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Der Dussek

Der Nierenwald gehörte am Anfang des achtzehnten Jahrhunderts einem Grafen von Heym, der ein großer Liebhaber der Jagd war. Der Wald war durch räuberische Überfälle verrufen. Es wurde dem Grafen wohl gesagt, er müsse Leute aufbieten und ihn säubern, aber er erwiderte dann immer, seinetwegen brauchten die Bürger nicht durch seinen Wald zu gehen, und er habe keine Lust, sein Wild vergrämen zu lassen.

Ein Fleischergeselle übernachtete in einem Wirtshaus, das am Eingang des Waldes stand und erzählte dem Wirt, daß er am andern Morgen früh aufbrechen müsse und durch den Wald gehen wolle; er habe für seinen Meister eine Zahlung zu machen. Dabei warf er eine schwere Geldkatze auf den Tisch und prahlte, daß sie an zweihundert Gulden enthalte. Der Wirt schüttelte den Kopf und warnte ihn; außer den beiden war nur noch ein Mönch in der Wirtsstube; und der Wirt sagte, er solle froh sein, daß nur zuverlässige Leute seine Prahlerei gehört haben, denn im Walde sei es nicht geheuer, und man könne nie wissen, ob nicht die Räuber ihre Helfershelfer in den Wirtschaften am Rande des Waldes halten, die ihnen von Wanderern mit Geld Nachricht geben. Der Mensch lachte und sagte, ihm solle nur ein Räuber kommen, er wisse schon, wie er ihn aufnehmen solle. Dabei streichelte er seinen großen gelben Fleischerhund, der neben ihm lag; der Hund sah zu ihm hoch und klopfte mit dem Schwanz auf den Boden.

Der Mönch bat den Gesellen am andern Morgen, ob er sich ihm auf seinem Wege anschließen dürfe, und der Mann antwortete lachend, wenn er sich vor so einem armen Kerl von Spitzbuben fürchte, der vor Hunger nicht ... könne, so wolle er ihn mit beschützen.

Die Geldkatze war aus Leder, mit schönen grünen, blauen und roten Lederstückchen verziert, lustig bestickt, und mit blanken Messingbeschlägen versehen. Der Mönch sah sie sich an und freute sich über die schöne Arbeit, und der Geselle erzählte, was sie gekostet hatte, denn ein ordentlicher Fleischergeselle hält darauf, daß er eine gute Geldkatze hat, damit er nicht bei seinem Meister zu borgen braucht. So kamen denn die beiden ins Gespräch und gingen. Und nachdem sie einige Stunden im Wald gegangen waren, sagte der Geselle: »Nun ist es Frühstückszeit, der Magen will sein Recht.« Die beiden setzten sich auf die trockenen Buchenblätter, und jeder holte vor, was er in der Tasche hatte. Der Fleischer sah mitleidig auf den Schnappsack des Mönchs, dann hielt er ihm seinen Kober hin und sagte: »Iß, das ist fette Rotwurst, reines Gut, die kann jeder mit Appetit essen.« Der Mönch machte Gegenworte, aber der Geselle schnitt ihm ein spannenlanges Stück ab, schnitt dazu einen Runken Brot und schob ihm beides auf der Klappe des Kobers zu. Die beiden machten sich ans Essen; der Geselle zog einen Buddel Schnaps vor und sprach: »Auf die fette Ware gehört sich ein ordentlicher Schluck«; damit trank er dem Mönch zu; dieser nahm den Buddel, und der Fleischer fuhr ermutigend fort: »Davon kriegt einer keine Läuse in den Bauch.«

Die beiden aßen mit den Taschenmessern, indem sie von ihrem Brot abschnitten und die Wurst aus der Schale herausgruben. Der Hund lag zu ihren Füßen und paßte; wie der Geselle fertig war, warf er ihm die zusammengedrückte leere Schale zu, und der Hund schnappte sie in der Luft auf.

»Kamerad,« sagte der Mönch, »du hast mir ja noch gar nicht gesagt, was du machen willst, wenn Räuber kommen.« »Mit zweien nehme ich es auf,« erwiderte der Fleischergeselle. »Mein Hund stellt den einen, und für den andern habe ich meinen Dussek hier umgeschnallt. Der schlägt Knochen glatt durch. Willst du glauben oder nicht, wenn ich hier ein Kalb habe, dem schlage ich den Kopf ratsch ab mit dem Säbel.«

Der Mönch wollte den Säbel sehen und der Fleischer zog ihn aus der Scheide. »Der Dussek, das ist das Richtige für den Fleischergesellen,« sagte er. »Im Griff ist Blei. Schwing ihn mal, wie der zieht.« Der Mönch nahm den Säbel und schwang ihn, der Hund hatte sich auf die Hinterbeine gesetzt, der Fleischer lag behaglich, die Hände unterm Kopf; beide sahen dem Mönch zu, wie der den Säbel schwang. Plötzlich holte der Mönch weiter aus, machte einen Schritt auf den Hund zu und schlug dem mit einem Schlage den Kopf ab.

Der Fleischer sprang auf. Der Mönch schrie ihn an: »Die Katze her!« Der Geselle stand niedergeschlagen da, und die Tränen rollten ihm aus den Augen. »Mach schnell!« schrie der Mönch und schwang drohend den Dussek. Zögernd löste der Bursche die Schnallen. Plötzlich hielt er inne und sagte: »Ich kann mich bei meinem Meister nicht wieder sehen lassen, denn der glaubt mir doch nicht, daß ich starker Kerl mich nicht habe wehren können. Mein ehrlicher Name ist hin. Es tut mir nur um meine Eltern leid, die können ja nicht mehr auf der Straße gehen, dann zeigt jeder auf sie und sagt: »Das sind die Eltern von dem Spitzbuben, der seinem Meister mit dem Geld durchgegangen ist.«

»Ja, unsereins kann ja manchmal vor Hunger nicht ..., aber dafür haben wir Grütze im Kopf,« sagte der Räuber, »mit so einem klugen Fleischergesellen werden wir immer noch fertig.«

Seufzend löste der Bursche die Geldkatze völlig. Wie er sie dem Räuber reichte, sagte er: »Du hast doch mit mir gegessen und getrunken, eine Liebe kannst du mir wenigstens antun. Hier lege ich meinen Arm auf den Baumstumpf. Schlag zu, schlag mir die Hand ab; dann glauben sie zu Hause, daß ich mich gewehrt habe.« Der falsche Mönch antwortete lachend: »Wenn dir deine Hand nicht mehr wert ist, das will ich schon tun,« und warf die Geldkatze auf die Erde. »Aber hole ordentlich aus, daß es eine glatte Wunde gibt; ich bin ein armer Kerl und kann keine Kurkosten bezahlen,« fuhr der Fleischer fort.

Da stand ein fester buchener Stumpf; der Baum war im Winter geschlagen und lag noch neben dem Weg. Auf den Stumpf legte der Fleischer den Arm, der Räuber trat zurück, hielt den Dussek mit beiden Händen und holte aus. Aber wie er niederschlug, nahm der Fleischer schnell den Arm zurück, und während der Säbel tief in das feste Holz eindrang, daß er durch kein Rütteln wieder herauszuziehen war, stürzte er sich auf den andern, griff ihn mit Untergriff, warf ihn krachend auf die Erde, daß ihm die Rippen knackten und kniete auf ihm. Dann griff er in seinen Kober, den er gerade erreichen konnte und holte einen Kälberstrick vor. Mit dem schnürte er die Hände des Menschen zusammen; dabei rief er: »Keine Grütze im Kopf! Du willst einen Fleischergesellen für dumm verkaufen!« Der Kerl beklagte sich, daß er ihn zu fest schnüre. »Du sollst die Engel im Himmel pfeifen hören,« erwiderte der Fleischer. »Denkst du, unsereiner ist so dumm wie ihr und läßt einen wieder los, den er hat? Wir haben genug in den Kopf zu nehmen in unserm Geschäft.« Damit ging er von dem Menschen herunter, gab ihm einen Tritt und forderte ihn zum Aufstehen auf.

Der Räuber stand auf, der Geselle ließ ihn vor sich hergehen und führte ihn an seiner Kälberleine. So ging er mit ihm zu der Stadt, wo er seine Zahlung zu machen hatte; dort brachte er ihn erst auf das Gericht und lieferte ihn ab, dann besorgte er sein Geschäft und machte sich auf den Heimweg. Der Räuber wurde verurteilt und hingerichtet.

Der Dussek war in dem Buchenstumpf stecken geblieben. Als der Fleischer zurückkam, fand er ihn nicht mehr vor. Der Wildhüter hatte ihn gesehen, hatte sich von Hause Axt, eiserne Keile und Schröter geholt und hatte ihn freigemacht und zu Hause über seinem Bett aufgehängt.

Der Wildhüter lebte etwa in der Mitte des Waldes mit seiner Frau in einem einzelnen Haus. Die Leute hatten keine Kinder. Der Mann war aus der Fremde zugezogen, die Frau stammte aus einem Dorf in der Nähe des Waldes. Von dem Mann erfuhren die Leute in der Gegend nicht viel, die Frau kam alle hohen Festtage in ihr Dorf und besuchte ihre Schwester, die dort an einen Bauern verheiratet war, und zu deren einzigem Kind, einem Töchterchen, sie Pate gestanden hatte.. Sie weinte viel bei ihrer Schwester und sagte oft: »Du hast es gut bei deinem Mann«; aber wenn die andere fragte, ob sie zu klagen habe, dann schüttelte sie den Kopf und schwieg. Dem Kind brachte sie immer etwas mit, Kuchen, oder ein Würstchen, ein paar Hasenpfötchen, einen goldenen Ring, oder einen Apfel, und das Kind hing sehr an ihr.

Der Mann dieser Schwester kam mit dem damals zehnjährigen Kind an einem Abend bei dem Wildhüter an und bat die Schwäger um Nachtquartier. Er hatte eine große Summe Geld bei sich, die Ablösung einer Hypothek, das er in die Stadt bringen wollte. Die Schwägerin rüstete ihnen ein Abendbrot; es war ein Schinken angeschnitten, sie hatte verschiedene Würste, Butter und Brot. Der Bauer ermunterte das Kind, es solle ordentlich zulangen, es werde ihm bei der Tante gegönnt, dann rühmte er den saftigen Schinken und die Würste; er sagte, daß die Verwandten gut leben; freilich, sie brauchen nicht für die Kinder zurückzulegen. Die Frau seufzte und sprach: »Wenn ich eins hätte, und wenn es auch bloß ein Mädchen wäre, dann wollte ich gern eitel Brot essen.« »Jawohl, Kinder sind ein Segen,« erwiderte der Bauer. Der Wildhüter fragte nach dem Geld; er wunderte sich, daß der Bauer durch den verrufenen Wald gehen mochte; aber der andere erwiderte, bei ihm werde niemand Geld suchen, er habe mit keinem Menschen von seinem vorhabenden Wege gesprochen. Der Wildhüter sagte nichts und erhob sich schwer vom Tisch.

Am andern Morgen in der Frühe machte sich der Bauer auf, um weiterzugehen. Der Schwager war schon im Wald. Die Frau redete ihm zu, er solle das Kind bei ihr lassen, er könne es dann auf dem Rückweg wieder mitnehmen; als der Mann ablehnte, wurde sie dringender; der Mann wurde schwankend; aber da faßte ihn das Kind am Hosenbein und sagte ihm leise, es bitte, daß er es mit zur Stadt nehme. Die Frau weinte, als die beiden gingen. Unterwegs fragte der Vater die Kleine, weshalb sie nicht habe bei der Tante bleiben wollen, die ihr doch versprochen, sie wolle ihr Kuchen backen; sie wußte nicht, was sie erwidern sollte und sagte nur immer, sie wolle bei ihrem Vater sein.

Während die beiden so gingen, trat ihnen an einer Biegung des Weges plötzlich ein Mann mit einem Gewehr entgegen, legte an und schoß. Der Bauer fiel nieder. Das Kind schrie laut auf und lief fort. Sie hörte hinter sich her schreien und fluchen, aber sie lief immer weiter; dann hörte sie an dem Knacken der dürren Äste hinter sich, daß sie verfolgt wurde; da war ein niedriger, steiler Abhang zur Linken, sie ließ sich niedergleiten und schmiegte sich an den Boden an; der Verfolger lief ein paar Schritte neben ihr weiter, ohne sie zu sehen. Nach einer Weile, als alles ruhig war, stand sie leise auf. Sie wußte, in welcher Richtung das Haus der Tante lag und lief nach Leibeskräften, um es zu erreichen.

Auf dem freien Platz vor dem Haus ging die Tante mit großen Schritten auf und ab und fuchtelte mit den Händen in der Luft. Als sie die Kleine ankommen sah, lief sie ihr entgegen, nahm sie in die Arme, küßte sie und trug sie ins Haus. Das Kind konnte vor Schluchzen und Entsetzen nichts erzählen, die Tante sagte ihr, sie solle schweigen, zog ihr die Kleider aus und legte sie ins Bett. Dann ging sie in die Küche, kochte ihr Lindenblütentee und brachte ihr einen Topf voll mit einer Tasse.

Der Wildhüter kam nach Hause, das Kind hörte, wie er die Tür zuschlug, wie er fluchend mit schweren Schritten ins Wohnzimmer ging; er schrie wütend allerhand, die Frau suchte ihn zu beruhigen; plötzlich wurde dem Kind aus den Worten klar, daß er es gewesen, der den Vater erschossen hatte. Da hörte sie auch, wie er den geraubten Geldsack auf den Tisch warf. Der Oheim erzählte, wie er im Versteck gelegen, wie der Vater gleich gefallen, wie das Kind fortgelaufen sei; die Tante suchte ihn immer zu beruhigen, daß er leise redete; sie weinte, und er schimpfte auf sie wegen ihrer Tränen. Er wollte in die Kammer gehen, sie suchte ihn abzuhalten; er schritt auf die Tür zu, sie stellte sich vor die Tür. Das Kind in der Kammer hatte sich eilig angezogen, soweit es konnte; das Fenster war niedrig, und es konnte aus dem Fenster springen. Da ging aber die Tür schon auf, und der Oheim stand vor ihr. Schnell lief er zurück in die Stube und holte sein Gewehr. Er hatte es verkehrt gefaßt und brüllte laut, er wolle dem Bankert mit dem Kolben das Maul stopfen. Die Tante aber war ihm zuvorgekommen. Sie hatte das Kind unter das Bett gestoßen und stand dem wütenden Mann gegenüber, in beiden Händen den schweren Dussek, den sie vom Nagel über dem Bett gerissen.

Der Mann schlug blind zu; die Frau wich zurück, der Schlag ging ins Leere und zog den Mann vornüber. Da schrie die Frau: »Nun hilf mir, Gott, gegen den Bluthund« und hieb mit dem Dussek auf ihn ein. Sie hackte ihn schräg am Kopf überm Ohr; der Mann taumelte und stürzte; er atmete ein paarmal schwer, dann verdrehte er die Augen und war tot.

Nun holte die Frau das Kind unterm Bett vor. Sie nahm es in die Wohnstube, setzte es sich auf den Schoß und weinte. »Ich habe es geahnt,« sagte sie, »deshalb wollte ich dich nicht fortlassen.« Sie küßte das Kind heftig, das Kind wurde ängstlich. Sie machte ihm ein Lager auf der Erde und legte es, und das Kind schlief gleich ein.

Als das Kind aufwachte, da war der Tote fortgeschafft, die Kammer war frisch gescheuert, die Betten glatt gestrichen; das Gewehr hing an seiner Stelle hinter der Stubentür und der Dussek überm Bett.

Die Tante sprach lange mit dem Kind. Sie sagte ihm, daß es verständig sein müsse und niemandem etwas sagen dürfe von dem, was geschehen sei, denn die Schande würde über die ganze Familie kommen. Sie werde jetzt immer mit der Mutter zusammenleben und werde ihm jede Woche Kuchen backen.

Das Kind schlug die Ärmchen um sie und schluchzte. Sie sagte, sie habe alles verstanden und wisse alles, wie es gewesen.

Der Tote im Walde wurde gefunden; man konnte nichts über den Mörder erfahren. Der Wildhüter war verschollen. Nach einiger Zeit zogen die beiden Frauen zusammen; das Kind hat nie über die Erlebnisse gesprochen.


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