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Geprüfte Liebe

In Paris lebte in der letzten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts ein junger Maler namens Monnier, von welchem seine Genossen und Freunde erwarteten, daß er in Zukunft einmal recht berühmt werden würde. Er hatte einen Gönner in einem desgleichen jungen Herzog gefunden, der sich seines Lebens freute und die Kunst liebte als die Verschafferin von Freude und Glück.

Der Herzog hatte das alte Märchen von Eros und Psyche gelesen und mit so tiefem Sinn erfaßt, als es seinen Jahren und Gaben angemessen war. Als Monnier ihm einmal seine Aufwartung machte, wie er das nach Schuldigkeit öfter tat, da erzählte er ihm von seinem Eindruck und trug ihm auf, ein Bild der Psyche zu malen, wie sie nachts unbekleidet vor dem Lager des Eros steht und den bis dahin ungesehenen Geliebten mit der Lampe neugierig, schüchtern und beglückt überleuchtet.

Monnier fühlte aus der kurzen Erzählung des Herzogs, trotzdem der nicht die richtigen Worte fand, doch die Bedeutung der Geschichte und die Gestalt der Psyche, er faßte seine Aufgabe mit Freude und Begeisterung, indem er sich dachte, wie der Schein der Öllampe auf dem jugendlichen Körper, wie die rosig durchleuchteten Finger, das verschwimmende Dunkel des Zimmers, wie das schöne, so Verschiedenartiges ausdrückende Gesicht, der reine und keusche Leib, wie alles andere zu malen sei, das er darstellen mußte. Er wußte, daß er hier alles mit seinem Gefühl beleben konnte, das Lager selbst und die Wand, denn es war ihm plötzlich klar, was Lager und Wand bedeuteten für das Bild, und er erschrak zugleich, als er an seine früheren Bilder dachte, bei welchen er gar nicht auf den Gedanken gekommen war, daß man in solchen scheinbaren Nebensachen etwas sehen könne. Und da kam ihm dann der Zweifel: wenn nur seine Begabung und sein Können ausreichte für eine solche Arbeit! Er sah ein, daß seine früheren Werke ganz gewiß schlecht waren, daß er das nur nicht gesehen hatte, wie man ja immer nur sieht, was man hat malen wollen. Sein zuerst eiliger Schritt verlangsamte sich, es wurde ihm schwer zumute, seine Freude schlug um in Kummer, und eine grenzenlose Trauer trieb ihm Tränen in die Augen. Er trat in den Torweg eines Hauses und wischte sich verstohlen das Gesicht.

Während er so dastand, ging ein ganz junges Mädchen von vielleicht sechzehn Jahren mit schnellen Schritten an ihm vorbei. Er empfand fast nur die Bewegung, den jugendlichen und federnden Gang, der auf ein reines, schuldloses Gemüt deutete, plötzlich war aller Kummer verschwunden und er wußte, daß dieses Mädchen das Modell für seine Psyche war. Er folgte ihr gleich. Sie ging über den Hof, erstieg die Treppen und öffnete im obersten Stock mit dem Schlüssel eine Tür, durch welche sie in eine Wohnung trat. Monnier las auf dem Namensschild, daß hier eine Schneiderin wohnte. Er klopfte, eine Frau in mittlerem Alter öffnete und fragte höflich nach seinem Begehren. Er erwiderte, daß er einen Auftrag für sie habe und von Freunden an sie gewiesen sei.

Die Frau forderte ihn auf, in die Wohnung zu kommen. Sie führte ihn durch eine saubere kleine Küche mit blankem Kupfergeschirr über dem Herd in die Wohnstube. Das junge Mädchen stand in der Mitte des Zimmers; das Jäckchen hatte sie schon ausgezogen, auf einen Bügel getan und in den noch offenstehenden Kleiderschrank gehängt. Nun hielt sie beide Arme erhoben und löste mit den Händen die Nadeln aus dem Haar, welche den Hut festhielten. Sie erwiderte unbefangen und freundlich den Gruß Monniers, indessen die Mutter einen Stuhl holte und ihn zum Sitzen einlud.

Die wunderhübsche Stellung des Kindes, bei welcher die stolze Haltung des Köpfchens, der Halsansatz und die zierliche Gestalt recht zur Geltung kamen, erfreuten das Auge Monniers, aber er zwang sich zur Gleichgültigkeit, setzte sich und begann seine Rede, daß er für eine Schwester ein Kleid bestellen wolle, er sei in Verlegenheit gewesen, da sie in der Provinz wohne und er ihre Maße nicht besitze, aber eben sehe er das Fräulein, welche genau ihre Figur habe, so daß das Kleid, wenn es nach deren Maßen gemacht werde, passen würde. Die Mutter wiegte bedenklich den Kopf und erklärte, sie wolle ja den Herrn nicht beleidigen, und der Herr werde es gewiß verstehen, daß sie nur an ihn denke, an sich denke sie nicht, aber die Herren wissen doch nicht so Bescheid mit Frauensachen und es sei ihr schon öfters vorgekommen, daß ein Herr erscheint und sagt, er will seiner Frau eine Überraschung bereiten, und will ihr ein Kleid schenken, und nun soll Maß genommen werden bei einer Freundin, und das Maßnehmen gehe ja wohl schließlich noch zur Not, aber dann kommt das Anproben, und da ist ihr bis jetzt nun noch immer geschehen, daß die Damen nachher nicht zufrieden waren, weil das Kleid nicht saß, aber das war nicht ihre Schuld, denn bei der Dame, der es angeprobt wurde, hatte es gesessen, denn die Menschen sind ja zu verschieden. Die Kleine mischte sich auch in das Gespräch, indem sie hinter den Stuhl trat, auf dem die Mutter saß, und die Lehne mit den Händen festhielt, sie fand auch, daß die Menschen zu verschieden sind, und der eine bat diesen Geschmack, und der ist sehr gut, und der andere hat jenen Geschmack, und der ist auch sehr gut. Monnier hätte das nette Geschwätz gern weiter angehört, denn er konnte das ernsthafte Gesichtchen mit den hochgezogenen Brauen und die anmutigen Bewegungen der Arme und des Oberkörpers genau beobachten, aber die Mutter unterbrach und sagte, sie wolle ja niemandem Vorschriften machen, davon sei sie weit entfernt, und die Herrschaften seien ja verschieden, und sie sei Schneiderin, und was bei ihr bestellt werde, das mache sie, natürlich, wenn es nicht gegen ihr Gewissen gehe, denn manche Herrschaften gebe es, die auch nicht für einen Sou Geschmack haben und dann verlangen, man solle genau so arbeiten, wie sie vorschreiben, aber das tue sie nicht. Und unter solchen und ähnlichen Gesprächen holte sie denn Proben vor und zeigte die dem jungen Mann, und da dem gänzlich gleichgültig war, wie das Kleid aussehen werde, denn er hatte gar keine Schwester, so kamen sie beide bald überein.

Unterdessen aber hatte sich die Kleine auf ihren Stuhl am Fenster gesetzt, hatte das Nähstöckchen vor sich geschoben, eine Näherei auf ihm festgestellt und hatte begonnen, die Füße auf die Fußbank des Nähstockes gestellt, fleißig zu sticheln, indem sie mit der Linken einen Saum formte und mit der Rechten nähte. Nun konnte der Maler sich nicht mehr bezwingen, er dachte auch, schon vertraut genug geworden zu sein, denn er hatte die Preisforderung ohne Wimperzucken angehört; und so holte er Zeichenbuch und Stift aus der Tasche und zeichnete das sitzende Mädchen mit schnellen und treffenden Linien. Die Mutter verwunderte sich erst, trat dann hinter den Fremden und sah ihm über die Schulter, und endlich schlug sie in die Hände vor Erstaunen und rief ihrer Tochter zu, sie solle schnell kommen und sich das Bild ansehen, das der fremde Herr da zeichne. Der war nun glücklicherweise im Wesentlichen fertig, so daß die Störung des Modells seiner Arbeit nicht mehr schadete, und so ließ er denn die Ausdrücke der Verwunderung und des Lobes über sich ergehen, mit welchen die beiden Frauen freigebig genug gegen ihn waren.

Monnier erzählte von seinem Beruf, rechnete ihnen vor, was er im Jahre verdiente, sprach von den Herrschaften, welche Bilder bei ihm bestellten und vorzüglich von dem Herzog, und da die beiden Frauen ihm mit Begeisterung zuhörten, so erzählte er immer mehr. Wir wollen ja nicht gerade sagen, daß der gute Monnier eitel war und etwa aufschnitt, aber die Teilnahme und Verwunderung taten ihm doch wohl, daß er mehr sprach, als er sonst wohl getan hätte, denn er war doch auch noch ein junger Mann; er sagte sich dabei, daß es ja auch ganz gut sei, wenn er die beiden zutraulich mache, denn dann könne er seinen Plan ihnen später besser unterbreiten, diesen wollte er ihnen aber nicht gleich setzt vorstellen, sondern erst beim zweiten Besuch. So trennte er denn am Schluß das Blatt mit der Zeichnung vorsichtig aus seinem Buch und überreichte es mit einer höflichen Verbeugung Corisandren – denn diesen Namen hatte das junge Mädchen nach der tugendhaften Heldin eines rührenden Romans, welchen ihre Mutter gelesen, als sie geboren war – dann nahm er ein Goldstück aus seinem Geldbeutel und gab es der Mutter, indem er sagte, das zweite Goldstück bringe er in drei Tagen und das dritte, denn drei waren für das Kleid abgemacht, zahle er bei der Ablieferung, und damit erhob er sich, nahm seinen Hut und ging zur Tür, indessen die Mutter beteuerte, daß er ein anständiger Kunde sei, und daß es für sie keine größere Freude gebe, als für solche Kunden zu arbeiten.

Nach drei Tagen also kam er wieder, um die Entwicklung des Kleides zu betrachten und das zweite Goldstücks zu bezahlen. Er traf die Mutter allein, wie er beabsichtigt, denn er hatte die Ausgehzeiten Corisandrens erkundet, er besah mit Anerkennung, was ihm vorgelegt wurde und bezahlte, und dann brachte er mit Vorsicht das Gespräch auf seine Kunst und auf die Schwierigkeiten, gute Modelle zu bekommen. Da er bei diesem Übergang seine Zeichnung Corisandrens erwähnt hatte, so kam die Mutter, welche sich für Malerei und Modelle nicht weiter interessierte, auf das Lob ihrer Tochter zu sprechen, in das sie dann auch in bescheidener Weise das eigene Lob mit vermischte; sie sagte, daß das Kind ja wohl freilich keine Schönheit sei, wie sie selber ihrer Zeit gewesen, was man ihr denn ja wohl auch noch ansehe, trotz des vielen Kummers in ihrem Leben, aber sie sei tugendhaft, hierbei wischte sie sich eine Träne aus den Augen, und sei fleißig und ordentlich, und die Zeichnung habe sie im Heiligenleben aufbewahrt, und sehe sie immer an, und frage dabei nach ihm, Herrn Monnier, und sage, das tue ihr leid, daß er so mutterseelenallein stehe, und niemand bekümmere sich um ihn, denn die Aufwärterinnen, das wisse man wohl, sehen nur auf den eignen Vorteil, und so ein Mann muß doch seine Ordnung haben; so ein gutes Herz habe das Mädchen; und in dieser Weise redete die Mutter ohne Unterbrechung, und es wurde dem Maler sehr schwer, das Gespräch wieder an sich zu reißen. Als er es aber hatte, da dachte er, daß er nun gleich auf sein Ziel losgehen müsse, denn sonst komme er wieder ab, und so fragte er denn unvermittelt, ob ihm Corisandra nicht zu einem Bild sitzen könne.

Die Mutter erwiderte freundlich, das würde sie gern erlauben, und als Monnier weiter fragte, ob auch Corisandra einverstanden sein werde, da sagte sie, ihre Tochter sei so gut erzogen, daß sie alles tue, was die Mutter verlange. Nun dankte der Maler vielmals und sagte, daß er für die Mühe angemessen bezahlen werde, und daß die Sitzung bei ihm stattfinden müsse, weil hier in der Stube nicht das richtige Licht sei, und die Mutter war mit allem einverstanden und versprach, daß sie mit ihrer Tochter den nächsten Vormittag kommen wolle, denn das müsse sie sich natürlich zur Bedingung machen, daß sie immer zugegen sei, denn Corisandra dürfe nicht mit einem jungen Mann allein sein, denn sie sei aus guter Familie. Das aber war wieder für den Maler selbstverständlich, und so trennten sich denn die beiden mit den herzlichsten Händedrücken.

Also am andern Morgen kamen nun die beiden, der Maler half ihnen ihre Überkleider ablegen, die Mutter setzte sich auf einen breiten Stuhl mit Armlehnen und sah sich wohlwollend in der Werkstätte um, Corisandra trat harmlos lächelnd und bereitwillig auf eine Stufe, welche ihr der Maler vorher gezeigt hatte, und nun trat für Monnier denn die eigentliche Schwierigkeit ein.

Verlegen sagte er, daß das Fräulein das Kleid nicht anbehalten könne. »Ach, das ist wie beim Anprobieren,« rief sie, knöpfte das Jäckchen auf und legte ab, schnürte dann den Kleiderrock auf, ließ ihn fallen, trat aus ihm heraus und hängte beides an einen Nagel im Türpfosten. Als sie wieder an ihre Stelle zurücktrat, kamen ihr die nackten Arme plötzlich zum Bewußtsein, sie legte die Arme vor der Brust übereinander, machte einen runden Rücken und sah verlegen, mit gerötetem Gesicht, sich auf die Lippen beißend, zur Erde. Monnier ging zur Mutter, beugte sich über sie und sprach leise mit ihr, er stellte ihr vor, daß Corisandra sich ganz ausziehen müsse. Entrüstet stand die Mutter auf und rief der Tochter zu: »Zieh das Kleid wieder an.« Corisandra war ratlos und blickte von der Mutter auf den Maler, dieser redete immer auf die Mutter ein, sie erwiderte ihm heftig, er beschwor sie und rang die Hände, sie sagte endlich: »Mein Herr, wir haben Kultur. Ich weiß, daß es unschuldig ist, was Sie verlangen, denn die Künste erheben die Menschen. Aber wenn es bekannt wird, daß meine Tochter Ihnen ohne Kleider gestanden hat, dann kann sie nie heiraten.« »Nun, dann heirate ich sie selber,« rief der Maler in Verzweiflung, denn Corisandra, die halb gehört und halb geschlossen hatte, stand da in der lieblichsten Verwirrung, doppelt beschämt wegen der Arme, und sie war die Psyche, die er sich gedacht, die er brauchte, die er haben mußte, ohne die es nicht ging. »Gut, mein Herr, Sie haben Ihr schönes Einkommen, ich bin mit Ihrem Vorschlag zufrieden,« sagte die Mutter. Es wurde Papier und Feder geholt, der Maler setzte ein Heiratsversprechen auf, und nun beredete die Mutter die widerstrebende Corisandra, auch die übrigen Bekleidungsstücke abzulegen, indem sie ihr vorstellte, daß ihr Gatte das Recht habe, das von ihr zu verlangen. Inzwischen wurde besprochen, daß die Hochzeit gefeiert werden solle, wenn das Bild beendet sei, und daß das Geld, welches Monnier für das Bild bekommen werde, für die Kosten verwendet werden sollte.

Corisandra zwang mutig ihre Tränen zurück, sie blickte verstohlen auf Monnier, welcher die ersten Umrisse mit der Kohle entwarf, ein Gefühl der Sicherheit überkam sie, ein Vergessen und eine eigne Seligkeit. Die Mutter aber überlas noch lange das Heiratsversprechen, dann faltete sie es und steckte es in ihr Korsett, das sich stattlich über ihrem Busen wölbte.

Wir wollen über die weiteren Sitzungen nicht berichten, wir brauchen nur zu erzählen, daß das Kleid inzwischen fertig wurde, und daß Monnier es Corisandren schenkte, indem er gestand, daß die Bestellung nur ein Vorwand gewesen sei, was die Mutter nicht so in Verwunderung setzte wie die Tochter; Corisandra hatte noch nie ein so schönes Kleid gehabt und gewann nun ihren Verlobten nur noch lieber; und so wurde das Bild denn unter allgemeiner Freude fertig und war sehr gut gelungen.

Monnier brachte es zum Herzog und stellte es auf. Der Herzog trat vor das Bild und rief entzückt aus: »Monnier, Sie sind ein großer Künstler.« Monnier erwiderte, er wisse selber nur zu genau, was seinem Bilde fehle, er verdanke das meiste von dem, was dem Herrn Herzog so sehr gefalle, seinem Modell, und nun wollte er eine Erklärung der Einzelheiten beginnen. Aber der Herzog ließ ihn gar nicht weiterreden und fragte ungestüm nach dem Modell. Der Maler erzählte die Geschichte, wie er das Mädchen auf der Straße gesehen habe und wie er hinter ihr hergegangen sei, und erzählte dann weiter bis zum Schluß, indem er seufzend an die Stelle kam, wo er der Mutter hatte das schriftliche Heiratsversprechen geben müssen. Hier konnte der Herzog das Lachen nicht mehr zurückhalten. Er warf sich in seinen Stuhl und bog sich nach vorn über, er lachte, daß ihm die Tränen kamen; Monnier war zuerst gekränkt über diese Lustigkeit, aber dann mußte er an das Bild denken, wie die würdige, breitbusige Mutter sich aufknüpfte und das Heiratsversprechen sauber gefaltet in das Korsett steckte, und da konnte er denn auch nicht anders, und so lachte er mit.

Nun erholte sich der Herzog, wurde ernsthaft und sagte, er wolle den Preis verdoppeln, den er für das Bild ausgesetzt, und glaube, doch noch einen guten Kauf zu machen. Aber Monnier dürfe noch nicht heiraten. Er sei in seiner Entwicklung, er müsse frei sein, er müsse einige Jahre in Italien leben. Monnier nickte traurig mit dem Kopf und sagte, das habe er sich ja auch schon alles gedacht; aber er könne doch nicht zurück, und er sei damals so in der Begeisterung für sein Bild gewesen, daß er das Mädchen auch sofort geheiratet hätte, wenn gleich ein Priester dagewesen wäre.

Der Herzog machte ihm einen Vorschlag. Er hatte sich nach dem Bild in das Mädchen verliebt; er wollte es ihm abnehmen, er wollte sich verpflichten, für sie zu sorgen, Monnier brauche sich keine Vorwürfe zu machen, es werde ihr besser gehen, als wenn sie heirate. Monnier ergriff die Hand des Herzogs mit beiden Händen, drückte und küßte sie, und zeigte seine Freude auf alle Weise. Der Herzog lachte wieder; er fand, daß der Maler ein Stockfisch sei, wenn er freiwillig auf ein so hübsches Mädchen verzichte. Monnier erwiderte, er habe das Mädchen ja ganz gern, denn sie habe einen guten Charakter, und wenn er nicht den Herrn Herzog kennte, der ein Ehrenmann sei, so würde er nicht tun, was der ihm vorschlage, aber er habe keine eigentliche Liebe zu dem Mädchen, und nun lasse er seine Vernunft sprechen und sage sich, daß er doch höher kommen wolle, damit er einmal etwas Ordentliches leisten könne. Der Herzog drückte ihm die Hand und sagte, er spreche wie ein verständiger junger Mann, und er selber sei ja nun wohl nicht so verständig, aber das sei doch auch ganz gut, denn dadurch befreie er ihn von der Last.

Nun hatte Monnier mit den beiden Frauen abgemacht, daß die Ablieferung des Bildes durch ein heiteres Mittagessen in seiner Werkstatt gefeiert werden solle. Der Herzog beredete mit ihm, daß er zu der Stunde wie zufällig kommen wolle, um Bilder anzusehen. Und nach dieser Besprechung geschah das Zusammentreffen.

Die Gesellschaft wollte sich eben an den Tisch setzen, wo Corisandra auf einem glänzenden Tuch das Essen angeordnet hatte, als der Herzog eintrat. Monnier spielte in ungeschickter Weise den Überraschten, die beiden Frauen knicksten in Ehrerbietung mehrere Male, der Herzog faßte Corisandren unter das Kinn und sagte ihr eine Freundlichkeit, dann lud er sich selber zu dem bereitstehenden Mahl, indem er der betroffen sich entschuldigenden Mutter erwiderte, daß Kunst und Schönheit jeden Standesunterschied aufheben.

Man wird nicht annehmen, daß die Mutter dumm war. Sie dachte sich ihr Teil, als der Herzog auftrat, und es war ihr sofort klar, daß ihre Tochter, oder vielmehr sie selbst, welche sich als ihre Tochter vorkam, keinen üblen Tausch machte; denn wenn die Liebe des Herzogs auch nur eine Laune sein mochte, so bot sie doch jedenfalls Corisandren eine glänzende Versorgung.

Also das Gespräch kam bald auf die bevorstehende Heirat, Corisandra sah errötend und glücklich auf ihren Teller, Monnier malte mit nicht ganz echten Farben sein Glück, und die Mutter preßte eine Träne heraus, indem sie beteuerte, daß sie nur für die Zukunft ihres Kindes lebe. Der Herzog legte seine Stirn in Falten. Wie? Ein Künstler in so jungen Jahren schon heiraten? Unmöglich! Er mußte noch frei sein, mußte reisen können, mußte sich in der Welt bewegen, um Gönner zu finden. Nein, die beiden waren noch jung. Sie konnten noch warten. Der Herzog war ihr Freund. Er verpflichtete sich, für Corisandren zu sorgen. Er schenkte ihr ein entzückendes kleines Haus, das er in einem Vorort besaß, dort konnte sie mit ihrer Mutter wohnen, er verschrieb ihr eine Rente, damit die Frauen in Muße die Zeit erwarten konnten, er beschaffte Lehrer, welche Corisandren unterrichteten, in Musik, im Zeichnen, in den wissenschaftlichen Fächern; er ... und so fuhr er fort, zu erzählen, was er alles für Corisandren tun wollte. Die Mutter faltete andächtig die Hände und sah zu ihm auf; Corisandra blickte ihn mit unruhiger Verwunderung an und sagte am Schluß seiner Rede, ihr wäre es doch lieber, wenn die Heirat gleich sein könne, und sie sei sparsam und wolle sich einrichten, sie werde ihrem Bräutigam schon nicht zur Last fallen, denn ihre Kleider schneidere sie sich alle selber, und sie habe ja nun auch erst das schöne neue Kleid von ihm bekommen, das er am Anfang der Bekanntschaft bestellt. Aber die Mutter schüttelte den Kopf. Sie fand, daß der Herr Herzog recht hatte, der verstand mehr vom Leben wie zwei alleinstehende Frauen; und so redete sie weiter. Corisandra sah Monnier bittend an, aber der blickte verlegen fort; und da sie nun wohl merkte, daß er auch der Ansicht des Herzogs war, so faßte sie sich Mut und sagte, wenn es denn für ihren Bräutigam gut sei, so wolle sie gern warten, und mit nicht ganz fester Stimme setzte sie hinzu, das Warten mache ihr sogar Freude, denn sie könne sich doch in der Zeit alles so schön ausmalen, wie es später sein werde.

So wurde denn nun angeordnet, wie der Herzog gesagt hatte, und der Herzog vertraute auf den verständigen Sinn der Mutter, daß sie schon Corisandren allmählich dahin bringen werde, wo er sie wünschte. Inzwischen aber kamen in das schöne Häuschen, das die beiden nun bewohnten, die Lehrer, um Corisandren zu unterrichten, den rohen Edelstein zu schleifen, wie der Herzog sich seinen Freunden gegenüber ausdrückte.

Unter diesen Lehrern war auch Monnier. Der Herzog hatte keine Bedenken gehabt, ihm den Zeichenunterricht zu übergeben, weil ihm ja ganz klar war, daß er Corisandren nicht liebte.

Aber wir haben wohl schon bemerkt, daß Corisandra Monnier liebte. Es war nicht das erste Mal, daß die Liebe bei einem jungen Mädchen Wunderdinge bewirft. Das gute Kind machte solche Fortschritte im Zeichnen, daß es jedem unglaublich erschienen wäre, der es nicht gesehen hätte. Monnier war viel zu harmlos, um den Grund einzusehen, er glaubte an ein außerordentliches Talent, denn anders konnte er sich diese Fortschritte nicht erklären, Und nicht nur das Können entwickelte sich in der merkwürdigsten Weise, auch das Gefühl und das Verständnis. Oft überraschte es ihn, wie sie Dinge klar sagte, die ihm selber nur undeutlich bewußt waren; ja, er konnte sich bald nicht verhehlen, daß er in manchem von ihr lernte, denn er wurde fester, bestimmter als er gewesen durch ihre Art, die Natur zu sehen, die in so merkwürdiger, fast konnte er sagen vorbestimmter, Art mit der seinigen übereinstimmte.

So kann es denn uns nicht weiter wundernehmen, daß sich nunmehr auch Monnier in Corisandren verliebte.

Seine Gefühle, wenn er nun bei der ahnungslosen Geliebten saß, welche alle Wonnen einer reinen und unschuldigen Empfindung genoß, brauchen wir nicht zu beschreiben. Wir werden aber verstehen, wie es kommen konnte, daß er an einem Tage in eine Tränenflut ausbrach, zur Tür lief, wieder umkehrte, vor der erstaunten Geliebten kniete und sein Gesicht in ihrem Schoß barg. Sie fragte ihn bekümmert, was er habe; er antwortete nicht und schluchzte. Aber sie fühlte wohl, was ihn bewegte, nur deutete sie das falsch, da sie nicht verstanden hatte, was mit dem Herzog geschehen war. So beugte sie sich denn über ihn und flüsterte ihm verschämt zu: »Wenn du willst, dann müssen wir ja nicht warten mit der Heirat; ich bin es ja zufrieden; und du sollst sehen, daß du dann viel besser arbeiten wirst wie nun.«

Als sie das aber gesagt hatte, da trat mit wütendem Gesicht und unter heftigen Scheltworten die Mutter in das Zimmer. Der war die Verwandlung in dem Benehmen Monniers nicht entgangen, und sie hatte deshalb gelauscht, um ihre Tochter zu behüten. Aus dem Schelten der Mutter und der Verteidigung Monniers wurde Corisandren plötzlich alles klar. Wie das so geschieht, sie verstand nun mit einem Male, daß sie unbewußt sich über manche auffällige Erscheinungen geängstigt hatte; aber sie hatte immer die feste Zuversicht auf Monnier gehabt, wenn ihr nun jetzt auch bewußt wurde, daß sie sich über sein scheues Wesen gewundert; denn auch das verstand sie nun, daß sie die ganze Zeit über nicht hatte ihrer Mutter trauen können. Aber das leuchtete ihr alles mit Blitzesschnelle auf, und dazu die Einsicht, daß Monnier sie verraten hatte. Sie schrie leise auf, faßte sich an das Herz und fiel ohnmächtig zurück in ihren Stuhl.

Die Mutter und Monnier bemühten sich um sie, die Dienstboten kamen, aber Corisandra war nicht zu erwecken. Verzweifelt lief die Mutter aus dem Hause, um den Herzog zu holen und ihm Vorwürfe zu machen.

Nach einer langen Zeit kam Corisandra wieder zum Bewußtsein. Monnier stand über sie gebeugt, und die Tränen rollten ihm über die Backen und tropften ihr ins Gesicht, wo er sie ungeschickt abwischte. »Ach, bist du da, Liebster!« rief sie aus und schlang ihre Arme um ihn. »Nun wirst du mich nie wieder verlassen.« Er schickte die Dienstboten aus dem Zimmer, dann wollte er stockend beginnen, ihr zu erzählen, wie alles gekommen war.

Aber sie ließ ihn nicht viel sprechen. »Damals hast du mich nicht geliebt,« sagte sie, »aber nun liebst du mich, nun gibst du mich keinem andern, nicht wahr, nun darf ich bei dir bleiben?« Monnier verstand zuerst nicht, was sie meinte, er glaubte, sie müsse zürnen über seine Handlungsweise. Aber sie sagte nur immer wieder: »Damals hast du mich nicht geliebt, aber nun darf ich bei dir bleiben.«

Der Herzog kam, er traf die beiden in Tränen, die Gesichter dicht aneinandergepreßt. Der Bericht der Mutter hatte ihn wütend gemacht; aber als er die beiden so sah, da war er entwaffnet, er wurde plötzlich verlegen, als Corisandra ihn anblickte.

Es wird gewiß niemand die gute Corisandra für kokett halten, sie war doch eigentlich das, was man wohl ein Dummchen nennt. Aber als sie nun den Herzog so stehen sah, da dachte sie gleich daran, wie wichtig es für Monnier war, daß er die Gönnerschaft behielt. Sie wischte sich geschwind das Gesicht ab und sagte: »Ach Gott, nun werde ich vom Weinen eine rote Nase haben,« und das sagte sie unbewußt in einem solchen Ton, daß man merkte, wieviel ihr daran lag, daß der Herzog sie schön finde.

Dadurch aber verschwand der Ärger des Herzogs mit einem Male, und er mußte von Herzen lachen. Die Mutter stand verdutzt daneben, noch verdutzter stand Monnier da; aber plötzlich fing Corisandra an und stimmte in das Lachen des Herzogs ein. Da schlug auch bei Monnier das Gefühl um, und er lachte mit.

Die Mutter schüttelte den Kopf, ging aus dem Zimmer und schlug ärgerlich die Tür hinter sich zu. Dieser Ärger erweckte in den dreien eine neue Heiterkeit, und sie lachten so sehr, daß sie sich setzen mußten; und weil sie gar nicht wußten, weshalb sie eigentlich so heftig lachten, so lachten sie endlich aus bloßer Verlegenheit weiter.

Zuerst ermannte sich der Herzog, denn Corisandra wollte ihm den Vorrang lassen und Monnier fürchtete sich etwas vor der Aussprache. Er sagte, er sehe nun wohl ein, daß er zu spät gekommen sei; aber wenigstens sollten die beiden ihm versprechen, daß sie ihn als Paten lüden für das erste Kind. Und das versprachen sie ihm denn auch.


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