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Die Geliebte des Königs

Zwei vornehme spanische Familien, welche seit vielen Generationen miteinander verschwägert und befreundet waren, hatten ihre einzigen Kinder einander seit dem frühesten Alter verlobt. Wie die Kinder heranwuchsen, spielten sie oft zusammen und gewannen unmerklich eine gegenseitige Zuneigung. Der junge Mann hieß Don Diego und das junge Mädchen Donna Anna.

Als Don Diego vierzehn Jahr alt wurde, beschlossen die Eltern, ihn nach Madrid an den Hof als Pagen zu schicken, wie das damals so üblich war. Er nahm zärtlichen Abschied von seiner Geliebten, sie schworen sich gegenseitig Treue und Beständigkeit. Don Diego ritt fort und hielt ritterlich sein Gelübde; Donna Anna blieb zurück und brach es schmählich.

Es geschah nämlich, daß der König in jene Gegend kam und bei Donna Annas Eltern wohnte. Am Abend saßen die Herren zu Tisch und tranken; da tat sich die Tür auf und Donna Anna erschien, über ihrem Kopf eine große silberne Schüssel haltend mit Äpfeln, Birnen, Pflaumen und köstlichen Weintrauben; sie hatte ein lichtes, weißes Gewand an, das durch goldene Spangen über den Schultern gehalten wurde; von ihren beiden wunderschönen Armen, welche sie hochhielt, um die Schale zu tragen, waren die Ärmel herabgeglitten, und in holder Verwirrung, mit geröteten Wangen und niedergeschlagenen Augen, stand sie da. »Eine schöne Tochter hast du, Ritter,« sagte der König, indem er sich den Bart strich. »Sie ist mein einziges Kind, Herr,« antwortete der Vater. Noch in derselben Nacht mußte Donna Anna das Lager des Königs teilen. Er schenkte ihr eine große Diamantenagraffe mit einem prächtigen Reiherbusch und ritt am Morgen früh mit seinen Herren weiter. Nach einigen Tagen aber kam ein Befehl der Königin, daß der Ritter seine Tochter an den Hof schicken sollte als Ehrendame. Der Ritter ließ ein Saumtier rüsten und setzte seine Tochter in den Sattel, dann stieg er selber auf ein Pferd und brachte sie nach Madrid. Die Königin empfing die beiden huldvoll; sie küßte Donna Anna auf die Stirn und schenkte dem Vater einen Beutel voll Dukaten. Dann sagte sie ihm: »Ritter, sorge dich nicht um deine Tochter; ich will sie gut verheiraten.« Der Ritter verbeugte sich tief, steckte den Beutel in die Tasche und ging. Aber ehe er zurückreiste, suchte er Don Diego auf, der nun inzwischen ein stattlicher Mann geworden war und als junger Offizier Dienste tat. Er drückte ihm ernst die Hand und sagte ihm: »Denke nicht mehr an Donna Anna.« Don Diego erblaßte und fuhr nach seinem Degen; aber der Alte fuhr fort: »Der König hat sein Taschentuch auf sie geworfen.« Damit faßte er an seinen Hut und ging, denn er wollte nicht vor dem jungen Menschen schluchzen; Don Diego aber setzte sich auf einen Prellstein, der da in einem Torweg gegen die Ecke eingesetzt war, stützte den Kopf in beide Hände und weinte.

Nun lag der Flügel, in welchem die Hofdamen wohnten, nach dem Garten hinaus, und der Garten war durch eine hohe Mauer von den Höfen getrennt. Jeden Abend überstieg Don Diego die Mauer und sah nach Donna Annas Fenster; denn er hatte erkundet, welches ihr Zimmer war; und zuweilen glückte es ihm, daß er ihren Schatten auf dem hellen Vorhang erblickte. Er konnte sich ihr aber auf keine andere Weise nähern, denn die Vorschriften des Hofes waren zu streng, und die Wohnung der Frauen war von den anderen Räumen ganz abgeschlossen. Der untere Raum des Flügels war durch einige große Säle eingenommen, vor denen Terrassen auf den Garten hinausgingen, hinter den Sälen führten zwei breite Treppen zu den Wohnzimmern.

An einem sehr dunklen Abend, der Himmel war durch schwere Gewitterwolken verhängt, stieß Don Diego unvermutet mit einem Gärtnerburschen zusammen; der Mensch schlug Lärm; vergeblich hielt ihm Don Diego den Mund zu und bot ihm Geld an; schon kamen andere Leute schreiend hinzu; Don Diego schleuderte den Burschen von sich weg und trat in ein Gebüsch; von der entgegengesetzten Seite liefen durch das geöffnete Gartentor Wachen herbei, die auf dem Hofe gewesen waren und stießen auf die Gärtner; beide Parteien hielten sich in der Verwirrung gegenseitig für die Eindringlinge; man kämpfte mit Spaten, Schwertern, Hellebarden und Hacken, in das Rufen und Brüllen mischte sich Ächzen und Fluchen, Leute strömten aus dem Flügel der Damen, die Fenster erhellten sich, Männer mit Fackeln erschienen auf dem Kampfplatz; Don Diego sah sich am Fuße einer Terrasse, stieg die Stufen hoch, trat in einen offenstehenden Saal, ging hindurch. Da stand er vor der Treppe, die nach den oberen Zimmern führte, er stieg sie hoch zählte die Türen und trat in Donna Annas Zimmer.

Es waren vier Jahre her, seit die beiden sich das letztemal gesehen, aber sie erkannten sich gleich. Donna Anna schrie vor Freude auf und wollte ihm in die Arme eilen; unterwegs stockte sie plötzlich, die Hände fielen ihr nieder, und sie sah zur Erde. »Hattest du denn alles vergessen?« fragte er sie. Sie schüttelte den Kopf. Er trat auf sie zu und nahm ihre Hand, dann sagte er leise: »Ich weiß es ja, daß ich dich nicht mehr lieben darf, aber das ist nun so. Ich kann es ja nicht vergessen.« Sie entzog ihm leise ihre Hand und erwiderte: »Denke an deine Ehre, du kannst mich nicht mehr zur Gattin nehmen.« Traurig ließ er den Kopf sinken und sagte: »Du hast recht, ich kann dich nicht mehr zur Gattin nehmen.« Da sah er, wie in ihren Augen die Tränen aufblitzten, er zog sie stürmisch an seine Brust und küßte sie. Sie wehrte ihm und sagte: »Laß mich.«

Sie war bei Hofe gewesen an dem Abend und trug noch ihren Schmuck. Die Diamantenagraffe des Königs steckte in ihrem Haar. Don Diego zeigte mit dem Finger auf die Agraffe und sagte: »Das ist der Preis.« Sie errötete über und über, riß die Agraffe aus ihrem Haar, reichte sie ihm und sagte: »Damit du siehst, wie es mir ums Herz ist: du sollst sie haben.« Er lachte laut und verbarg den Schmuck in seiner Tasche. »Kannst du so lachen?« fragte sie ihn traurig. »Ach, ich weine ja!« rief er, kniete vor ihr, drückte das Gesicht gegen ihr Kleid und umschlang die Stehende mit seinen Händen. Sie beugte sich nieder und streichelte sein Haar. »Du mußt gehen,« sagte sie endlich, »es geschieht ein Unglück, wenn man dich hier findet.« Er erhob sich und schritt zur Tür. Aber im Gehen verabredete er noch einen Ort im Garten, wo er Briefe für sie verbergen und Antworten von ihr erwarten wollte.

Don Diego schrieb erst so, daß ihm das Geschriebene als unwahr vorkam. Da schämte er sich, zerriß seinen ersten Brief und schrieb: »Ich will nicht lügen. Ich habe dich früher anders geliebt, jetzt liebe ich dich so, daß ich dich begehre. Und wenn du beleidigt bist, daß ich dir das schreibe, so komme nicht; aber wenn du mich liebst, so wirst du kommen.« Sie schrieb: »Ich habe ja keine Ehre mehr zu verlieren, und ich liebe dich.«

Ein junger Gärtner mit seiner Frau wohnte am äußersten Ende des Gartens in seinem Häuschen, das von unten bis oben von Rosen umsponnen war. Das Häuschen hatte unten die Küche und eine Stube und oben zwei schräge Kammern. Don Diego überredete den Mann durch Geschenke und Versprechungen, daß er sein Haus hergab für die Liebenden zum Stelldichein. Zur bestimmten Stunde überstieg Don Diego die Gartenmauer, eilte durch die dunkelsten Baumgänge, denn der Mond schien hell, und kam zu dem Häuschen, der Gärtner erwartete ihn schon an der Tür und führte ihn nach oben in das eine Kämmerchen, das für die beiden hergerichtet war, da war ein Tisch in der Mitte, mit einem blütenweißen Tischtuch gedeckt, ein großes Brot auf einem runden Holzbrett mit geschnitzter frommer Inschrift, Butter und Honig, schöne Früchte, und in einer Karaffe dunkler Wein. Indem Don Diego die Gärtnerin freundlich belobte, klopfte es unten an der Tür; alle eilten die Treppe hinab; da stand auch schon Donna Anna vor ihnen in einen dunkeln Mantel fest verhüllt und bebend vor Angst. Don Diego nahm sie an die Hand und führte sie nach oben; wie sie das trauliche Stübchen sah mit dem bescheidenen schrägen Dach, die einfachen Stühle, welche so sauber und ordentlich jeder an seiner Stelle standen, den freundlich einladenden Tisch, da sank sie plötzlich an die Brust des Geliebten und schluchzte laut auf, denn ihr ganzer Jammer wurde ihr klar. Die Gärtnerin trat ein, zupfte an ihrer Schürze und sagte, indem sie beschämt errötend zur Erde blickte, die Herrschaften müßten nicht denken, daß sie sich durch das Geld habe verführen lassen, sie wisse wohl, wie Liebe tut, die verborgen bleiben muß. Da sank Donna Anna in einen Stuhl und weinte lauter; die Gärtnerin sagte ihr tröstende Worte und sagte, sie solle denken, daß sie nun mit dem Geliebten zusammen sei und alles andere vergessen, und dann ging sie und ließ die beiden allein. Don Diego kniete vor ihr nieder, küßte ihre Hände und sprach zärtlich zu ihr. So beruhigte sie sich zuletzt und sagte: »Verzeih, Lieber, daß ich dein Glück störte durch mein Weinen, ich will ja nun auch vernünftig sein.« So schenkte er ihr ein Glas voll Wein, sie trank, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, lachte und küßte ihn.

Nun waren sie allein in dem friedlichen Zimmer, durch das offene Fenster zog der Duft der blühenden Rosen, am Himmel schiffte der stille Mond, wunderlich und sonderbar standen alle Bäume und Sträucher in der hellen Nacht. Ein Springbrunnen rauschte und tropfte, und kein Laut war sonst.

Vor Sonnenaufgang trennten sie sich, Donna Anna schlüpfte ihren Weg zurück durch eine Allee, die tief verschattet war, huschte ängstlich über die breite Terrasse, die im hellen Mondlicht dalag, daß man die kleinen Kieselsteine auf dem Boden genau erkennen konnte; nach ihr verließ Don Diego das Haus, ging auf seinen bekannten Wegen zur Mauer, überstieg sie und gelangte in sein Zimmer, er legte sich und schlief, bis er zum Dienst geweckt wurde.

Er mußte an diesem Tag Wache halten vor dem Zimmer des Königs; als er sich anzog, lachte er, holte die Diamantenagraffe mit dem Reiherbusch vor und befestigte sie an seinem Hut, besah seinen Degen und stieß ihn wieder in die Scheide; dann ging er, meldete sich beim Schloßkommandanten und wurde zur Ablösung an seinen Posten geführt.

Der König trat aus seinem Zimmer, gebückt, mit grauem Gesicht, mit sorgenvoller Miene. Er schaute nicht auf den jungen Edelmann hin, der an seiner Stelle stand und salutierte; plötzlich aber machte Don Diego eine leichte, fast unmerkliche Bewegung mit dem Fuß, die ihn aufmerken ließ; er blickte in die Höhe, erkannte das Gesicht und die Diamantenagraffe. Seine Stirn bewölkte sich für einen Augenblick, er bezwang sich schnell und sagte freundlich: »Du hast eine schöne Agraffe an deinem Hut, junger Mensch.« »Ich trage sie meiner Geliebten zu Ehren,« erwiderte Don Diego, indem er den König fest ansah. Der König erwiderte den Blick, daß der Jüngling die Augen niederschlagen mußte, und sagte: »Es ist gefährlich, in die Höhle des Löwen zu gehen.« Der Jüngling schwieg beschämt, und der König schritt ruhig weiter.

Am Abend hatte Don Diego wieder eine Verabredung mit Donna Anna. Wie er in das Gärtnerhaus trat, sah er gerade in die Küche, da saß ein Mann am Herd, in einen weiten Mantel gekleidet, das Gesicht mit einer Halbmaske verhüllt, und rührte mit der Degenscheide in der Asche. Don Diego erkannte den König, aber er wünschte, daß es ein anderer Mann sei. Er trat auf den Maskierten zu und fragte: »Wer bist du? Was suchst du hier?« Der König stand auf, hielt mit der Linken das Schwert und machte mit der Rechten eine Bewegung, als wolle er es aus der Scheide ziehen. Don Diego kam ihm zuvor, er zog seinen Dolch und verletzte den Mann; er sagte: »Lerne, daß es nicht ehrenhaft ist, Liebende zu belauschen.« Der Fremde lehnte sich rückwärts an die Wand, Don Diego ließ ihn und ging die Treppe hinauf.

In dieser Nacht wußten die Liebenden, daß sie zum letztenmal beieinander waren, sie sagten: »Wir wollen denken, daß morgen die Welt untergeht, so wollen wir uns lieben.«

Am andern Tage, als Don Diego über den Schloßhof ging, kam ein Gefreiter mit drei Mann auf ihn zu. Der Gefreite rief: »Auf Befehl des Königs, steh«, und wie Don Diego stand, befahl er den Leuten anzulegen und zu schießen. Die Leute erhoben ihre Gewehre, legten an und schossen, und Don Diego sank nach vorn über auf das Pflaster des Hofes; er zuckte nicht, der Tod war gleich eingetreten. Der Hut mit der Agraffe war ihm abgefallen; der Gefreite nahm den Hut auf, besah die Agraffe; dann schob er den Hut unter den Arm und befahl den Leuten, den Toten in die Wachtstube zu bringen.

Als Donna Anna die Nachricht von der Ermordung erhalten hatte, ging sie in ihr Zimmer, holte einen Dolch vor und tötete sich; sie saß vor ihrem Schreibtisch, und ihr Kopf war auf die Platte gefallen.


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