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Kapparos

In einer entlegenen Straße von Athen befand sich ein Tempel des Asklepios. Der Tempel war weithin berühmt unter den bresthaften Leuten, denn bei der stillschweigenden Freimaurerei, welche die Kranken und sich krank Dünkenden untereinander aufgerichtet haben, erzählte immer ein bedenklicher Mann dem andern und ein leidendes Weib ihrer Genossin, wie vielen es schon geholfen, wenn sie zu jenem Tempel gegangen, dem Gott und dem Priester anständig geopfert und dann gebetet hatten; und auch er oder sie selber habe eine merkliche Linderung seines oder ihres Leidens verspürt, und so könne er oder sie einen Gang zu dem Tempel nur auf das wärmste empfehlen.

Der Priester, welcher bei dem Tempel angestellt war, hatte, wie das so zu sein pflegt, sein Teil beigetragen zu dem guten Rufe des Gottes, denn er war ein heiterer, offenherziger und wohlgenährter Mann, auf dessen glänzenden Wangen die Gesundheit saß, und dessen wohlwollende und tiefe Stimme schon allein den Kranken einen gewissen Trost einflößte, auch ganz abgesehen von dem wohlwollenden und treuherzigen Inhalt seiner Worte. Er besorgte den gesamten Tempeldienst allein, denn er pflegte zu sagen, was er selber mache, das, wisse er, werde gut gemacht, mit einem Küster habe er nur seinen beständigen Ärger, den Kranken sei es auch lieber, wenn sie nur mit ihm, als einem gebildeten Mann zu tun haben, und überhaupt handle er nur ganz im Sinne eines so menschenfreundlichen Gottes wie Asklepios, wenn er den Dienst so einfach und bescheiden wie möglich halte.

Man darf sich denken, daß beide, der Gott wie der Priester, sich bei solchen Verhältnissen nicht schlecht standen. Dem Priester wurde manche Drachme dargebracht, und von Leuten, welche nicht auf Bargeld gestellt waren, erhielt er Schinken, Eier, Öl, Kuchen, Hähnchen, Früchte, Wein, und alles sonst, was man in einer Wirtschaft brauchen kann; und dem Gott wurden allerhand Weihgeschenke an den Wänden des Tempels aufgehängt, Arme und Beine, Herzen, Köpfe und alle sonstigen Glieder, an denen man Krankheiten haben kann, nicht nur von Holz und Knochen, von Kupfer und Elfenbein, sondern auch von Gold und Silber, je nach dem Reichtum der geheilten Bresthaften. Der Priester war nur ein Mensch, und ein Mensch muß seinen Körper erhalten. So kam es, daß die Schinken, Eier, Kuchen und Hähnchen, das Öl und der Wein verzehrt und die Drachmen für allerhand sonstige Bedürfnisse ausgegeben wurden; der stille und verständige Gott aber sparte seine Gaben auf, denn er brauchte ja nichts, und so sammelte sich denn an den Wänden im Lauf der Zeit ein schönes Vermögen in allerhand Gold- und Silberware, und es ging das Gerücht in Athen, daß von den geringern Göttern Asklepios einer der wohlhabendsten sei.

Auch im Altertum gab es schon ruchlose Menschen, die vor dem Äußersten nicht zurückschrecken, um ihre rohen Begierden zu befriedigen. Die Polizei in Athen stand nicht auf der Höhe der übrigen Einrichtungen des Staates, denn sie wurde von gekauften Sklaven ausgeübt, und es ist verständlich, daß solche Menschen den Trinkgeldern der Spitzbuben nicht unzugänglich waren. Man mußte sich selber schützen. Der Priester trug die Verantwortung für das Vermögen des Gottes, und so hatte er sich denn einen Hund angeschafft zur Bewachung, einen sandfarbigen Rattler, der auf den Namen Kapparos hörte.

Kapparos war ein tugendhaftes und zufriedenes Tier. Er lag an der Tempeltür angekettet vor seiner Hütte und meldete durch heftiges Bellen jeden Ankommenden. Er schleckte die Milch und verschlang das hineingebrockte Brot aus seinem Futternapf, und zerknackte hingestreckt die Knochen, die ihm vorgeworfen wurden. Jeden Abend kettete sein Herr ihn los. Dann schoß er fort, geradlinig wie der Pfeil vom Bogen, rieb sich den Kopf auf dem Rasen, wälzte sich in Wonne auf dem Rücken, kam wieder auf seine vier Beine, lief zurück, umtanzte seinen Herrn in Dankbarkeit und sprang schnappend an ihm hoch, um ihm seine Freude zu zeigen. Wenn eine halbe Stunde vergangen war, dann rief der Priester: »Kapparos, anlegen!« und Kapparos kam betrübt, aber nicht mit hängenden Ohren und zögernd, sondern gefaßt und mit sittlichem Ernst, sprang auf seine Hütte, damit der Herr sich nicht zu bücken brauchte, und wurde wieder angekettet.

Der Priester war unverheiratet. Er fand das richtig. Er sagte sich, daß er eine Vertrauensperson war, bei ihm mußten die Geheimnisse ruhen, wie in einem Brunnen; wenn man eine Frau hat, dann will die immer wissen, was einem die Leute gesagt haben. Er war also unverheiratet. Aber was kann ein einzelner Mann mit den vielen Schinken, Hähnchen, Kuchen und Eiern machen, die ihm zugetragen wurden? Die Gottesgabe verdarb nur. Er hatte also ein Liebesverhältnis.

Des Liebesverhältnisses wegen mußte er zuweilen des Abends den Tempel verlassen. Er war sich bewußt, daß er da nicht ganz richtig handelte, aber er vertraute, die Spitzbuben würden nicht merken, daß seine Stube leer sei, er steckte immer das Licht an und zog den Vorhang zu, Kapparos ließ er zurück, und Kapparos stand in seiner Hütte, bescheiden mit dem Schwänzchen wedelnd, das nicht sichtbar war und seinen Herrn erwartungsvoll, aber nicht bettelnd anblickend, denn er sagte sich ja natürlich, daß er nicht mitgenommen werden konnte.

Aber, wie das nun geschehen sein mochte, ist nicht klar geworden, die Spitzbuben hatten Wind bekommen, daß der Priester gelegentlich des Nachts nicht zu Hause war, und so kamen denn zwei Männer vorsichtig in einer Nacht, als er bei seiner Geliebten weilte, brachen die Tür des Tempels auf, suchten sich unter den Weihgeschenken die wertvollsten aus, steckten sie alle in einen Sack, den sie zu dem Zwecke mitgebracht hatten, und gingen dann eilig wieder fort.

Man kann sich vorstellen, daß Kapparos seine Pflicht tat. Die Männer hatten ihm ein Stück Fleisch hingeworfen, damit er nicht bellen solle. Das Fleisch war ausgezeichnet, es war ein saftiges Rückenstück mit einem schönen Markknochen; die Hälfte mindestens hätte Kapparos vergraben können, denn auf einmal vermochte er das Stück nicht zu verzehren. Aber Kapparos ließ sich nicht bestechen, er tat seine Pflicht. Er bellte, was er konnte und riß an seiner Kette, um loszukommen und die Spitzbuben in die Beine zu beißen. Aber das Bellen half nichts, denn die Nachbarn wohnten so weit entfernt, daß sie es ja wohl noch hören mochten, aber sich nur ärgerlich im Bett umdrehten, weil sie sich mit Recht vorstellten, daß es ihre Angelegenheiten gar nicht berühre; und die Kette gab nicht nach. Kapparos bellte also so lange, wie die Spitzbuben im Tempel waren, und als sie ihn verlassen hatten, bellte er noch immer hinter ihnen her.

Nun geschah es, als die Spitzbuben wohl schon eine Viertelstunde fort waren, daß durch das unablässige Ziehen und Rucken das Halsband des guten Hundes endlich riß. Sofort suchte Kapparos die Spur, und lief, was er konnte, die Nase auf der Erde und den Schwanz hoch, auf ihr fort. Er holte die beiden Männer nach einiger Zeit auch ein. Sie gingen auf einem engen Wiesenpfade hintereinander, der vordere trug den Kuhfuß unter den Arm geklemmt, erzählte von seiner ersten Geliebten, wie sie ihm mit einem Polizisten untreu geworden war, und wie der Polizist ihn hatte verprügeln wollen, der hintere trug den Sack und hörte zu. Sie hatten das Herankommen des Kapparos nicht bemerkt, trotzdem dieser in seiner Leidenschaft laut jappte, als Kapparos den Mann mit dem Sack erreicht hatte, sprang er mit Knurren an ihm hoch und faßte ihn in den Hosenboden. Die Hose gab nach, Kapparos fiel zurück, der Mann stürzte nach vorn, indem er den Sack verlor und laut schrie; der erste Spitzbube wendete sich um, und als er Kapparos sah, der eben von neuem zufassen wollte, ergriff er seinen schweren eisernen Kuhfuß und schlug zu. Kapparos wich aus, knurrte und sah nach ihm mit glänzenden Augen hin; der Mensch nahm den Kuhfuß in beide Hände und lief auf Kapparos zu, Kapparos lief schnell fort, blieb in einer Entfernung von zehn Schritten stehen und bellte.

Was sollen wir die vergeblichen Bemühungen der beiden weiter beschreiben? Sie liefen auf Kapparos zu; er lief schneller fort und bellte, sie warfen Steine nach ihm, er kniff den Schwanz ein, wußte die Steine zu vermeiden und bellte; sie gingen weiter, er folgte ihnen in sicherer Entfernung und bellte; sie liefen, er lief schneller, erreichte sie und schnappte ihnen nach den Waden.

Die beiden Spitzbuben konnten nichts anderes tun, als ihren Weg zu verfolgen mit dem bellenden Hunde hinter sich. Die Straße führte durch ein schlafendes Dorf; alle Dorfhunde wurden wach, kamen wütend unter den Hoftoren vorgeschossen, hielten sich zuerst kläffend vor dem Tor auf, gingen dann knurrend zu dem fremden Hund, berochen sich mit ihm und schlossen sich ihm endlich an, indem sie gleichfalls bellend in ungefährlicher Entfernung hinter den beiden herzogen. Die Leute in den Häusern wurden wach, zündeten Lichter an, sahen aus den Fenstern, und riefen ihren Hunden zu und schimpften; die Spitzbuben gingen, so schnell sie gehen konnten, denn vor dem Laufen mußten sie sich hüten, weil dann die Hunde alle über sie hergefallen wären. Hinter dem Dorfe blieben die Dorfhunde stehen, hoben jeder ein Bein an derselben Stelle und trotteten zurück; sie hatten ihre Pflicht getan; aber Kapparos blieb hinter den beiden und bellte.

Diese suchten nun Wege auf, welche sie um die Ortschaften herumführten. Es hellte sich auf und der Morgen brach an; einzelne Menschen begegneten ihnen, Kapparos wedelte freundlich jeden Begegnenden an und stürzte sich dann mit wütendem Gebell wieder auf die Verfolgung der beiden, die Begegnenden kratzten sich den Kopf, dachten ihr Teil, sagten sich, was einen nichts angehe, davon solle man die Finger lassen, und zogen weiter.

Die Spitzbuben kamen durch einen Wald, die Sonne ging auf, und die Spitzbuben waren müde. Sie schlugen sich zur Seite in das Unterholz, warfen den Sack auf die Erde und legten sich, um zu schlafen. Kapparos blieb in seiner Entfernung, und als sie sich gelegt halten, legte er sich gleichfalls, er legte sich so, daß der Kopf auf sie gerichtet blieb, und daß er beim geringsten Geräusch aufspringen und seine Begleitung fortsetzen konnte.

Inzwischen aber war der Priester nach Hause zurückgekehrt und hatte den Tempel geplündert und die Hütte des Hundes leer gefunden. Er eilte auf den Markt, wo sich eben die ersten Verkäufer von grüner Ware versammelten, klagte ihnen sein Leid, die Polizei kam und hörte ihm aufmerksam und teilnahmsvoll zu, ein Landmann, der mit der Kiepe auf dem Rücken eben ankam, trat zu ihnen, hörte die Geschichte gleichfalls an und erzählte dann bedächtig, daß er da und da vor ein paar Stunden zwei verdächtigen Männern begegnet sei, die einen Sack schleppten, und von einem Hund verfolgt wurden, der immer hinter ihnen herbellte, aber ihn, den Mann, freundlich angewedelt hatte, so daß er, der Mann, sich schon seine Gedanken gemacht hatte, aber er hatte doch nichts Bestimmtes gewußt, und wenn eine Belohnung ausgesetzt ist, dann ist die Sache ja anders, und kurz und gut, der Mann mit der Kiepe und die Polizei und der Priester machten sich auf den Weg hinter den beiden her. Sie kamen auch an die Stelle, wo der Mann mit der Kiepe die beiden getroffen hatte, und dann trafen sie noch andere Leute, die ihnen begegnet waren, und indem sie so weiter gingen, kamen sie endlich in den Wald. Der Priester hatte die Geschichte ja nun wohl schon oft erzählt, wie er vor der aufgebrochenen Tempeltür steht, und der schwere Flügel ist richtig aus den Angeln gehoben, man begreift nicht, wie die Spitzbuben das haben machen können, aber er erzählt sie doch im Wald noch einmal wieder, und die Polizei macht die sachkundige Bemerkung, die sie gleichfalls schon gemacht hat, daß die Spitzbuben einen Kuhfuß gehabt haben werden. Da kommen sie an der Stelle vorbei, wo die Spitzbuben in das Gebüsch abgebogen sind, Kapparos erkennt die Stimme seines Herrn, eilt freudig bellend auf ihn zu und springt glücklich an ihm hoch.

Nun, die Spitzbuben waren schnell gefangen; sie wurden gefesselt, der Kuhfuß und der Sack wurde ihnen aufgeladen und sie mußten zurück nach Athen ziehen, hinter ihnen ging die Polizei mit gezogenem Schwert, hinter dieser der Priester und der Mann mit der Kiepe; dem ganzen Zug voran aber schritt stolz und mit erhobenem Schwanze Kapparos.

Die Geschichte wird von dem Philosophen Plutarch erzählt; und Plutarch berichtet weiter, daß die Athener in Bewunderung für die Treue und Klugheit des Hundes beschlossen, er solle mit bei den verdienten Bürgern auf dem Prytaneion gespeist werden, was denn auch geschah, indem Kapparos zwar ja sonst schon seinen Unterhalt hatte, aber doch die Ehre zu würdigen wußte und jeden Tag zur bestimmten Stunde sich vor der Küche des Prytaneions einfand, wo er denn je nachdem einen Teller Suppe oder einen Knochen bekam, die er mit Anstand verzehrte.


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