Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Liebschaft des Dienstmädchens

Ein junges Mädchen war mit den Eltern von einem Ball zurückgekehrt. Die Mutter hatte sie auf die Stirn geküßt, der Vater hatte ihr die Hand gegeben und sie hatte die Hand mit einem Knicks genommen; dann war sie in ihr Mädchenzimmer gegangen mit den weißen Möbeln und den blumig-hellen Vorhängen.

Sie wußte wohl, daß die Eltern sich etwas dachten, sie jubelte innerlich. Als sie allein war, zog sie ihre Tanzkarte vor, und auf einen der aufgeschriebenen Namen drückte sie einen Kuß. Noch konnte sie sich nicht legen. Sie öffnete das Fenster, sah hinaus zum dunkelblauen, gestirnten Himmel, dann zog sie die Vorhänge vor das geöffnete Fenster, drehte das Licht aus, um im Dunkeln zu sein, und ging in frohen Gedanken auf und ab.

Eine Weile war sie so auf- und abgehend mit ihren glücklichen Gedanken allein gewesen, als ihr plötzlich ein erregtes Flüstern zum Bewußtsein kam. Vor dem Hause, unter ihrem Fenster, im Garten unten schien ein Pärchen in heftiger Erregung zu sprechen, denn man konnte deutlich eine dunkle, ärgerliche Männerstimme unterscheiden und eine helle, flehende Mädchenstimme. Sie wollte das Fenster schließen, um nicht Zeugin fremder Heimlichkeiten zu sein, da hörte sie ihren Namen nennen, »Fräulein Annchen«. Sie erkannte jetzt die Stimme des Hausmädchens. Die Mutter hatte ihr den Ausgang heute abend erlaubt, das Mädchen war gleichfalls auf einem Ball gewesen. Nun war sie zurückgekommen, ihr Bräutigam mochte sie begleitet haben.

»Was soll denn Fräulein Annchen von mir denken,« flüsterte das Mädchen hastig und furchtsam; »die ist so, die ist ja noch das reine Kind.« Der Mann lachte und erwiderte etwas Gemeines. Das junge Mädchen oben wurde blutrot, sie hatte die leise Erwiderung der tiefen Stimme nicht ganz verstanden, aber sie ahnte, was sie bedeuten sollte; sie ahnte jetzt plötzlich überhaupt, um was das Flüstern unten ging. Ihre Hände zitterten, sie lauschte nun weiter, in Angst, Scham und Grauen.

Das Mädchen schrie leise auf und stieß den Mann zurück; der Mann fluchte und schimpfte; das Mädchen machte ihm mit heftiger Stimme Vorwürfe, sie habe ihm vertraut, das hätte er ihr sagen müssen, daß er auch so einer wäre, sie habe ihre gute Stelle, die wolle sie nicht aufgeben für so etwas. Der Mann sprach nun wieder heftiger. Seine Worte verstand sie nicht recht, sie hörte nur, wie er schimpfte, sie sei eine Gans. Nun sprach wieder das Mädchen; sie sprach dieses Mal so leise, daß auch sie unverständlich blieb. Plötzlich kam in ihre Rede ein schnell erstickter Aufschrei, wie wenn der Schreienden plötzlich die Hand auf den Mund gelegt wäre, ein Ringen wurde gehört mit weiteren erstickten Tönen dazwischen, die in Jammern und Weinen übergingen.

Fräulein Anna hatte sich, wie sie war, in ihr Bett geworfen und den Kopf unter Decke und Kissen versteckt. Erst nach einer langen Weile wagte sie wieder den Kopf vorzunehmen; sie hörte nichts; nach weiterer Zeit schlüpfte sie aus dem Bett und schlich ans Fenster; da hörte sie das Mädchen unten leise weinen. Leise schob sie den Vorhang zur Seite und sah hinunter in den dunklen Garten; und deutlich erkannte sie eine einzelne hockende Gestalt. Ihr Herz pochte heftig; zuletzt wagte sie, leise hinauszurufen: »Sind Sie es, Marie?« Das Mädchen unten verstummte sofort im Weinen, man merkte, wie sie sich bezwang; sie erwiderte: »Ich suche den Gartenschlüssel, den ich eben habe fallen lassen.« Fräulein Anna sprach nichts weiter; das Mädchen machte sich an der Gartentür zu schaffen, sagte, sie habe den Schlüssel gefunden, wünschte gute Nacht und ging ins Hans.

Am andern Morgen mieden sich die beiden, als seien sie beide schuldbewußt; das Mädchen sah blaß aus mit tiefliegenden Augen, aber mit einem eigentümlich roten Mund und einem seltsam glücklichen Lächeln um die Lippen und sinnendem Ausdruck der Augen.

Fräulein Anna war gleichaltrig mit dem Mädchen, und so war denn in Wirklichkeit das Mädchen viel erfahrener und reifer wie die Herrin; aber die Herrin glaubte auch, daß sie verantwortlich sei für das ungebildetere Wesen. Nur mochte sie nicht mit der Mutter sprechen, denn sie scheute sich, von solchen Dingen zu reden, auch wollte sie nicht den Anschein von Angeberei erwecken so hielt sie es denn für richtig, daß sie mit dem Mädchen selber redete und sie vor den Gefahren warnte, die ihr durch eine leichtfertige Liebschaft drohen konnten.

Sie sprach so zartfühlend, wie es ging, indem sie so tat, als ob sie die Ausrede mit dem Schlüssel glaubte und weiter nichts gemerkt habe; aber sie knüpfte an, indem sie sagte, daß ein einzelnes Mädchen doch belästigt werde, wenn sie so spät nach Hause komme, und es sei doch wohl auch schwierig, jemanden zur Begleitung zu finden, der ganz zuverlässig sei, und so kam sie denn allmählich auf ihre Absicht. Das Mädchen aber merkte bald, daß das Fräulein mehr gehört hatte, als sie sagte, sie wurde rot, dann fing sie an zu weinen und beteuerte, sie sei ein anständiges Mädchen und stamme aus einer anständigen Familie, bei ihr könnte so etwas nicht vorkommen, denn wenn ihre Eltern so etwas erführen, dann dürfte sie sich zu Hause nicht sehen lassen, denn ihr Vater sei sehr streng, der würde sie totschlagen, und so redete sie weiter, indessen das Fräulein immer verstimmter wurde über die geläufigen Lügen. Das Mädchen merkte die Verstimmtheit nicht, und kam so in kurzer Zeit aus dem Beteuern in das eigentliche Schwatzen hinein, wo denn ein Gedanke sich verloren an den andern knüpfte, bis sie, ohne es zu wissen, da angelangt war, wohin ihr Sinn strebte, nämlich bei einem Sprechen über ihr nächtliches Erlebnis, freilich nur in ganz allgemeinen Worten, die ihrer Meinung nach nichts verrieten. Sie sagte aber, daß Mann und Weib für einander geschaffen seien, und das verlange die Natur, und was die Natur verlange, das sei keine Sünde, und es geschehe vieles in der Welt, das man nicht wisse, und sie für ihr Teil wolle gar nicht alles wissen, aber zu glauben brauche man deshalb auch noch nicht alles; und so schwatzte sie in einem fort, bis Fräulein Anna ärgerlich fortging und die Verdutzte stehen ließ, die denn sich keine andere Erklärung wußte, als daß das Fräulein neidisch sei, weil sie keiner wolle.

Das Fräulein ging aber auf ihr Zimmer und weinte, sie dachte an den Ball und an ihre Glückseligkeit, und dachte, daß da etwas gewesen war, das sie bei sich im Innern für Liebe gehalten hatte, und eine tiefe Scham übermannte sie.

Wie sie so im verriegelten Zimmer lag, mit dem Gesicht ins Bett gedrückt, hörte sie die Gartentür gehen und vernahm einen raschen Schritt am Hause. Sie wußte, wer das war, und wie in einem tödlichen Schrecken geschah es ihr, als ob ihr das Herz stehen bliebe. Sie konnte nicht erwarten, noch weiteres von dem Besucher zu vernehmen, denn die Haustür lag an einer andern Seite des Hauses, und vom Flur war ihr Zimmer weit entfernt; trotzdem glaubte sie genau die Klingel zu hören, das Öffnen des Mädchens, das kurze Gespräch, das Eintreten; der Haken knackte, an welchen er seinen Überrock anhing, sie hörte die Stubentür gehen.

Nach einer Weile drückte jemand auf ihre Türklinke. Sie wußte, daß das die Mutter war, riegelte schnell auf und ließ die Mutter ein; sie wußte, was sie jetzt hören sollte, und die ganze Zeit über hatte sie sich bezwungen, daß sie ruhig erscheinen konnte; und so gelang es ihr, daß die Mutter, weil sie selber sehr erregt war, nichts von ihrem Zustand merkte.

Die Mutter erzählte ihr, daß der junge Mann, von dem sie wohl wußte, eben angefragt hatte, ob er Anna als Gattin bekommen konnte. Die Eltern waren einverstanden, sie hatten sich schon vorher alles bedacht, die Mutter nahm an, daß auch Anna Ja sagen würde.

Anna aber sagte, so ruhig sie konnte, ein Nein, sie fuhr dann fort und erklärte, daß sie überhaupt nicht heiraten wolle; im Weiterreden verwirrte sie sich immer mehr, aber die Mutter verstand ja ohne Begründung, was sie sagen wollte; sie wußte nichts zu erwidern und erhob sich tiefbestürzt, um den beiden Männern die Nachricht zu bringen.

Annas Großvater lebte in der Stadt der Eltern, er war ein stiller, alter Gelehrter, der kaum seine Studierstube verließ; er wurde von einer alten Haushälterin betreut, und Anna besuchte ihn oft, saß auf einem Fußbänkchen zu seinen Füßen, und blickte zu dem alten Mann auf, der ihr erzählte.

Die Eltern schwiegen, als sie mit ihr am gemeinsamen Mittagstisch saßen, und sie fühlte sich so einsam, daß sie den Großvater brauchte. Sie saß zu seinen Füßen wie sonst, und es war Dämmerung.

»Mein Leben ist schön gewesen,« sagte er. »Als junger Mann hatte ich viele Sorgen, viele Arbeiten, und die Kinder haben mir manche Mühe gemacht. Ich hatte keine Zeit; aber das war gut, ich habe alle meine Kräfte gebraucht und entwickelt. Nun, im Alter, bin ich ein freier Mann, ich kann an anderes denken. Die Greise sind es, welche die Menschheit weiterbringen; vielleicht bringe ich sie eine Kleinigkeit vorwärts.«

Anna fühlte eine tiefe Beschämung, als sie diese Worte hörte. Sie stand auf, sagte dem Großvater Lebewohl, ging zu ihrer Mutter und sprach: »Ich habe heute früh gedankenlos und albern gesprochen. Ich verglich mich mit einem Wesen, das unter mir steht, ich muß mich aber vergleichen mit einem höheren Wesen. Wenn ich durch meine Torheit nicht die Zuneigung des Mannes verscherzt habe, der mich zu meiner Gattin machen wollte, so werde ich jetzt jeden seiner Wünsche erfüllen.«


 << zurück weiter >>