Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil III
Henry Fielding

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87 Vierzehntes Kapitel.

Der Mann vom Berge beschließt seine Geschichte.

Watson, fuhr der Fremde fort, theilte mir unumwunden mit, daß seine unglückliche Lage in Folge eines anhaltenden Unglückes im Spiele ihn gewissermaßen gezwungen habe, seinem Leben ein Ende zu machen.

Ich dagegen sprach ernstlich mit ihm und bestritt diesen heidnischen, ja teuflischen Grundsatz von der Rechtmäßigkeit des Selbstmordes. Ich sagte alles, was mir über diesen Gegenstand eben einfiel, schien aber, wie ich zu meinem großen Bedauern bemerken mußte, keinen tiefen Eindruck auf ihn zu machen. Er schien seine That nicht im Mindesten zu bereuen und gab mir Ursache zu fürchten, daß er bald einen zweiten Versuch dieser Art machen würde.

Als ich meine Rede geendiget hatte, versuchte er keineswegs mir durch Gründe zu antworten, sondern sah mich fest an und sagte lächelnd: »Du hast Dich sehr verändert, seit ich Dich nicht gesehen habe. Ich zweifle, ob unsere Bischöfe besser gegen den Selbstmord sprechen könnten, als Du gethan hast; wenn Du aber Niemanden findest, der mir hundert Füchse leihet, so muß ich mich entweder erhängen, oder ertränken, oder verhungern, und meiner Meinung nach ist die letztere Todesart die schrecklichste von den dreien.«

Ich antwortete ihm ernst, daß ich mich allerdings geändert, seit ich ihn das letztemal gesehen, daß ich Muße gefunden habe, meine Thorheiten einzusehen und sie zu bereuen. Dann rieth ich ihm, denselben Weg einzuschlagen, und endlich schloß ich mit der Versicherung, daß ich ihm selbst hundert Pfd. St. leihen würde, wenn ihm ein Dienst damit geschehen könnte und er das Geld nicht wieder an den Spieltisch tragen wollte.

88 Watson, den der erste Theil meiner Rede fast eingeschläfert hatte, wurde durch den letztern ganz aufgemuntert. Er griff hastig nach meiner Hand, dankte mir tausendmal und erklärte, ich sei wirklich ein Freund, auch setzte er hinzu, er hoffe, daß ich eine bessere Meinung von ihm habe, als zu glauben, er habe von der Erfahrung so wenig gelernt, um den Würfeln noch zu vertrauen, die ihn so oft getäuscht hätten. »Nein, nein,« sprach er; »wenn ich nur einmal wieder feststehe, so will ich dem Glücke verzeihen, wenn es mich auch später zu einem bankerotten Kaufmanne macht.«

Ich verstand diese Redensarten recht wohl und entgegnete deshalb mit ernster Miene: »Lieber Watson, Du mußt irgend ein Geschäft oder ein Amt zu erhalten suchen, das Dir Deinen Unterhalt giebt, und ich verspreche, könnte ich nur mit einiger Wahrscheinlichkeit erwarten, später wiederbezahlt zu werden, Dir eine viel größere Summe, als die erwähnte vorzuschießen, um Dich zu einem redlichen und ehrenwerthen Berufe auszurüsten; zu dem Spiele aber taugst Du, abgerechnet die Schlechtigkeit, dasselbe zu einem Gewerbe zu machen, durchaus nicht und es würde Dich sicher zuletzt doch noch in das Verderben stürzen.«

»Es ist sonderbar,« antwortete er, » keiner meiner Freunde will mir zugestehen, daß ich etwas von der Sache verstehe, und doch glaube ich, bei jedem Spiele eine schon so gewandte Hand zu haben, als Einer von Euch, und ich wünsche von Herzen, mit Dir um Dein ganzes Vermögen zu spielen; mehr verlange ich nicht und ich will Dich sogar das Spiel selbst wählen und bestimmen lassen; aber, lieber Freund, hast Du denn wirklich hundert Pfd. St. in der Tasche?«

Ich entgegnete, daß ich nur 50 bei mir habe, die ich ihm gab, während ich ihm die andern 50 am andern 89 Morgen zu bringen versprach. Nachdem ich ihm noch mehr guten Rath gegeben hatte, entfernte ich mich.

Ich war besser, als mein Wort, denn ich ging schon den Nachmittag wieder zu ihm. Als ich eintrat, saß er im Bette und spielte mit einem bekannten Spieler Karte. Dieser Anblick verletzte mich, wie Sie denken können, nicht wenig, zumal ich den Verdruß hatte, sehen zu müssen, daß er meine 50 Pf.-Note seinem Gegner gab und nur 30 Guineen dafür erhielt.

Der andere Spieler entfernte sich sogleich und Watson erklärte, er schäme sich, mich zu sehen, aber, setzte er hinzu: ich finde, daß das Glück sich ganz von mir abgewendet hat und ich werde deshalb nie wieder spielen. Ich habe über das freundschaftliche Anerbieten nachgedacht, das Du mir machtest, und ich verspreche Dir, daß die Schuld nicht an mir liegen soll, wenn ich es nicht ergreife. Ob ich gleich seinen Versprechungen wenig glaubte, so gab ich ihm doch die andere Hälfte der hundert Pfd. St. vollends, und er überreichte mir dafür eine Verschreibung, außer der ich für mein Geld nie etwas zu erhalten erwartet habe.

Wir wurden an weiterm Gespräche durch die Ankunft des Arztes verhindert, der mit großer Freude im Gesicht und ohne selbst seinen Patienten zu fragen, wie er sich befinde, erklärte, er habe durch einen Brief eine wichtige Nachricht erhalten, die bald öffentlich bekannt werden würde; der Herzog von Monmouth sei nämlich im Westen mit einem großen holländischen Heere gelandet und eine andere große Flotte liege vor der Küste von Norfolk, um da eine Landung zu bewirken und das Unternehmen des Herzogs durch eine Diversion an diesem Punkte zu begünstigen.

Dieser Arzt war einer der größten Politiker seiner Zeit. Ueber das schlechteste Schiff freuete er sich mehr, als über den besten Patienten, und die höchste Freude fand er darin, 90 eine Stunde früher als irgend Jemand in der Stadt eine Nachricht zu erhalten. Seine Nachrichten waren aber selten wahr, denn er nahm fast alles für begründet an, weshalb Viele sich den Scherz machten, ihm Lügen aufzubinden.

Als solche erwieß sich auch seine gegenwärtige Mittheilung, denn es zeigte sich bald, daß der Herzog zwar gelandet sei, seine Armee aber blos in einigen Dienern bestehe; die Sache von der Diversion in Norfolk war ganz unbegründet.

Der Arzt blieb nicht länger in dem Zimmer, als er nöthig hatte, uns seine Nachricht mitzutheilen; ohne eine Sylbe mit seinem Patienten oder über einen andern Gegenstand zu sprechen, eilte er fort, um seine Neuigkeit weiter in der Stadt zu verbreiten.

Staatsangelegenheiten dieser Art drängen gewöhnlich alle Privatsachen in den Hintergrund. Auch unser Gespräch wurde ganz politisch. Auf mich hatte schon eine Zeit lang die Gefahr, der die protestantische Religion unter einem katholischen Fürsten ausgesetzt sein mußte, einen tiefen Eindruck gemacht, und ich hatte diese Besorgniß allein für eine hinreichende Rechtfertigung des Aufstandes angesehen; denn gegen den Verfolgungsgeist des Papstthums giebt es auf keine andere Weise Sicherheit, als wenn man ihm alle Macht entzieht, wie es leider die Erfahrung bestätiget hat. Sie wissen, wie sich der König Jacob benahm, nachdem er den Versuch bewältiget hatte, wie wenig er sein königliches Wort, seinen Krönungseid, die Freiheiten und Rechte seines Volkes achtete. Im Anfange ließ sich dies nicht so leicht voraussehen, deshalb wurde der Herzog von Monmouth nur schwach unterstützt; als das Uebel eintrat, fühlten es freilich alle, und deshalb verbanden sie sich, diesen König zu vertreiben, gegen dessen Vertreibung während der Regierung seines Bruders eine große Partei unter uns warm gestritten hatte.

»Was Sie da sagen,« fiel Jones ein, »ist sehr wahr, 91 und ich habe es oft für das Wunderbarste in der Geschichte gehalten, daß es sobald nach dieser überzeugenden Erfahrung, welche unsre ganze Nation veranlaßte, sich einmüthig zu der Vertreibung des Königs Jacob zu verbinden, um unsre Religion und unsre Freiheiten zu erhalten, eine Partei unter uns geben sollte, die so unsinnig ist, jene Familie wieder auf den Thron setzen zu wollen.« – Sie scherzen, antwortete der alte Mann, es kann keine solche Partei geben. Eine wie schlechte Meinung ich auch von den Menschen habe, so kann ich doch nicht glauben, daß sie in solchem Grade verblendet sind. Es mag einige hitzköpfige Papisten geben, die von ihren Priestern angetrieben werden, sich in diese verzweifelte Sache einzulassen und dieselbe für einen heiligen Krieg zu halten; daß aber Protestanten, Mitglieder der Kirche von England, so abtrünnig sein könnten, kann ich nicht glauben. Nein, nein, junger Herr, so unbekannt ich auch mit dem bin, was in den letzten dreißig Jahren in der Welt geschehen ist, so lasse ich mich doch nicht bereden, ein solches Mährchen zu glauben; Sie wollen mit meiner Unwissenheit Spott und Scherz treiben. – »Ist es möglich,« fiel Jones ein, »daß Sie so ganz abgeschieden von der Welt gelebt haben, um nicht zu wissen, daß während dieser Zeit zwei Rebellionen zu Gunsten des Sohnes Königs Jacobs stattgefunden haben, daß eine eben jetzt mitten im Königreiche wüthet?«

Bei diesen Worten sprang der alte Mann auf und beschwor im feierlichsten Tone Jones bei seinem Schöpfer, ihm zu sagen, ob das, was er sage, wirklich wahr sei. Als der andere dies betheuert hatte, ging er mehrmals schweigend in dem Zimmer auf und ab, dann weinte, dann lachte er und endlich sank er auf seine Knie und dankte Gott laut dafür, daß er ihn vor allem Verkehr mit Menschen bewahrt habe, die solcher Thorheiten fähig wären. Endlich wurde 92 er jedoch von Jones daran erinnert, daß er ihm seine Geschichte noch nicht völlig erzählt habe, worauf er in derselben also fortfuhr:

Da die Menschen in der Zeit, von welcher ich spreche, noch nicht zu jenem Grade der Tollheit gelangt waren, dessen sie, wie ich höre, jetzt fähig sind, und dem ich selbst wohl nur deshalb entgangen bin, weil ich allein und fern von der Ansteckung lebe, so erhoben sich viele für Monmouth, und ich schloß mich ihm ebenfalls an, weil meine Grundsätze mich zu seiner Partei hinzogen. Watson faßte aus andern Gründen denselben Entschluß (denn die Spielsucht bringt einen Mann bei einer solchen Gelegenheit eben so weit als die Vaterlandsliebe), wir versorgten uns deshalb bald mit allem Nöthigen und begaben uns zu dem Herzoge zu Bridgewater.

Der unglückliche Ausgang der Unternehmung ist Ihnen ohne Zweifel eben sowohl bekannt wie mir. Ich entkam mit Watson der Schlacht zu Sedgemor, wo ich eine leichte Wunde erhielt. Wir ritten fast 40 Meilen weit auf der Straße von Exeter hin, veräußerten dann unsre Pferde und wanderten über die Felder und auf Nebenwegen hin, bis eine alte Frau sich unsrer annahm und meine Wunde mit einer Salbe verband, von welcher sie schnell heilte.

– »Wo war die Wunde, wenn ich fragen darf?« fiel Partridge ein. Der Unbekannte sagte ihm, daß sich dieselbe am Arme befunden habe und erzählte sodann weiter: Hier verließ mich Watson am andern Morgen, um, wie er vorgab, Lebensmittel für uns aus der Stadt Collumpton zu holen, aber – kann ich es erzählen oder können Sie es glauben? – dieser Watson, dieser Freund, dieser niederträchtige, heimtückische Bösewicht, verrieth mich an einen Reiterhaufen des Königs Jacob und überlieferte mich demselben bei seiner Rückkehr.

93 Die Soldaten, sechs an der Zahl, brachten mich nach Staunton in das Gefängniß, aber weder meine Lage noch die Besorgniß wegen der Zukunft war für mich halb so betrübend als die Gesellschaft meines falschen Freundes, der sich selbst überliefert hatte und ebenfalls als Gefangener angesehen, aber besser behandelt wurde als ich. Zuerst versuchte er seinen Verrath zu entschuldigen, als er aber nur Verachtung und Vorwürfe zur Antwort erhielt, änderte er seinen Ton, schmähete mich als den schändlichsten und böswilligsten Rebellen und legte seine ganze eigene Schuld mir zur Last, da ich, wie er sagte, ihn gebeten und durch Drohungen gezwungen haben sollte, die Waffen gegen seinen gnädigen und rechtmäßigen Souverain zu ergreifen.

Dieses falsche Zeugniß verletzte mich tief und erregte einen Unwillen in mir, der sich weder beschreiben, noch begreifen läßt. Das Schicksal hatte jedoch endlich Mitleid mit mir, denn als wir etwas über Wellington hinauskamen, erhielten meine Wachen die falsche Nachricht, es wären etwa funfzig Feinde in der Nähe, weshalb sie eilig die Flucht ergriffen und mir, wie meinem Verräther, überließen, dasselbe zu thun. Der Schurke lief auch wirklich sogleich fort und ich freue mich, daß er es that, da ich sicherlich versucht haben würde, obgleich ich keine Waffen hatte, Rache an ihm zu nehmen.

Ich war also wiederum frei, verließ sofort die Straße, begab mich auf die Felder, wanderte hier weiter, ohne eigentlich zu wissen, wohin ich gehen wollte, und war hauptsächlich darauf bedacht, alle Hauptstraßen und Städte, ja selbst alle Häuser zu vermeiden, da ich mir einbildete, jedes menschliche Wesen, das ich sähe, wolle mich verrathen.

Endlich, nachdem ich mehrere Tage in dem Lande umhergeirrt war, während welcher die Felder mir dasselbe Bett und dieselbe Nahrung gewährt hatten, die die Natur unsern 94 wilden Brüdern giebt, gelangte ich hierher und die Einsamkeit, die Rauhheit der Gegend luden mich ein, meinen Aufenthalt da zu nehmen. Die erste Person, bei der ich meine Wohnung nahm, war die Mutter dieser alten Frau, bei der ich mich verborgen hielt, bis die Nachricht von der glorreichen Revolution allen meinen Besorgnissen vor Gefahr ein Ende machte und mir erlaubte, meine Heimath nochmals zu besuchen, um mich um meine Angelegenheiten zu kümmern, die ich bald zu meiner und meines Bruders Zufriedenheit in Ordnung brachte, indem ich ihm alles überließ, wogegen er mir tausend Pfd. St. zahlte und mir ein Jahrgeld aussetzte.

Sein Benehmen war in diesem Falle wie in allen andern eigennützig und unedel. Ich konnte ihn nicht für meinen Freund ansehen und er wollte auch nicht als solcher erscheinen; ich nahm deshalb sowohl von ihm als von meinen andern Bekannten Abschied, und von diesem Tage an ist meine Geschichte wenig mehr als ein leeres Blatt.

»Ist es möglich,« fragte Jones, »daß Sie von jenem Tage bis heute hier gewohnt haben?« – »Das that ich nicht,« antwortete der Alte; »ich bin viel gereiset und es dürfte wenige Theile von Europa geben, die mir unbekannt geblieben sind.« – »Ich wage es nicht, Sie jetzt weiter zu fragen; es würde grausam sein, nachdem Sie bereits so viel gesprochen haben; dagegen erlauben Sie mir wohl, eine andere Gelegenheit zu wünschen, die trefflichen Beobachtungen zu vernehmen, die ein Mann von Ihrer Sinnesart und Ihren Kenntnissen auf so lang dauernden Reisen gemacht haben muß.« – Ich werde allerdings, mein junger Freund, antwortete der Fremde, Ihre Neugierde auch in diesem Stücke, so viel ich vermag, zu befriedigen suchen. Jones wollte sich nochmals entschuldigen, wurde aber verhindert, und während er und Partridge aufmerksam 95 hörend dasaßen, fuhr der Fremde fort, wie in dem nächsten Kapitel zu lesen sein wird.


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