, endlich aber that er den Mund auf und versicherte, der junge Mann sehe aus wie jeder andere. Darauf verlangte er seine Rechnung, erklärte 42 geschäftig, er müsse noch denselben Abend in Hereford sein, jammerte über zu große Geschäftslast und wünschte, er könne sich in zwanzig Stücke theilen, damit er zu gleicher Zeit an zwanzig verschiedenen Orten sein könne.

Der Rabulist entfernte sich ebenfalls und Jones ersuchte darauf Madame Whitfield mit ihm Thee zu trinken, was sie indeß ablehnte und zwar in einer Art, die so ganz von der verschieden war, mit welcher sie ihn bei Tische behandelt hatte, daß sie ihn etwas überraschte. Er bemerkte bald, daß sie ihr Benehmen überhaupt geändert habe, denn statt der früher von uns gepriesenen Freundlichkeit, lag in ihrem Gesichte jetzt eine gewisse Strenge, die dem Herrn Jones so unangenehm war, daß er sich entschloß, das Haus noch denselben Abend zu verlassen, ob es gleich bereits spät war.

Er erklärte sich diese plötzliche Umwandlung auf eine etwas unbillige Weise; nicht genug, daß er harte und ungerechte Bemerkungen über die weibliche Unbeständigkeit und Veränderlichkeit machte, schob er den Mangel an Artigkeit auf den Umstand, daß er ohne Pferde reise, welche Thiere, da sie keine Wäsche beschmuzen, der Meinung der Gastwirthe nach, für ihre Lagerstelle besser bezahlen als ihre Reiter und deshalb auch willkommener seien. Madame Whitfield dachte indeß besser, diese Gerechtigkeit müssen wir ihr widerfahren lassen. Sie war gut erzogen und konnte recht artig sein auch gegen die Fußreisenden. Sie hielt unsern Helden aber für einen Taugenichts und behandelte ihn als solchen. Jones würde sie sicherlich darum nicht getadelt haben, hätte er gewußt, was der Leser weiß, im Gegentheile er hätte gewiß ihr Benehmen gebilliget und sie nur um so mehr geachtet. Es ist dies ein erschwerender Umstand, wenn eine Person ungerechter Weise in Mißcredit gebracht wird; denn ein Mann, der weiß, daß er für einen schlechten 43 Menschen gilt, kann nicht wohl mit denen zürnen, die ihn vernachlässigen und unbeachtet lassen, sollte vielmehr diejenigen verachten, die seine Unterhaltung suchen, bevor sie durch genauere Bekanntschaft mit ihm sich überzeugt haben, daß er verläumdet worden ist.

Dies war bei Jones nicht der Fall; denn da er das Sachverhältniß durchaus nicht kannte, mußte er mit Recht die Behandlung, die erfuhr, übelnehmen. Er bezahlte darum auch seine Rechnung und brach auf ganz gegen den Willen des Herrn Partridge, der lange vergebliche Gegenvorstellungen machte, endlich aber doch seinen Tornister nahm und dem Freunde folgte.


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