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Schluß der Geschichte vom Nobelpreis

Kaufmann und Paul Ernst kamen zur Gesellschaft zurück. Herr von Brake hatte inzwischen seinen Unmut über das ihm unbegreifliche Benehmen Paul Ernsts bekämpft; er sagte sich, daß er in Otto Ernst eine leicht verletzliche Dichterseele vor sich habe, der man manches nicht übelnehmen dürfe, was man sich ja von einem kaufmännischen Angestellten etwa nicht gefallen lassen würde. So kam er denn den beiden lachend entgegen, hieb Paul Ernst kräftig mit der Linken auf die Schulter und reichte ihm die Rechte, indem er ihm zurief, daß sie darum keine Feindschaft haben wollten. Mit etwas leidendem Gesicht schlug Paul Ernst in die dargebotene Hand ein.

Herr von Brake und der Herr Landrat verließen die kleine Gesellschaft, und die näheren Freunde saßen zusammen: Herr von Brakes Schwiegersohn, Herr von Lukács, Karl Scheffler, Leopold Ziegler, Wilhelm Schäfer, Doktor Kaufmann und Paul Ernst. Man besprach das Vorgefallene und beredete einen neuen Novellenband.

Aber da stand Paul Ernst auf. Er sagte lachend zu den Freunden: »Was tun wir eigentlich hier? Gehören wir in diese Gesellschaft? Ja, wir sind Deutsche, wir lieben unser deutsches Volk. Aber sind die Menschen, unter denen wir hier leben, das deutsche Volk? Ach, das deutsche Volk ist nur eine Idee; wir wollen ein jeder wieder auf seine Stube zurückgehen; da leben wir in unserm Volk, in den Büchern, welche an den Wänden um uns stehen. Ich muß ja noch den Nobelpreis schreiben; aber das ist auch meine letzte Novellensammlung aus den Gesellschaften des Herrn von Brake.«

Der junge Professor reichte ihm die Hand und sprach: »Ich verstehe Sie. Ich hänge mit unserem Gastgeber durch die engsten Bande der Verwandtschaft zusammen. Aber der Geist ist stärker als das Blut. Ich sehe heute ein, es war eine Feigheit, eine deutsche Feigheit, daß ich den Schnitt nicht gemacht habe. Wenn der Krieg erst beendet ist, dann werden uns unsere großen Aufgaben gestellt werden, und wenn wir die erfüllen wollen, dann müssen wir rücksichtslos unsrer innern Stimme folgen. Auch ich werde nicht mehr Herrn von Brakes Gast sein.«

Paul Ernst schloß: »Eine der Ursachen für unsere Schwierigkeiten von heute ist, daß wir eine dumme, rohe und alberne Aristokratie gehabt haben. Die Aristokratie ist ja in allen Ländern verschwunden, aber in allen Ländern hat sie, wie unser gemeinsamer Freund Max Weber so schön ausführt, das Urbild des führenden Standes hinterlassen: in den romanischen Ländern den Kavalier, in England den Gentleman. Bei uns ist der Korpsphilister übriggeblieben mit seinem Ideal der Dummfrechheit. Uns, die wir das einsehen, legt dieser Umstand eine Verpflichtung auf. Wir wissen alle, daß es nur ein wahres aristokratisches Ideal gegeben hat, die Kalokagathie, daß auch Kavalier und Gentleman nur lächerliche Entartungen sind. Aber sie sind nicht so in Grund und Boden lächerlich wie das deutsche Ideal des führenden Standes, deshalb kann bei uns eine Besserung kommen, bei den Romanen und Engländern ist eine Besserung ausgeschlossen. Die Befreiung bei uns ist nur dadurch möglich, daß die einzigen Männer, die nach Lage der Dinge unser Volk vertreten können, ihre Würde geltend machen: die Dichter und Denker. Deutschland ist immer nur in den Dichtern und Denkern gewesen, nicht in den Fabrikanten und Landräten. Wir haben geschwiegen und gelächelt zu den Albernheiten und Nichtswürdigkeiten der Männer, welche uns geführt haben. Wir dürfen nicht mehr schweigen und lächeln, wir müssen sprechen und handeln. Am Schluß seiner Gedanken und Erinnerungen macht Bismarck einen hämischen Ausfall auf Wilhelm von Humboldt. Er hat gewußt, gegen was er sich wendete. Seine Politik, die Politik der Gewalt, die freilich aus seinen immerhin wenigstens starken Händen in Komödiantenfinger geraten war, wird heute zur Selbstauflösung geführt. Was die Russen wollen – was sie wollen –, das ist die gerade Weiterentwicklung unseres klassischen Ideals, es ist eine Politik der Menschheit; Wilhelm von Humboldt würde sie verstehen, und die Deutschen werden sie auch verstehen, wenn sie erst wieder diejenigen Führer haben, die ihnen angemessen sind, das heißt, wenn der Geist in Deutschland sich bewußt wird, daß er seine Pflichten gegen das Volk vernachlässigt hat und wenn er die Zügel an sich nimmt, die heute der Unfähigkeit entglitten sind und auf der Erde schleifen.«

Herr von Lukács lächelte beistimmend. Paul Ernst sah ihn an, er mißdeutete wohl sein Lächeln; und so fuhr er fort: »Sie glauben mir nicht? Ach, ich glaube mir ja selber nicht! Aber was soll ich tun? Ich will glauben.«

 

Abgeschlossen im Sommer 1917.


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