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Elftes Kapitel.

Älfred. Angelsächsische Prosa: Übersetzungen und Geschichtschreibung

Wir haben im vorigen Buche gesehen, welche reiche Entwicklung die angelsächsische Literatur seit dem achten Jahrhundert genommen hatte; namentlich war dies bei den Westsachsen der Fall, da fast alle diese Werke in ihrer Mundart uns überliefert worden sind, welche also zur eigentlichen literarischen der Angelsachsen wurde: dieser Vorherrschaft auf dem Felde der Kultur folgte dann mit dem Anfang des neunten Jahrhunderts auch die politische. Durch Egbert, den Grossvater Aelfreds, wurde Mercien (815) die Obergewalt über die Angelsachsen entrissen und Wessex die in England herrschende Macht. 240 Kent, Sussex, Surrey und Essex unterwarfen sich freiwillig dem westsächsischen König, der auch seine Oberhoheit über Ostanglien, Northumbrien und Mercien ausdehnte, und sogar über die Briten von Nordwales, während er die von Cornwall mit seinem Lande selbst vereinte. So ward unter diesem König von Wessex zuerst ein englisches Reich begründet (830), so wenig das seine auch noch ein einheitlich regiertes war. S. Winkelmann, Gesch. der Angelsachsen S. 128 f. Aber gegen Ende seiner Regierung begann bereits die Bewegung, welche dies Reich aufs tiefste erschüttern sollte, der Angriff der seeräuberischen Dänen, welche Egbert selbst im Jahre 836 schlugen. Zwei Jahre später nahm er freilich dafür Vergeltung. Nach seinem Tode aber (839) unter seinem schwachen frömmelnden Nachfolger Aethelwulf hörten die meist erfolgreichen Einfälle der Dänen kaum auf, die sich sogar bereits festzusetzen begannen. Auch unter Aethelwulfs Söhnen Aethelbald, Aethelbert und Aethelred, die, ein jeder nur kurze Zeit regierend, rasch auf einander folgten, erneuten sich diese Angriffe, welche, zumal unter dem letzten, immer gefährlicher wurden, sodass endlich unter Aelfred, der nach Aethelreds Tode 871 als der jüngste Sohn Aethelwulfs den Thron bestieg, im Anfang des Jahres 878 die Herrschaft der Angelsachsen vernichtet schien. Nachdem die Dänen Ostanglien, Northumbrien und Mercia in ihre Gewalt bekommen, ward damals auch Wessex selbst von ihnen überschwemmt und der König bei der allgemeinen Entmuthigung genöthigt, ein Asyl auf einer zwischen Sümpfen und Wäldern versteckten Insel zu suchen. Aber rasch folgte der Umschlag. Schon im Frühling desselben Jahres begann die Wiedereroberung des Landes und die Wiederherstellung des Reichs durch den grossen König, der ein ebenso bedeutender Staatsmann als Feldherr war: musste auch noch manches Jahr mit den Dänen gekämpft werden.

Dass der seit Egberts Regierung fast unaufhörliche Kriegszustand schon an sich für die literarische Bildung verderblich sein musste, ist selbstverständlich; aber durch die Art der Kriegsführung der dänischen Piraten wurde die verderbliche Wirkung noch wesentlich erhöht: nicht bloss sogen die Feinde, die wie ein Heuschreckenschwarm über eine Landschaft sich plötzlich ergossen, das Land aus und plünderten alles, was ihnen von 241 Werth schien, sondern es zerstörten diese heidnischen Germanen auch mit wahrer Wuth die Stätten einer ihnen fremden, feindlich dünkenden Kultur, die Kirchen und Klöster. So war zu der Zeit der Thronbesteigung Aelfreds, wie er selbst uns sagt, In der Vorrede seiner Uebersetzung der Regula pastoralis Gregors. die gelehrte Bildung der Geistlichkeit, und namentlich gerade in Wessex selbst, so gesunken, dass man nur sehr wenige noch fand, die nur einen lateinischen Brief ins englische übertragen konnten. Da wurde nun der Wiederhersteller des Staates auch der der wissenschaftlichen Kultur, ja Aelfred gab auch, im Zusammenhang damit, zuerst wieder das Beispiel einer Pflege der Nationalliteratur und zwar auf dem bis dahin kaum schon bestellten Felde der Prosa. In beiden Hinsichten haben wir seines Lebens und seiner Thätigkeit hier zu gedenken.

Aelfred, Pauli, König Aelfred und seine Stelle in der Geschichte Englands. Berlin 1851. – Winkelmann a. a. O. S. 142 ff. – Wülker, Grundriss S. 387 ff. 849 geboren, empfing seine erste Bildung durch die nationale Dichtung, auf die ihn seine Mutter, eine Frau von frommem Sinn, aber auch von vornehmem Geiste, So charakterisirt sie Asser De rebus gestis Aelfredi ed. Wise, pag. 4: religiosa nimium foemina, nobilis ingenio, nobilis et genere. hinwies. Er ergötzte sich sein ganzes Leben an den vaterländischen Gedichten, die er schon als kleiner Knabe seinem Gedächtniss einzuprägen wusste. Dagegen wurde eine gelehrte Ausbildung in seiner Jugend ihm nicht zu Theil, was er im Alter bei seinem unersättlichen Wissensdurst nur zu sehr beklagte. Letzterer kann wohl auch durch die zweimalige Romfahrt, die Aelfred als Knabe unternahm, eine Anregung gefunden haben. Eine Befriedigung desselben wurde ihm erst viel später, als er auf dem Throne nach der Besiegung der Dänen Zeit fand, für seine und seines Volks geistige Bildung zu sorgen. Dazu musste er aber auswärts Männer der Wissenschaft suchen. Auf dem Boden Englands hatte sich in Mercia bei den Anglen die überlieferte Gelehrsamkeit am meisten noch erhalten – vielleicht wurde eben deshalb bei ihnen die nationale Poesie weniger gepflegt: von dort berief Aelfred den Bischof Werfrith von Worcester und Plegmund, der später Erzbischof von Canterbury wurde, in seine Umgebung, sowie noch zwei Priester, die er zu seinen Kapellanen machte; ferner aus Flandern den Mönch des Klosters St. Omer, Grimbald und aus Corvey den Altsachsen Johannes, 242 jener mehr in der theologischen Wissenschaft und dem Kirchengesang, dieser mehr in den Artes liberales ausgezeichnet; beide waren von einer Anzahl Kleriker begleitet. Endlich gewann er noch – last, not least – den walisischen Mönch Asser, der sein Biograph wurde. Er wurde im Verein mit Plegmund sein Hauptlehrer. Durch den intimen Umgang mit diesen Männern bildete der König sich selbst, indem er sich zunächst die lateinischen Werke vorlesen liess, ehe er sie selbst lesen konnte. Dann aber gründete er zur Ausbildung der Kinder des Königshauses Freilich von Aelfreds eigenen Kindern konnte nur noch der jüngste Sohn dieses neuen Instituts sich erfreuen; die älteren hatten nur sächsische Bücher und insbesondere sächsische Gedichte, wie Asser sagt (l. l. p. 43), eifrig lesen gelernt. und des Adels, denen sich aber auch manche unadlige zugesellten, eine Hofschule, »worin lateinische wie sächsische Bücher gelesen wurden«, und auch das Schreiben gelehrt ward. Auch durch Gründung von Klöstern suchte Aelfred der Wissenschaft und dem Unterricht neue Stätten zu bereiten; freilich musste er die beiden Mönchsklöster, an deren Spitze er Grimbald und Johannes stellte, mit Ausländern bevölkern, da bei seinen Sachsen der Sinn für das geistliche Leben so sehr geschwunden war; anders war es mit zwei Nonnenklöstern, denen die Insassen nicht fehlten. Die ganze Jugend freier Männer Englands sollte nach Aelfreds Verlangen – wie er es in der Vorrede zu seiner Uebersetzung der Regula pastoralis Gregors ausspricht – mindestens englisch lesen lernen, wenn auch nur die zu höherem Stand tô hieran hâde. Das Wort »hâd« wird insbesondere für den geistlichen Stand gebraucht; ob es hier in diesem eminenten Sinne oder im allgemeinen zu nehmen ist, muss dahingestellt bleiben, zumal aus dem Fehlen des Artikels kein Schluss hier zu ziehen ist. bestimmten den Unterricht weiter fortsetzen und Latein erlernen sollten; verstanden doch auch selbst nach dem Verfall des lateinischen Unterrichts noch manche englisch zu lesen. Wie Aelfred selbst noch die Aelteren nöthigte, die versäumten Studien nachzuholen, zeigt die Erzählung Assers von seiner Strenge gegen die unwissenden Richter, l. l. p. 71: – – ita ut mirum in modum illiterati ab infantia comites pene omnes, praepositi ac ministri literatoriae arti studerent, malentes insuetam disciplinam laboriose discere, quam potestatum ministeria dimittere etc.

Die nur mit jener Elementarkenntniss Versehenen weiter 243 zu bilden, war nun Aelfreds literarische Thätigkeit bestimmt, die in Uebersetzungen aus dem Latein bestand. Nachdem er sich zuerst (887) im Uebertragen einzelner Sentenzen, die ihm bei der unter Assers Leitung gepflogenen Lectüre besonders gefallen hatten und von ihm deshalb in einem Buche, seinem »Handbuch«, niedergelegt wurden, Dies Buch hat sich leider nicht erhalten; Asser erzählt uns seine Entstehung l. l. pag. 55 ff.: es enthielt danach sicher zunächst aus geistlichen Werken Sätze, wie sie denn von Asser als testimonia bezeichnet werden; ihnen gesellten sich aber auch andre Notizen hinzu, so zwei Aldhelm betreffende, welche Wilhelm von Malmesbury aus ihm in der Vita desselben ( De pontificibus Anglor. lib. V) mittheilt (vgl. oben S. 11, Anm. 1). Vgl. auch Wülker, Grundriss S. 388 ff. geübt, ging er zu ganzen Werken über und gab offenbar zuerst seine Uebersetzung der Regula pastoralis Gregors des Grossen King Alfreds westsaxon version of Gregory's pastoral care, edit. by Sweet. London 1871. (Introduction). – Dass dies die erste Uebersetzung war, die Aelfred edirte, zeigt die Vorrede so offenbar, dass es weiterer Beweise gar nicht bedarf, obgleich an ihnen durchaus kein Mangel ist. S. dieselben bei Wülker a. a. O. S. 394 f. – S. über das Originalwerk oben Bd. I, S. 525 ff. heraus, in deren oben angezogener Vorrede er diese seine literarische Thätigkeit überhaupt motivirt. Hier beklagt Aelfred zunächst den gänzlichen Verfall der wissenschaftlichen Bildung, wie er ihn bei seiner Thronbesteigung in seinem Lande, namentlich auch bei dem Klerus, ganz im Gegensatz zur älteren Zeit, vorgefunden. S. oben S. 241. Wenn die Voreltern nicht übersetzt haben, so war der Grund, dass sie einen solchen Verfall – die Unkenntniss des Lateins – nicht für möglich und andrerseits Sprachkenntniss für wünschenswerth hielten. Er selbst habe aber des Beispiels andrer Völker gedacht, wie der Griechen und Römer, und es für besser gehalten, wenn Bücher, welche zu kennen allen Menschen am nöthigsten wäre, in die Muttersprache übersetzt würden, die alle lernen sollen. Und so habe er denn mitten unter den verschiedenen und mannichfaltigen Geschäften des Reichs die Uebersetzung des »Hirtenbuchs« unternommen, theils wörtlich, theils dem Sinne nach, so wie er es bei Plegmund und Asser und seinen beiden Messpriestern studirt hätte. Er will es an alle Bischofssitze senden. – Die Vorrede schliesst mit sechzehn Versen, in welchen das Buch selbst redend eingeführt, seinen Autor preist und seines Uebersetzers gedenkt. Die 244 Uebersetzung selbst weist keine originalen Zusätze Aelfreds auf, zeigt aber ebensowenig Kürzungen, indem wir natürlich nur von ganzen Abschnitten hier reden. Vielmehr schliesst sich diese Uebersetzung überhaupt enger, als die andern Aelfreds, an das Original an, das auch hier am wenigsten eine so freie Behandlung erlaubte, handelte es sich doch um ein Buch, das man wie ein canonisches betrachtete.

Ganz anders stand der königliche Uebersetzer den andern Werken, die er übertrug, gegenüber. Es waren einmal zwei historische: die Kirchengeschichte Beda's und des Orosius Weltgeschichte. Bei ihrer Uebersetzung hat der König besonders das Interesse der Laien seines Volks im Auge gehabt. Dies zeigt sich bei Beda Historiae ecclesiast. gentis Anglorum libri V a venerabili Beda scripti, ab august. anglosaxon. rege Aluredo examinati etc. etc. (Ed. Wheloc). Cambridge 1643. – – Wülker, Ueber die Quellen Layamons in Paul und Braune's Beiträgen Bd. 3, S. 524 ff., insbesondere S. 531. – S. über Beda's Werk oben Bd. I, S. 597 ff. nur in der Weglassung einzelner Partien; es sind, abgesehen von päpstlichen und bischöflichen Schreiben, vornehmlich solche, die, theologischer Natur, die Laien nicht interessiren konnten, zum Theil ihnen schwer verständlich bleiben mussten; so fehlen im ersten Buch die die Pelagianische Häresie betreffenden Kapp. 10 und 17; so werden Kapp. 25 und 26 des dritten Buchs ganz übergangen: in dem ersteren wird der Austrag der Streitfrage über die Zeit der Osterfeier auf der Synode von Streaneshalh erzählt, das andre Kapitel hängt mit dem ersteren zusammen; auch in Connex mit jener Frage steht l. V, c. 16 und wird deshalb weggelassen, nicht minder die beiden folgenden Kapitel, die theologische Werke des Hauptverfechters der katholischen Paschafeier bei den Scoten selbst besprechen.

Beschränkt sich bei der Uebersetzung des Beda'schen Werks Aelfred nur auf Weglassungen, so hat er dagegen bei der des Orosius King Alfreds Orosius ed. by Sweet. London 1883. – Schilling, König Aelfreds angelsächsische Bearbeitung der Weltgeschichte des Orosius. Halle 1886 (Leipz. Dissert.). – S. über Orosius' Werk oben Bd. I, S. 324 ff. einige Abschnitte neu hinzugefügt, von welchen ein paar dieser Arbeit einen ganz besondern Werth verleihen. Letztere hängen aber unmittelbar zusammen. Sie sind in c. 2, l. I an der Stelle des § 53 eingeschaltet, in welchem Orosius Alania, Dacia und Germania nennt. Aelfred gibt hier zunächst 245 eine Geographie von Germanien, indem er aber darunter das grosse Gebiet zwischen dem Don und dem Rhein, der Donau und dem weissen Meer versteht. Er führt die Sitze aller der Völker auf, die in demselben wohnen, und ihre gegenseitige Lage – eine im grossen und ganzen richtige, für jene Zeit vortreffliche Arbeit, die offenbar auf sehr gründlichen Vorstudien beruht. An diese Beschreibung schliessen sich dann unmittelbar die Reiseberichte eines Normannen Ohthere, aus der Landschaft Halgoland an der nördlichen Küste Norwegens, der von dort einmal bis ins weisse Meer fuhr und andrerseits auch südlich bis nach Schleswig. Er machte die Mittheilungen dem König selbst in England. An sie reiht sich dann noch der Bericht eines Wulfstan an, der von Schleswig bis nach Truso, einem Ort am frischen Haff segelte, und von den Sitten der Esthen hier ebenso interessant erzählt als Ohthere von den Finnen. Diese Reiseberichte, welche den eingehaltenen Curs möglichst genau beschreiben, ergänzen also die von Aelfred gegebene Geographie Germaniens. Viel unbedeutender ist noch eine grössere Hinzufügung im Kap. 6 des zweiten Buchs, die Beschreibung eines römischen Triumphs – im Anschluss an den von Fabius ausgeschlagenen – an welche sich dann noch eine kurze Auslassung über das Wesen des römischen Senates schliesst. – Der Unterschied zwischen der Orosius-Uebersetzung und der des Beda ist aber ein weit tiefer gehender noch, dem verschiedenen Charakter der Originale entsprechend. So wurde jene vielmehr zu einer Bearbeitung in einer ähnlichen Weise als es die poetische der Genesis ist. S. oben S. 17. In dem Werke Beda's lag ein nationaler Gegenstand vor, von einem vaterländischen Autor behandelt, in dem des Orosius eine mit einer bestimmten actuellen Tendenz verfasste Universalgeschichte eines Romanen, die von vornherein die Angelsachsen und namentlich ihre Laien wenig anmuthen musste. Aelfred machte sie seinem Publikum ansprechender. Er liess einmal die apologetisch-polemische Tendenz, die für seine Zeit keine Bedeutung mehr hatte, soweit als möglich, schwinden, wie er denn auch das ganze erste Kapitel, das sie darlegt, weglässt; er übergeht ferner Stellen, worin Orosius auf die Mythologie und Heldensage der Alten sich bezieht; er sucht eine Häufung fremder Namen zu vermeiden; S. Schilling S. 19. er kürzt wo ihm die erzählten Ereignisse nicht von universeller Bedeutung 246 erscheinen, wie bei den Bürgerkriegen Griechenlands und Roms, oder wo auch durch sie sein germanisches Nationalgefühl sich verletzt fühlte, während er dagegen die Siege der Germanen ausführlich wiedererzählt. S. Schilling S. 20 f. Auch sonst macht sich Aelfreds Subjectivität in dieser Uebersetzung, und für seinen Charakter recht bezeichnend, geltend. – Sein freies Verfahren zeigt sich übrigens auch darin, dass er die sieben Bücher des Orosius auf sechs reducirt und auch in Betreff der Kapiteleintheilung selbständig verfährt.

Eine noch freiere Uebertragung ist Aelfreds Bearbeitung des berühmten Werks des Boëtius über den Trost der Philosophie. King Alfreds anglosaxon version of Boethius De consolatione philosophiae ed. by Fox. London 1864. – – Leicht, Zur angelsächs. Bearbeitung des Boëtius in: Anglia Bd. VII, S. 178 ff. – Ueber das Original s. oben Bd. I, S. 466 ff. Hier tritt seine Subjectivität noch entschiedener hervor, indem Aelfred, der auch den Wechsel des Glücks auf das herbste selbst erfahren, sich in Gedanken an die Stelle des römischen Philosophen setzt, Ja er tritt selbst in dem Buch an seine Stelle, so Kap. 17, wo er seine, eines Königs, Regierungsgrundsätze darlegt: biđ þonne cyninges andweorc and his tol mid to ricsianne, und nach der Darlegung fortfährt: for þy ic wilnode andweorces þone anweald mid to gereccene. Und diese ganze Stelle ist ein eigner Zusatz in der sehr selbständigen Bearbeitung des siebenten Kapitels, l. II des Originals. Die Stelle schliesst mit dem schönen, Aelfreds würdigen Bekenntniss: ic wilnode weorþfullice to libbanne þa hwile þe ic lifede and æfter minum life þam monnum to læfanne, þe æfter me wæren, min gemynd on godum weorcun. und seiner eignen Weltanschauung das Werk möglichst anpassend, es soviel er vermag christianisirt. Es bot ja dazu auch schon manche Elemente. S. oben Bd. I, S. 472. Wenn er schon hierdurch das Werk dem Verständniss seines Volks näher brachte, so liess er es auch an paraphrasirender Erklärung nicht fehlen. Aber man darf wohl behaupten, dass der König während der Abfassung dieses Buchs am wenigsten an ein Publikum dachte; er vergisst selbst mitunter ganz seine Aufgabe als Uebersetzer, indem er von einzelnen Gedanken seiner Vorlage ausgehend, selbständigen Betrachtungen sich überlässt, die Ausführungen des Boëtius ignorirend. Je mehr er bei dem schwierigeren Verständniss der Vorlage auf den Beistand seines Meisters Asser angewiesen war, So sagt von letzterm Wilhelm von Malmesbury: Hic sensum librorum Boëtii De Consolatione planioribus verbis enodavit, quos rex ipse in Anglicam linguam vertit. Gesta reg. Anglor. l. II, § 122. desto lieber 247 und kühner entfernte er sich einmal ganz von ihr, wo die Anregung, welche das Werk seinem Geist wie seinem Gemüth bot, ihn zu eigener Production aufforderte. So namentlich im letzten Buche. So enthält sein Werk manche ganz originale Partien: wie es überhaupt die reiche Individualität des grossen Mannes auf das lebendigste und vollständigste abspiegelt. Hier sehen wir auch, dass ihm wahre poetische Begabung inwohnte, in dem schwungvollen Ausdruck, zu dem er sich, wo sein Gefühl ihn fortreisst, zu erheben weiss, wie in einzelnen schönen Gleichnissen, die ein Werk seiner Phantasie sind. Auch die Wiedergabe mancher Metra der Vorlage zeigt dies, obgleich er sie in Prosa übertrug; denn für die Versform fehlte ihm wohl Anlage und Uebung. Dies zeigen schon seine die Vorrede zur Uebersetzung der Regula pastoralis schliessenden Verse. So sind denn auch die alliterirenden Gedichte, die an der Stelle der Prosaübertragung der Metra in einer der Handschriften sich finden, und auf dieselbe erst sich gründen, sicher nicht von ihm. Die Gedichte finden sich im Anhang der obigen Ausgabe (s. S. 246, Anm. 2); auch in Greins Bibliothek Bd. II, S. 295 ff. – Für Aelfreds Autorschaft erklären sich: Hartmann, Ist König Aelfred der Verfasser der alliterirenden Uebertragung der Metra des Boëtius? in: Anglia, Bd. V, S. 411 ff., und Zimmermann, Ueber den Verf. der altengl. Metren des Boëtius. Greifswald 1882 (Dissert.). – Gegen die Autorschaft: Leicht, Ist K. Aelfred der Verf. der allit. Metra des Boëtius in: Anglia, Bd. VI, S. 126 ff. – Für mich genügt das Folgende, was bis jetzt wenig oder gar nicht hervorgehoben ist. Die allit. Metra haben ein besonders kleines Proömium in Versen, das unzweifelhaft nicht von Aelfred sein kann, ferner als erstes Gedicht eine Versification des ersten Kapitels der Uebersetzung, welches von Aelfred zum Verständniss des Werks hinzugefügt, über die Person und den Grund der Gefangenschaft des Boëtius in der Kürze sich verbreitet. Dass Aelfred dieses Kapitel, das er selbst in Prosa geschrieben, in Verse gebracht, halte ich für ganz undenkbar. Offenbar aber waren die von einem Andern verfassten allit. Metra von diesem zuerst selbständig edirt worden und deshalb mit dem Proömium und dem versificirten ersten Kapitel verbunden worden, erst später dann der Aelfredschen Uebertragung eingefügt. Sie sind deshalb ebensowenig literargeschichtlich von Bedeutung, als sie es in ästhetischer Beziehung sind.

Eine sehr nahe Verwandtschaft mit diesem Werke Aelfreds zeigt eine aus späterer Zeit unter seinem Namen überlieferte Bearbeitung der zwei Bücher Soliloquia des Augustinus, die eben deshalb mit grosser Wahrscheinlichkeit ihm beizulegen 248 ist, wie Wülkers gründliche Untersuchung lehrt. In: The Shrine, a Collection of occasional papers ed. by Cockayne. S. 163 ff. ( Blooms by King Aelfred). – – Wülker, Ueber die angelsächs. Bearbeitung der Soliloquien Augustins, in: Paul und Braune's Beiträgen Bd. 4, S. 101 ff. – S. über das Werk Augustins oben Bd. I, S. 233. Auch das Original erinnert in seiner dialogischen Form, einem Gespräch der Ratio mit dem Autor, an das Werk des Boëtius. Die angelsächsische Bearbeitung ist der des letzteren ganz analog: bald schliesst sich ihr Verfasser mehr oder weniger nahe dem Original an, wie in dem ersten Buch, bald bewegt er sich durchaus selbständig in seiner Beweisführung, wie im zweiten, indem er nur einzelne Gedanken Augustins verwerthet. Aber der Bearbeiter hat auch ein ganzes Buch hinzugefügt, allerdings wieder auf Grund einer Schrift Augustins, der Epistel De videndo Deo , welcher er die Hauptgedanken entlehnt, während er zugleich manche Sätze aus den Werken Gregors geschöpft hat. War der Verfasser Aelfred, so mag ihm sein »Handbuch« bei dieser Arbeit gute Dienste geleistet haben.

Die Uebersetzungen Aelfreds waren die ersten der Angelsachsen, wie er uns selbst sagt; durch sie erhielt die Prosa derselben ihre erste höhere Ausbildung, für welche die Verschiedenheit der Werke, die der König übertrug, von besonderer Bedeutung war.

Der für die Verbreitung einer höheren Kultur in seinem Volke so eifrig bemühte König begnügte sich aber nicht mit der eigenen Uebersetzungsthätigkeit, so vielseitig und bedeutend sie auch war, er regte auch noch andre dazu an. So übertrug auf seinen Wunsch der oben erwähnte Bischof Werfrith die Dialoge Gregors des Grossen, S. über die Uebersetzung Krebs, Die angelsächs. Uebersetzung der Dialoge Gregors, in: Anglia, Bd. II, S. 65 ff. und III, S. 70 ff. (Vgl. Johnson, Gab es zwei von einander unabhängige altengl. Uebersetzungen der Dialoge Gregors? Berlin. Dissert. 1884); über das Original s. oben Bd. I, S. 520 ff. dies im Mittelalter so beliebte Werk, das den Angelsachsen bei der besonderen Verehrung, die sie dem grossen Papste schuldeten, um so werther sein musste. Die noch nicht im Druck erschienene Uebersetzung wird von Asser ed. l. pag. 46. wegen der Klarheit und Eleganz des Ausdrucks hoch gerühmt.

Aelfreds Einfluss auf die Nationalliteratur seiner Zeit, der insbesondere der Prosa zu gute kam, machte sich aber auch 249 auf dem Felde der Geschichtschreibung geltend, sei es direct, oder indirect: denn während seiner Regierung wurde das angelsächsische Annalenwerk The anglosaxon Cbronicle according to the several original anthorities ed. with a translation by Thorpe. 2 Voll. London 1861 (Theil der Rerum Britann. medii aevi scriptores). – Two of the saxon Chronicles parallel (A & E) ed. by Earle. Oxford 1865. (Introduction). – – Grubitz, Kritische Untersuchung über die angelsächs. Annalen bis zum Jahre 893. Göttingen 1868 (Dissert.). nicht bloss erweitert und ergänzt, sondern auch in einem höhern Stile fortgesetzt. Die erste Grundlage dieses Werks bildeten dürftige gleichzeitige Aufzeichnungen von Geistlichen Canterbury's; diese wurden zunächst von einem Kleriker im westsächsischen Sinne zu einer Chronik, welche vom Jahre 756 bis 855 geht und auch mehr das weltliche Interesse berücksichtigt, erweitert. Dies geschah vor Aelfreds Regierung. Unter ihm aber wurde diese Chronik in Winchester einmal rückwärts auf die Zeit vom Jahr 60 vor Christus, wo Julius Caesar in Britannien landete, bis 755 weiter erstreckt, indem der Verfasser sein Material namentlich aus der Recapitulatio der Historia ecolesiastica Beda's, aus der letzteren selbst, aus einer Weltchronik und den Königscatalogen der Angelsachsen schöpfte; ferner aber wurde sie, und wie es scheint von demselben Verfasser, bis 893 allmählich, namentlich seit Aelfreds Thronbesteigung mehr oder weniger gleichzeitig mit den Ereignissen, fortgeführt. In dieser Fortsetzung bilden die Kämpfe mit den Dänen den Hauptgegenstand der Aufzeichnungen, welche jetzt schon detaillirter und mehr im Zusammenhang gegeben werden. Dies ist dann in noch höherem Grade der Fall in der weiteren Fortsetzung eines andern Autors vom Jahre 894 an, zumal bis zum Jahre 897, wo sich denn auch die Erzählung zu einer grössern Lebendigkeit und freieren Bewegung erhebt. In meiner Darstellung schliesse ich mich Grubitz an. – Vgl. übrigens Ten Brinks abweichende Ansichten, Gesch. d. engl. Lit. Bd. I, S. 91 ff. und Wülker, Grundriss S. 440 ff.

Auch auf dem Felde der lateinischen Historiographie hat England in der Zeit Aelfreds ein wichtiges Werk hervorgebracht, die oft schon von uns citirte Lebensgeschichte des Königs von seinem Lehrer Asser, die derselbe um das Jahr 893 verfasste, aber nur bis zum Jahre 887 fortgeführt hat, obwohl Asser den König überlebte; er starb erst im Jahre 910 als Bischof von Sherborne. Annales rerum gestarum Aelfredi magni auctore Asserio Menevensi recens. Wise. Oxford 1722. – Auch in: Monumenta histor. Britannica. Vol. I. London 1848. pag. 467 ff. S. ebendort über Asser und sein Werk Preface pag. 77 ff. und namentlich Pauli, König Aelfred S. 4 ff. So wie die Vita Aelfredi uns vorliegt, erscheint 250 sie durchaus nicht als ein biographisches Kunstwerk, vielmehr ist sie in annalistischer Form verfasst, indem mit dem Geburtsjahr Aelfreds begonnen und unter den einzelnen Jahren, die nicht bloss nach Christi, sondern auch nach des Helden Geburt gezählt werden, die Daten aufgeführt werden. Diese betreffen aber keineswegs nur die Lebensgeschichte des Helden, vielmehr die meisten die Geschichte der Angelsachsen überhaupt – auch wo Aelfred gar keinen Antheil an ihr hat, wie z. B. in seinen Kinderjahren – und diese sind grossentheils mit den Angaben der angelsächsischen Chronik so identisch, dass die einen den andern entlehnt sein müssen. Nur in der Form von Abstechern gleichsam, von Episoden, werden die weit mehr ausgeführten anziehenden Schilderungen aus dem Leben Aelfreds eingeschaltet, bis dann der an das Jahr 887 gereihte Schluss, ein Viertel des ganzen Werkchens, völlig der Biographie gewidmet ist. Es ist undenkbar, dass das Buch ursprünglich diese Gestalt gehabt hat. Wie sie aber war, dies darzulegen ist bis jetzt nicht gelungen. Es fordert dies wichtige Buch eine neue gründliche Untersuchung; eine Monographie ist ihm meines Wissens bis jetzt noch gar nicht zu Theil geworden, und doch kann nur durch die genaueste Beachtung aller Einzelheiten ein relativ sicheres Resultat erreicht werden. Gar manches ist aber bis jetzt gar nicht berücksichtigt worden. Jene Schilderungen sind aber um so lebendiger und treuer, als sie aus Assers eigenen Erinnerungen oder denen des Königs selbst geflossen sind.

 


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