Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil III
Henry Fielding

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Siebentes Kapitel.

Dieses offenbart bessere Gründe für das Benehmen Partridge's, als bis jetzt zum Vorscheine gekommen sind. Auch enthält es seine Apologie für die Schwachheit des Herrn Jones und einige weitere Anekdoten von der Wirthin.

Obgleich Partridge ein höchst abergläubischer Mensch war, so hätte er doch sicherlich schwerlich blos in Folge seiner zwei Träume von dem Stuhle und dem Pferde, den Herrn Jones zu begleiten gewünscht, wären seine Aussichten nicht besser gewesen, als Beute auf einem Schlachtfelde zu machen. Als er über die Erzählung nachdachte, die er von Jones gehört hatte, konnte er durchaus nicht glauben, daß Herr Allworthy seinen Sohn (denn für diesen hielt er Jones) aus einem der angeführten Gründe aus dem Hause verstoßen haben sollte. Er schloß demnach, das Ganze sei eine Erdichtung und Jones, von dessen Charakter man ihm die seltsamste Schilderung gemacht hatte, sei seinem Vater davon gelaufen. Da setzte er sich in den Kopf, wenn er den jungen Herrn vermögen könnte, zu seinem Vater zurückzukehren, würde er dadurch dem Herrn Allworthy einen Dienst erzeigen, über welchem dieser seinen frühern Unwillen vergessen werde; ja er bildete sich ein, dieser Unwille sei nur erheuchelt gewesen und Allworthy habe ihn seinem eigenen Rufe geopfert. Diese Muthmaßung fand er durch die 34 liebevolle Behandlung vollkommen bestätiget, welche der vortreffliche Mann dem Findlinge gewährt hatte; durch die Strenge gegen Partridge, der, da er sich schuldlos wußte, nicht zu begreifen vermochte, wie er von Andern für schuldig gehalten werden könnte, und endlich durch die Unterstützung, die er insgeheim lange erhalten hatte, nachdem ihm der Gehalt öffentlich entzogen worden war, und die er für eine Art Schmerzensgeld oder für eine Schadloshaltung ansah. Es ist, wie ich glaube, sehr ungewöhnlich, daß Leute die Wohlthaten, welche sie erhalten, bloßer Mildthätigkeit zuschreiben, wenn sie dieselben möglicherweise auf eine andere Art erklären können. Wenn er also auf irgend eine Art den Jüngling überreden konnte, nach Hause zurückzukehren, so würde er, glaubte er, die Gunst des Herrn Allworthy wieder gewinnen, wohl gar für seine Mühe belohnt werden und die Erlaubniß erhalten, in seine Heimath zurückzukehren, was er eben so innig wünschte, als es Ulysses gewünscht haben mag.

Jones seiner Seits war von der Angabe, die Partridge gemacht hatte, vollkommen befriediget und glaubte, derselbe habe keine andere Veranlassung als die Liebe zu ihm und den Eifer für seine Sache, – ein tadelnswerther Mangel an Vorsicht und an Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Menschen. Es giebt nur zwei Wege, auf denen der Mensch sich diese vortreffliche Eigenschaft verschaffen kann. Der eine ist lange Erfahrung und der andere angeborene Klugheit. Die letztere dürfte noch weit besser sein als die erstere, nicht blos, weil sie weit früher im Leben benutzt werden kann, sondern auch, weil sie weit minder trügt; denn obgleich ein Mensch von Vielen betrogen und hintergangen worden ist, hofft er doch noch immer, ehrlichere zu finden; während der, welcher die nöthigen Ermahnungen von seinem Herzen erhält, weit minder leicht getäuscht werden kann. Jones 35 hatte diese Gabe von der Natur nicht erhalten und war noch zu jung, um durch Erfahrung klug geworden zu sein, zu welcher wir leider meist erst spät im Leben gelangen, was vielleicht der Grund ist, warum manche alte Leute die Klugheit aller derer, die etwas jünger sind als sie, so gern verachten.

Jones verbrachte einen großen Theil des Tages in der Gesellschaft eines neuen Bekannten, des Gastwirthes nämlich oder vielmehr des Mannes der Wirthin. Er hatte erst vor kurzem das Krankenzimmer verlassen, in welchem er durch die Gicht lange zurückgehalten worden war, die ihn überhaupt meist die Hälfte des Jahres in sein Zimmer gebannt hielt. In der andern Hälfte ging er in dem Hause umher, rauchte seine Pfeife und trank seine Flasche mit seinen Freunden, ohne sich im mindesten um das Hauswesen zu bekümmern. Er hatte eine vornehme Erziehung genossen, das heißt nichts rechtes gelernt und ein kleines Vermögen, das er von einem fleißigen Pachter, seinem Oheime, geerbt, durch Jagen, bei Wettrennen und Hahnenkämpfen durchgebracht. Endlich war er von der Wirthin zu gewissen Zwecken geheirathet worden, denen er aber seit lange nicht mehr entsprechen konnte, weshalb sie ihn von Herzen haßte und ihn häufig durch Vergleiche mit ihrem ersten Manne herabsetzte, in dessen Lobe sie kein Ende fand. Nach einem langen und glücklichen Kampfe hatte sie es endlich dahin gebracht, daß sie frei im Hause nach eigenem Willen schalten und walten konnte, während sie ihren Mann thun ließ, was ihm beliebte. Abends, als Jones sich in sein Zimmer begab, entstand ein kleiner Zank zwischen dem zärtlichen Paare über ihn. »Was!« sagte die Frau, »du hast mit dem Herrn getrunken?« – »Ja,« antwortete der Ehemann, »wir haben eine Flasche mit einander ausgestochen; er ist ein sehr artiger Mann und versteht sich trefflich auf 36 Pferde, ob er gleich noch jung ist und nicht viel in der Welt gesehen hat, auch bei nicht vielen Wettrennen gewesen ist.« – »Ist er Einer von Deinem Schlage?« antwortete die Frau; »da er von Pferden reden kann, muß er freilich ein vornehmer Mann seyn. Der Teufel hole diese vornehmen Leute; wollte Gott, ich hätte nie einen der Art gesehen! Ich habe große Ursache, solche Pferdeliebhaber sehr zu lieben.« – »Die hast du auch,« fiel der Ehemann ein, »denn ich war Einer, wie du weißt.« – »Ja, und einer von den ächten,« antwortete sie. »Ich kann, wie mein Seliger zu sagen pflegte, alles Gute, das ich durch dich erlangt habe, in die Augen stecken, ohne deshalb schlechter zu sehen.« – »Hol' der Teufel deinen Seligen!« rief er. – »Er war doch besser als du bist, und wenn er noch lebte, dürftest du nicht so von ihm reden.« – »Dann meinst du, ich hätte nicht so viel Herz im Leibe als du, da du ihn doch vielmals in meiner Gegenwart zum Teufel gewünschet hast.« – »Habe ich es gethan, so habe ich es oft und lange bereuet und er wird mir ein Wort gewiß verzeihen, das ich in der Uebereilung gesprochen. Er war mein Mann und wenn ich auch in der Hitze einmal ein böses Wort von ihm sagte, so nannte ich ihn doch nie einen Taugenichts und ich würde eine Lüge gesagt haben, hätte ich ihn so genannt.« Sie sprach noch viel, aber der Mann hörte es nicht, denn er zündete sich seine Tabakspfeife an und hinkte so schnell als möglich fort. Wir werden deshalb auch nicht mehr von ihrer Rede mittheilen, da sie sich immer mehr und mehr dem Punkte näherte, der zu indelicat ist, als daß wir ihn in unserer Geschichte erwähnen könnten.

Früh am Morgen erschien Partridge am Bette unseres Helden reisefertig, den Tornister auf dem Rücken. Es war derselbe ein Werk seiner Hände, denn Partridge war unter 37 anderm auch kein übler Schneider. Er hatte bereits seine ganze Wäsche hineingepackt, nämlich vier Hemden; dazu legte er noch acht von Jones, dann packte er das Felleisen und wollte dasselbe in sein Haus tragen, wurde aber von der Wirthin unterwegs angehalten, die nichts von den Habseligkeiten fortschaffen lassen wollte, bevor ihre Rechnung bezahlt sey.

Die Wirthin herrschte, wie erwähnt, unumschränkt im Hause, Partridge mußte sich also in ihr Gebot fügen. Die Rechnung, die sich auf eine weit höhere Summe belief, als Jones nach dem, was er erhalten hatte, vermuthen konnte, wurde sofort geschrieben; doch wir müssen hier einige Maximen veröffentlichen, welche von Gastwirthen für große Geheimnisse ihres Geschäfts gehalten werden. Die erste besteht darin, wenn sie etwas Gutes im Hause haben (was sehr selten der Fall ist), dies nur den Personen vorzulegen, die mit Equipage reisen. Die zweite ist die, sich das Schlechteste so gut wie das Beste bezahlen zu lassen, und die dritte besteht darin, den Gästen, die nur wenig verlangen, alles mit doppelter Kreide anzuschreiben, so daß die Rechnung sich immer gleich bleibt.

Nachdem die Rechnung gemacht und bezahlt war, brach Jones mit Partridge auf, der seinen Tornister trug. Die Wirthin ließ sich nicht herab, ihm eine glückliche Reise zu wünschen, denn das Wirthshaus schien nur von vornehmen Leuten besucht zu werden und ich weiß nicht woher es kommt, daß alle die, welche ihren Unterhalt von vornehmen Leuten ziehen, so grob gegen die übrigen Menschen werden, als gehörten sie selbst zu den Vornehmen.


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