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Zwei Selbstanzeigen

(1919)

I. Der Zusammenbruch des deutschen Idealismus

Im neunzehnten Jahrhundert ist zweimal der Versuch gemacht zu einem allgemeinen Verständnis der Welt: einmal in umfassenderer Weise im deutschen Idealismus und einmal in beschränkterer Gestalt in der russischen Dichtung. Die russische Revolution, so sehr sie auch scheinbar nur mit dem Gedankengut der Französischen Revolution und der deutschen Sozialdemokratie zu arbeiten scheint, ist doch im Grunde eine Frucht des russischen Idealismus, dessen Hauptvertreter Tolstoi und Dostojewskis waren. Die Welt muß abwarten, welchen Wert diese Frucht haben wird; zunächst jedenfalls, d. h. bevor nicht die russische Revolution mittelbar oder unmittelbar auf die Zustände Europas wirkt oder sich als nichtwirkend erweist, können wir über sie und über den russischen Idealismus nichts sagen: der russische Idealismus ist noch nicht historisch geworden.

Historisch geworden aber ist der deutsche Idealismus, denn er ist gegen 1830 zusammengebrochen, und seine lebendigen Wirkungen, die er noch ausübt – in der preußisch-deutschen Staatsidee, in der deutschen Sozialdemokratie, auch im russischen Idealismus – sind so weit von ihm getrennt, daß man sie als neue Erscheinungen auffassen darf. Den deutschen Idealismus kann man also heute untersuchen. Die gegenwärtige Krise der Welt wäre nicht gekommen, wenn die Menschheit eine weltbeherrschende Idee gehabt hätte. Da der russische Idealismus eine solche zum mindesten gegenwärtig noch nicht ist, so liegt also die Ursache der Krise darin, daß der deutsche Idealismus zusammengebrochen ist. Wenn man die Ursachen dieses Zusammenbruches findet, dann wird man demnach auch die eigentlichen Ursachen des Weltkrieges finden.

Was ich damit meine, will ich durch ein Beispiel erläutern. Die antike Gesittung ruhte in der Polis. Ihr Ideal war, daß die ganze gebildete Welt aus einer Anzahl nebeneinander liegender selbständiger Poleis bestand. Die geschichtlich weitertreibende Kraft kam dadurch zustande, daß bei der antiken Wehrverfassung die ganze männliche Bevölkerung dienstpflichtig war, daß also die Kriege bis zur völligen Vernichtung des Gegners geführt werden mußten. Im Peloponnesischen Krieg haben die Athener einmal in einer besiegten Polis alle Männer gemordet und alle Frauen zu Sklavinnen gemacht. Daraus mußte aus der Polis sich die Form des Imperiums entwickeln. Das geschah in Rom. Die Idee der antiken Welt aber war der Polis entsprechend, nicht dem Imperium; das Imperium war ideen- und seelenlos und brach deshalb in sich zusammen. In diesem Zusammenbruch bildete sich im Christentum, welches das seelische Erbe der guten Antike aufgenommen hatte, eine Idee, welche dann, als ihre Zeit gekommen war, eine neue Form der politischen Gemeinschaft schuf; die reinste Darstellung dieser Form war das Europa zur Zeit Kaiser Heinrichs des Heiligen. Es gibt keinen endgültigen Zustand der Menschheit, also auch die mittelalterliche Form der Menschheit löste sich wieder auf; aber das wollen wir in diesem Beispiel nicht betrachten. Wir haben hier eine Form mit Idee: die Polis; eine zweite Form mit Idee: das mittelalterliche Europa. Dazwischen haben wir ideenlose Zeiten der Menschheit; ideenlos in dem Sinn, daß die menschliche Gesellschaft nicht durch eine Idee beherrscht war und nur die Einzelnen ein höheres Leben führen durften; der Einzelne ist immer frei und kann für sich seine Idee finden, er kann sich sogar das Bild einer Gesellschaft schaffen, welche in einer Idee lebt, wie etwa Plato den mittelalterlichen Staat geschaut hat.

Seit dem Zusammenbruch des Mittelalters nun lebt die Menschheit wieder ideenlos. Der deutsche Idealismus machte den Versuch, ihr eine Idee zu geben.

Wenn wir verstehen wollen, weshalb der Versuch mißglückte, dann müssen wir die Grundlagen des deutschen Idealismus untersuchen. Sie liegen in der Renaissance.

Alle die verschiedenen Erscheinungen im geistigen, seelischen, wirtschaftlichen Leben, in der Politik, im Recht, in allen Betätigungen der Menschen in den verschiedenen Ländern haben seit der Renaissance das Gemeinsame, daß sie nicht organisch sich aus Vorhandenem entwickelt haben nach veränderten Bedürfnissen, sondern daß das Vorhandene zerstört wurde und anorganisch etwas an dessen Stelle trat, was den eigentlichen Bedürfnissen gar nicht entsprach, sondern wovon man sich nur einbildete, daß man es brauche.

Den merkwürdigen Vorgang soll man natürlich nicht schulmeisterlich betrachten. Wir stellen unseren Blick nur zu kurz ein; wahrscheinlich ist das Herübernehmen unverstandener und unbrauchbarer fremder Elemente immer der Beginn neuer Menschheitszeiten; durch ihre Entwicklung und Anspannung und die Feindschaft gegen sie kommt dann im Lauf der Zeit schon das Organische; aber wir müssen doch unsere Zeit, in welcher wir leben, richtig einordnen. Jedenfalls wurde Fremdes herübergenommen und den Völkern aufgezwängt.

Ich will im folgenden ganz unphilosophisch sprechen. Was wir Wirklichkeit nennen, das ist eine Schöpfung, die zustande kommt durch eine Wechselwirkung der menschlichen Freiheit und des göttlichen Willens. Die Form, wie die menschliche Freiheit die Wirklichkeit schafft, habe ich »Fiktion« genannt, indem ich einem Begriff, welchen Vaihinger geprägt hat, eine weitere Bedeutung gegeben habe. Ich spreche weiterhin unphilosophisch: die Menschheit lebt organisch, wenn die Fiktion gottgewollt ist, sie lebt unorganisch, wenn sie nicht gottgewollt ist. Was ich meine, möge ein Beispiel erklären. Unser Raum ist unsere Fiktion. Er ist nur einer von unendlich vielen möglichen Räumen. Aber er ist eine gottgewollte Fiktion. Die nichteuklidische Geometrie ist die Geometrie möglicher anderer Räume, welche nicht gottgewollte Fiktion sind. Wir können nur in unserem dreifach ausgedehnten Raum leben, in welchem die Summe der drei Winkel eines Dreiecks gleich zwei Rechten ist. Man kann sich nicht vorstellen, aber man kann sich denken: die Menschen wollen plötzlich in einem anderen Raum leben; es ist ganz natürlich, daß sie aus Irrtum in Lüge, aus Lüge in Sünde, aus Sünde in Verderbnis fallen.

Ich weiß nicht, ob ich nicht mit der Vaihingerschen »Fiktion« zu Mißdeutungen Veranlassung gebe; mir ist klar, daß mein Begriff nicht ganz deutlich ist. Heutige Philosophen arbeiten in Aufnahme eines Gedankens von Lotze mit einem Begriff »Geltung«, den sie dem »Sein« zur Seite stellen. Vielleicht hätte ich von der Geltung ausgehen können. Es würde dann klar sein, daß in der Fiktion auch eine Notwendigkeit liegt, indem die Menschen auf bestimmte Formen angewiesen sind. Etwa, um ein Beispiel von eben beizubehalten, der Raum überhaupt muß stets eine Form für uns sein. Aber weiter.

Nun leben wir heute innerhalb dieser selben Welt, welche als eine menschliche Fiktion kritisiert wird, wir können also Irrtum, Lüge, Sünde und Verderbnis, da wir ihnen ja alle selber unterliegen, nicht von Grund aus erkennen, wie sie Menschen erkennen würden, welche außer ihr lebten; wir können sie nur an einer geschichtlichen, abgelaufenen Periode unseres Zeitalters erkennen, wie es der deutsche Idealismus ist; und auch an ihr nie von Grund aus, sondern nur im einzelnen; nämlich da, wo die gegenwärtige Periode unseres Zeitalters andere Wege sucht.

Hier kommt nun auch eine notwendige Grenze des Verfassers. Ein Mensch kann nicht den Überblick haben, um in allem diesem einzelnen das aufzuzeigen. Ich habe mich beschränkt auf das, wo mir Beanlagung, Leben und Studium die Möglichkeit einer sachkundigen Untersuchung bot, nämlich auf die Geschichte des neuzeitlichen Dramas. Dabei hatte ich das Glück, daß im Drama alles Geistige und Seelische einer Zeit zusammenkommt, daß man vom Religiösen bis zum Politischen einer Zeit alles Wesentliche in ihm lesen kann, wenn man zu lesen versteht.

Mir selber sind die Zusammenhänge auch aus dem Drama klar geworden. Ich habe als Dichter die Form erlebt. In jeder anderen Zeit würde ein Dramatiker nie daran denken, dieses Erleben sich nun begrifflich klarzumachen und den anderen Menschen in Form einer philosophischen Abhandlung mitzuteilen, die notwendig mangelhaft sein muß, weil ein Dichter ja keine philosophische Begabung haben kann; aber unsere – man versteht vielleicht jetzt den Ausdruck – gottlose Zeit zwingt dazu.

Wie nun das Buch vorliegt, hat es eine äußere Ähnlichkeit mit Büchern, welche noch bis in die achtziger und neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, vielleicht auch heute noch, von Epigonen unseres klassischen Idealismus geschrieben werden, wo man etwa die »Griechen« aus der »Schönheit« verstand, den »Geist des englischen Volkes« in Shakespeare fand, und ähnliches. Ich hoffe, daß man die Verwechslung nicht machen wird, denn dann wäre meine ganze Arbeit vergeblich gewesen.

Unser Idealismus ist zusammengebrochen; und wir können nichts Besseres tun, als daß wir die letzten epigonischen Reste von ihm, die wir etwa noch haben sollten, mit Feuer und Schwert aus unserer Seele vertilgen, denn sie sind heute Lüge und müssen Sünde wirken und zur Verderbnis führen. Was vom alten Idealismus noch bei uns vorhanden ist, das ist Philisterwesen. Und wenn der Idealismus die bewußte Herrschaft des Menschen über sein Leben zu einem selbstgewählten Ziel ist, und das Philisterwesen die ahnungslose Knechtschaft des Menschen unter sein Leben zu fremden Zielen: so muß der idealistische Philister die grausigste, weil innerlich am meisten verlogene Art des Philisters sein.

Aber die Gesinnung, welche den alten seelischen Idealismus schuf, ist noch in uns erhalten: sie ist nur nicht äußerlich zu bemerken, weil sie keine Form gefunden hat, in welcher sie sich gestalten kann. Ich glaube, daß von den großen Völkern das deutsche das einzige ist, in welchem die Erneuerung der Menschheit sich bilden könnte: wenn nicht vielleicht aus Rußland – vielleicht durch eine Vermählung des männlichen deutschen Geistes mit dem weiblichen russischen – oder, was noch nebelhafter ist, aus Asien das Heil der Welt kommt. Dieses letztere mag sein, wie es will, wir können es nicht wissen; jedenfalls haben wir Deutschen die Pflicht zu tun, was wir können, um das zu gestalten, was wir in uns haben, was wir bis nun falsch gestaltet haben. Das ist Aufgabe der formbildenden Kraft.

Haben wir diese formbildende Kraft? Und wenn nicht, können wir sie in uns entwickeln? Von der Beantwortung dieser Frage hängt das Schicksal der Welt ab.

II. Der Zusammenbruch des Marxismus

Die Bolschewisten behaupten, daß die Menschen durch die Verhältnisse, und die Sozialrevolutionäre behaupten, daß die Verhältnisse durch die Menschen bestimmt werden. Die Bolschewisten und Sozialrevolutionäre sind die beiden großen Parteien in Rußland. Bekanntlich haben die Bolschewisten gesiegt, trotzdem sie zahlenmäßig in der Minderheit waren, weil sie die tüchtigere Führung hatten. Vielleicht ist es ihren Führern für einen Augenblick klar geworden, daß die Tatsache ihres Sieges nicht gerade ein Beweis für ihre Ansichten ist.

Die Ansichten beider Parteien sind wissenschaftlich Unsinn, denn zwischen »Menschen« und »Verhältnissen«, wenn man nun einmal solche Begriffe aufstellen will, findet Wechselwirkung statt. Die Ansichten sind aber im vorliegenden Fall noch in weit höherem Maße Unsinn, denn offenbar können sie nur Gültigkeit haben im Umkreis der Betrachtung. Die beiden Parteien betrachten aber nicht, sondern handeln, und der handelnde Mensch handelt nach Zwecken, und es ist ihm gänzlich gleichgültig, ob ein Gelehrter Untersuchungen darüber anstellt, weshalb und wieso er nun handelt.

Die Ansichten sind also unsinnig, und es ist doppelt unsinnig, sie auf einem Gebiet zu verwenden, wo sie nichts zu suchen haben. Nur in der heutigen Politik, die gänzlich von jedem gesunden Denken verlassen ist, kann eine derartige Narrheit begangen werden, solche Fragen, welche einem gescheiteren, aber noch nicht philosophisch gebildeten Studenten wichtig sein können, in die Mitte des Kampfes der Massen zu stellen. Aber das mag alles sein, wie es will: diese Ansichten sind jedenfalls Ideen. Und eine Idee mag noch so unsinnig sein, sie mag noch so wenig mit der Sache zu tun haben, um die es sich handelt, sie bleibt immer eine Idee und entwickelt die natürliche Kraft der Idee, welche ist: die Menschen so zu begeistern, daß sie Handlungen begehen, Handlungen und Taten, welche über den Erwerb des täglichen Brotes, das Zeitunglesen und bürgerliches Bravsein hinausgehen.

Wir haben in Deutschland seit nun einem Jahr die Revolution, aber eine Idee ist bis heute noch nicht aufgetaucht. Das Ergebnis ist, daß die Menschen ihr tägliches Brot erwerben, ihre Zeitung lesen und brav sind; aber Handlungen geschehen nicht.

Die Menschen glauben ja leicht, wenn sie eine Revolution machen, dann leisten sie etwas. Es ist in Deutschland nichts geleistet. Dieselben Ursachen, welche unseren Zusammenbruch erzeugten, sind auch noch heute lebendig. Herr Ebert ist gewiß weniger klug und weniger gebildet als Herr von Bethmann-Hollweg und ist im übrigen eben so brav; aber er kann eben so wenig handeln. Darauf aber kommt es an, daß das Volk einen Mann an der Spitze hat, der handeln kann. Hat es das nicht, dann löst sich alles auf. Die Auflösung, in der wir uns seit dem Regierungsantritt Kaiser Wilhelms befanden, geht heute schneller vor sich als früher, das ist der ganze Unterschied.

Das Gedankensystem des Bolschewismus ist reiner Marxismus. Auch die deutschen Sozialdemokraten sind angeblich Marxisten. Aber nur die Narren von der Art Liebknechts machten Ernst mit ihrer Lehre; die anderen, die Vernünftigen, haben den Unsinn des Marxismus dumpf gefühlt und sind zu anständig, gegen ihr Gewissen etwas durchzusetzen. Dabei kann denn nichts herauskommen wie Mittelmäßigkeit. Mittelmäßigkeit aber an der Spitze eines Volkes wirkt zerstörend. Wir wollen uns die furchtbare Wahrheit nicht verhehlen: wir sehen heute, daß wir nicht so weiter leben können, wie wir jetzt leben, und doch wissen wir nicht, wie wir unser Leben ändern sollen. Wir sind wie ein Mann, der genau weiß, daß er in drei Tagen den Bankrott ansagen muß, und nun diese drei Tage noch so hinlebt, wie er bis dahin lebte, indem er nichts tut, als den Gedanken verscheuchen: Was werde ich nun tun, wenn die drei Tage verstrichen sind?

Der Bolschewismus ist eine fürchterliche Narrheit, welche sämtliche menschlichen Triebe auf den Kopf stellt, eine völlige Unnatur aller Verhältnisse erzeugt und nur durch rohe Gewalt eingeführt und aufrechterhalten werden kann. Es ist ja fraglich, ob bei einem abendländischen Volk eine so grausige Gewaltherrschaft überhaupt möglich wäre, ob nicht vielleicht nur Orientalen – und die Russen sind Orientalen – sie aushalten können. Nun, der Bolschewismus mag sein, was er will, jedenfalls herrscht er in Rußland, schafft er Ordnung, begeistert er das Volk und hat er ein Heer von einer ganz neuen Art erzeugt, das dem alten russischen Heer überlegen scheint. Bei uns ist überall Zerstörung, bei den Russen ist Aufbau.

Wir haben uns während des Krieges beständig selber belogen. Wir belügen uns auch jetzt wieder, wenn wir nach Rußland sehen. Hätten wir uns die Wahrheit eingestanden, dann wäre unser Zusammenbruch nicht so furchtbar gewesen. Wenn wir nicht endlich die Augen auftun, dann wird uns vom Bolschewismus eine neue Überraschung kommen. Denn das ist jedenfalls klar: Der Bolschewismus hat in Rußland Ordnung gebracht. Wir wollen doch nicht Komödie spielen. Alles, was am Bolschewismus auflösend ist, das haben wir schon längst: die Vernichtung der Vermögen durch die Geldverschlechterung, die Vernichtung der Bildung durch die Entwertung der Gehälter und Einkommen aus geistiger Arbeit, die Herrschaft der rohen Arbeit. Wenn erst die Steuern bezahlt werden müssen, dann wird wohl so leicht niemand mehr weiche Hände haben können. Wir haben noch nicht, was im Bolschewismus aufbauend ist: den allgemeinen Arbeitszwang, die Aufhebung des Streikrechts, die strenge, sofort mit der Todesstrafe vorgehende Manneszucht im Heer, das sofortige Eingreifen des Heeres mit standrechtlichem Erschießen bei jedem Widerstand gegen die Staatsgewalt. Machen wir die Augen auf: wenn wir nicht eine andere Idee finden, die vernünftig ist, dann wird der Bolschewismus vom Osten uns überschwemmen, denn bis heute ist er die einzige Idee, die in dieser Revolution Macht gewonnen hat, und nur durch Ideen können Völker am Leben bleiben. Machen wir uns endlich unsere Feigheit und Gedankenlosigkeit klar: Wenn wir es nicht selber tun, dann wird die rote Armee Trotzkis es tun, dann wird eine Ordnung, wie sie für das Zuchthaus angemessen sein mag, auch in Deutschland herrschen; denn Ordnung muß sein, und wenn nicht eine natürliche, freie und vernünftige Ordnung herrscht, dann muß die einzige Ordnung kommen, die in diesem Zeitalter entstanden ist, die unnatürliche, sklavische und unvernünftige Ordnung des Bolschewismus.

Ich bin nicht Staatsmann, nicht Politiker und nicht Wirtschaftsgelehrter. Aber unsere Staatsmänner, Politiker und Wirtschaftsgelehrten wissen heute keinen Ausweg. Ich glaube, daß ich den Grund dafür eingesehen habe: die falsche Bewertung der Erscheinungen des Lebens. Bei einem solchen Übel kann der Dichter helfen, denn der Dichter teilt mit dem Propheten die hohe Aufgabe: den Menschen zu zeigen, was Gott mit ihnen tun will. Deshalb habe ich mein Buch geschrieben, welches den Ausweg weisen kann, wenn man es recht versteht: indem es nämlich zeigt, daß die Menschen heute deshalb nichts sehen, weil sie sich auf einen falschen Standpunkt gestellt haben, daß sofort alles klar und einfach wird, wenn sie nur ein paar Schritte gehen und von einer anderen Stelle aus schauen. Ich glaube, nachgewiesen zu haben, daß der Bolschewismus nichts als der letzte Verzweiflungsschrei des zusammenstürzenden Kapitalismus, daß er aus derselben falschen Bewertung entsteht; und daß eine Möglichkeit einer neuen Gesellschaftsordnung vorhanden ist, die weder kapitalistisch noch marxistisch ist, die in einer so verzweifelten Lage wie die unsere vorzubereiten wäre; leichter vorzubereiten als der Bolschewismus, dem wir sonst unzweifelhaft verfallen; wenn nur Ruhe, Kaltblütigkeit, Uneigennützigkeit und Überlegung die Ruder des Staates ergreifen, welche sonst der blinde Fanatismus in die Hand nimmt.

Das deutsche Volk ist durch seine ganze Art bestimmt, eine solche Aufgabe zu erfüllen. Es hat die Fügsamkeit des russischen und doch das Freiheitbedürfnis der westlichen Völker, es vereinigt die Ordnungsliebe mit dem Unabhängigkeitssinn. Als die Russen durch die Tataren beherrscht wurden, da haben die Deutschen ihre mittelalterliche Städteverfassung ausgebaut, das wunderbarste politische und gesellschaftliche Kunstwerk, das je geschaffen ist. Die Lage ist heute dieselbe. Wieder muß Deutschland das übrige Europa vor der asiatischen Gewaltherrschaft behüten: es ist doch kein Zufall, daß Lenin Tatar und Trotzki Jude ist. Und wieder kann es das nun nicht bloß durch die Waffengewalt, sondern auch durch eine politische und gesellschaftliche Schöpfung, in welcher Freiheit und Bindung vereinigt sind wie in einem wohlgeschaffenen Kunstwerk.


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