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Revolution

Im Jahre Achtundvierzig fanden bekanntlich an einigen Orten Deutschland Unruhen statt. Deren eigentliche Bedeutung war, daß den veränderten Verhältnissen entsprechend sich verschiedene Einrichtungen des öffentlichen Lebens hätten ändern müssen; aber da sich bei den Akten kein Vorgang für solche Änderungen fand, so geschahen sie immer nicht, bis endlich der weniger einsichtsvolle Teil der Bevölkerung ungeduldig wurde. Diese Ungeduld hielt man für revolutionäre Stimmung, und als sie sich äußerte, da glaubte sowohl die Regierung, als auch die Ungeduldigen, daß eine Revolution gemacht werde.

Man erzählt, daß damals in Berlin zwei Geheimräte, Exzellenzen und Abteilungsvorstände in ihren Ministerien, sich auf der Straße getroffen haben, sich kummervoll begrüßt, und dann einander gefragt, was denn eigentlich der Grund für die Revolution sein könnte. Sie wußten es beide nicht. »Es kommt ja wohl einmal vor bei uns, daß ein Rest bleibt, die Eingänge sind ja nicht jeden Tag gleichmäßig,« sagte der eine, »aber das kann ich beschwören, jeden Sonnabend wird aufgearbeitet, und wenn ich bis zwölf Uhr des Nachts sitzen bleiben soll, bei mir findet der Registrator am Montag früh immer einen leeren Aktenständer.« »Jawohl,« entgegnete ihm der andere, »das kann ich bezeugen, bei uns wird es genau so gehalten, und in den sämtlichen andern Ministerien meines Wissens gleichfalls.«

Ein Bäckermeister in Berlin, der ein gutgehendes Geschäft in der Krausenstraße führte, war schon in der Zeit vor der Revolution beim Bürgerstand eine angesehene Persönlichkeit gewesen, indem er Vorsitzender eines bei der Polizei angemeldeten freisinnigen Vereins war, er hatte zwei Haussuchungen erlitten und war drei Wochen lang in Haft gehalten, weil die Polizei glaubte, daß er mit den Häuptern der internationalen Demokratie in Verbindung stehe. Als die Revolution gesiegt hatte, da wurde er zu verschiedenen Vertrauensämtern gewählt, denen er redlich und brav vorstand.

Seiner Frau war das politische Treiben von Anfang an nicht lieb gewesen. Sie sagte ihm, ein Bäcker habe die Reaktionäre ebenso zu Kunden wie die Demokraten; sie selber besorge den Laden und der Mann gehöre in die Backstube; wenn der Meister außer dem Hause ist, dann tun die Gesellen nichts; es seien schon Klagen gekommen, und sie habe es ja auch selber gemerkt, daß der Teig nicht ordentlich geknetet werde; und was denn dergleichen Reden mehr sind. Man kann sich denken, wie die Haussuchungen und die Haft die gute Frau erregt hatten. Als aber die Revolution nun wirklich gekommen war und ihr Mann einer der Führer des Volkes wurde, da überfiel sie eine unbeschreibliche Angst.

Zu den Kunden des Meisters gehörte der Geheimrat Wagener, welcher damals die Konservativen zum Widerstand sammelte, eine Zeitung begründete, die Kreuzzeitung, und als der entschiedenste Gegner der Revolution galt. Die Frau hatte vor ihrer Heirat in dem Hause gedient und verehrte den Geheimrat Wagener, der ihr immer als ein höheres Wesen erschienen war, und auch der Geheimrat und seine Familie hatten Elschen, denn das war der Name der Frau, immer gern gehabt wegen ihres treuen und aufrichtigen Gemüts, und Frau Wagener war sogar Patin bei dem ältesten Kind geworden.

An einem Abend, kurz vor zehn Uhr, als gerade die Haustür schon geschlossen werden sollte, klingelte der Bäckermeister bei dem Geheimrat und verlangte den Herrn zu sprechen. Er wurde in das Arbeitszimmer geführt und entschuldigte sich dort vielmals, daß er störe; dann bat er darum, daß sein Besuch verschwiegen bleiben möge, denn er selber sei ja wohl nicht so einseitig und erkenne die Berechtigung des gegnerischen Standpunktes an; aber seine Freunde würden sagen, daß er das Volk an die Reaktion verrate, wenn sie erführen, daß er bei dem Herrn Geheimrat gewesen sei.

Nach dieser Vorrede begann er nun seine Gedanken vorzutragen. Er hatte die Geschichte der französischen Revolution studiert. Man lebte in einer Revolutionszeit. Das Volk hatte gesiegt. Der Herr Geheimrat mußte doch zugeben, daß das Volk gesiegt hatte.

Der Geheimrat Wagener gab es zu.

Nun, man weiß, was geschehen kann, wenn das Volk seine ewigen Rechte in die Hand nimmt, die eine kurzsichtige Regierung ihm vorenthält. Das Volk ist edel; aber es kann auch schrecklich sein. Das heißt, der Meister billigte es ja nicht, wenn Mord und Totschlag geschah. Wenn man die Preßfreiheit hatte, wenn man die Versammlungsfreiheit hatte, wenn man die Verfassung hatte, was wollte der friedliebende Bürger mehr? Er wollte seinen Geschäften nachgehen und ein nützliches Glied der menschlichen Gesellschaft sein. Aber zum Beispiel die Bäckergesellen gingen weiter.

Hier nickte der Geheimrat bedeutungsvoll. Aber der Meister, welcher in dem Nicken wohl eine Bestätigung zweifelnder Stimmen in seinem Innern ahnte, schlug sich an die Brust und rief, er werde die heilige Sache des Volkes nie verlassen.

Unvermittelt an diesen Ausruf schloß er nun einen Vorschlag. Das Volk hatte gesiegt. Der Meister hatte das Vertrauen des Volkes. Aber er verehrte auch den Geheimrat. Wenn nun, was Gott gewiß verhüten würde, das Volk seine Feinde zur Rechenschaft zog, dann konnte der Meister dem Herrn Geheimrat doch nützlich werden?

Der Geheimrat Wagener nickte zustimmend.

Nun also. Wenn man sich aber umgekehrt dächte, daß die Reaktion siegte, daß die Führer des Volkes eingekerkert würden, dann konnte der Herr Geheimrat dem Meister doch nützlich werden?

Der Geheimrat Wagener räusperte sich und wiegte den Kopf. Aber der Meister fuhr fort. Er war ein angesessener Bürger. Er hatte immer pünktlich seine Steuern gezahlt. Er verlangte ja nichts, das dem Herrn Geheimrat gegen das Gewissen ging. Der Herr Geheimrat war Beamter, das wußte er wohl. Aber der Herr Geheimrat kannte ihn doch. Haussuchung hatte die Reaktion bei ihm gehalten, in Haft hatte sie ihn gesetzt. Er war ein unbescholtener Mann. Das hatte gewurmt. Er hatte keine Verbindung mit verdächtigen Leuten, er hat sich aus Büchern und Zeitungen selber gebildet. Und weiter wollte er ja nichts, als daß der Herr Geheimrat ihm bezeugte, daß er ein rechtschaffener Bürger war. Er hatte nur seine Bürgerpflicht erfüllt. Vielleicht hatte er einmal ein Wort zuviel gesagt, das wollte er nicht abstreiten; der Mensch redet manches, wenn er in der Volksversammlung steht und die Leute wollen etwas von ihm hören. Wenn er da gefehlt hatte, gut, das wollte er büßen. Aber etwas anderes hatte er nicht getan, denn die Ehre ging ihm vor.

Der Geheimrat Wagener antwortete lächelnd, daß er für ihn einstehen werde, wenn man ihn wirklich anklagen sollte; er wisse, daß das wahr sei, was der Meister gesagt habe, und das werde er denn auch bezeugen.

Der Meister stand von seinem Stuhl auf, und ehe der Geheimrat es sich versehen, hatte er in seine Rechte eingeschlagen und gerufen: »Topp, es gilt.« Und dann fügte er hinzu: »Und auf mich können Sie sich auch verlassen. Wenn das Kopfabschneiden angeht, für Sie wird gesorgt.«

Dann bat er noch um eine Empfehlung an die Frau Geheimrat, und darauf ging er.

Der Mann wurde später wirklich angeklagt auf Grund von Aussagen untergeordneter Persönlichkeiten, und es wäre ihm wahrscheinlich schlecht gegangen bei der allgemeinen Verwirrung damals, wenn nicht der Geheimrat für ihn eingetreten wäre und ein gutes Zeugnis für ihn abgegeben hätte.


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