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Die Kameradschaft der Rivalen

In einer größeren Druckerei war ein Setzer namens Hofmann beschäftigt, ein Mann etwa Mitte der Zwanzig, der bei seinen Mitarbeitern und Vorgesetzten als ein tüchtiger Mann galt. Er hatte immer zurückgezogen gelebt, denn er war ein stiller Mensch und las gern, und so hatte er sich eine hübsche Summe erspart. Nun dachte er zu heiraten und die Ersparnisse zum größten Teil auf den Kauf der Wohnungseinrichtung zu verwenden.

Seine Braut war als Falzerin beschäftigt. Sie hatte schon immer in einer Druckerei gearbeitet, ehe er sie gekannt; seit er mit ihr verlobt war, lag er sie an, ihre Arbeit aufzugeben und bei ihren Eltern zu Hause zu bleiben, wo sie ja denn vielleicht Mäntel oder Schürzen nähen könne; aber sie schlug ihm den Wunsch ab, indem sie sagte, zu Hause sei es ihr zu langweilig und sie wolle sich bei der gutbezahlten Arbeit noch einige Groschen verdienen, denn sie habe die Absicht, sich einen Pelzmantel zu kaufen, der vierhundert Mark koste. Der Bräutigam könne unbesorgt sein, sie sei nicht so eine, die sich mit jedem abgibt; sie sei nun verlobt, und das sei etwas Sicheres, und sie wisse wohl, was die Männer haben wollen, wenn sie einem Mädchen schön tun.

Der Sohn des Besitzers der Druckerei war nach Hause zurückgekommen und war mit im Geschäft tätig, das er später einmal übernehmen sollte. Er war in England und Amerika gewesen und hatte dort viel in seinem Gewerbe gelernt, so daß die Männer in der Druckerei mit Achtung von ihm sprachen.

Die Braut Hofmanns, sie hieß Elsa, stand an der Ecke des großen Tisches, auf dem gefalzt wurde, und der junge Herr mußte oft an ihr vorbeigehen. Es spann sich zwischen den beiden, ohne daß es wenigstens dem jungen Herrn bewußt wurde, ein Band sinnlichen Gefühls, das Mädchen war mittelgroß, wohl gebaut, hatte etwas lässige Bewegungen, die dabei durchaus nicht etwa schlaff waren, wiegte sich leicht in den Hüften, und schlug die Augen in eigentümlicher Weise auf, nicht etwa auffällig, doch so, daß der andere sich ungewollt mit ihr beschäftigen mußte; es ging ein besonderer Reiz von ihr aus, der leicht beunruhigte; und der Reiz machte sich vor allem bemerkbar, wenn der junge Herr vorüberging, selten bei einem andern Mann.

Sie mußte dem Herrn einen Bogen in die Schreibstube bringen, wo er allein vor seinem Pult stand. Sie hatte den Bogen, der noch feucht war, in beide Hände genommen und legte ihn auf das Pult; dabei streifte sie den Herrn, der etwas zurückgetreten war und die Feder in der Rechten behalten hatte. Er legte den linken Arm um sie und zog sie an sich, sie löste seine Hand langsam, sah mit eigentümlichem Blick zu ihm hin, trat einen Schritt zurück und sagte: »Ich wollte fragen, ob es so bleiben kann.« Er sah flüchtig auf den Bogen, nahm ihn hoch und betrachtete ihn unter einem ganz spitzen Winkel, dann fragte er das Mädchen, wie lange sie schon in der Druckerei arbeite. Sie antwortete langsam. Er fragte, ob sie schon einen Schatz habe, sie lachte leise und sagte: »Die Kirschen blühen.« Da wollte er sie wieder ergreifen; aber sie wand sich lachend los, und ehe er es sich versah, hatte sie die Schreibstube verlassen.

Der junge Mann ärgerte sich nachher über sich selber, denn er sagte sich, daß er in seiner Stellung mit dem Mädchen nicht anbändeln durfte, weil sonst die Autorität verloren ging. Wenn er mit Freunden zusammen war und über die Liebe gesprochen wurde, was ja denn sehr häufig geschah, dann pflegte er die Ansicht zu vertreten, für den vernünftigen Mann gebe es nur zwei Arten von Weibern. Die eine heiratet man, die andere: fünf Mark und dann raus! Alles, was dazwischen lag – Hand weg! Hat man mehr Scherereien, als die ganze Geschichte wert ist.

Nun, im Fall von Elsa wurde er seinen Grundsätzen untreu. Er begann ein Verhältnis mit ihr.

Als ihr Bräutigam sah, was vor sich ging, da machte er ihr Vorhaltungen. Sie erwiderte, noch sei sie nicht seine Frau und könne tun, was sie wolle; die Jugend vergehe schnell und deshalb müsse sie genießen, was sich ihr biete. Hofmann sagte, er habe nicht gefragt, was vorher gewesen sei; aber wenn sie seine Braut sei, so müsse sie sich danach halten. Und indem dergestalt die beiden hin und her redeten, kam es zum Bruch zwischen ihnen. Hofmann mochte nicht mehr an dem Ort arbeiten, wo er täglich mit Elsa zusammenkommen mußte; er kündigte und suchte Arbeit bei einer andern Druckerei, indessen Elsa trotzig erklärte, sie habe niemandem etwas zugefügt, sie habe ein gutes Gewissen, sie sehe nicht ein, weshalb sie gehen solle, sie könne sich an ihrer Arbeitsstelle immer sehen lassen.

Der junge Herr erfuhr alles und machte ihr gleichfalls Vorhaltungen. Er sagte ihr, sie habe nun eine Versorgung gehabt, die habe sie sich verscherzt; wenn sie ihm gesagt hätte, daß sie verlobt sei, dann hätte er sie nicht angerührt, denn das sei ein Grundsatz bei ihm. Elsa erwiderte, Hofmann möge sich wohl eingebildet haben, daß sie seine Braut sei, aber für den sei sie doch zu gut, sie wolle höher hinaus. Der junge Mann wurde unruhig; sie merkte das und fragte lachend: »Ach, du überlegst dir wohl, wie du mich wieder los wirst?« Er nahm seinen Mut zusammen und erwiderte, für ewig sei ihr Verhältnis ja doch nicht gemeint. Da warf sie sich an seine Brust, küßte und schmeichelte ihm.

In diesen Zustand kam die Erklärung des Krieges, Hofmann wie sein früherer Herr wurden eingezogen. Sie kamen in dieselbe Kompagnie.

In den ersten Wochen des Krieges ging jene merkwürdige Bewegung durch das ganze Volk, in welcher sich alle verbrüdert fühlten, wo denn die Menschen einander Dinge sagten, die sie sonst nie gesagt hätten.

Der junge Buchdruckereibesitzer war befangen gegenüber Hofmann. Hofmann sagte zu ihm, es sei nötig, daß sie sich einander aussprächen über das Geschehene, damit nichts zwischen ihnen stehe, denn sie seien doch nun Kameraden. Und dann begann er, daß er zuerst einen heftigen Groll gehabt habe, und wenn er in dem Augenblick, als er die Entdeckung gemacht, vor dem andern gestanden, so hätte er ihn totschlagen können. Denn er wisse wohl, daß dem die Liebschaft eigentlich nicht mehr sei, als ob er ein Butterbrot esse. Aber dann habe er sich bedacht, daß Elsa kein Kind sei, sondern eine erwachsene Person, und wenn sie den andern vorgezogen, so sei das ihr freier Wille gewesen. Und das habe ja nun freilich weh getan, daß sie den andern vorgezogen, bei dem sie doch nicht versorgt war, und der eigentlich keine Liebe zu ihr hatte, aber nachher habe er sich gesagt, wenn sie denn so eine sei, der ein seiner Anzug und Ringe an der Hand wichtiger seien wie alles andere, so solle sie nur laufen, wohin sie wolle, dann sei es nur gut, daß das sich noch rechtzeitig gezeigt habe.

Der andere sagte einige gewundene und gedrehte Sätze. Hofmann erwiderte ihm ruhig, er wisse wohl, was der andere fühle. Der habe immer die Vorstellung gehabt, daß er etwas Besseres sei wie ein Arbeiter, und wenn man sehe, wie liederlich die Frauen und Mädchen in den Fabriken oft sind, so könne er das wohl verstehen, und er selber, wenn er Bourgeois wäre, und eine Arbeiterin hätte sich ihm an den Hals geworfen, hätte wahrscheinlich ganz genau so gedacht. Hier atmete der andere auf, drückte ihm die Hand und sagte: »Unter Männern, nicht wahr, weshalb soll man sich denn der Weiber wegen feind werden, es gibt ja genug.« Hofmann erwiderte, so habe er es ja nun wohl nicht gemeint, denn wenn man auch ein Mensch sei und unrecht handle, so müsse man das doch immer einsehen, und unrecht habe er doch an dem Mädchen gehandelt. –

Es war ein gefährlicher Gang nötig, für den Freiwillige aufgefordert wurden. Hofmann trat vor, der andere folgte ihm zögernd. Es meldeten sich noch viele Leute, aber der Hauptmann wählte die beiden aus, weil sie die ersten gewesen waren.

Sie gingen in der Nacht, außerhalb der deutschen Stellung warfen sie sich auf die Erde und krochen; sie kamen an die feindlichen Gräben, erkundeten, was ihnen aufgetragen war, und krochen wieder zurück. Als sie auf halbem Wege waren, stiegen Leuchtkugeln auf; sie hatten gerade keinerlei Deckung und wurden gesehen; eine heftige Beschießung erfolgte. »Aufstehen und rennen,« rief Hofmann dem anderen zu, der aber antwortete stöhnend, daß er einen Schuß erhalten habe. Hofmann kniete nieder, nahm die Arme des anderen über die Schultern, ermahnte ihn, sich mit Armen und Knien festzuhalten, stand auf und lief keuchend mit seiner Last weiter. Sie kamen in ihrem Graben an, da stürzte Hofmann hin; er war selber verwundet.

Die beiden wurden verbunden, der Hauptmann fragte sie aus, sie wurden ins Lazarett geschafft, die Verwundungen beider waren tödlich.

»Ich hätte nicht mehr so leben können, wie ich gelebt habe,« sagte der Buchdruckereibesitzer. »Aber es ist gut, daß ich sterbe, denn ein anderer Mensch konnte ich auch nicht werden, ich bin nicht danach beschaffen.«


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