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Die Kunst des Ostens

(1923)

Lange Zeit hindurch haben die europäischen Völker die Kunst, welche nicht Nachahmung der Griechen war, nur als Wunderlichkeit betrachtet, und östliche Kunstwerke wurden zuerst nur in Kuriositäten-Sammlungen, dann in den Museen für Völkerkunde aufgestellt. Als der klassizistische Bann gebrochen war, öffnete man die Augen, und in raschem Zeitmaß erforschte man nun ungeheure Kunstgebiete, von denen man früher keine Ahnung gehabt hatte. Mit der wissenschaftlichen Erforschung ging wirkliches Verständnis Hand in Hand.

Solche Wandlungen haben ihre tiefen Ursachen in Veränderungen des allgemeinen Lebens. Die europäischen Völker stehen an einem bedeutenden Wendepunkte ihrer Geschichte, an einem Punkt gleich dem, als das Altertum ins Mittelalter, das Mittelalter in die Neuzeit überging; der Weltkrieg und die Revolutionen sind die äußern Erscheinungen einer innern Umgestaltung, deren Ziel und Ende noch niemand ahnen kann, an deren Anfang wir erst sind.

Im Altertum beginnt seit Augustus ein Einfluß des Ostens; seit den Antoninen wird der Einfluß immer stärker; und wenn nicht alles trügt, so stehen wir heute im Anfang einer neuen derartigen Gestaltung.

Damals waren die schöpferischen Kräfte der griechischen Gesittung aufgebraucht, die noch in den hellenistischen Jahrhunderten seit Alexander sich die Welt erobert hatten. Wir können das heute noch nicht wissen, und geschichtliche Analogien sind immer gefährlich; aber es wäre möglich, daß ähnlich seit der Reformation unsere heutige europäische Gesittung sich allgemein verbreitet hätte und nun im Absterben wäre. Als bis heute dauernde Errungenschaft blieb uns von damals her das Christentum: freilich immer mehr uns Europäern angepaßt, immer mehr auf seine ursprünglichen griechischen Gedanken zurückgeführet; die Kunsteinflüsse sind vergangen, wie sich wieder eignes geistiges Leben in Europa bildete. Vielleicht können wir einiges von dem erkennen, was heute geschieht, wenn wir untersuchen, worin eigentlich der Unterschied zwischen westlicher und östlicher Kunst besteht, und welche Art von östlicher Kunst damals in Europa gewirkt hat. Keine Gesittung ist ewig. Jede Kultur ruht auf gewissen Ideen, die ihren notwendigen Ablauf haben: sie geht also in einer Linie, die wir vom Beginn durch den Höhepunkt zum Verfall ziehen müssen. Das können wir nicht verstehen, daß solche Ideen nicht ewig sind: wir müssen das als Tatsache hinnehmen.

Diese Linie nun geht im Osten in anderer Weise wie im Westen; die Ursache liegt in dem anderen Lebensgefühl. Das läßt sich mit Worten nur so ganz ungefähr und recht flach ausdrücken: bei den westlichen, europäischen Völkern ruht alles auf den Einzelwesen, welche mehr oder weniger aus dem Volkszusammenhang losgelöst sind, ihm unter Umständen ganz fremd gegenüberstehen; bei den östlichen Völkern ist ein enger Volkszusammenhang, es ist nicht die Trennung in gebildet und ungebildet, in vornehm und gering, in arm und reich wie bei uns, wenn es auch natürlich solche Gegensätze gibt. Man kann etwa sagen, daß bei uns der Gebildete und Ungebildete, der Arme und Reiche sich nicht verstehen, sich gar nicht kennen; im Osten sind die Gegensätze durch eine allgemeine Brüderlichkeit aufgehoben. Wenn man Sowjetrußland verstehen will, dann muß man daran denken, daß die Russen eigentlich zum Osten gehören und nur in der Zeit, da die westlichen Ideen sich weit über ihr Gebiet ausbreiteten, als westliches Volk erschienen, wie ähnlich heute im Westen der Kommunismus Anhänger gewinnt, der allen unsern Trieben entgegengesetzt ist.

Wenn die Gesittung auf Verstand und Willen hervorragender Einzelner ruht, dann wird es auf ihrem Höhepunkt immer so sein, daß ihre Träger unverstanden in einer törichten Menge stehen; im Westen ist der bedeutende Künstler notwendig eine tragische Persönlichkeit. Geht die Gesittung dann bergab, dann entartet sie zu Willkür, Formlosigkeit, Spielerei und Albernheit; denn wenn die Einzelpersönlichkeit hier nicht durch die Idee getragen wird, dann hat sie nichts mehr, das sie hält, ist sie ganz auf sich allein angewiesen; es werden Versuche gemacht, es wird das Nochniedagewesene erstrebt, das leere Können tritt ein, und es fehlt die Verbindung zu den natürlichen Mächten des Lebens.

Im Osten hat die Kultur die Neigung, das ganze Volk zu umfassen. Ihre Träger stehen nicht für sich allein, drücken nicht aus, was in ihnen allein lebendig ist; sondern sagen und bilden, was in allen lebt, unterscheiden sich also von den übrigen nur durch die Begabung, daß sie ausdrücken können, nicht durch ein völlig anderes Sein. Ein Lionardo, ein Beethoven, ein Goethe mußten nicht nur ihre Begabung haben, sondern mußten auch bedeutende Menschen sein. Im Osten ist nur die Begabung nötig, im Seelischen hängt der Künstler eng mit seiner Volksgemeinschaft zusammen. Er fühlt sich als Handwerker, der lediglich sein besonderes Können hat. (Natürlich ist das sehr zugespitzt ausgedrückt.) Wenn im Osten die Linie der Gesittung abwärts geht, dann kommt also ein mechanisches Arbeiten nach den älteren Vorbildern, die, so lange es geht, handwerksmäßig gut oder schlecht nachgebildet werden: auch wenn sie gut nachgebildet werden, bis zum Verwechseln ähnlich, fehlt doch dann aber immer die lebendige, schöpferische Kraft, welche die Werke der Blütezeit auszeichnete.

Mit anderen Worten: wenn unsere westliche Gesittung entartet, so bleibt gar nichts übrig; entartet die östliche, dann bleiben doch immer die unverstandenen Nachbildungen der guten Zeit, und in der allgemeinen Verzweiflung des Westens erscheint dann selbst diese östliche Entartung noch als wertvoll, und so strömt denn der östliche Einfluß ein. Als seit Augustus der Osten seinen geistigen Eroberungszug im Westen begann, da war er selber ebenso entartet wie der Westen; aber er war eben in diesem Zustand nun stärker. Heute ist es genau so.

Wenn wir Vorteil von dem östlichen Einfluß haben wollen, dann müssen wir genau unterscheiden zwischen Werken wirklich schöpferischer Zeiten und Völker und bloß handwerksmäßigen Nachbildungen und Weiterführungen. Das können wir heute durch unseren geschichtlichen Sinn; keine frühere Zeit konnte das. Es ist aber nicht so einfach. Denn die Entartung ist noch immer Kunsthandwerk, und die Grenze zwischen Kunst und Kunsthandwerk ist fließend. Wenn Kunst der Ausdruck eines Volkswillens ist, dann hat sie immer Form und Stil, auch in ihrer Entartung – bloß: wenn sie entartet, dann hat sie nur Form und Stil.

Bis jetzt können wir zwei Völker feststellen, welche künstlerisch schöpferische Zeiten der höchsten Art gehabt haben: die Chinesen und die Ägypter. Von den Ägyptern wissen wir nur, was sich aus den erhaltenen Überbleibseln erkennen läßt, denn das heutige ägyptische Volk hat keinen Zusammenhang mit seinen Vorfahren. Die Chinesen haben eine Überlieferung, die so reich ist, daß wir wahrscheinlich einmal so viel von ihnen wissen könnten wie von uns selber, aber diese Überlieferung ist noch wenig erforscht. In beiden Fällen haben wir also zunächst nur Stückwerk.

Veranlassung zu diesen Zeilen gibt die sehr schöne Sammlung von Kunstbüchern »Die Kunst des Ostens«. Die Sammlung trägt dem Umstand Rechnung, daß unser so junges Wissen von diesen Dingen noch weit von Vollständigkeit entfernt ist; so schneiden einige Bände möglichst Gebiete aus dem umfassenden östlichen Kunstleben heraus, die bereits deutlich erkennbar geworden sind, wie etwa die beiden Bände über die ägyptische Plastik oder der Band über das chinesische Tuschbild, andere Bände versuchen vorläufig mitzuteilen, was denn nun eben nach Lage der Dinge schon mitteilbar ist, wie das über die indische Plastik, die Miniaturmalerei des Islamischen Orients, die Kunst Ostasiens und die Kunst des alten Persiens.

Um die Schwierigkeit der wissenschaftlichen Untersuchung zu zeigen, mögen zwei Bilder aus dem Band über die indische Plastik hervorgehoben werden: der tanzende Siwa und ein heiliger Bulle. Da den Indern die Geschichte von jeher gleichgültig war, so besitzen wir bei ihnen keinerlei Aufzeichnungen, durch welche wir Namen von Künstlern oder auch nur Bezeichnungen von künstlerischen Zeiten und Richtungen hatten. Wir haben nur die erhaltenen Werke. Die waren oft in einem vergänglichen Stoff, in Holz, und ein zerstörtes Werk wurde durch eine genaue Nachbildung ersetzt. Auch wo der Stoff dauerhaft ist, bei Stein und Bronze, wurden unbekümmert Nachbildungen aus Nachbildungen gemacht, denn den Begriff des geistigen Eigentums kann es ja eben im Osten nicht geben. Nun stehen wir ratlos vor einem Werk, das uns anzieht: ist es die ursprüngliche Arbeit des Künstlers, der es schuf, ist es nur eine Nachbildung, die vielleicht Jahrhunderte später gemacht wurde?

Jedenfalls sieht man an den beiden genannten Werken sofort eines: diese indischen Künstler waren von verschiedenem Stilgefühl. Der tanzende Siwa ist aus Bronze, der liegende Bulle aus Stein. Sehr selten hat die griechische Bildhauerkunst seit den archaischen Zeiten noch diese Klarheit des Stils gehabt. Der Gott, der auf einer Leiche tanzt, unbarmherzig und kalt rasend, in dem Flammenbogen, mit dem Wirbel der vier Arme, dem zuckenden, flammenden Schmuck, in einer unerhörten Bewegung, hat in der Bronzeplastik restlos dargestellt werden können; die ungeheure Ruhe des Bullen, die Wucht und Unbeweglichkeit drückt sich in dem Stein aus. Die Künstler, welche die ursprünglichen Werke schufen, müssen Künstler von allererstem Rang gewesen sein: vielleicht wäre ein Europäer, der nur auf sich allein und sein eigenes Erleben gestellt ist, kaum imstande, solche Werke zu schaffen; man müßte schon an Menschen wie Lionardo denken; die Inder drückten lediglich aus, was ihre Religion ihnen sagte, wie sie es allen anderen Volksgenossen sagte, wenn auch wohl nicht jeder ihre Worte so tief gefühlt haben mag.

Den tanzenden Siwa setzt man in die Zeit vom zehnten bis zwölften Jahrhundert, den Bullen in die Zeit vom elften bis dreizehnten Jahrhundert nach Christus. Es sind uns alte Dichtungen aufbewahrt und Urkunden der Religionen, aus denen wir uns in den seelischen Zustand der Menschen versetzen können, aus denen solche Werke kamen. Aber nichts erfahren wir darüber, wie nun diese Männer arbeiteten. Die Chinesen dagegen sind ein Volk, das einen leidenschaftlichen geschichtlichen Sinn hat. Sie haben uns Nachrichten überliefert, durch welche wir die alten Künstler in ihrer Arbeit genau verfolgen können. Die chinesisch-japanische Tuschmalerei ist eine Kunst für sich, nicht nur durch ihr besonderes Material, sondern auch durch ihren Geist, der sich eben mit diesem Material ausdrückt. Sie hat in einem begrenzten Kreis für eine begrenzte Zeit gelebt, innerhalb deren die Idee lebendig war, welche sie mit ihren Mitteln ausdruckt. Sie ist Ausdruck des Zenismus, einer mystischen Frömmigkeit, welche durch das Zusammenwirken von Buddhismus und Taoismus entstand. Sie steht also neben vielen anderen Künsten und »Stilen« der chinesischen Kultur. Die Lehre – um dieses Wort zu gebrauchen – des Zenismus wird so dargestellt: »Wer nach außen blickt, ist ein gewöhnlicher Mensch; wer nach innen schaut, ist Buddha ... Laßt den Geist nichts tun, nichts beachten, nichts erstreben, nichts behalten: das ist Buddha. Dann macht es keinen Unterschied mehr, ob man noch lebt oder schon in das Nirvana eingegangen ist.«

»Wie ist bei solcher seelischen Verfassung Kunst möglich?« wird der Europäer fragen, der zumeist doch an Nachbildung der Natur denkt, an Skizzen und Studien. Ein chinesischer Künstler des dreizehnten Jahrhunderts lehrt: »Wenn du eine Landschaft malen willst, so mußt du die Einzelheiten mit dir herumtragen, und mehrere Tage lang im Geiste formen, ehe du den Pinsel ansetzest. Ebenso ist es mit der Komposition: zuerst kommt ein Zeitabschnitt angestrengten Nachsinnens über die Aufgabe; bis man sie gefaßt hat, fühlt man sich gefesselt und verwirrt. Aber wenn die Inspiration kommt, zerreißt man die Bande und ist frei.«

Diese Kunst ist also ganz geistig, und ihre Mittel, die leichte Tusche und der schmale Pinselstrich, sind geeignet, den Geist darzustellen. Es wird von einem Maler erzählt, dem ein Herr den Auftrag gab, einen Hahn zu malen. Der Maler zog sich zurück, kam nach langer Zeit zu dem Besteller und sagte: »Nun kann ich den Hahn malen.« Er zog Pinsel und Papier vor und malte in ein paar Strichen den Hahn. Der Besteller ist erzürnt über diese scheinbare Leichtfertigkeit; da fährt ihn der Maler in sein Haus und zeigt ihm ein ganzes Zimmer voller Bilder, die einen Hahn darstellen; er hatte sie gemalt, um die Fähigkeit zu bekommen, das eigentliche Bild in den paar Minuten machen zu können: daß sein handwerkliches Können restlos seinen geistigen Inhalt ausdrückte.

Unsere Malerei sucht die Illusion des dreidimensionalen Raums zu erwecken: diese Illusion will der Chinese nicht. Sie sucht die Dinge in ihrer Umgebung darzustellen und löst sie schließlich in Licht und Luft auf: der Chinese gibt nur das, was für den Sinn der Dinge wichtig ist, alles andere läßt er fort. Er will Unsinnliches malen. So können seine Bilder an »flotte« Skizzen unserer Maler erinnern; man sehe sich etwa das Bild des Dichters Li-tai-po an, das aus der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts nach Christus stammt. Aber der Europäer hält nur auf einem Blatt Papier eine augenblickliche Erscheinung fest; der Chinese gibt ein Bild, bei dem das Verhältnis der Figur zum umgebenden leeren Raum abgewogen ist – man denke sich etwa das Bild kurz über dem Kopf abgeschnitten –, die dunklen Flecken zueinander in Beziehung stehen – man stelle sich etwa vor, daß die beiden dicken Pinselstriche des Gewandes unten fehlten –, die Linien zueinander passen – man suche die Linien des Gewandes etwas weniger konvex zu sehen – und sorgfältig bedacht wird, was gegeben wird und was auszulassen ist. Etwa wenn eine Hand zum Vorschein käme, so wäre das Bild zerstört! So, wie nun die paar Linien und Flecke da stehen, ist die heitere, unbekümmerte Überlegenheit, das völlige Verstehen alles Menschlichen, Stolz, Witz, Leidenschaft, Mut, Vornehmheit des großen Dichters dargestellt: und in dieser Darstellung ist ein fast unheimliches inneres Leben, eine Bewegtheit von innen.

Ein Bild aus derselben Zeit stellt Buddha dar: wie er in der Vorahnung der kommenden inneren Befreiung geht.

Wenn wir die Höhe dieses Bildes verstehen wollen, dann müssen wir an die Versuche der europäischen Malerei denken, Christus zu malen. Die heutige Kunst kann sich eine solche Aufgabe überhaupt nicht stellen. Die berühmte Zeichnung von Lionardo scheint mir allein mit diesem Bild verglichen werden zu können, wenn man an den seelischen Ausdruck denkt. Aber sie ist nur eine Notiz für den Maler selber; im Bild hat er die Höhe nicht behaupten können; und das chinesische Bild ist wirkliches Bild.

Von dem versunkenen ägyptischen Volk ist vor allem die Bildhauerkunst bedeutend für uns geworden.

Sie setzt eine ganz andere seelische Verfassung voraus als jene Malerei: Bestimmtheit, Klarheit und Sicherheit in der Welt, bis zu dem Grade, daß auch das Jenseits so deutlich ist, wie das deutlich gewordene Diesseits. Vielleicht kann man sagen, daß die Kunst des chinesischen Tuschbildes alles Diesseitige als Jenseitiges erscheinen läßt, indem es den Geist darstellt, der in den Dingen ist, indessen die ägyptische Plastik alles Jenseitige als Diesseitiges darstellt, indem sie die Dinge darstellt, in denen der Geist ist.

Für den Bildhauer ist die menschliche Figur sein hauptsächlicher Darstellungsgegenstand. Mit einer früh erworbenen, heute fast märchenhaften Handwerksgeschicklichkeit wurde sie gebildet; und schon in den frühesten Zeiten haben wir vollendete Meisterwerke: die ersten Anfänge müssen uns verborgen sein. Ich möchte auf die Granitstatue eines Priesters hinweisen, aus der Zeit um 2900 v. Chr., die also nun fast fünf Jahrtausende alt ist. Wir können in dem Stück die lebendige Kraft einer schöpferischen Zeit spüren: die stolze Erhabenheit des Mannes, der sich als Mittler zwischen Göttern und Menschen weiß, die Selbstzucht, die Herrscherkraft, der Wille und leitende Verstand sind in ihr durch plastische Mittel unübertrefflich ausgedrückt. Es ist eine königliche Gestalt, aber nicht die Gestalt eines Königs; der Mann herrscht, aber das Ziel seines Herrschens geht auf Jenseitiges. Man halte dagegen die Figur des Königs Chefren, des Pyramidenbauers, die von 2800 ist. Auch sie ist königlich: ein auf das Diesseitige gerichteter Verstand und Wille, mit derselben Zucht und Herrscherkraft; das Bild eines wirklichen Königs. Man kann die Unterschiede sich am besten zunächst an den Köpfen klarmachen und wird dann sehen, wie in Haltung, Sitzen, Stellung der Beine, Lage der Hände, Bau des Körpers sich das ausdrückt. Der Priester und der König sind zwei große Urbilder der Menschheit; man halte daneben den Dichter und den Propheten, welche von den chinesischen Malern gebildet waren, zwei andere große Urbilder. Den Dichter und Propheten hat die ägyptische Kunst nie gebildet, sie ist der Ausdruck eines Volkes, das sich durch eine einzige Leidenschaft gebildet hat, durch die Leidenschaft des Herrschens, durch welche es sich das Diesseits und das Jenseits schuf. Anderthalb Jahrtausende später wurde der andere Königskopf gebildet, für den man keinen Namen weiß, aus dem neunzehnten Jahrhundert. Welcher Wendel seit Chefren! Noch ein eiserner, unbeirrbarer Wille, ein nüchterner, durchdringender Verstand; aber eine unendliche Schwermut, eine schmerzliche Menschenverachtung ist in den Zügen. Die ruhige Selbstverständlichkeit Chefrens ist verschwunden, es ist, als wenn dieser Herrscher schon das ungeheure Leid fühlte, das jeder Herrscher zu tragen hat. Noch wenige Jahrhunderte: um 1360 ist die Büste von Amenophis IV. gemacht, in welchem ein zarter, fast gebrechlicher Körper durch einen fast nervösen Willen beherrscht wird, die Einsamkeit des Königs, die Trauer, die furchtbare Schwere seiner Aufgabe sich ergreifend ausdrückt. Und nun noch sieben Jahrhunderte weiter, und es folgt des Königs Kopf, wieder ohne Namen, welcher den Schluß macht: um 600 ist alles leer geworden, das äußere Können, die handwerkliche Tüchtigkeit sind noch da, aber es ist nichts erlebt und nichts gefühlt.

Wenn die Künstler aus der gleichen Zeit sind wie die Männer, welche sie darstellen, dann läßt sich nicht auseinanderhalten, was Eigentümlichkeit des abgebildeten Menschen ist: der Künstler mußte auf jeden Fall, mochte der Herrscher sein, wie er wollte, ihn so bilden, wie ihm in seiner Zeit der Herrscher erschien. Denn auch die ägyptische Kunst ist »idealistisch«: sie will den Geist geben und nicht die sogenannte Natur – wie in Wirklichkeit ja auch die »realistische« Kunst nicht die Natur gibt; kein Künstler kann darüber hinaus kommen, daß er immer nur seinen Geist, seinen eigenen Geist darstellen kann.

Und das ist es, was wir vor allem lernen sollten, wenn wir solche großen Richtungen und Zeitalter der Kunst vor uns sich abrollen sehen, wie das heute möglich ist, wie das früher noch nie möglich war: jede Kunst wird aus einer Idee geboren, und das Abrollen dieser Idee bestimmt ihr Leben. Groß sind die Völker, bei denen eine solche wunderbare Einheit von Idee und Gesamtleben ist, wie bei den Ägyptern war; reich sind die, bei denen viele Ideen neben- und durcheinander ihren geschichtlichen Ablauf finden, wie bei den Chinesen. Wie ist es bei uns? Die Kunst des Ostens sollte uns lehren, worauf es ankommt im Leben der Völker.


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