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Eheglück

In der Familie eines höheren Beamten, des Präsidenten eines Regierungskollegiums, wuchs eine Tochter auf, wir wollen sie Anna nennen, welche nun in das Alter eingetreten war, wo die Liebe zu einem Manne und der Wunsch, für Kinder und ein eignes Heim zu sorgen, in einem Mädchen erwacht.

Anna hatte keine Freundinnen gehabt und war aufgezogen, ohne daß sie viele Einflüsse von außen verspürt hätte. So war sie nun ein träumerisches, in sich befangenes Wesen, das nichts von sich und seinen Wünschen wußte. Hätte man sie gefragt, ob sie sich von ihren Eltern fortsehne, so hätte sie verwundert den Kopf geschüttelt; und die Verwunderung wäre nicht ein halbbewußtes Verschleiern der Wünsche vor sich selber gewesen, wie das wohl oft bei Mädchen ist, sondern sie glaubte wirklich, daß sie nichts anderes begehre, als dem Vater im Flur entgegenzugehen und ihn zu küssen, wenn er vom Amt nach Hause kam, bei der Mutter zu sitzen und mit ihr zu nähen, aus dem Fenster verloren auf das Treiben der Menschen auf der Straße zu schauen und in der Küche dem Mädchen geschickt und flink zu helfen.

Ein junger Assessor, der ein Untergebener ihres Vaters war, kam öfters ins Haus. Sie hatte ihn sich verstohlen oft angesehen und sich auch wohl gefragt, ob sie mit ihm am Arm in eine Gesellschaft gehen möchte, er war ein kurzgewachsener Mann, dem man ansah, daß er einmal eine gewisse Körperfülle bekommen werde, er hatte schon eine leichte Glatze und seine Augen hinter den scharfen Brillengläsern zwinkerten etwas. Sie verglich ihn mit ihrem hohen schlanken Vater mit seinem scharfgeschnittenen Gesicht und schüttelte sich, dann lachte sie.

An einem Tage hörte sie zufällig ein Gespräch zwischen dem Vater und dem Assessor. Sie halte in der Nebenstube gesessen und hatte sich nicht rechtzeitig bemerklich machen können; sie verstand auch nicht alle Sätze, durch das Gefühl aber wußte sie, daß von ihr selber die Rede war. Ihr Vater sagte, der andere wisse, wie sehr er ihn schätze, er werde ihm nichts in den Weg legen, er solle sich mühen, zu erringen. Was der andere erringen sollte, verstand sie nicht. Sie lief schnell aus dem Zimmer und schlug hastig die Tür hinter sich zu, nachher dachte sie, die beiden müßten doch gemerkt haben, daß sie gelauscht.

Sie saß mit ihrer Mutter. Die Frauen hatten jede eine Näharbeit vor, die Mutter spürte, daß Anna etwas ans dem Herzen trug, Anna sprach über gleichgültige Dinge und suchte das Gespräch scheinbar zufällig in die Nähe der Fragen zu bringen, auf die sie gern Antwort gehabt hätte. Halb belustigt, halb gerührt sah die Mutter auf die emsig Nähende, die so schlecht verbergen konnte, was sie empfand. Sie sagte, die Ehe sei für die Frau, was für den Mann der Beruf, man dürfe nicht glauben, wie die gemeinen Menschen annehmen, daß man heirate, um ein besonderes und unerhörtes Glück zu genießen; sondern man müsse seine göttliche Bestimmung erfüllen, und wenn man das mit rechtem Herzen tue, dann werde auch das scheinbar Schwere leicht und man erhalte die Ruhe und Heiterkeit des Gemütes, welche die guten Menschen haben.

Die Tränen stiegen Anna in die Augen. Sie legte ihre Arbeit fort, kniete vor ihrer Mutter, schlang ihre Arme um sie und verbarg in ihrem Schoß das Gesicht. Die Mutter strich ihr zärtlich über den Kopf und sagte leise: »Das Leben ist heute schwer für die Guten, aber du hast ein tapferes Herz, nicht wahr?« Anna verstand nicht recht, was die Mutter meinte, aber sie nickte stumm mit dem Kopf, denn das Schluchzen hätte ihre Stimme erstickt, wenn sie hätte sprechen wollen.

Ein früheres Dienstmädchen, welches lange im Hause gewesen, hatte in der Stadt geheiratet, in welcher Annas Eltern lebten. Es bestanden noch immer Beziehungen zu der treuen Dienerin; der Präsident war Pate zu dem ersten Kind; die Frau kam zuweilen, erzählte von ihren Schicksalen, fragte nach Fräulein Anna und ging dann mit allerhand Geschenken von der Art, wie in solchen Verhältnissen üblich sind. An einem Tage besuchte Anna die Frau.

Sie fand sie in einem sauberen Mansardenstübchen; in der einen Ecke stand der Gebrauchstisch, an dem gegessen wurde, weißgescheuert, mit zwei Küchenstühlen untergeschoben; polierte Möbel aus Nußbaum waren mit gehäkelten Decken belegt; an der Wand hing über dem Sofa zwischen zwei bunten Alpenlandschaften ein Bauer mit einem hüpfenden Kanarienvogel; vor dem Fenster war ein Thron, auf welchem die Frau an der Nähmaschine saß, indem sie an einem Kleidchen für das jüngste Kind arbeitete; auf den gescheuerten Stubendielen spielten die beiden ältesten Kinder mit einem hölzernen, längst seiner Wolle beraubten Schäfchen, das einst Anna gehört hatte.

Anna mußte sich auf das Sofa setzen, mußte wieder aufstehen und Hut und Mantel ablegen, die gute Frau rannte in die Küche und stellte Wasser auf für Kaffee, rannte dann wieder zurück, dachte plötzlich an ihre Küchenschürze, lief wieder aus der Stube und band die ab; der Kanarienvogel schmetterte in die Verwirrung seinen Gesang; endlich aber überwand sie die Verlegenheit, lachte über sich selber, freute sich des Besuches, nahm Annas Hände zwischen die ihrigen und drückte sie; die Kinder standen daneben, den Finger im Mund; das älteste suchte etwas zu erzählen von dem Schaf, konnte aber mit den Worten noch nicht fertig werden, und so entstand denn eine heitere und glücklich-ruhige Stimmung.

Die beiden sprachen miteinander, und die Frau fühlte, was Anna bedrückte. Über ihr offenes Gesicht flog eine Röte; aber dann bezwang sie sich und erzählte. Sie fühlte, daß ihre Erzählung Anna nützen konnte.

Ja, da war ein Zuschneider gewesen in einem großen Geschäft, der sehr viel verdiente, er hatte erzählt, daß er sich auf sechstausend Mark stehe im Jahr. Der sagte, daß sie sich gleich selber ein Dienstmädchen halten sollte; und sie brauchte morgens nicht aufzustehen, der Kaffee würde ihr ans Bett gebracht, und er hatte sich auch schon viel gespart und wollte sich einmal selbständig machen; da hätte sie in den Glückstopf gegriffen. Und er war auch ein guter Mensch, er hatte nichts Rohes und Gemeines, er war immer manierlich, und sie hätte es gut gehabt bei ihm. Aber wo die Liebe nicht spricht, da ist es so komisch. Er ging doch immer fein angezogen, aber er hatte so etwas an sich, wenn er lachte; er machte immer »hihi«, und es war nun eben so, daß das Herz nicht sprach. Er war sehr traurig, daß es nichts wurde, und sagte zuletzt: »Fräulein, Fräulein, Sie werden es noch bereuen, so gut wird es Ihnen nicht wieder geboten.« Er hatte sie wirklich lieb gehabt, und deshalb sagte er zuletzt, nun wolle er auch nicht mehr hier in der Stadt bleiben, denn das könne er nicht, wenn er vielleicht sehen sollte, daß sie mit einem andern gehe, und lieber wolle er seine gute Stelle aufgeben und anderswohin ziehen.

Nun machte sie eine Pause und erzählte, daß der junge Mann nach Berlin gegangen sei, und da habe er sich dann nachher auch verheiratet, und habe ihr das Bild geschickt, auf dem er mit seiner jungen Frau war, und habe ihr dabei geschrieben, seine Frau sei sehr gut, ordentlich und fleißig, aber sie könne er doch noch nicht vergessen. Sie habe weinen müssen, so sei der Brief gewesen, und sie habe ihn lieber ihrem Mann nicht gezeigt, denn wer weiß, was ein Mann sich schließlich alles denkt.

Sie mußte sich etwas überwinden, ehe sie weiter erzählte, deshalb sprach sie auch noch so viel von dem Zuschneider. Aber nun bezwang sie sich und erzählte von ihrem jetzigen Mann. Der war Tischler in einer großen Fabrik; er war jahrelang an derselben Stelle gewesen, und der Herr vertraute ihm alles an. Er ging immer am Haus vorbei, und sie wußte, wann er kam, und stand dann jedesmal hinter dem Fenstervorhang, um ihn heimlich zu sehen. Er war in einem Gesangverein, dem auch ihre Verwandten angehörten; das wußte sie, und deshalb bat sie ihren Oheim, er solle sie doch einmal am Sonntagabend mitnehmen, wenn Kränzchen wäre, und so wurde das nun verabredet, daß sie die Verwandten abholen sollte, und nun fing sie es so an, daß sie spät kam, und daß schon alles besetzt war, wie sie in den Saal traten; sie sah sich um, und da saß ihr späterer Mann allein an einem Tisch, und die anderen Plätze waren noch frei, da zog sie die Tante zu dem Tisch, und der Onkel fragte um Erlaubnis, ob sie hier Platz nehmen dürften, der junge Mann antwortete sehr höflich, und so setzten sie sich denn und kamen ins Gespräch, und der junge Mann wurde mit ihnen bekannt. Sie sah wohl, daß er heimlich nach ihr schielte, aber sie wendete sich so ab, daß er ihr Gesicht nicht sah und sprach mit der Tante, indessen er mit dem Oheim ein Gespräch über Politik führte.

Nun veranstaltete der Verein am nächsten Sonntag einen Ausflug mit der Bahn. Die Verwandten wollten nicht teilnehmen, der junge Mann fragte, ob sie nicht allein kommen werde; sie erwiderte, das sei doch nicht möglich, da sie nicht Mitglied sei und es passe sich auch nicht, da sie seinen Anschluß habe; aber er redete ihr zu und sagte, er habe das Recht, auf seine Mitgliedschaft eine Dame mitzubringen, und die Verwandten redeten gleichfalls zu und sagten, daß viele von ihren Freunden an dem Ausflüge teilnähmen, denen sie sich anschließen könne. Dann sagte sie, daß sie kein helles Kleid habe, und als die Tante einwarf, daß sie doch den Stoff für ein helles Kleid besitze und es sich noch ganz gut nähen könne, da wendete sie ein, daß sie nicht wisse, ob es ihre Herrschaft erlaubte, und so machte sie noch verschiedene Ausflüchte, bis sie endlich versprach, sie wolle sich mühen, daß sie die Hinderungen entferne, aber sie könne noch nicht sicher sagen, ob sie kommen werde.

Nun schnitt sie sich ihr neues Kleid zu und nähte abends, wenn sie mit ihrer Arbeit fertig war, und nähte bis in die Nacht hinein; und das Kleid war wunderschön, es waren ganz kleine Rosenknospen auf weiß darauf gedruckt, und in der Mitte trug sie einen schwarzen Samtgürtel mit einem echten Schloß, es war schon am Donnerstag fertig, und sie zeigte es ihren Freundinnen, und die hatten ja nun wohl gemerkt, daß etwas war, und fragten sie nach ihm und bestürmten sie, und sie konnte doch gar nichts erzählen. Die Freundinnen waren aber auch im Verein, und deshalb verabredet sie sich mit denen und sie gehen zusammen zur Bahn, und es ist ein wunderschöner Tag im Juni, der Flieder blühte wie er noch nie geblüht hatte, und die jungen Männer sehen sich nach ihr um, denn ihr Kleid war wirklich geschmackvoll. So setzen sie sich nun zu dreien allein in ein Abteil, und sie selber setzt sich in die Ecke an der Tür und zieht den Vorhang vor das Gesicht, daß sie von außen nicht zu erkennen ist; die andern sagen, das tut sie, um ihren Schatz zu ärgern, aber es war auch, daß ihr die Sonne gerade in die Augen schien. Da kam er gerade an, er hatte einen Blumenstrauß in der Hand, und nun ging er am Zug entlang und sah in jedes Abteil. Sie schämte sich, und er wollte auch wirklich vorübergehen, da riefen ihm die Freundinnen zu: »Hier ist sie,« denn sie hatten gleich gemerkt, daß er es war. So stieg er denn ein, gab ihr den Blumenstrauß, und sie war zuerst sehr verlegen, aber dann unterhielten sie sich alle gut.

Und so ging es nun weiter, er hatte ja seinen guten Verdienst und sie beide hatten gespart, und so konnten sie heiraten, und er war ein guter Mann für sie, er war ein sehr strenger Mann, vor dem sie Furcht hatte, aber er kannte nichts als seine Familie, die ging ihm über alles. Jeden Sonnabend brachte er sein Geld nach Hause und behielt nichts für sich übrig, wie so viele tun, die der Frau nicht den dritten Teil des Lohnes geben, und dann wurde ausgerechnet und eingeteilt, und was gespart werden konnte, das mußte sie immer gleich Montag auf die Sparkasse bringen.

Anna hatte mit gesenktem Haupt zugehört. Nun war aber inzwischen der Kaffee fertig geworden, und es wurde ein reines glänzendes Mundtuch über den runden Tisch gebreitet, der Kaffee aufgestellt, Semmeln mit Butter geschmiert, und sie mußte mit der guten Frau essen und trinken.

Was die Mutter gesagt und was die Frau erzählt, das ging ihr immer im Kopf herum; sie wußte nicht, was sie tun sollte und hatte deshalb Angst. Aber nun war ihr Verehrer einmal mit ihr allein im Zimmer und sprach etwas, sie wußte nicht, was; und plötzlich fühlte sie, daß sie verlobt war, er umarmte sie und küßte sie auf die Stirn, und in ihren Augen standen Tränen.

Als sie verheiratet war, da dachte sie einmal über alles nach und verglich sich mit andern Mädchen und Frauen. Es wurde ihr klar, daß sie es gut hatte, denn sie konnte doch für ihren Mann sorgen.


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