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Vierzehntes Kapitel.

Widukind. Richer. Italienische Chroniken.

Wenn der Italiener Liudprand schon durch die eigenen Schicksale, die ihn über die Grenzen seines Vaterlandes trieben, noch mehr durch die seines Landes, das kein nationales Ganze, vom Ausland nach allen Seiten abhängig war, im Verein mit seinem weiten politischen Blick und seiner reichen gelehrten Bildung zu einer universalhistorischen Auffassung in seinem Hauptwerk geführt wurde und gerade hierdurch damals als Italiener sich bewährt: so sehen wir in den Werken der beiden andern oben genannten Historiker eine mehr oder weniger beschränkte nationale Tendenz verfolgt, die in dem des Deutschen noch durch ein landschaftliches, ein Stammesinteresse eine weitere Beschränkung findet. Dieser nationale Charakter verleiht aber diesen Werken einen besondern Reiz und eine literarische Eigenthümlichkeit.

Widukind, Widukindi rerum gestarum Saxonicarum libri III. Ed. 3, denuo recognovit Waitz. Hannover 1882. ( Script. rer. German. in usum scholar. [Praef.]). – Köpke, Widukind von Korvei. Berlin 1867. (Ottonische Studien Bd. 1). – Raase, Widukind von Korvei. Rostock 1880 (Dissert.). – Maurenbrecher a. a. O. S. 32 ff. – Wattenbach, Geschichtsqu. Bd. I, S. 308 ff. von dessen Leben wir sehr wenig wissen, war ein Sachse und Mönch von Corvey. Während Folcmar Abt war (917–942), trat er in das Kloster ein, und wohl erst in den letzten Jahren desselben. Noch vor seinem Geschichtswerk schrieb er die Passion der heiligen Thekla in Versen und das Leben des ersten .Eremiten Paulus in gebundner und ungebundner Rede. Sigebert, De script. eccles. cap. 129. – Auf diese hagiographische Production weist Widukind selbst l. I, c. 1 hin. Sie ist uns nicht erhalten. Seine drei Bücher rerum gestarum Saxonicarum , die er kaum vor 965 begonnen, schloss er wohl Ende des Jahres 967 ab; Vgl. Waitz, Praef. pag. IX f. fügte dann aber – nicht vor 973 – noch eine kurze Fortsetzung hinzu. Zu dem Hofe Otto's I. stand er in einer näheren Beziehung, Darauf scheint schon die Widmung hinzuweisen, besonders weil sie an ein, wenn auch frühreifes, Kind der königlichen Familie gerichtet ist, und ihr eine pädagogische Tendenz zu Grunde liegt: ut ea legendo animum oblectes, curas releves, pulchro otio vaces; die Princessin wird auch wiederholt im Texte angeredet. So erscheint Widukind wie ihr Lehrer. Dann spricht für eine solche Beziehung zum Hof die genaue, lebendige Charakteristik Otto's und seines Bruders Heinrich, auch die Schilderung der Krönung. (Beachtenswerth auch l. II, c. 40). Dass die einzelnen Bücher, sowie sie vollendet waren, Mathilden zugestellt wurden, halte ich für gewiss, da ein jedes Buch mit einer besondern Zuschrift versehen ist: dem widerspricht nicht, dass schon in der des ersten Buchs von den Thaten Otto's die Rede ist, sie zu schildern war ja die Hauptabsicht des Werks und so konnte Widukind schon hier auf sie hinweisen, da er sie ja jedesfalls erzählen wollte. – Was die Frühreife Mathildens anlangt, die allein ja die Widmungen erklärlich macht, so ist hier einer Stelle der Annal. Quedlinburg. unter dem Jahre 999 zu gedenken: Mechtild, corpore sensibusque plus caeteris id aetatis maturescens. wie er denn auch sein Werk der 429 Tochter desselben, Mathilde, die 966 erst 12 Jahre zählte, gewidmet hat. Seine klassischen Studien bezeugen nicht sowohl Citate aus den Alten, deren wenige sind, als vielmehr sein dem Sallust nachgebildeter Stil. So wenig als das Jahr seiner Geburt, ist uns das seines Todes bekannt.

Widukind will in seinem Werk die Geschichte seiner Fürsten, d. h. hier speciell der Könige Heinrich I. und Otto I., aber zugleich die seines Volksstammes, der Sachsen, erzählen, wie er selbst uns sagt. Widmung des ersten Buchs: patris – avique – – res gestas memoriae traditas etc. Sed et de origine statuque gentis pauca scribere curavi. Vgl. auch c. 1. Freilich, erklärt er in der Widmung, könne er nicht alle ihre Thaten umfassen; sed strictim et per partes scribimus, ut sermo sit legentibus planus, non fastidiosus. Das letztere kann sich wohl nur auf das strictim beziehen. So beginnt er das erste Buch mit einer Vorgeschichte »über den Ursprung und den Zustand« seines Volkes, indem er da, »fast allein der Fama folgend«, die Stammsagen desselben erzählt: wie die Sachsen zu Schiff in Hadeln landend, dort Fuss fassen und durch Besiegung der Thüringer, zum Theil im Verein mit den Franken, allmählich ihr Land gewinnen (c. 1–13) und in Freundschaft mit den Franken dasselbe organisiren (c. 14). c.14 handelt eben de statu gentis, während die vorausgehenden capp. der origo gewidmet sind. Es folgt dann ihre gewaltsame Bekehrung zum Christenthum durch Karl den Grossen, wodurch sie nunmehr »Brüder der Franken und gleichsam ein Volk durch den christlichen Glauben werden.« Hier endet die Vorgeschichte und der Autor hebt nun (c. 16) die Geschichte seiner Fürsten an, indem er der Vermählung der Tochter ihres 430 Stammvaters Liudulf, Liudgard mit dem »letzten der Karolinger in Ostfrancien«, Ludwig, dem Sohne Arnolfs, gedenkt: es ist, als wenn schon durch diese Verwandtschaft mit dem letzten herrschenden Geschlecht das der Liudulfinger für die Nachfolge im Reiche prädestinirt worden wäre. Nach dem Tode Ludwigs, der keinen Sohn hinterliess, wollte »das ganze Volk der Franken und Sachsen« den grossen Herzog Otto, den Bruder Liudgards, zum König, der aber den Franken Konrad zu dieser Würde empfiehlt. Nunmehr geht der Autor (c. 17) schon auf dieses Otto Sohn, Heinrich I. über. Die Geschichte desselben als Herzogs wie als Königs nimmt das übrige Buch ein (c. 21–41), indem hier, wie immer, Widukind in der Regel chronologisch, bezw. synchronistisch erzählt. Am ausführlichsten verweilt er bei der sehr lebendig und anschaulich entworfenen Schilderung der Schlacht bei Lenzen (929), worin die Redarier geschlagen wurden (c. 36), und bei der Besiegung der Ungarn im Jahre 933 (c. 38), »welche den Ruf der Macht und Tapferkeit Heinrichs weit und breit über alle Völker und Könige verbreitete«. Ferner wird episodisch ein ganzes langes Kapitel (c. 34) dem heiligen Vitus, seinem Leben und seinen Translationen gewidmet: denn diesem, von dem Autor selbst als Schutzpatron hoch verehrten Heiligen Wie er auch der seines Klosters war. Der Verfasser nennt sich im Eingang der ersten Widmung selbst: ultimus servulorum Christi martirum Stephani atque Viti. hat Sachsen es zu danken, dass es »aus einer Serva eine Freie und aus einer Tributpflichtigen die Herrin vieler Völker geworden ist.«

Das erste Buch schliesst mit dem Tode Heinrichs I. Die beiden übrigen Bücher sind der Geschichte Otto's gewidmet; und zwar erstreckt sich das zweite Buch bis zum Tod seiner ersten Gemahlin, Edith, indem es also nur das erste Jahrzehnt seiner Regierung umfasst (936–946). Es hebt mit der Königswahl und Krönung Otto's, die der Verfasser so ausführlich schildert, als habe er ihr selbst beigewohnt, an, darauf erzählt er die ersten Kriege Otto's gegen auswärtige Feinde, den Böhmen Boleslav, die Redarier und die Ungarn (936–937), um dann (c. 6) auf die Bürgerkriege überzugehn, die nunmehr beginnen, nach Widukind entzündet theils durch den Stolz der Sachsen, da die Krone auf ihr Fürstenhaus übergegangen und 431 sie es nun verschmähten andern Stämmen zu dienen (c. 6), theils durch die Herrschbegierde Heinrichs, des Bruders Otto's (c. 15). So wurde zunächst der Franke Eberhard, der eigenmächtig gegen einen sich auflehnenden sächsischen Lehnsmann vorging, zur Empörung getrieben, dem sich dann später Heinrich aus persönlichem Interesse mit vielen andern Vasallen anschloss; und selbst nach ihrer Besiegung (939) und seiner Begnadigung verschwört sich Heinrich von neuem gegen den Bruder (940). Nachdem dieser Mordanschlag und seine Unterdrückung ausführlicher erzählt ist (c. 31), berichtet Widukind noch in Kürze den Zug Otto's, der, jetzt frei von inneren Feinden, die Grenzen seines Reiches zu erweitern strebt, gegen Burgund (944) und die Versöhnung mit seinem Bruder, dem das Herzogthum Baiern zu Theil wird (c. 36). Hier gibt er zugleich eine eingehende sehr interessante Charakteristik Otto's und seiner Brüder Heinrich und Bruno. Aus den früheren Kapiteln seien noch als ausführliche Schilderungen der Tod des mit Eberhard verbündeten Thankmar, eines illegitimen Bruders Otto's, (c. 11) und die Schlacht von Birten (c. 17) hervorgehoben.

Das dritte Buch behandelt die Geschichte Otto's bis zum Untergang seines alten Gegners, des abtrünnigen Vasallen Wichmann September 967. Es beginnt mit dem Bericht, wie Otto nach dem Hinscheiden seiner ersten Gemahlin alle seine Liebe auf ihren einzigen Sohn, Liudulf übertrug, der damals erst 16 Jahre zählte, und wie er diesen testamentarisch zu seinem Nachfolger erwählte. Widukind erzählt dann Otto's Intervention in Frankreich (c. 2 ff.), hiernach (c. 6) die Vermählung Liudulfs mit der Tochter des Schwabenherzogs Hermann, worauf ihm bald nach dem Tode desselben dies wichtige Herzogthum zufällt (949). Nachdem dann in der Kürze Otto's Zug nach Italien (951) und seine Vermählung mit Adelheid, der Wittwe des Königs Ludwig, berichtet ist, beginnt die Erzählung des neuen Bürgerkriegs (953–955), der durch die Empörung Liudulfs, mit dem sich sein Schwager Konrad von Lothringen verbündet, hervorgerufen wird: diese Erzählung bildet den Hauptinhalt von c. 13 bis 43. Am ausführlichsten werden hier behandelt die Belagerung von Mainz und die dort geführten Friedensverhandlungen (c. 18), die Versammlung zu Langenzenn (c. 32) und der Ausfall von Regensburg (c. 36). – Das folgende Hauptstück der Erzählung dieses Buches bilden dann c. 44 bis c. 49, 432 worin der glorreiche Sieg über die Ungarn auf dem Lechfelde eine detaillirte Darstellung findet. Die letzten Kapitel (50–69) sind der Bekämpfung Wichmanns, der im Bund mit den Wenden seine eigene Heimath, das Sachsenland mit Raubzügen heimsuchte, und seinem Ende gewidmet. Hier wird dieses sowie die Schlacht an der Recknitz (c. 53 ff.) am ausführlichsten geschildert.

Die später hinzugefügte Fortsetzung, die nur aus sieben Kapiteln besteht und besser als ein Nachwort zu bezeichnen wäre, erzählt in den letzten den Tod der Mutter des Kaisers (968), sowie seinen eigenen (973) ausführlich, und schliesst mit der Otto II. geleisteten Huldigung, während in den früheren Kapiteln die einzige vom Autor mitgetheilte Urkunde, ein Schreiben Otto's I. aus Italien (vom Jahre 968) gegeben und die Niederlage der Griechen in Calabrien (969) kurz berichtet wird, die Widukind als die Ursache des Sturzes des Nicephorus und der in Folge davon endlich ausgeführten Vermählung Otto's II. mit Theophanu ansieht.

Ueberblickt man den Inhalt des Werkes, so erkennt man leicht, wie der Verfasser in der Ausführung seiner Geschichte zunächst die sein Sachsen, Ein recht bezeichnendes Beispiel ist u. a., dass er die Erzählung von der so allgemein wichtigen Schlacht auf dem Lechfelde unterbricht, um einer gleichzeitigen Niederlage seiner Landsleute durch die Wenden zu gedenken, deren Eindruck im ganzen Sachsenlande Besorgniss für den gegen die Ungarn im Felde liegenden König und sein Heer erweckt habe. l. III, c. 45. dann die Deutschland überhaupt betreffenden Ereignisse berücksichtigt, wogegen die Beziehungen zu dem Ausland fast nur wo sie Deutschland damals unmittelbar berührten, in Betracht gezogen und wenig genau berichtet werden. Er will ja die Geschichte seiner Fürsten und seines Stammes geben; er sieht in jenen, als sie die Herrschaft des Reiches erlangten, auch nur die gekrönten Sachsen. Von der Bedeutung der Wiederherstellung des Kaiserthums hat er so wenig einen Begriff, dass er der letztern gar nicht einmal gedenkt. Die Vermählung Otto's mit Adelheid und die seines Sohnes mit Theophanu haben für ihn nicht die universelle politische Bedeutung, vielmehr eine Bedeutung nur in Bezug auf die königliche Familie; freilich hatte im erstern Falle das Verhältniss der Königin zu Liudulf auch grosse politische Folgen. Bei 433 Widukind finden wir nichts von der universalhistorischen Tendenz Liudprands. Er hat von vornherein, wie er selbst sagt, l. III, c. 63, da er zu schwach dazu sei ( nostrae tenuitatis non est edicere). Er verweist rücksichtlich dieser Beschränkung auf das, was er im Anfang der Geschichte vorausgesagt habe: offenbar bezieht er sich hier auf das per partes scribere in der ersten Widmung, s. oben S. 429, Anm. 1. davon abgesehen, die Römerzüge Otto's zu erzählen: an ihrer Stelle erzählt er, was sehr bezeichnend ist, mit grosser Ausführlichkeit die Bekämpfung des die Sachsen bedrängenden Sachsen Wichmann. So tritt am Schlusse des Werks noch einmal der Stammespatriotismus des Autors recht hervor. Durch die Schranken, die Widukind in seiner Geschichte sich selbst gesetzt hat, hat dieselbe, auch ganz im Gegensatz zu dem Werke Liudprands, eine innere Einheit. Auch die Composition, die Gliederung des Werks, soweit sie bei Widukinds chronologischem Verfahren Wo er einmal davon abweicht, hält er eine Entschuldigung für nöthig. l. II, c. 28, Ende. in Betracht kommen kann und ausführbar war, hat der Verfasser mit Ueberlegung und gutem historischen Verständniss gemacht: so die Vertheilung des Stoffs auf die drei Bücher. Freilich die Abgrenzung des ersten Buchs ergab sich leicht von selbst, nicht so die des zweiten, die von dem Autor selbst durch die Art, wie er das dritte anhebt, wohl motivirt wird.

Widukind hat gleich Liudprand hauptsächlich aus mündlicher Ueberlieferung Ueber die wenigen schriftlichen Quellen s. Köpke a. a. O. S. 34 ff. Dass Widukind der mündlichen Tradition gegenüber eine gewisse Kritik beobachtet, zeigen einzelne Stellen wie l. I, c. 13 Ende, c. 18 Anf., c. 35 Ende. und aus eigener Beobachtung seinen Stoff geschöpft: so zeichnet sich auch seine Erzählung meist durch Frische und lebendige Anschaulichkeit aus, die sich namentlich in manchen farbenreichen Schilderungen – auf die wir bei der Skizze des Inhalts hindeuteten – und in mit Liebe ausgeführten Charakterzeichnungen, an denen sein Werk viel reicher, als das des Liudprand ist, bekundet. Gerade bei den letzteren zeigt sich ein andrer Vorzug des Deutschen vor dem Italiener, die Unbefangenheit seines Urtheils, die sich selbst Feinden des königlichen Hauses gegenüber bewährt. S. u. a. seine Charakteristik Eberhards l. II, c. 7. Sie hängt mit seinem, wie es scheint, leidenschaftslosen Charakter 434 und seiner Wahrheitsliebe zusammen, welche allerdings eine gewisse Schranke in seiner theils persönlichen, theils patriotischen Liebe zum königlichen Hause und wohl auch in der besondern Zuneigung zu einzelnen Gliedern desselben findet; die Schranke besteht im Verschweigen von Dingen, deren Erinnerung sie schwer verletzen musste, und zwar da, wo ihre Mittheilung von der Erzählung nicht geradezu verlangt wurde, auch für die Zeitgenossen unnöthig war: so gedenkt Widukind der Demüthigung Heinrichs vor Otto zu Weihnachten 941 gar nicht, während er dagegen seinen Mordanschlag gegen den Bruder keineswegs verschleiert. Ein andres Beispiel bietet die Empörung Liudulfs; die Verschwörung zu Saalfeld wird nur angedeutet l. III, c. 9, die Versöhnung mit dem Vater, aber nicht Liudulfs Strafe erzählt l. I., c. 40. Sein Stand als Kleriker tritt in der Darstellung selten hervor und erscheint dann auch im nationalen Gewande, indem er den heiligen Vitus gleichsam als sächsischen Schutzpatron betrachtet. Obgleich seine Diction sonst anspruchslos und ohne rhetorischen Prunk ist, so hat er doch auch nicht unterlassen können, nach dem Muster des Sallust hier und da seiner Erzählung selbst verfasste Reden einzuflechten.


Verräth das Werk Widukinds in so manchen Zügen, wie wir sahen, die sächsische Nationalität des Autors, so das seines jüngern Zeitgenossen Richer nicht minder die des Nordfranzosen; und dies geschah zu einer Zeit, wo ein französisches Nationalbewusstsein zuerst in der politischen Geschichte Epoche machend hervortritt. Es war zur Zeit des Königs Hugo Capet, in dem gleichsam die französische Nationalität gekrönt ward, als Richer seine Historiarum libri IV verfasste.

Richer Richeri historiarum libri IV, in usum scholar. ex Monum. German. histor. Ed. 2. Recogn. Waitz. Hannover 1877. (Praef.). – Richers vier Bücher Geschichte übers. von Osten-Sacken. Mit Einleitung von Wattenbach. (Geschichtschr. der deutschen Vorzeit, X. Jahrh. Bd. 10). Berlin 1854. – – Reimann, De Richeri vita et scriptis. Olsnae 1845 (Bresl. Dissert). – Wattenbach, Deutschl. Geschichtsqu. S. 381 ff. – Ampère a. a. O. S. 289 ff. (Vgl. auch Monod, Etudes sur l'histoire de Hugues Capet in: Revue historique, T. 28 (1885) pag. 244 ff.). war der Sohn eines Ritters, der dem König Ludwig IV. (Transmarinus) nahe stand, und durch kluge Rathschläge, 435 Beredsamkeit und Kühnheit sich auszeichnete, weshalb denn auch der König viel mit ihm verkehrte und sich seines Raths sehr oft bediente, wie uns Richer mittheilt. Durch eine Kriegslist wusste er das wichtige Laon Ludwig zu erobern (949), wie später durch eine andre unter seinem Nachfolger Lothar einen gefährlichen Gegner desselben zur Herausgabe seiner Eroberungen zu nöthigen (956). Von diesem Vater wird Richers Interesse für das Kriegswesen und die Politik, wie auch deren Kenntniss, namentlich des ersteren, sowie nicht minder seine Anhänglichkeit an die karolingische Dynastie herstammen. Richer trat in das Kloster St. Remi bei Reims ein, Erst nach Flodoards Tode (966), da er diesen offenbar persönlich nicht gekannt hat, wie die Art und Weise zeigt, in welcher er desselben im Prolog seines Werks gedenkt. wo er der Schüler Gerberts wurde, dessen Unterrichtscursus er ja in seinem Werk ausführlich geschildert hat. S. oben S. 385. Später beschäftigte sich unser Autor insbesondere mit medicinischen Studien: er machte deshalb, wie er uns erzählt, l. IV, c. 50. im Jahre 991 sogar eine beschwerliche Reise nach Chartres, um dort unter der Leitung seines gelehrten Freundes Heribrand die Aphorismen des Hippokrates und das Buch De concordia Hippocratis, Galeni et Surani zu studiren. Offenbar hat er auch die medicinische Praxis ausgeübt. Für den praktischen Zweck seiner medicinischen Studien spricht namentlich die Stelle gegen Ende des eben citirten Kapitels: in quibus (sc. aphorismis) cum tantum prognostica morborum accepissem, et simplex egritudinum cognitio cupienti non sufficeret – – Von diesen Studien zeugt sein Werk ebenso wie von der universellen wissenschaftlichen Bildung, die er dem Unterricht Gerberts verdankte. Weitere Daten seines Lebens sind uns durch sein Werk, die einzige Quelle seiner Biographie, nicht überliefert.

Wie wir aus der Vorrede des Werks erfahren, war es kein Geringerer als Gerbert, der, während er Erzbischof von Reims war, Das » imperii tui, pater sanctissime Gerberte, auctoritas« im Prolog beweist dies. So ist das Werk nach 991 begonnen und wohl im Jahre 995 abgeschlossen; in den nächstfolgenden Jahren aber noch einmal revidirt. Die Datirung von Pertz (s. Praef. pag. VI, n. 4) ruht meines Erachtens auf einem zu unsichern Grunde. Richer zur Abfassung seiner Geschichte Frankreichs 436 veranlasste, die er erst von der Zeit anheben will, wo die »sehr reichen« Annalen Hincmars aufhören. Seine Absicht ist, die dann folgenden von den »Galliern« vollführten Kriege, ihre mannichfachen Unruhen ( tumultus ) und verschiedenen Arten von Verhandlungen (politischen und kirchlichen) diversas negotiorum rationes. Dass Richer darunter nicht bloss politische, sondern auch kirchliche negotia versteht, zeigt sein Werk zur Genüge. der Nachwelt durch die Schrift zu überliefern. Er will sich auf die Geschichte Frankreichs beschränken, wie der folgende Satz zeigt: Si qua vero aliorum efferantur, ob incidentes rationes, quae vitari non potuerunt, id evenisse putetur. Er will sich kurz fassen und glaubt den Leser befriedigt zu haben, wenn er alles überzeugend, klar und bündig dargestellt habe. Für die ältere Zeit sei Flodoards Buch seine Quelle.

Obgleich Hincmars Werk mit dem Jahre 882 endet, hebt Richer nach einer Einleitung über die Eintheilung Galliens (worin er Caesar folgt) und den Charakter der Völker desselben, seine Geschichte, wie er selbst sagt, Ende des c. 3: usque ad Karolum, a quo historiae sumemus initium. mit Karl dem Einfältigen an, in Wahrheit jedoch mit der Wahl Odo's von Paris zum Könige 888. Er betrachtet nämlich Odo's Regierung nur als eine interimistische, die wegen der Minderjährigkeit Karls bei den Bedrängnissen des Landes durch die Normannen nothwendig war. S. c. 4 Ende. So gibt sich sogleich im Eingang des Werks die politische Gesinnung des Autors, der der karolingischen Legitimität durchaus huldigt, zu erkennen. Richer erzählt auch von Odo's Regierung nur seine Kämpfe mit den Normannen, namentlich sehr ausführlich einen Sieg desselben über sie bei Montpensier (c. 7 ff.), um dann sogleich zur Erhebung Karls durch seine Königswahl zu Reims Januar 893 überzugehen (c. 12), worauf nur noch im folgenden Kapitel der Tod Odo's Januar 898 geschildert wird; der dazwischen liegenden fünf Jahre wird gar nicht gedacht. Der Verfasser erzählt dann in diesem ersten Buche, vornehmlich auf Grund der Annalen Flodoards, Doch hat er auch ausnahmsweise die Historia eccles. Remens. benutzt, so l. I, c. 32 f. die durch fast fortwährende innere Unruhen bewegte Geschichte Karls, seine Kämpfe mit Odo's Bruder, Robert, seinen Krieg 437 mit Giselbert von Lothringen, bei welchen Ereignissen auch der eingreifenden Theilnahme König Heinrichs von Deutschland gedacht wird, allerdings in einer eigenthümlichen Auffassung seines Verhältnisses zu dem Karolinger. (Dazwischen berichtet er noch eine Niederlage der Normannen unter Rollo und ihre Bekehrung [c. 28 ff.]). Es folgt dann die Wahl Roberts zum Gegenkönig (c. 41) und die Schlacht von Soissons im Jahre 923, in welcher derselbe bleibt, darauf noch die Erhebung des Burgunders Rudolf (c. 47) und die Gefangennahme Karls, welchen erst der Tod befreite 929 (c. 56). Die Geschichte der Regierung Rudolfs bildet dann den Schluss des ersten Buchs, das mit seinem Tode (936) endet (c. 65).

Das zweite Buch ist der Geschichte Ludwigs IV. gewidmet (936–954). Ausführlich behandelt der Verfasser die Thronbesteigung Ludwigs, der aus England zu berufen war, dann dessen Kämpfe mit Heribert von Vermandois (c. 7 ff.), und gegen den mit diesem verbundenen Sohn Roberts, Hugo den Grossen, seine Beziehungen zu Lothringen und Otto I., seine Kämpfe mit den Normannen, den Streit um die Besetzung des Erzbisthums Reims, wobei die Synode von Ingelheim eine sehr ausführliche Darstellung findet (c. 69 ff.): dies sind die Hauptpunkte von Richers Erzählung, für die auch hier noch Flodoard die Hauptquelle bildet. Es schliesst das Buch mit Ludwigs Tod (c. 103).

Das dritte Buch hat die Geschichte des Sohnes Ludwigs, Lothar zum Gegenstand, der, erst 12 Jahre alt, den Thron besteigt. Hier folgt der Verfasser Flodoard nur noch bis zum Jahre 965, da ohnedies ja dessen Annalen mit dem folgenden Jahre aufhören, und fährt dann, nach Ueberspringung von drei Jahren, von 969 an (Kap. 22) selbständig fort. Nachdem im vorausgehenden, um des wichtigsten zu gedenken, die Unterwerfung Wilhelms von Aquitanien, der Tod Hugo's des Grossen und die Ernennung seines Sohnes Hugo Capet zum Herzog, sowie die Erhebung Odelrichs auf den erzbischöflichen Stuhl berichtet worden ist, gliedert sich die folgende selbständige Erzählung Richers in fünf Abschnitte. Zuerst (c. 22–42) schildert er die Wirksamkeit des Erzbischofs Adalbero, der Odelrich 969 in Reims folgte: wie er den Dom restaurirte und schmückte, die Kanoniker reformirte und ebenso die Mönche, für die von St. Remi aber auch eine Bestätigungsurkunde ihres 438 Besitzthums vom Papste erwarb, welche er auf einer Synode zu Mont-Notre-Dame durch die Bischöfe bekräftigen liess. Eine Versammlung der Aebte unter dem Vorsitz des von St. Remi und unter der Theilnahme des Erzbischofs erliess da Verordnungen zur sittlichen Besserung der Mönche. Ihre Verhandlungen, die kulturgeschichtlich von nicht geringem allgemeinen Interesse sind, So was hier (c. 37 ff.) tadelnd über den Luxus in der Kleidung, den sich die Mönche erlaubten, gesagt wird, wobei gar mancher Einzelheiten der damaligen Mode gedacht wird: so der pillea aurita, der tunicae, quas sic ab utroque latere stringunt manicisque et giris diffluentibus diffundunt, ut artatis clunibus et protensis natibus potius meretriculis quam monachis a tergo assimilentur; der engen mit Ohren versehenen Schnabelschuhe, der Pelze, der Pumphosen u. s. w. theilt Richer in aktenmässiger Ausführlichkeit mit (c. 31 ff.). – Doch Adalbero sorgte nicht minder für den Unterricht der Söhne seiner Kirche in den freien Studien. Und hiermit geht Richer zu einem zweiten Abschnitt seiner Erzählung, der Wirksamkeit Gerberts über, »der von der Gottheit selbst dem Adalbero zu jenem Zwecke gesandt ward.« Dieser Abschnitt erstreckt sich von c. 43 bis 65. Hier gibt nun Richer die oben von uns benutzten wichtigen Nachrichten über das Leben Gerberts bis zu seiner Disputation mit Otrich (980), die hier ebenso ausführlich wie seine Unterrichtsmethode behandelt wird. – Einen dritten Abschnitt bilden dann c. 67–90, c. 66, von dem nur der Anfang erhalten ist, behandelte episodisch die Synode von Sta Magra, deren Gegenstand die Gerüchte über ein ehebrecherisches Verhältniss der Königin Emma mit dem Bischof Adalbero von Laon bildeten. die Händel Lothars mit Kaiser Otto II. über Lothringen und die Folgen seiner mit ihm hinter dem Rücken des Herzogs Hugo vollzogenen Aussöhnung, indem dieser nun selbst mit Otto in Verhandlungen sich einlässt, hierdurch Lothar verdächtig und von ihm verfolgt wird, bis auch sie sich endlich versöhnen (978–981). – Ein vierter kleiner Abschnitt (c. 91–95), der gleichsam einen episodischen Charakter hat, beschäftigt sich mit Lothars Sohn, Ludwig, seiner Krönung zum König-Nachfolger 979, seiner Vermählung mit der Wittwe des Herzogs der Gothen und beider Scheidung 982. – Es folgt dann der fünfte Abschnitt (c. 96–108). Er hebt mit dem Tode Kaiser Otto's II. an. Dieser gab Lothar die Veranlassung, die Eroberung Lothringens von neuem zu versuchen. Es gelingt ihm auch 439 wenigstens die Einnahme von Verdun 984 (c. 101), das zwar für kurze Zeit wieder verloren, dann aber von neuem von ihm genommen wird. Diese zweite Belagerung Verduns wird von Richer sehr ausführlich geschildert (c. 104 ff.). S. übrigens die Zweifel, welche über die Richtigkeit der Erzählung einer doppelten Belagerung Verduns Wilmans erhoben hat: Jahrbücher des deutschen Reichs unter Otto III., S. 176 f. Das Buch schliesst mit dem Tod und der Bestattung Lothars im Jahre 986 (c. 109 f.).

Auch in dem vierten Buche kann man fünf Abschnitte unterscheiden. Der erste (c. 1–8) behandelt die kurze Regierung des Nachfolgers Lothars, Ludwig V., der den Erzbischof Adalbero des Landesverraths, des Einverständnisses mit Deutschland, anklagt; Ludwig stirbt bald danach in Folge eines Falls 987 (c. 5), trotzdem rechtfertigt sich Adalbero auf einer Versammlung der Grossen, wo ein andrer Convent, für die Königswahl, festgesetzt wird. – Der zweite Abschnitt (c. 9–23) erzählt den Anspruch, welchen Karl, Lothars Bruder, vergeblich auf den Thron erhebt, Hugo Capets Wahl und Krönung, sowie die seines Sohnes Robert 987 (c. 11 ff.), den Einfall Karls aus Lothringen, der sich Laons bemächtigt, welches Hugo umsonst wieder zu erobern versucht (c. 18 ff.). – Ein dritter Abschnitt (c. 24–73) lässt sich mit dem Tode Adalbero's 988 und der Bewerbung Arnulfs, eines illegitimen Sohnes Lothars, um das Erzbisthum anfangen. Arnulf erwählt, verräth, gegen Hugo treubrüchig, Reims an Karl: eine Schlacht zwischen beiden Kronprätendenten wird beiderseits nicht gewagt (c. 39); dagegen wird Laon durch eine List seines von Karl vertriebenen Bischofs erobert und dort Karl und Arnulf gefangen genommen, wie uns der Autor mit allen Einzelheiten erzählt (c. 41 ff.). Als reine Episode folgt zunächst die Schilderung der Reise Richers nach Chartres (c. 50), dann ganz ausführlich die Verurtheilung Arnulfs durch die Synode im Kloster des heiligen Basolus zu Reims 991, und zwar dargestellt auf Grund des von Gerbert verfassten S. oben S. 389. officiellen Berichts ihrer Verhandlungen, welcher zum Theil wörtlich reproducirt wird. Richer verweist auch auf diesen Bericht c. 73, (vgl. oben S. 389, Anm. 3). Hier allein gedenkt er erst, und ganz im Vorübergehen, in den Worten » librum Gerberti, huius Arnulfi in episcopatu successoris,« der Erhebung Gerberts. – Kap. 74–94 bilden 440 den vierten Abschnitt, worin der durch Odo von Vermandois unternommene Bürgerkrieg, insbesondere seine Fehde mit Fulco von Anjou, der Hauptgegenstand ist, dazwischen wird nur noch der Synode von Chelles im Jahre 992, die der Curie gegenüber die Absetzung Arnulfs und die Erhebung Gerberts auf seine Stelle vertheidigt, gedacht (c. 89). Mit dem Tode Odo's schliesst dieser Abschnitt. – In dem letzten endlich (c. 95–107) bildet die Synode von Mouzon (995), die durch die Sendung eines Legaten, um Arnulf zu rehabilitiren, vom Papst veranlasst wird, den einzigen Gegenstand.

Damit endet das Werk; auf dem letzten Blatt der Handschrift finden sich noch wenige einzelne Notizen aus den Jahren 995–998 in dem Lapidarstil der ältesten Annalen. Mehrere davon betreffen Gerbert. Diese Notizen haben keinerlei literarische Bedeutung, sie sind so zu sagen ganz privater Natur, möglicher Weise im Hinblick auf eine Fortsetzung des Werks aufgezeichnet, obgleich in der Beziehung ihre Zahl zu gering erscheint.

Die Eintheilung des ganzen Stoffs in die vier Bücher ist, wie leicht zu erkennen, mit guter Ueberlegung vom politischen Parteistandpunkt des Verfassers aus gemacht. Ein jedes der Bücher behandelt die Geschichte eines der Könige der karolingischen Dynastie, nur dass im ersten, von der stellvertretenden Regierung Odo's abgesehen, noch die des Burgunders Rudolf angeschlossen ist, und im letzten nach dem Aussterben der geraden Linie der Karolinger mit Ludwig V. die Geschichte Hugo Capets folgt. Obgleich Richer in der Erzählung im allgemeinen der Zeitordnung folgt, so bemüht er sich doch, im Gegensatz zu der annalistischen Geschichtschreibung, die zusammen gehörenden Dinge und Ereignisse gruppirend zu verbinden, ein Bemühen, welches, sobald er selbständig, unabhängig von seiner annalistischen Vorlage, verfährt, im dritten und vierten Buche recht offen und erfolgreich hervortritt, wie ich dies hoffe nachgewiesen zu haben. So findet sich mindestens in diesen beiden Büchern auch eine innere Gliederung. Jenes Bemühen steht aber mit seinem nicht minder anerkennenswerthen Bestreben, die Ereignisse zu motiviren, im Zusammenhang. Was nun die Ausführung der Erzählung, namentlich zunächst die mehr oder minder grosse Ausführlichkeit betrifft, so ist diese durch die Persönlichkeit des Autors wesentlich 441 bestimmt worden. Dinge, die ihn als Kleriker und Gelehrten, sowie seinen Meister, dem das Werk vor allem bestimmt war, besonders berührten und interessirten, werden mit grösster Ausführlichkeit behandelt, so kirchliche und wissenschaftliche Angelegenheiten, und dies um so eher, als hierbei dem Mönch von St. Remi die Quellen reich zu Gebote standen. Solche Dinge waren nun auch von allgemeiner Bedeutung. Dagegen bekundet sich ein rein subjectives Interesse in der weitläufigen Schilderung der Krankheiten, an welchen einzelne bedeutende Persönlichkeiten starben. So der Krankheit Lothars l. III, c. 109, Odo's von Vermandois l. IV, c. 64, des Winemarus l. I, c. 18.

Die Art der Behandlung der Erzählung zeigt uns überall die Schule Gerberts: einmal die klassische Bildung; weniger meine ich damit, dass Sallust Richers Vorbild, namentlich auch in stilistischer Beziehung, gewesen ist, er war es ja auch für andre zeitgenössische Historiker, mehr mein' ich vielmehr das antikisirende Streben mittelalterlichen Dingen Namen des Alterthums zu geben; so macht Richer einen Grafen zu einem vir consularis, so spricht er von Legionen und Cohorten, so nennt er die Deutschen Germanen und die Franzosen Gallier, ja indem er die in Caesars Commentarien gegebene Eintheilung Galliens auch für seine Zeit festhält, nennt er die Lothringer Belgier. Und zwar insbesondere Belgici exteriores (s. z. B. l. II, c. 17), um sie von den Bewohnern des Lands zwischen Maas und Marne, des innern Belgiens zu unterscheiden. Der Einfluss jener Schule tritt aber noch bedeutender und eigenthümlicher hervor in der die Darstellung beherrschenden Rhetorik. Diese war ja auch Gerbert, wie dem antiken Rom, die Krone der weltlichen Wissenschaft, auf welche sich in seiner Schule ihr Unterricht zuspitzte. S. oben S. 385. Richer besass nun zugleich die dem Gallier eigenthümliche, den Franzosen vererbte rednerische Begabung. Und so ist ihm denn in seinem Geschichtswerk die Darstellung die Hauptsache, in ihr zu glänzen ist seine Genugthuung, namentlich durch Reden wie Beschreibungen und Schilderungen. Die ersteren machen zum Theil den Eindruck wie Schularbeiten, nach den Vorschriften der Rhetorik entworfen, S. l. I, c. 11: Oratio Ingonis pro se apud regem et principes suasoria habita. zeichnen sich aber durch sehr kurze, 442 häufig sentenzenartige Sätze aus; Nach dem Vorbild des Sallust, mit dem Richer auch stellenweis die Dunkelheit theilt. vom alten gallischen Pomp hält sich unser Autor frei. Die Beschreibungen bestehen vornehmlich Der Krankheitsbeschreibungen habe ich schon oben gedacht. – Von eingehenden Charakterschilderungen finden sich dagegen sehr wenige Beispiele, so eins l. I, c. 14, die Charakteristik Karls des Einfältigen. – Hierbei sei angemerkt, dass der Autor auch hier und da Naturerscheinungen erwähnt, so l. II, c. 7 auch ein Nordlicht. in Schilderungen von Schlachten und Belagerungen, bei welchen letzteren die Kriegsmaschinen ein paar mal in allen Einzelheiten mit solcher Klarheit und Genauigkeit beschrieben werden, S. z. B. die Beschreibung eines Widders l. IV, c. 22. dass man wohl erkennt, wie viel der Autor auch der mathematischen Ausbildung der Gerbertschen Schule zu verdanken hatte. Ueberhaupt ist für jene Zeit seine stilistische Gewandtheit zu rühmen, die sich namentlich auch in der Erzählung eigener Erlebnisse, die besondere Begabung der Franzosen für die Memoirenliteratur bekundend, zeigt.

Viel weniger Werth als auf die Darstellung legt unser Autor auf die objective Wahrheit und Richtigkeit des Inhalts: er nimmt es mit der Chronologie nicht genau und zeigt in der Benutzung seiner Quellen Flüchtigkeit, Wie eine Vergleichung mit Flodoard und den Concilakten zeigt. auch scheut er sich nicht nur nicht, aus seiner Phantasie mit manchem Detail seine Schilderungen auszuschmücken, er nimmt selbst bei seiner Revision des Werks einzelne willkürliche Aenderungen von Thatsachen von Bedeutung vor. Hierbei leitet ihn seine Parteilichkeit, welche auf seinen politischen Standpunkt im Verein mit seiner Nationaleitelkeit Wie diese selbst zur Renommisterei werden kann, s. l. II, c. 50. sich gründet. Beides geht Hand in Hand. Indem er das Princip der Legitimität hochhält, sieht er in den Karolingern die einzigen berechtigten Herrscher nicht bloss des west-, sondern auch des ostfränkischen Reiches. Dies sagt er ganz offen l. II, c. 18, von Otto dem Grossen redend: cum eius (sc. Ottonis) pater Saxoniae solum propter Sclavorum improbitatem rex creatus sit, eo quod Karolus, cui rerum summa debebatur, adhuc in cunis vagiebat. So erklärt und entschuldigt sich selbst bis zu einem gewissen Grade, dass Richer den deutschen König Heinrich I. geradezu als Lehnsmann Karls des Einfältigen hinzustellen wagt l. I, c. 23 Ende, indem er ihn hier bei der Revision des Werks dem Giselbert substituirt. und 443 ihn Saxoniae dux betitelt, l. I, c. 35. höchstens als König von Sachsen gelten lässt, welchen Titel er auch Otto I. beilegt. l. II, c. 30. – Dass unser Autor in kirchlicher Beziehung den Standpunkt Gerberts einnimmt, liess sich von vornherein erwarten; er trägt aber auch in politischer Beziehung, wie es scheint, den Interessen seines Meisters eine gewisse Rücksicht, wie in der Beurtheilung Otto's II. und in der Erzählung seines Krieges mit Frankreich. Vgl. Matthaei, Die Händel Otto's II. mit Lothar von Frankreich nach den Quellen dargestellt mit besonderer Berücksichtigung Richers. Halle (Dissert.) 1882. S. u. a. S. 7. – Bei aller Parteilichkeit, die indess doch nur bis zu einer gewissen Grenze geht, ist dies Werk eine um so wichtigere Quelle, je ärmer an solchen überhaupt die Geschichte Frankreichs in den letzten Decennien des Jahrhunderts ist.

Mit seinen Tugenden wie mit seinen Schwächen erscheint Richer bereits als ein echt französischer Historiker, in dessen Werk das Bewusstsein einer französischen Nationalität zuerst einen vollen und lebendigen Ausdruck findet: und hierin liegt die Summe seiner literarhistorischen Bedeutung.

 

Der Nationalcharakter tritt auch in entschiedener Weise in zwei italienischen Chroniken hervor, die als Quellenschriften für unsere Periode nicht ohne Belang, schon deshalb eine kurze Erwähnung verdienen würden; sie haben aber eine jede auch ein gewisses literargeschichtliches Interesse. Die eine ist das Chronicon Benedicti, In: Monum. German. histor., Scriptores T. III, ed. Pertz, pag. 695 ff. (Praef.). – – Wattenbach, Deutschl. Geschichtsqu. Bd. I, S. 398. – Maurenbrecher a. a. O. S. 66 f. das Werk eines Mönchs des Klosters St. Andrea am Berge Soracte, 968 beendet. Der Anfang ist uns nicht erhalten. Es ist eine Geschichte von Rom und Italien, die sich, sowie sie vorliegt, von der Regierung Julians bis 967 erstreckt – bis zur Zeit des Autors eine schlechte Compilation aus verschiedenen Werken, von sehr ungleicher Ausführung, mit besonderer Rücksicht auf das Kloster St. Andrea verfasst. Dem Autor fehlten zum Historiker die Befähigung wie die Kenntnisse. Aber gerade diesem Umstand verdanken wir die erste Mittheilung der merkwürdigen Erzählung von dem Zuge Karls des Grossen nach Jerusalem und Byzanz, welche später auch der Gegenstand einer altfranzösischen 444 Dichtung wurde. Es ist nicht schwer zu erkennen, dass diese Erzählung das Machwerk eines Gelehrten ist, und zwar auf Grund eines der Vita Caroli des Einhard, zu einem guten Theil selbst ganz wörtlich, entnommenen Materials. Was dieser von der Schöpfung einer Flotte Karls zur Bekämpfung der normannischen Piraten (c. 17) und von seinen Beziehungen zu Harun al Raschid und zu Byzanz (c. 16) erzählt, hat den Stoff zu der Erdichtung geliefert, die viel später ins Volk übergehend zur Sage wurde. Der Uebergang ward vermittelt durch die legendarische Behandlung dieser Erdichtung von Seiten eines Mönchs von St. Denis im folgenden Jahrhundert. Unserm Compilator möchte ich die Erdichtung nicht zutrauen, er fand sie wohl, und dann jedenfalls schriftlich vor, um sie seinem Werke einzuverleiben.

In dieser Episode unserer Chronik (c. 23) wird zunächst erzählt, im Anschluss an die Erwähnung der gegen die Normannen geschaffenen Flotte, dass Karl seine Schiffe aus dem adriatischen und dem Mittelmeer beim Traversus versammelt habe; er habe sich dann nach Empfang des päpstlichen Segens auf den Berg Garganus begeben, um dem heiligen Michael viele Geschenke opfernd, dort von Gott eine glückliche Reise zu erflehen. Dann sei er über Neapel und das untere Calabrien nach dem Traversus geeilt, und habe auf Brücken über das Meer sein Heer, das alle Völker seines Reiches zählte, nach Griechenland übersetzen lassen: worauf er selbst ihnen folgt. – Mit den Worten Einhards wird dann der Freundschaft des Perserkönigs Aaron (Harun) gedacht. Dieser vernimmt hier aber nicht, wie bei Einhard, dass Gesandte Karls das Grab Christi besucht haben, sondern Karl selbst besucht es, schmückt den heiligen Ort mit Gold und Edelsteinen und pflanzt eine goldene Fahne von wunderbarer Grösse darauf; Dies » vexillum« ist wohl aus der in Einhards Annalen unter dem Jahre 800 gegen Ende gegebenen Notiz über die Rückkehr des von Karl nach Jerusalem gesandten Presbyters herzuleiten. Die ihm vom Patriarchen mitgegebenen Mönche bringen Karl auch ein vexillum mit. In beiden Fällen ist wohl an eine Processionsfahne zu denken. wonach Aaron, wie bei Einhard, das Grab (und bei Benedict auch die Wiege) in die Gewalt ( potestas) Karls gibt. Umkehrend, gelangt Karl dann mit Aaron nach Alexandria, wo er sich von diesem verabschiedet, um nach Constantinopel zu ziehen. Hier schliesst 445 er denn in Person das Bündniss mit Ostrom, was bei Einhard wieder durch Gesandte geschieht. In diesem Abschnitt folgt die Darstellung wieder fast ganz wörtlich Einhard; nur findet sich das lächerliche Missverständniss, dass Karl mit den drei von Einhard erwähnten Kaisern, die in der Regierung auf einander folgten, zugleich, als ob sie zusammen regiert hätten, das Bündniss schliesst. Hierauf lässt Benedict, und dieser Schluss gehört ihm gewiss allein an, Karl, in Byzanz reich beschenkt und u. a. mit Reliquien vom heiligen Andreas, nach Rom zurückkehren, wo er jetzt zum Kaiser ausgerufen wird und dann mit dem Papste zugleich das Kloster unsers Autors besucht und demselben die mitgebrachten Reliquien des heiligen Andreas schenkt.

Das Nationalbewusstsein des Autors kommt aber gegenüber den fremden Nationen, namentlich der deutschen, die damals unter Otto dem Grossen in Italien zur Herrschaft gelangte, in seiner Chronik zum lebendigen Ausdruck, so vor allem am Schlusse des Werks, wo er in schwungvoller Rede zornig beklagt, dass Rom in die Gewalt des Sachsenkönigs gerathen sei. Für diese Opposition gegen die deutsche Herrschaft nur ein klerikales Motiv anzunehmen, wie Jung (Forschungen z. deutsch. Gesch. Bd. 14, S. 426), kann ich nicht billigen.

Das Werk, unter dem Einfluss der Vulgärsprache schon von dem Autor selbst in fehlervollem Latein geschrieben, erscheint in der überlieferten Kopie eines ungebildeten gedankenlosen Schreibers so entstellt, dass oft der Inhalt nur errathen werden kann. Anzunehmen, dass uns das Original selbst überliefert wäre, wie dies Pertz thut, ist bei genauerer Betrachtung geradezu unmöglich, denn es finden sich viele ganz sinnwidrige Fehler, die reine Schreibfehler sind. Aus diesem Grund hat auch die Schrift für die Kenntniss der Vulgärsprache Italiens in jener Zeit geringen Werth.

Das andre Werk ist das Chronicon Salernitanum, In: Monum. German. histor. a. a. O. pag. 467 ff. (Praef.). – – Wattenbach a. a. O. S. 399. – Maurenbrecher a. a. O. S. 67 f. welches auch einen Mönch, und zwar aus dieser Stadt, dessen Name uns nicht überliefert ist, zum Verfasser hat. Es behandelt die Geschichte der langobardischen Fürsten von Unteritalien bis zum Jahre 974, indem der Verfasser von da, wo Paulus Diaconus seine Geschichte der Langobarden endet, anhebt und zunächst auch das nördliche Reich derselben in den 446 Kreis seiner Erzählung zieht. Diese ist aber im allgemeinen ganz anekdotenhaft, einzelne Begebenheiten oft sehr detaillirt berichtend, sodass das Werk mehr eine Sammlung von Geschichten und Geschichtchen als eine Geschichte ist. Ihnen wird dann auch zuweilen eine moralische Nutzanwendung gegeben, die selbst zu einem längern theologischen Excurs, wie c. 70 über den Meineid, führen kann. Ueberhaupt hat der Verfasser sein Buch zunächst für seine Mönche geschrieben. S. c. 33: Quod nos non pro alia re huic historiae inseruimus, nisi ut nunc monachi radix omnium bonorum humilitatem habeant, atque cum omni nisu et alacritate unusquisque obediencia inter se plane peragant et iussa abbati quasi Dei metuant etc. Er hat nicht bloss aus bekannten Werken und Urkunden, S. über diese Quellen die Praefatio von Pertz, S. 467. sondern auch sehr reichlich aus mündlicher Ueberlieferung geschöpft, wodurch sich allein auch die so detaillirte Ausführung der Anekdoten erklärt. Sie zeigt aber schon jenes Erzählungstalent, welches die Italiener später in ihrer Novellenliteratur so ausserordentlich bekunden. Manche dieser Geschichten erinnern an die der Hundert alten Novellen wie an die Novellen Sacchetti's. Auch Liebesgeschichten finden sich darunter, so c. 65 ff. So ist das Buch stellenweis eine wirklich unterhaltende Lectüre und kulturgeschichtlich werthvoll, während die einzelnen historischen Angaben allerdings nur nach einer strengen Kritik zu verwerthen sind.

 


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