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Dichtung und Christentum

Antwort auf eine Rundfrage

(1926)

Das Wort »Christliche Dichtung« ist sehr allgemein. Ich muß zunächst ungefähr andeuten, was ich unter dem Wort verstehe.

Alle Religionen sind von Gott offenbart. Von ihnen ist das Christentum die höchste. Seit es das Christentum gibt, sind die andern Religionen Götzendienst. Christlich ist also heute gleich religiös im vollkommensten Sinn. Jede Dichtung aber muß religiös sein, und je vollkommener sie ist, um so mehr muß sie wohl christlich sein; das heißt, auf dem Glauben ruhen an einen Gott der Gnade, seinen eingeborenen Sohn, der als Mensch gekreuzigt wurde, und den Heiligen Geist, der zu uns gesendet wird.

Damit ist nicht gesagt, daß nun jede Dichtung ein Glaubensbekenntnis in begrifflicher Fassung enthalten soll. Es ist auch nicht einmal damit gesagt, daß jeder Dichter sich über seine religiöse Stellung begrifflich klar sein muß. Aber Dichtung, die Dichtung ist und nicht Literaturgewäsch, muß aus dem Gefühlsgehalt des Christentums kommen. So würde ich zum Beispiel Goethe als einen christlichen Dichter bezeichnen; aber ein Mann etwa wie Strindberg ist es auch nach seiner »Bekehrung« nicht. Goethe hat die Gnade Gottes gefühlt und den Heiligen Geist geahnt, und vielleicht war ihm der Kreuzestod von Gottes Sohn fremdartig, denn er war eine untragische Natur; in Strindberg aber war die Verzweiflung des Mannes, der bedeutend genug ist, um einzusehen, daß der Mensch nicht ohne Gott leben kann, dem aber die Gnade Gottes nicht die Hand reichte. Ich glaube, daß wir vor einer Überwindung der Konfessionen stehen, daß vieles von der Religion abfallen wird, das nur noch veraltet mitgeschleppt wird, und daß vieles zu ihr neu kommen wird, das noch unsere Väter nicht ahnten. So mag denn wohl das, was ich »christlich« nenne, sehr verschieden sein von dem, was viele andere so nennen.


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