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Der hölzerne Kindersäbel

In einem Dorfe hatte eine Bauernfamilie seit undenklichen Geschlechtern auf einem Hofe gesessen. Der Vater des gegenwärtigen Besitzers war sehr alt geworden und hatte den Hof immer nicht abgeben wollen; der einzige Sohn hatte, schon verheiratet, bis in sein fünfzigstes Jahr als Knecht bei ihm gedient, bis er nach dem Tode des Vaters nun Herr wurde.

Er hatte zwei Söhne, welche nun auch schon junge Männer waren, als er aus dem engen und niedrigen Knechtshaus in das große Vorderhaus zog. Nach der Sitte war der Ältere zum Bauern erzogen, denn es wurde angenommen, daß er einmal dem Vater auf dem Hof nachfolgte, indem er dem jüngeren einige tausend Mark auszahlte. Der Jüngere war in die Stadt auf das Gymnasium geschickt, dann zu einem Kaufmann in die Lehre gegeben, und dachte sich nun gerade selbständig zu machen. Es kamen damals durch findige Fabrikanten jene falschen Schmucksachen auf, welche den Frauen und Mädchen aus dem Volk so verlockend sind. Der Händler, welcher derartige Ware verkaufen will, muß einen Laden in einer Straße errichten, durch welche Fabrikarbeiterinnen zu ihrer Arbeit gehen, denn außer Dienstmädchen sind diese die vornehmsten Käuferinnen. Im Schaufenster werden die Schmucksachen auf drehbare Scheiben gelegt und durch Glühlampen von oben und von den Seiten beleuchtet; dadurch entsteht ein solches Blitzen und Funkeln, daß die Vorübergehenden, besonders die Frauen, auf das stärkste betroffen werden, denn das Blitzen der Edelsteine übt ja eine merkwürdige Macht auf die Menschen aus, und die Sinne der Ungebildeten sind stumpf genug, daß die fast schmerzenden Strahlen der nachgemachten Steine denselben Eindruck auf sie machen, wie auf den entwickelteren Menschen die milden der echten Steine. Ein solches Geschäft nun dachte der jüngere Sohn in der Stadt zu begründen, und er rechnete der Mutter vor, was er verdienen werde bei seiner Einsicht und Gewandtheit, denn er verstehe die Leute zu nehmen, besonders das Arbeiterpublikum, welches eine besondere Kunst sei, und bei den nachgemachten Edelsteinen werde viel aufgeschlagen, da die Leute ja nicht wissen, daß die Herstellung beinahe nichts kostet.

Der ältere Sohn war ein stiller, fleißiger Mann, etwas ungeschickt in seinem Wesen, dessen ganzes Sinnen und Trachten auf Acker, Wiese, Wald und Vieh ging.

Nun hatte die Mutter von jeher eine Liebe zu dem jüngeren und eine Abneigung gegen den älteren Sohn gehabt. Sie sagte, der ältere schlage auf den Großvater, der sie mit seiner Hartnäckigkeit und wunderlichem Sinn so lange geplagt, indessen der jüngere ihres eigenen Vaters Ebenbild sei und in die Welt passe als ein höflicher und liebenswürdiger Mann. Ihre Neigungen wirkten, und die Wirkungen übten wieder Einfluß auf ihre Neigung aus; denn der ältere Knabe, der die Dorfschule besuchte und schon früh im Stall und auf dem Felde mithalf, war denn oft genug mit beschmutzten Schuhen und Kleidern zum mittäglichen Essen gekommen, stützte sich bei Tische auf die Ellbogen, grüßte träge, war schweigsam und selbst verschlossen, und hatte in vielem zu guten Sitten beständig ermahnt werden müssen, indessen der jüngere, wenn er am Sonnabendnachmittag und Sonntag im elterlichen Haus war, durch reinliche Kleidung, freundliches und höfliches Benehmen und gewandtes Sprechen verstanden hatte, die Mutter zu erfreuen.

Nun hatte aber die Frau auf den Mann einen sehr großen Einfluß, indem der sich nicht gegen ihren Willen wehren konnte. Wenn sie etwas wollte, so verstand sie zu sprechen, und er vermochte, auch wenn er klar einsah, daß sie etwas Törichtes wollte, doch keine Gegengründe anzuführen, sondern er half sich, solange es ging, durch Schweigen oder auch durch gelegentliches Aufbrausen. Sie ließ sich nicht irre machen und begann ihre Angriffe immer wieder von neuem; und zwar vermochte sie ihn nie zu überzeugen, auch wenn sie wirklich einmal im Rechte war; aber endlich gab er dann immer nach, weil er nicht mehr widerstehen konnte.

Die Frau hatte sich vorgenommen, den Mann zu bereden, daß er dem Jüngsten den Hof verschreiben solle. Sie stellte ihm vor, wie geschickt und begabt der Jüngste sei; sie sagte, der Älteste könne ja wohl ganz gut als Verwalter auf dem Hofe leben, indessen der Bruder selber das einträgliche Geschäft weiterbetreibe; sie stellte vor, daß der Ältere ungeschickt und unwissend sei, nicht mit der Zeit gehe, sich den neueren Gedanken verschließe und so nicht den rechten Nutzen aus dem Hof ziehen könne, indessen der Jüngere ihr von neuen Düngemitteln und Maschinen gesprochen habe und gesagt habe, das müsse ihm alles ganz anders werden, wenn er erst den Hof habe. Der Bauer brauste auf und sagte, der Jüngere sei ein Narr und ein Gauner, er wisse nicht, wie das Blut in seine Familie gekommen sei, seine Vorfahren seien alle redliche Leute gewesen, die ihren gesunden Verstand gehabt. Die Frau schwieg, aber nach einiger Zeit brachte sie ihr Gespräch wieder von neuem vor, und so bohrte sie nun täglich, Wochen und Monate durch.

Der ältere Sohn war längst verheiratet und hatte drei Kinder. Der Bauer ging oft hinüber in das Knechtshaus und saß in der Küche. Die Kinder spielten um ihn, fragten, er erzählte. Als er von der Frau wegen der Verschreibung des Hofes bestürmt wurde, kam er öfter, er sagte, daß er hier Ruhe habe vor der Widerbellerin, denn die Schwiegertochter war eine stille, freundliche Frau, welche in Haus und Stall ihre Arbeit tat ohne viel zu reden. Er machte dem Sohn eine Andeutung. »An deiner Mutter hast du keinen Freund,« sagte er ihm. Der Sohn antwortete nicht. »Ich tue, was recht ist,« fuhr er fort. »Meinetwegen,« erwiderte der Sohn. Der Vater ging, und die Ehegatten blieben allein zurück. »Weshalb hast du denn so kurz geantwortet?« fragte die Frau; er antwortete: »Der Schuft kriegt den Hof doch zugeschrieben.«

Es wurde still von dem Gespräch über die Verschreibung des Hofes. An einem Sonntagnachmittag aber, als der Vater in der Küche saß, das älteste Enkelkind auf dem Knie hatte und reiten ließ, sprach der Sohn: »Ich muß es dir auch jetzt sagen, Vater, ich gehe zum nächsten Quartal.« Der Vater setzte das Kind auf die Erde und sprang auf, mit unsicherm Ausdruck des Gesichtes. Er wollte fragen, aber er konnte nicht sprechen. »Ich muß an meine Familie denken,« fuhr der Sohn fort. »Jetzt bin ich noch jung. Daß ich hier als Verwalter für meinen Bruder bleibe, das kann meine Mutter doch nicht verlangen. Ich habe eine Verwalterstelle auf einem Rittergut bekommen.« Der Vater warf nur ein: »So, so!« ein, der Sohn sagte: »Du hast nicht anders gekonnt, Vater, es war ein Unrecht vom Großvater, daß er den Hof so lange behalten hat, du bist kein Mann geworden, und nun kannst du der Mutter nicht widerstehen. Aber ein Unglück ist es für mich. Für euch alle ja auch. An dem Schuft werdet ihr einen schönen Dank erleben.«

Der Sohn verließ mit seiner Familie den Hof, und es wurde ein verheirateter Knecht für ihn genommen. Die Bäuerin machte ihrem Mann Vorwürfe. Er habe den Ältesten immer vorgezogen. Nun sehe er, man ernte nur Undank von seinen Kindern. Aber er habe keinen Mut. Ihr habe der Bengel nichts zu sagen gewagt, seinem Vater habe er alles vorgeknört, und der habe immer ein Ohr gehabt, wenn er über seine Mutter geklatscht habe. Und auf diese Weise sprach sie weiter.

Der Erbe kam aus der Stadt auf Besuch mit seiner Frau, zwei Kindern, Kinderfräulein und Dienstmädchen. Er sagte, daß er mit seiner Familie in die Sommerfrische gehe. Die Kinder trugen weiße Kleider, welche jeden Tag gewechselt wurden. Die Frau blieb bis gegen elf Uhr im Bett; sie ließ sich von dem Dienstmädchen des Morgens Kakao ans Bett bringen. Das Dienstmädchen kochte für die Familie besonders, sie aßen auch nicht am Tisch der Eltern, sondern für sich allein in einer oberen Stube.

Der Knecht zog den Bauern mit seinem Sohn auf. Der fünfjährige Enkel hatte sich an ihn gemacht und hatte ihm erzählt, sein Vater habe gesagt, daß er einmal später den Hof erben solle, indessen der andere Bruder das Geschäft übernehme. Aber er werde nicht Mist fahren wie der Großvater, denn seine Leute brauchten überhaupt nicht zu arbeiten. Das brachte der Knecht nun immer in seinen Gesprächen an, daß seine Leute nicht zu arbeiten brauchen.

Der Bauer hatte seinem ältesten Enkel vom ersten Sohn einen hölzernen Säbel geschnitzt, den der sehr geliebt hatte. Als der Sohn auszog, hatte sich der Säbel nicht gefunden, und das Kind war ganz untröstlich über den Verlust gewesen. Nun mußte das Dach des Knechtshauses ausgebessert werden, und dabei fand sich im Dachkasten der Säbel, das Kind hatte wohl auf dem Boden gespielt und hatte ihn zwischen Ziegeln und Verschalung durchgleiten lassen. Der Knecht gab den Säbel dem andern Enkel, der sagte, zu Hause habe er viel schöneres Spielzeug, das im Laden gekauft sei, aber er band ihn sich doch um mit einer Schnur und ging so mit militärischem Schritt vor dem Hause auf und nieder. Der Großvater trat eben aus der Tür. Es war angespannt, er wollte ins Holz fahren. Als er den Enkel mit dem hölzernen Säbel sah, den der andere so sehr geliebt, ging er auf das Kind zu, nahm ihm das Spielzeug fort und brachte es in sein Zimmer, wo er es in seinen Schrank einschloß. Das Kind schrie und weinte, die Großmutter kam, die Mutter, beide Frauen wendeten sich gegen den Bauern, der stieg wortlos auf seinen Wagen zu dem harrenden Knecht, nahm die Zügel, rief den Pferden zu, und fuhr ratternd ab.

Er fuhr in den Wald zu der Stelle, wo das Holz lag. Der Knecht sagte, die Abfahrt sei schlecht, sie müßten das Holz erst rücken. Der Bauer erwiderte ihm, er solle tun, was ihm geheißen sei, und so luden die beiden auf. Der Wagen war schwer beladen, die Strecke ging steil abwärts, die Pferde zogen an, der Wagen kam ins Rollen, die Pferde hielten ihn nach Kräften, da sprang der Bauer nach vorn vor die Pferde und schlug dem Handpferd mit dem Peitschenstiel über die Nase. Das stieg auf, riß das andere mit, der Wagen rollte auf sie, der Bauer lag unter den Hufen, die Pferde stürzten, die Deichsel brach, der Wagen ging über den Bauern, der laut aufschrie, über die gestürzten, schlagenden Pferde, glitt an einem Baumstumpf ab, bohrte sich mit dem linken Vorderrad tief in eine morastige Stelle, die dort war, und blieb dann stehen, das rechte Vorderrad in der Luft.

Der Knecht kroch zu dem Bauern durch. Das linke Hinterrad stand noch auf dem gänzlich zerquetschten Körper, aus dem jedes Leben entflohen war.

Der Knecht lief ins Dorf zurück und holte von Nachbarn Hilfe. Die Frau lief herbei, jammerte, als sie die Erzählung hörte, der Sohn kam, fragte, der Knecht wendete sich zu der Frau und fuhr sie an, sie solle nicht schreien und dem Toten wenigstens seine Ruhe gönnen; sie habe ihn doch dahin gebracht, denn er habe sich absichtlich totgefahren, weil ihm das Gewissen keine Ruhe gelassen habe über die Erbverschreibung.

Die Frau wurde blaß und schwieg, der Sohn wurde verlegen. Er holte einen Taler vor und wollte den dem Knecht in die Hand drücken; aber der wehrte ab und sagte, er habe von ihm keinen Taler verdient.


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