Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil III
Henry Fielding

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Drittes Kapitel.

Ein Zwiegespräch zwischen der Wirthin und Susannen, das von allen Wirthshausinhabern und deren Dienstmädchen mit Nutzen gelesen werden dürfte, nebst der Ankunft und dem liebenswürdigen Benehmen einer schönen jungen Dame, woraus Personen von Stande lernen können, wie sie sich die Liebe Aller zu erwerben vermögen.

Die Wirthin, die sich erinnerte, daß nur Susanne noch nicht zu Bett gewesen, als die Thüre eingeschlagen worden war, begab sich sogleich zu derselben, um nach der ersten Ursache der Störung, so wie darnach zu fragen, wer der fremde Herr und wann und wie er angekommen sei.

Susanne erzählte den ganzen Vorgang, den der Leser bereits kennt, veränderte die Wahrheit nur in einigen Stücken, wo es ihr vortheilhaft vorkam, und schwieg ganz und gar von dem Gelde, das sie erhalten hatte. Da aber ihre Herrin in der Einleitung zu ihrem Verhöre mit großem 151 Mitleide von der Angst gesprochen hatte, in welches die Dame wegen etwaiger Angriffe auf ihre Tugend geschwebt, so konnte Susanne nicht umhin, ihre Herrin darüber zu beruhigen, indem sie hoch und theuer schwur, sie habe den Herrn Jones aus dem Bette der Dame springen sehen.

Die Wirthin gerieth bei diesen Worten in gewaltigen Zorn. »Eine sehr wahrscheinliche Geschichte,« rief sie, »daß eine Frau schreien und sich der Gefahr aussetzen sollte, wenn dies der Fall wäre! Ich möchte wissen, wie eine Frau einen bessern Beweis von ihrer Tugend geben könnte, als wenn sie schreiet? Du wirst Dich hüten und kein solches Aergerniß von einem meiner Gäste ausbreiten, denn es würde nicht nur ihm, sondern auch dem Hause nachtheilig sein, in dem gewiß weder Vagabunden, noch schlechte bettelhafte Leute einkehren.«

»Nun so darf ich meinen eigenen Augen nicht glauben,« antwortete Susanne.

– »Das darfst Du auch nicht immer,« entgegnete die Wirthin; »ich selbst würde bei solchen anständigen Leuten meinen eigenen Augen nicht geglaubt haben. Es ist in dem letzten halben Jahre kein so gutes Abendessen bestellt worden, wie von ihnen, und sie waren so gutmüthig, so leicht zu befriedigen, daß sie meinen Worcestershire Birnenwein nicht tadelten, den ich ihnen für Champagner verkaufte, der aber auch so gut schmeckt und so gesund ist, wie der beste Champagner im Lande, sonst würde ich ihn nicht für solchen verkaufen. Sie tranken zwei Flaschen. Nein, von solchen vortrefflichen Leuten glaube ich im Leben nichts Schlechtes.«

Da Susanne dagegen nichts vorbringen konnte, fuhr die Wirthin fort: »Du sagst mir, der fremde Herr kam zu Pferde an und brachte noch einen Reitknecht mit? So ist er gewiß auch ein vornehmer Herr. Warum fragtest Du 152 ihn nicht, ob er etwas zu essen haben wollte? Er wird in dem Zimmer des anderen Herrn sein, geh' und frage, ob er gerufen hat. Vielleicht bestellt er etwas, wenn er sieht, daß noch Jemand im Hause auf ist. Sei nicht dumm, wie gewöhnlich, und sage nicht etwa, das Feuer wäre aus und die Hühner wären noch nicht abgeschlachtet. Wenn er Schöpsenbraten bestellt, so schwatze es nicht aus, daß wir keinen haben. Der Fleischer schlachtete, wie ich weiß, ein Schaf, eben als ich zu Bette ging, und er läßt mir gern etwas davon ab, wenn es auch noch warm ist. Geh' und denke, daß allerhand von Schöps und Geflügel da sei; geh' und mach' die Thüre auf und frage: »riefen die Herren?« Wenn sie nichts sagen, so frage, was der gnädige Herr zu speisen wünscht? Vergiß den »gnädigen Herrn« nicht. Wenn Du Dir alles dies nicht besser merkst, wird niemals aus Dir etwas Rechtes werden.«

Susanne ging und kam bald mit der Angabe zurück, die beiden Herren hätten sich in ein und dasselbe Bett gelegt. »Zwei Herren,« rief die Wirthin, »in einem Bette! Das ist nicht möglich. Das müssen Taugenichtse, Habenichtse sein, und ich glaube, der junge Herr Allworthy hatte ganz Recht, als er meinte, der eine Mensch habe die Dame bestehlen wollen; wenn er in der bösen Absicht eines anständigen Mannes die Thüre der Dame aufgebrochen hätte, würde er nicht in ein anderes Zimmer geschlichen sein, um die Ausgabe für ein Abendessen und ein Bett zu ersparen. Sie sind gewiß Diebe und geben nur vor, daß sie eine Frau suchten.«

Die Wirthin that dem Herrn Fitzpatrick mit solchem Tadel sehr Unrecht, denn er war wirklich ein geborner Edelmann, obgleich keinen Groschen werth, und obgleich sich vielleicht an seinem Herzen eben so viel aussetzen ließ, als an seinem Kopfe, wenn er auch zu den Heimtückischen 153 und Geizigen nicht gehörte. Er war vielmehr so freigebig, daß er bereits jeden Pfennig von dem ansehnlichen Vermögen seiner Frau bis auf eine Kleinigkeit durchgebracht hatte, über die sie allein verfügen konnte. Um auch in den Besitz dieses Vermögens zu kommen, hatte er sie so grausam behandelt, daß sie deshalb und wegen seiner unerträglichen Eifersucht von ihm hatte entfliehen müssen.

Da dieser Herr sehr ermüdet war von seiner langen Reise von Chester in einem Tage, sowie von den ziemlich empfindlichen Schlägen, die er in dem Kampfe mit Jones erhalten hatte, so schmerzten ihm seine Knochen, ungerechnet das Weh in seinem Herzen, so sehr, daß er gar keinen Appetit zum Essen hatte. Da er sich ferner in der Frau, die er nach der Andeutung der Magd für die seinige gehalten, so gewaltig getäuscht hatte, so fiel es ihm nicht ein, daß sie dennoch in dem Hause sein könnte, wenn er sich auch in der ersten Person, die er angehalten, geirrt hatte. Er gab deshalb dem Zureden seines Freundes nach, diese Nacht sie nicht weiter zu suchen, und nahm das Anerbieten an, mit ihm das Bett zu theilen.

Der Reitknecht und der Postillon befanden sich in einer anderen Stimmung und waren schneller, zu bestellen, als die Wirthin, ihre Befehle auszuführen. Als sie indeß von denselben überzeugt worden war, daß der Herr Fitzpatrick wirklich kein Dieb sei, ließ sie sich überreden, ihnen kaltes Fleisch vorzusetzen, das sie eben begierig verzehrten, als Partridge in der Küche erschien. Er war durch den Lärm, den wir bereits beschrieben haben, geweckt worden, während er aber wieder einzuschlafen suchte, hatte eine Eule vor seinem Fenster eine solche Abendmusik gemacht, daß er endlich entsetzt aus seinem Bette sprang, rasch in seine Kleider fuhr und hinunter eilte, um unter den Menschen zu sein, die er in der Küche sprechen hörte.

154 Seine Ankunft hielt die Wirthin ab, sich wieder zur Ruhe zu begeben, was sie eben thun wollte; aber der Freund des jungen Herrn Allworthy durfte nicht so vernachlässiget werden, zumal er ein Glas Glühwein verlangte. Sie setzte sogleich Birnenwein an's Feuer, denn dieser galt für jede Art von Traubensaft.

Der irische Bediente hatte sich zu Bett begeben und der Postillon wollte ein Gleiches thun, Partridge lud ihn aber ein zu bleiben und mit ihm zu trinken, was derselbe dankbar annahm. Der Schulmeister fürchtete sich wirklich, wieder in sein Bett zu gehen, und da er nicht wußte, wie bald er die Gesellschaft der Wirthin einbüßen würde, so nahm er sich vor, sich wenigstens die des Postillons zu sichern, in dessen Gegenwart er selbst den Teufel nicht fürchtete.

In diesem Augenblicke kam ein anderer Postillon am Thore an. Susanne öffnete, und kam bald mit zwei jungen Damen in Reitanzügen zurück, von denen eine so reich betreßt war, daß Partridge und der Postillon sogleich von ihren Stühlen auffuhren und die Wirthin außerordentlich tiefe und zahlreiche Knixe machte. Die Dame in dem reichen Anzuge sagte mit einem sehr gnädigen Lächeln: »Wenn Sie erlauben, Frau Wirthin, werde ich mich einige Minuten an Ihrem Küchenfeuer erwärmen, denn es ist wirklich sehr kalt; aber ich bitte, daß sich Niemand stören lasse.« Dies galt dem Herrn Partridge, der sich an das andere Ende zurückgezogen hatte, weil er durch den Glanz des Anzuges der Dame ganz geblendet und verblüfft war. Die Dame hatte indeß einen noch ganz anderen Anspruch auf Achtung als diesen, denn sie war Eine der schönsten Damen in der Welt.

Sie forderte Partridge ernstlich auf, seinen Platz wieder einzunehmen, konnte ihn aber nicht dazu vermögen. Dann zog sie ihre Handschuhe ab und zeigte am Feuer zwei Hände, 155 die jede Eigenschaft des Schnees hatten außer der des Zerschmelzens. Ihre Begleiterin, die ihre Dienerin war, zog ebenfalls die Handschuhe ab und zeigte etwas, das, der Kälte wie der Farbe nach, vollkommen einem Stücke gefrorenen Rindfleisches glich.

»Ich wünsche, gnädiges Fräulein,« sagte die Letztere, »daß Sie diese Nacht nicht weiter reiseten. Ich fürchte sehr, daß Sie die Strapazen nicht ertragen.«

– »Das gnädige Fräulein,« fiel die Wirthin ein, »können so etwas nicht beabsichtigen. Weiter in der Nacht! Bedenken Sie doch, gnädiges Fräulein! Nein, Sie werden es nicht thun, gnädiges Fräulein. Was beliebt Ihnen zu genießen? Ich habe Schöps in allen Arten und schöne Hühnchen.«

»Ich dächte,« fiel die Dame ein, »es wäre besser, wir frühstückten, statt zu Abend zu essen; ich kann gar nichts essen, und wenn ich bleibe, werde ich mich nur auf ein Paar Stunden niederlegen. Nur ein wenig Molken mit Sect, sehr dünn, geben Sie mir.«

– »Sogleich, gnädiges Fräulein,« antwortete die Frau vom Hause, »ich habe vortrefflichen weißen Wein.«

»Sect haben Sie also nicht?« fragte die Dame.

»Auch den habe ich, gnädiges Fräulein; im ganzen Lande ist kein besserer zu finden. Aber wollen das gnädige Fräulein nicht auch etwas essen?«

– »Ich kann keinen Bissen essen,« antwortete die Dame, »und werde Ihnen sehr verbunden sein, wenn Sie mir so schnell als möglich ein Zimmer bereit machen wollen, da ich nach drei Stunden weiter reiten will.«

»Susanne,« rief die Wirthin, »ist noch Feuer in der »Wilden Gans«? Es thut mir leid, gnädiges Fräulein, alle meine besten Zimmer sind bereits besetzt. Mehrere sehr vornehme Personen schlafen bereits da, ein junger Herr 156 und mehrere Andere.« Susanne antwortete, die irländischen Herren wären in der wilden Gans.

– »Warum hebst Du aber nicht einige der besten Zimmer auf, da ja kaum ein Tag vergeht, ohne daß Jemand einkehrt? – Wenn sie wirklich vornehme Herren sind, so werden sie gewiß wieder aufstehen, sobald sie erfahren, daß das Zimmer für eine Dame ist.«

»Ich werde Niemanden stören,« entgegnete die junge Dame. »Wenn Sie ein nur leidlich anständiges Zimmer haben, so bin ich vollkommen zufrieden. Ich bitte, machen Sie sich meinetwegen nicht so viele Mühe.« –

– »Ach, gnädiges Fräulein,« entgegnete die Wirthin, »ich habe zwar noch mehrere gute Zimmer, aber keines, das für das gnädige Fräulein gut genug wäre. Da Sie jedoch so gnädig sind, sich mit dem besten begnügen zu wollen, so gehe, Susanne, und zünde sogleich in der »Rose« Feuer an. Ist es dem gnädigen Fräulein gefällig, sogleich mit hinaufzugehen oder hier zu bleiben, bis das Feuer angemacht ist?«

»Ich denke, mich ziemlich erwärmt zu haben und werde also sogleich mitgehen. Ich fürchte, Leute und besonders den Herrn da (sie meinte Partridge) bereits zu lange fern von dem Feuer gehalten zu haben.« Sie ging darauf mit ihrer Dienerin fort und die Wirthin leuchtete mit zwei Lichtern voran.

Als die gute Frau zurückkam, drehete sich das Gespräch ausschließlich um die Schönheit der jungen Dame. Es liegt ja auch in der vollendeten Schönheit eine Macht, die Niemand verkennen kann; denn selbst die Wirthin erklärte, obgleich die abschlägliche Antwort wegen des Abendessens ihr nicht gefallen hatte, sie habe niemals eine so liebenswürdige Dame gesehen.

Partridge ließ sich in die übertriebensten Lobpreisungen ihres Gesichtes aus, konnte aber auch nicht umhin, den 157 Goldtressen auf ihrem Anzuge einige Complimente zu machen. Der Postillon pries ihre Herzensgüte und der andere Postillon, der jetzt auch hereingekommen war, stimmte in diese Lobeserhebungen mit ein. »Sie ist gewiß eine sehr gute Dame, dafür stehe ich,« sagte er; »sie hatte Mitleid selbst mit dem Viehe, denn sie fragte mich manchmal, ob ich nicht meine, daß sie den Pferden Schaden thue, wenn sie zu schnell reite. Und als wir ankamen, trug sie mir auf, den Pferden so viel Hafer geben zu lassen, als sie fressen wollten.«

So gewinnend ist die Freundlichkeit und so gewiß erwirbt sie die Lobeserhebungen aller Leute. Sie läßt sich mit einem geschickten Kleidermacher vergleichen. Wie dieser hebt sie die weiblichen Vorzüge noch mehr heraus und verhüllt und verbirgt die Mängel. Die Wahrheit wird uns bald nöthigen, auch das Gegentheil von solcher liebenswürdigen Freundlichkeit zu zeigen.


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