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Das Porzellangeschirr

Zu der Zeit, als die Verfertigung des Porzellans ihre höchste Vollkommenheit in Deutschland erreicht hatte und deshalb auch Männer bei ihr beschäftigt wurden, welche in ihrem ganzen Sein Künstler waren, arbeitete bei einer Manufaktur ein junger Maler namens Ehrhardt, der von seinen Vorgesetzten sehr geliebt wurde wegen seiner Begabung, seines reinen künstlerischen Gefühls und seines Fleißes. Der junge Mann war verlobt mit der Tochter eines Tischlers. Seine Braut war in ihrem Wesen ihm verwandt, denn auch ein Tischler war ja damals nicht ein Arbeiter, welcher für seinen Tagelohn unwillig eine ihm verhaßte Arbeit macht, sondern er liebte sein Handwerk, er suchte sich sorgfältig seine Hölzer aus und pflegte sie, er entwarf seine Möbel selber und paßte ihre Art dem Holz an, das er verarbeiten wollte, er wirkte mit Farbe, Ton und Maserung seiner Möbel wie der Musiker mit der Harmonie, und mit Verhältnissen, Linien und Flächen, wie der Musiker mit der Melodie wirkt. Diese alten Handwerker waren in Wirklichkeit Künstler, wie sie sein sollen, nicht wie die heutige entartete Zeit sie sich vorstellt, und sie hatten auch das allgemeine Lebensgefühl des Künstlers.

Ehrhardt war nicht einverstanden mit dem gewöhnlichen Vorgehen der Porzellanmalerei, daß nämlich über der Glasur gemalt wurde. Er zeigte seiner Braut, wie die Farben einen verschiedenen Glanz bekamen, so daß eine Einheitlichkeit gar nicht möglich wurde. Er stellte Versuche an, unter der Glasur zu malen, wie die alten Chinesen es getan haben, deren unübertroffene Werke uns noch heute zur Bewunderung anreizen, und seine Braut, welche er in allem überzeugt hatte, ging ihm bei seinen Arbeiten gern an die Hand.

Als die beiden sich ihre Liebe gestanden hatten, da hatte eine wilde Rose eine Rolle gespielt. Der junge Mann stammte nicht aus dem Ort, aber er war ehrlicher Leute Kind, und der Tischlermeister hatte sich genau nach allem erkundigt, ehe er erlaubte, daß er zu seiner Familie ins Haus kam, er wußte, daß die Besuche Ehrhardts seiner Tochter galten, und die Tochter wußte es ganz gewiß auch. Aber jedermann in der Familie und der junge Mann selber tat so, als sei die Freundschaft ganz allgemeiner Art. An einem Sonntagnachmittag hatten alle einen Ausflug gemacht, als die Sonne sich senkte, kehrte man zurück; die Eltern ruhig und ehrenhaft vorausgehend, die Knaben umherschwärmend und Schneckenhäuser, Käfer oder ähnliches suchend, und Ehrhardt mit dem jungen Mädchen so weit von den übrigen entfernt, daß ein ungestörtes Sprechen möglich war. Sie sprachen aber nichts, das nicht die andern hätten alle auch hören können. Da stand ein großer Busch wilder Rosen am Weg, aus dem Hunderte und Hunderte von Blüten und halberschlossenen Knospen hervorgebrochen waren, erst um Mittag war er aufgeblüht, und noch war keines der zarten hellroten Blätter abgefallen. Die beiden blieben bewundernd vor dem schönen Busch stehn, Ehrhardt zog sein Taschenmesser, um eine Blüte abzuschneiden, aber indem er sie ihr reichte, löste sich eines der Blättchen, dann noch eines, das junge Mädchen lachte, er lachte auch, dabei sahen sie sich in die Augen, flink blickte er sich um nach Eltern und Brüdern, und plötzlich zog er die Errötende an sich und küßte sie, noch in der Hand die Rose mit den drei gebliebenen Blättern.

Damals hatten sich die jungen Leute verlobt, die Eltern hatten zu Hause ihre Hände genommen und ihnen freundliche und liebe Worte gesagt.

Seit dieser Zeit hatte das junge Mädchen eine besondere Liebe zu den wilden Rosen, und als nun die beiden alles besprochen hatten, wie es geschehen sollte mit der Malerei, da schlug sie ihm vor, er solle doch ein Gedeck mit wilden Rosen bemalen.

Es waren gerade wieder die Tage, wo sie blühten. Die beiden gingen am Sonntag zu ihrem Busch, setzten sich ihm gegenüber, und zeichneten auf Papier einen Zweig mit dem Ansatz der Büschel von Blättern und Blüten, sie zeichneten einzelne Blüten und Knospen, verschiedenartig gerollte Blätter; sie wiederholten ihren Besuch, und arbeiteten so fleißig, daß sie die schöne Pflanze genau kennen lernten und wußten, wie sie zu malen war.

Dann machte der junge Mann mit seinem Vorgesetzten ab, daß er ein vollständiges Gedeck bekam, das unglasiert war; er kaufte es sich, denn er wollte seine Arbeit auf eigene Hand machen, und die Vorgesetzten ließen es ihm zu einem mäßigen Preis; und nun dachte er sich aus, welche verschiedenen Rankenverschlingungen er auf die Teller und Schüsseln malen wollte.

 

Die Arbeit war fertig und war völlig gelungen. Die Vorgesetzten besahen sich jedes Stück, besprachen alles und lobten den jungen Künstler. Es wurde beschlossen, für besondere Aufgaben von der neuen Art des Malers Gebrauch zu machen, Ehrhardt wurde fest angestellt, und die Arbeit, welche man von ihm verlangte, machte ihm Freude. So schien nun sein Leben völlig gesichert, und er beschloß in Übereinstimmung mit den Eltern der Braut, bald zu heiraten.

Das kostbare Gedeck bot er auf den Rat der Vorgesetzten dem Sohn des ersten Ministers an, einem prunkliebenden jungen Herrn, von dem es bekannt war, daß er große Ausgaben mit leichter Hand machte.

Ehrhardt stieg mit Zagen den Weg zu dem Schloß des vornehmen Herrn hinauf, das steil über der Stadt lag. Er hatte eine Schüssel mitgebracht zur Probe und stellte sie im großen Saal auf einem Tisch günstig auf, der junge Herr trat ein, sah sie flüchtig an, nickte mit dem Kopf; Ehrhardt sagte, die übrigen Teller und Schüsseln seien im Saal der Fabrik aufgestellt. Der andere erwiderte, es sei gut so, er brauche sich nicht alles anzusehen, es sei viel gesprochen über seine Arbeit und sie werde von allen sehr gerühmt, sein Geld werde ihm bezahlt werden; und so ging denn Ehrhardt mit einer tiefen Verbeugung.

Er ging mit Bekümmernis. Denn er wußte ja wohl, daß er das Gedeck nicht für sich und seine künftige Frau gearbeitet hatte, daß es verkauft werden mußte an eine vornehme Herrschaft; aber er hatte seine Arbeit lieb, und der junge Herr hatte sie nicht einmal angesehen. Wenn jemand das Gedeck gekauft hätte, dem die Stücke Freude machten, der die Blumen und verschlungenen Ranken betrachtet hätte, der gefühlt hätte, was ihm selber diese Arbeit gewesen war, dann hätte er sich leicht von ihm getrennt; dann hätte er auch gewußt, daß alles geschont wurde, nicht grobfäustigen Dienstboten übergeben, nicht täglich benützt, sondern in Ehren gehalten, in einem großen Glasschrank aufgestellt, und nur an den hohen Festtagen der Familie auf die Festtafel gebracht, zu den Hochzeilen, Kindtaufen und Sterbefeiern.

Indessen Ehrhardt verstimmt und wortkarg zu den Seinigen zurückkam, hatte der junge Herr den Einfall, zu einem Fest, das er noch am selben Abend geben wollte, das neue Geschirr aufstellen zu lassen, indem er dachte, seinen Gästen ein Vergnügen damit zu machen, daß sie gleich als Erste von dem berühmten Geschirr speisen sollten. Denn es war wirklich in der Gesellschaft viel von der Arbeit gesprochen, wie denn damals eine allgemeine Liebhaberei für Porzellan war, ähnlich zu anderen Zeiten vielleicht einer solchen für Tulpenzwiebeln oder für Briefmarken.

Die Gäste aber waren übermütige junge Herren und einige Damen vom Theater. Das Geschirr wurde bewundert und gepriesen; es wurde genau betrachtet und untersucht; vielleicht aber hätte der fromme Maler doch keine Freude an den Lobsprüchen und dem Erstaunen gehabt, denn diese jungen Leute faßten seine Arbeit so ganz anders auf, wie sie gemeint war. Die wilde Gesellschaft setzte sich. Wundervolle Blumensträuße standen auf dem Tisch, die Damen zogen sich die schönsten Blumen heraus, steckten sie sich an und gaben sie den Herrn. Die Diener mit unbeweglichen Gesichtern brachten die Suppe und schenkten den Wein, ersticktes Lachen, Prusten und Kichern erscholl; Witze wurden erzählt, die nicht allzufein waren; und so steigerte sich sehr bald die Stimmung zu einer lärmenden Lustigkeit, die kaum noch der Anregung durch den reichlich eingegossenen Wein bedurft hätte.

Teller und Schüsseln wurden gleich in die Küche zurückgebracht, wenn ein Gang zu Ende war. Dort wurden sie sofort gewaschen und getrocknet, und was nicht weiter gebraucht wurde, das brachten die Diener in das Speisezimmer zurück, wo alles auf einer kostbaren Anrichte aufgestellt wurde.

Die Gesellschaft hatte längst das Essen beendet; man saß nur noch an dem unordentlich gewordenen Tisch mit den zerzausten Blumensträußen, dem verzogenen und befleckten Tischtuch, den unregelmäßig gesetzten Schalen mit Früchten, den niedergebrannten Leuchtern; Mundtücher lagen zerknüllt auf dem Tisch, unterm Tisch; auf kleinen Tellerchen hatten sich Obstschalen gehäuft, Hülsen von Mandeln, Pflaumenkerne; das Gespräch war längst ein Schreien geworden, da« Lachen war heiser und laut; plötzlich kam von einem der Mädchen ein Quietschen, und in demselben Augenblick fiel ein Teller mit Obstschalen zur Erde und zerbrach. Viele sprangen vom Tisch auf, einer zog das Tischtuch mit, noch einige Teller fielen und zerbrachen, eine silberne Schale stürzte, die Äpfel rollten, ein Leuchter wurde noch eben gehalten. Eine leichte Bestürzung war über der Gesellschaft durch die Zerstörung der schönen Teller; der Gastgeber, halb berauscht, hatte vielleicht einen liebenswürdigen Gedanken, der denn durch seinen Zustand abscheulich wurde, denn vielleicht wollte er den Schuldigen die Beschämung nehmen, er rief: »Das Geschirr, das solchen Schönheiten gedient hat, darf nie wieder eine gemeinere Aufgabe erfüllen,« damit nahm er einen Stoß Teller von der Anrichte und warf ihn auf die Erde. Die andern folgten seinem Beispiel, ergriffen, was sie auf der Anrichte stehend fanden und warfen es zu Boden und an die Wände, und so wurde in einigen Minuten das schöne Gedeck zertrümmert, das für Ehrhardt nicht nur die Arbeit eines Jahres gewesen war, sondern auch eine Darstellung seines Liebens, Hoffens und Suchens; wenn man will und den Ausdruck nicht zu übertrieben findet, seiner zarten und treuen Seele.

 

Ehrhardt hatte unruhig geschlafen aus Sorge um sein Gedeck. Gegen Morgen hatte er endlich einen Entschluß gefaßt. Kaum war es die Zeit, daß er sich bei einem vornehmen Herrn anmelden lassen konnte, so stand er auch schon da und suchte dem verschlafenen jungen Mann, der aus verquollenen Augen mißmutig auf ihn schaute, seine Meinung klarzumachen.

Nun stellte es sich heraus, daß die Menschen zwar alle dieselben Worte gebrauchen, aber notwendig Verschiedenes bei ihnen denken müssen, nach ihrer verschiedenen Veranlagung. Wenn der Porzellanmaler einen Satz sagte, so meinte er auch treuherzig, was die Worte des Satzes bedeuteten, und das war das, was ihm selber schien. Der junge Herr aber hatte bei jedem Wort noch einen besondern Gedanken, der auf einen andern Zweck ging, als das Wort an sich, und wie nun der Maler ihm alles auseinandersetzte, da suchte er natürlich hinter dessen Worten diesen andern Sinn.

Der Maler erzählte, daß das Geschirr unter Glasur gemalt sei und rühmte die Vorzüge der Art, dann fuhr er fort, daß ihn die Arbeit sehr viel Mühe gekostet habe, denn jedes Blättchen sei besonders ausgedacht und für seine Stelle bestimmt, und man mache eine solche Arbeit ja nicht des Geldes wegen, sondern um Ruhm mit ihr zu ernten. Der junge Herr verstand, daß er seine Forderung erhöhen wolle, wurde etwas verdrießlich und sagte, er habe nichts abgehandelt von dem, was der Maler verlangt habe, aber wenn der Preis noch zu niedrig sei, so möge er sagen, was er noch haben wolle. Der Andere wußte seinerseits nicht, was der Herr meinte, und erwiderte, was er verlangt habe, das sei der richtige Preis, und er wolle niemand überteuern, habe auch noch niemand überteuert, denn er dachte, der andere wolle ihm einen Vorwurf wegen des hohen Preises machen. Nun schien dem Herrn, daß der Maler Angst habe wegen der Bezahlung; er fragte lachend, ob er schon bei seinem Rechnungsführer gewesen sei und sein Geld geholt habe, und als der Maler verneinte, fuhr er freundlich fort, er werde sein Geld gleich von dem bekommen, wenn er seine Rechnung einreiche, er selber habe nicht soviel bei der Hand, sonst würde er es ihm sofort hier bezahlen. Nun dachte der Maler in Bescheidenheit und Freude, das sei wohl eine Gelegenheit, bei der er sein Anliegen vorbringen könne; er sagte, am liebsten wäre es ihm, wenn er nicht zu dem Rechnungsführer ginge, denn sein Geschirr sei ihm so lieb, daß ihm klar geworden sei, er könne sich nicht von ihm trennen, und er bitte den Herrn um die Gnade, daß er den Handel rückgängig mache, damit er es behalten könne. Der junge Herr dachte, er habe einen Käufer, der ihm mehr geboten habe, wurde ärgerlich über die anscheinende Unanständigkeit des Mannes und erwiderte kalt, den Handel könne er nicht mehr rückgängig machen, denn das Geschirr sei gestern abend alles zerbrochen.

Hier wurde der Maler fast ohnmächtig. Mit kreidebleichen Lippen fragte er: »Zerbrochen?« Seine Erschütterung machte den jungen Herrn stutzig, und, ohne daß er es wußte wie und weshalb, wurde er verlegen. In dieser Verlegenheit brachte er eine merkwürdige Ausflucht vor, indem er sagte, das Geschirr sei nicht vornehm gewesen; es sei nur mit wilden Blumen gemalt gewesen statt mit kunstvoll gezüchteten. Der Maler hörte nichts, er fragte nur noch einmal: »Zerbrochen?«; dann merkte er, daß der Herr eine Handbewegung machte, durch die er entlassen war.

Draußen fragte er den Diener nach dem Geschirr; der rief einen andern Diener herbei, die beiden erzählten ihm den Vorgang, der andere zeigte ihm in einer Kiste in der Küche die Scherben; einiges, das nur geringer beschädigt war, hatte er sich ausgesucht, um es zu behalten; er sprach von seinem jungen Herrn, wie so Leute tun, in halb demütiger, halb verächtlicher Art.

Der Maler ging aus der Küche die Stufen hinunter auf einen engen Hof. Er kannte die Ausgänge nicht, geriet in eine falsche Tür, und kam nicht zum Haustor, sondern auf einen schmalen Gang außen an der Mauer, die an dieser Stelle, da das Schloß an einen Berg gebaut war, tief und steil abfiel; unten sah man ganz klein die Dächer der Stadt. Der Gang war durch ein eisernes Gitter geschützt; vielleicht hatte Ehrhardt sich über das Gitter geschwungen, denn er stürzte ab und zerschmetterte unten auf dem Straßenpflaster.


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