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Der geschickte Polizeileutnant

Der Marquis von Salinges, welcher vor der Revolution in Paris in einem schönen Schloß wohnte, war ein zufriedener Mann von mittleren Jahren, nicht gerade dick, aber doch auch ganz bestimmt nicht mager, der gern aß und trank und auch ganz damit einverstanden war, daß andere Leute aßen und tranken, wenn er selber nur seine Ruhe hatte.

Er wollte auf jeden Fall seine Ruhe haben, denn Ärger und Aufregungen schaden der Gesundheit, und weshalb soll man sich ihnen aussetzen, wenn man nicht muß? Also er hatte nicht geheiratet und hatte den Grundsatz: »Ich bezahle meinen Leuten hohe Löhne, ich bezahle ein Drittel mehr wie andere, aber wenn es mit einem einmal nicht gehen will – raus. Einfach raus. Ohne weiteres raus.«

Bei diesen Anschauungen war sein Verwalter ein Mann, der eine sehr schöne Frau besaß, und da der Marquis doch nicht verheiratet war und da man mit einer richtigen Geliebten immer seinen Ärger hat, so hatte er mit dieser Frau ein Liebesverhältnis angefangen.

Der Verwalter war ein tüchtiger, fleißiger und ehrlicher Mann, der seine Frau bewunderte, denn er war ebenso häßlich, wie seine Frau schön war. Der Marquis war nicht gerade sehr begabt, wie wir uns wohl denken können; die Frau war es auch nicht, und so hätte ein argwöhnischer und scharfsinniger Mann wohl Verdacht schöpfen können, wenn er ihr Benehmen beobachtete. Aber der Verwalter war auch nicht sehr begabt und war sehr respektvoll, und so geschah es denn, daß die drei in Frieden und Eintracht miteinander lebten.

Der Verwalter mußte jede Woche einmal auf die Domäne hinausfahren, wo er denn die Nacht über blieb. Es hatte sich im Lauf der Zeit so gemacht, daß der Marquis an diesem Tage regelmäßig die Frau besuchte. Er saß dann in der guten Stube neben ihr auf dem Sofa, über dem die Bilder der Eltern des Gatten hingen, der runde Tisch war schön gedeckt, die Teemaschine war in Gang gesetzt, die Frau hatte Brötchen geschmiert; und so pflegte er denn zu sagen: »Nun wollen wir genießen, was uns Gott beschert hat.«

In solcher Weise hätte das Glück ungestört lange Jahre andauern können, wenn es nicht durch den Übermut der Frau zerstört wäre.

Die Frau hätte es als eine unverdiente Gunst genießen sollen, daß ihr Mann draußen in Wind und Wetter mit seinem Korbwägelchen auf der Landstraße fuhr, indessen sie ihren Ofen heizen konnte, wenn es ihr zu kalt war – ihr Mann hatte freie Feuerung bei seiner Stelle – und dem Marquis aus der Maschine mit eleganten Bewegungen Tee eingießen durfte. Aber sie dachte plötzlich, daß sie die Überlegenheit, welche sie durch die vornehme Liebe über ihren guten Mann zu haben meinte, auch äußerlich bekunden müsse. Der Mann will sich mit einem Kuß von ihr verabschieden, sie wendet sich ab und sagt, er sei gewöhnlich. Er möchte zu Mittag Schweinebauch mit Steckrüben zusammengekocht, sie erwidert, ein solches Essen sei wohl für einfache Leute passend, aber nicht für sie. So folgte ein Widerspruch und Ärger auf den andern; der Mann ertrug lange alles geduldig, in der ersten Zeit dieser Laune war er sogar der Ansicht, daß seine schöne Frau im Recht sei, wenn sie ihn geringschätze; aber endlich, er hatte gerade vorher einen Ärger mit dem Kutscher gehabt, welcher heimlich den Hafer verkaufte, endlich erwiderte er einmal, er sei ebenso fein wie die Frau, und wenn er etwas gesagt habe, so habe er es gesagt, und er wünsche, daß sie seine Befehle befolge, und so sprach er weiter, wie in solchen Fällen gesprochen wird. Dieser Ton verdroß die Frau und sie erwiderte ihm scharf, und da sie nichts Besonderes wußte, womit sie ihn herabsetzen konnte, so sagte sie ihm, daß er ein Hahnrei sei und daß sie schon seit Jahren ein Liebesverhältnis mit seinem Herrn habe, und daß der immer komme und bei ihr Tee trinke, wenn er selber über Land auf die Domäne fahre.

Dies erbitterte nun den Mann sehr, wie man sich wohl denken kann; er nahm seinen Stock, welcher in der Ecke stand, und schlug auf seine Frau los, und nicht eher hörte er auf, bis sie ihn um Verzeihung bat und unter vielen Tränen versprach, daß sie das Verhältnis zu dem Marquis lösen wolle.

Nun lebten die beiden einige Tage wieder ruhig zusammen. Als aber der Verwalter wieder fahren mußte, da besuchte der Marquis die Frau; und sie erzählte ihm alles, klagte mit vielen Worten über die Schläge, deren Spuren sie noch auf ihrem Körper halte, und sagte auch, daß sie ihrem Mann habe versprechen müssen, ihn, den Marquis, nicht mehr zu lieben.

Der Marquis saß auf dem Sofa, pustete die Backen auf und machte runde Augen vor Erstaunen. Dann sagte er, das sei nicht möglich, daß er das Liebesverhältnis aufgebe, denn so, wie alles jetzt sei, sei es ihm gerade bequem, denn heiraten wolle er nicht, und mit einer richtigen Geliebten habe man immer seinen Ärger.

Man kann sich vorstellen, daß die Frau schon vorher bei ihrer Erzählung geweint hatte. Aber nun ließ sie ihre Tränen deftiger fließen und sagte, daß sie eine solche Liebe und Treue gar nicht verdiene, denn sie sei nur eine einfache Frau und sei nicht hochgeboren, aber freilich ihr Herz sei seiner würdig, und sie habe dieselben Empfindungen wie der Herr Marquis und Treue und Liebe müssen bis in den Tod gelten.

So wurden noch mehrere Reden ausgetauscht, und endlich beschlossen die beiden, daß es das beste sei, wenn sie sich des Mannes entledigten.

Nun war es im damaligen Frankreich aber sehr leicht für einen vornehmen Herrn, einen einfachen Bürger zu beseitigen, der ihm lästig war. Der Marquis schrieb einen Brief an den Minister, in welchem er erzählte, die Frau seines Verwalters, eine brave, ordentliche und anhängliche Person, habe ihm geklagt, daß sie von ihrem Mann mißhandelt werde; er bitte, damit die arme Frau in Ruhe leben könne, den rohen Patron verhaften zu lassen und in die Kolonien zu senden. Der Minister beeilte sich, dem Marquis zu erwidern, daß sein Wunsch erfüllt werden solle, und es wurde ein Befehl ausgefertigt, den Verwalter zu verhaften und mit der nächsten Ladung nach Martinique zu schicken.

Dieser Befehl ging zur Ausführung an den Polizeileutnant des Bezirks, in welchem das Schloß des Marquis lag.

Dieser Polizeileutnant aber war ein guter Freund unseres Verwalters. Jede Woche einmal kamen die beiden Männer in einer ehrbaren Weinwirtschaft zusammen, spielten pünktlich zwei Stunden lang ein Kartenspiel um Rechenpfennige und tranken jeder eine halbe Flasche Wein. Der Polizeileutnant kannte also den Verwalter ganz genau und wußte, daß er nicht ein so roher Mensch war, wie er in dem Befehl beschrieben wurde, der seine Frau beständig mißhandle; und als ein erfahrener Mann schloß er denn, daß die Sache wohl so zusammenhängen werde, wie es wirklich war.

So schickte er denn zu seinem Freund und verabredete für den Abend das gewohnte Kartenspiel. Und als die beiden behaglich saßen und die Karten mischten, da brachte er das Gespräch auf die Frauen, auf die Ehe im allgemeinen, auf die Täuschungen, welche die Frauen oft begehen, und so bewirkte er denn, daß der treuherzige Mann, welcher noch niemanden zu seinem Vertrauten gemacht hatte und doch das Bedürfnis fühlte, seine Geschichte zu erzählen, ihm alles berichtete, was er wissen wollte, nämlich von seinen Fahr-* ten auf die Domäne, von dem Teetrinken, von der üblen Laune der Frau, und endlich auch von der Versöhnung. Mit dieser schloß der gute Mann seine Geschichte, indem er schilderte, wie die Frau wieder zu ihren Pflichten zurückgekehrt war, und wie glücklich er jetzt lebte, und wie seine Frau ihm alles an den Augen absah, und wie er jetzt keinen Wunsch mehr hatte, als daß alles so bleiben möge, wie es jetzt war.

Während dieser Erzählung hatten die beiden die Karten ruhen lassen. Aber nun sagte der Polizeileutnant, daß er recht gehandelt habe, und daß ein verständiger Mann seiner Frau, wenn sie sonst gut sei, auch einmal verzeihen müsse, und damit hob er das Kartenspiel auf und die beiden spielten weiter wie gewöhnlich. Im Verlauf des Spieles bat der Polizeileutnant seinen Freund, ob er ihm nicht bei seinen Fahrten über Land einmal einen Schinken mitbringen könne, einen hausschlachtenen Schinken, der ordentlich geräuchert sei, man bekomme in Paris für sein Geld nichts Ordentliches, und er habe eine rechte Sehnsucht, einmal wieder in ein unverfälschtes Stück Schweinebein so richtig hineinzubeißen. Der Verwalter sagte, daß er morgen fahren werde und ihm auf dem Dorf seines Herrn den Schinken besorgen könne, der Leutnant freute sich sehr, daß er ihn so bald bekommen sollte und fragte, ob die Fahrt auch gewiß sei und ließ sich die Stunde sagen; und so redeten die beiden noch manches andere, was zwei Männer beim Kartenspiel zu reden pflegen.

Am andern Tag fuhr der Verwalter mit seinem Wägelchen ab; alsbald deckte die Frau ihren runden Tisch in der guten Stube, stellte die Teemaschine auf und erwartete den Marquis. Der kam denn auch, sie rückte den Tisch zurecht, daß er bequem auf das Sofa gelangen konnte, dann bereitete sie ihm den Tee, und dann saßen die beiden recht zärtlich nebeneinander.

Aber da öffnete sich plötzlich die Tür, der Polizeileutnant mit zwei Leuten erschien, ging auf den erstaunten Marquis zu, berührte ihn mit seinem Stab und sagte: »Im Namen des Königs, Sie sind verhaftet.«

Der Marquis erklärte vergeblich, er sei nicht der Verwalter; die Frau bezeugte, daß der Herr der Marquis war; lächelnd entgegnete der Leutnant: »Ich verstehe die Herrschaften wohl; aber der Mann, mit dem eine anständige Frau so vertraulich zusammensitzt, ist immer ihr Ehegatte.« Dann forderte er den Marquis von neuem auf, ihm gutwillig zu folgen. Der Marquis stieß Beleidigungen gegen die Polizei aus, der Leutnant wurde ernst und machte ihn auf die Folgen aufmerksam. Der Marquis sträubte sich, der Leutnant befahl seinen Leuten, Gewalt zu gebrauchen; und kurz und gut, der Marquis wurde gefesselt und in das Polizeigefängnis gebracht, von wo er in einigen Tagen dem Schub nach Martinique zugeteilt werden sollte.

Der Leutnant machte dem Polizeipräsidenten seine Aufwartung. Der Präsident empfing ihn mit gerunzeltem Gesicht und wollte ihn anfahren; aber der Leutnant hatte schon kaltblütig seinen Bericht über die Verhaftung begonnen. Er erzählte, daß er den Verwalter bei seiner Frau betroffen habe, und daß der Mensch angegeben habe, er sei der Marquis, obwohl durch die Lage, in welcher er ihn gefunden, seine Persönlichkeit in der unzweideutigsten Weise festgestellt gewesen sei; und so wollte er mit dienstlichem Gesicht fortfahren. Aber der Präsident warf sich in seinen Sessel, haute sich auf die Schenkel, brüllte vor Lachen, bog sich, krümmte sich, sah dann in das unbewegte Gesicht des Leutnants und sagte: »Hier habe ich die Beschwerde der Frau. Sie schreibt, daß Sie ihren Mann kennen.« »Nur außerdienstlich, Herr Präsident,« antwortete der Leutnant. »Nur außerdienstlich kennt er ihn,« schrie der Präsident unter neuen Lachanfällen. »Gehen Sie gleich zum Minister, bei dem liegt schon die Beschwerde des Marquis, erzählen Sie die Verhaftung, aber mit denselben Worten wie mir.«

Der Leutnant ging zum Minister. Der Minister lachte nicht, er lächelte nur. Dann sagte er: »Sie scheinen ein gewandter Mensch zu sein. Wenn eine Stelle frei wird, die für Sie in Frage kommt, dann können Sie sich melden.«


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