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Drittes Kapitel.

Cynewulf. Räthsel. Christ. Juliane. Elene.

Auch noch dem achten Jahrhundert gehört, wie es scheint, ein angelsächsischer Dichter an, der bei mehreren Werken seinen Namen als Verfasser uns in einer authentischen Weise selbst überliefert hat. Es ist dies Cynewulf: in drei seiner Dichtungen, einem lyrisch-epischen Gedicht über Christus und den beiden Legenden Elene und Juliana zeigt er seinen Namen durch Runen an, in der vierten, einer poetischen Räthselsammlung, lässt er ihn in ein paar Gedichten (1 und 86) ganz oder theilweise errathen. Der von Trautmann (Anglia Bd. VI, Anzeiger S. 158 ff.) gegebenen Lösung des ersten Räthsels kann ich nicht zustimmen. Sie erscheint mir schon von vornherein für die Zeit eines Cynewulf undenkbar. Diese Stellen liefern uns auch das einzige sichere Material für seine Lebensgeschichte. Die Annahme, dass im letzten Räthsel (89) der Redende der Verfasser und zwar Cynewulf sei, scheint mir doch nicht über jeden Zweifel erhaben, um dasselbe als biographische Quelle zu benutzen. Es bietet übrigens auch kaum eine Thatsache, auf die nicht schon Schlüsse aus dem sichern Material führten. Freilich ist das Resultat nur ein geringes. Cynewulf Leo, Quae de se ipso Cynewulfus, poeta Anglo-Saxonicus, tradiderit. Halle (Progr.) 1857. – Dietrich, Anzeige der Schrift Leo's im Jahrbuch f. roman. u. engl. Lit. Bd. I, S. 241 ff. – Dietrich, Commentatio de Kynewulfi poetae aetate, aenigmatum fragmento etc. Marburg (Progr.) 1859. – Dietrich, Disputatio de Cruce Ruthwellensi. Marburg (Progr.) 1865. – Rieger, Ueber Cynewulf in: Zeitschr. f. deutsche Philologie Bd. I. – Wülker, Ueber den Dichter Cynewulf in: Anglia Bd. I. – Wülker, Grundriss S. 147 ff. war ein Degen, vielleicht zugleich ein fahrender Sänger, er hat wenigstens Kleinode, Goldäpfel in der Methhalle empfangen; auch war er vermählt; er besass die gelehrte Laienbildung der vornehmen Angelsachsen; er genoss das Leben in jungen Jahren nur zu sehr, wie er meint und sich anklagt: so fürchtete er das künftige Gericht Gottes; Gott erleuchtete ihn aber und nun wandte er sich im Alter einem geistlichen Leben und der geistlichen Dichtung So erkläre ich auch das leóducräft onleác Elene, v. 1251. zu. Von einer solchen inneren Wandlung erzählt ja auch die Geschichte manches angelsächsischen Königs. Dass 41 Cynewulf auch in den geistlichen Stand trat, lässt sich zwar nicht behaupten, ist aber, nach den Gewohnheiten jener Zeit zu urtheilen, nicht unwahrscheinlich.

Aus der Zeit seines weltlichen Lehens stammt wenigstens eins seiner poetischen Werke: es ist die Räthselsammlung. Codex Exoniensis, a collection of anglo-saxon poetry from a msc. etc. with an english translation etc. by Thorpe. London 1842. pag. 380 ff., 470 ff., 479 ff. – Grein, Bibliothek Bd. II, S. 369 ff. – Schipper, Zum Codex Exoniensis in: Germania Bd. XIX, S. 336 f. – – Dietrich, Die Räthsel des Exeterbuchs. Würdigung, Lösung und Herstellung. In der Zeitschr. f. deutsches Alterth. Bd. XI, S. 448 ff. – Ebert, Die Räthselpoesie der Angelsachsen, insbesondere die Aenigmata des Tatwine und Eusebius, in den Sitzungsber. der k. sächs. Ges. d. Wiss. phil. hist. Cl. 1877. Bd. XXIX, S. 20 ff. – Vgl. auch Prehn, Komposition und Quellen der Räthsel des Exeterbuches. Dissert. Paderborn 1883. Diese ist uns in dem Codex Exoniensis an verschiedenen Stellen überliefert, jedoch sicher nicht vollständig, wahrscheinlich auch nicht unvermischt mit fremden Bestandtheilen. Die ersten 60 Räthsel stehen zusammen, nach einer längern Unterbrechung folgen die andern, von denen eins auch wieder abgesondert steht. Grein a. a. O. Bd. II, S. 409. Von den 89 Räthseln, die sich dort finden, gehören aber die allermeisten gewiss Cynewulf an, da auf seinen Namen nicht bloss im ersten, sondern auch im 86. eine Anspielung sich findet; das letztere nämlich, lateinisch verfasst, gibt das Wort lupus in seinen verschiedenen Bedeutungen zu rathen auf.

In dieser Gattung der Poesie folgte die angelsächsische Literatur nur der lateinischen, und zwar zunächst der lateinischen Dichtung der Angelsachsen selbst, von der wir früher gehandelt haben. S. Bd. I, S. 590 ff. und meine, Anm. 1 angeführte, Abhandlung. Aldhelms Vorbild war Symphosius, und er selbst hatte Tatwine und Eusebius zu Nachfolgern, von denen der letztere allem Anschein nach Tatwine's 40 Räthsel zu einem Hunderträthselbuch, wie es die des Symphosius und Aldhelm waren, erweiterte. Cynewulf hat sicher nicht bloss die beiden zuerst genannten, sondern auch Eusebius, höchst wahrscheinlich aber auch Tatwine benutzt. S. meine Abhandl. S. 33, Anm. 5 und S. 50, Anm. 1 und vgl. S. 48, Anm. 11. Er hat ihnen nicht nur die Gegenstände einzelner Räthsel entlehnt, sondern auch Einzelheiten in der Ausführung derselben, sodass einige seiner Räthsel selbst als blosse freie Uebertragungen der lateinischen Vorlagen 42 erscheinen. Trotzdem sind durch die Art der Behandlung im Ganzen die Räthsel Cynewulfs in hohem Grade originell. Es beherrscht sie ein eigenthümlicher, durchaus nationaler Kunststil.

Rücksichtlich der stofflichen Kategorien schliesst sich Cynewulfs Werk an das des Aldhelm, bez. das des Symphosius am nächsten an. Wir können hier auch die folgenden Die Räthsel haben keine Ueberschriften, wie die der lateinischen Vorgänger. Die Lösungen verdanken wir namentlich Dietrich. Von den ganz zweifelhaften Lösungen ist hier von mir natürlich abgesehen. unterscheiden: 1. lebende Wesen, Thiere, wie der Dachs (16), der Stier (39, aus Eusebius 37), der Dogge (51, aus Aldhelm Tetr. 11), die mit fünf Jungen trächtige Sau (37, Aldh. Enn. 10); der Schwan (8), der Kukuk (10), der Häher (25), Hahn und Henne (43), die Schwalben (58), der Habicht (78), der Fisch (82, aus Symph. 11); die Auster (76); die Büchermotte (48, aus Symph. 16); dazu ein Thier der Phantasie, der Drache (52), der sich auch bei Eusebius 42, obgleich in andrer Weise behandelt findet. Der Mensch ist nur vertreten in dem auf den Dichter bezüglichen ersten Räthsel und durch den fahrenden Sänger des letzten, sowie in Nr. 47 durch Loth, der sich mit seinen Töchtern vermählte, und in Seele und Leib (44). 2. Das Pflanzenreich. Dasselbe repräsentirt aber allein die Zwiebel (66, aus Symph. 44 und 26?), während es bei Symphosius und Aldhelm mehr sich behandelt findet. 3. Weltkörper, Elemente, Naturerscheinungen: Sonne (7), Mond (30), Erde (42), die ganze Schöpfung (41, aus Aldhelms letztem Räthsel); das Wasser (81, vgl. Aldh. Hex. 1 und Hept. 11), Eis (68), Eisscholle (34), Seefurche (11); Tag (40), Nacht (12), Sturm (2–4). 4. Fabrikate. Für Haus und Feld: Mühlstein (5), Pflug (22), Weinfass (29), Fass (84), Schlauch (19), Rechen (35), Lastwagen (38), Achse (71), Eimer (53), Ziehbrunnen (59), Webstuhl (57), Becher (64, nach Aldh. Enneast. 9), Schlüssel (87, aus Symph. 4), Buch (27), Buchstaben (14), Tintenhorn (88); Hornschmuck am Hause (85); Musikinstrumente: Pfeife (9), Sackpfeife (32), Rohrflöte (61, aus Symph. 2), Schalmei (69), Horn (15), Orgel (83); Waffen: Schwert (21), Bogen (24), Lanze (72), Mauerbrecher (54), Ballista (18), Schild (6), Panzerhemd (36, nach Aldh. Hept. 3); Kleidung: Leder (Handschuh) (13), Hemd (Mütze?) (62); Schiff (33), Anker (17, nach Symph. 99).

43 Denselben stofflichen Kategorien begegnen wir also schon bei Symphosius und Aldhelm; trotzdem zeigt sich auch hier schon im einzelnen die Originalität des Cynewulf, indem er den weltlichen Neigungen seines Volkes viel mehr als die lateinischen Räthseldichter desselben Rechnung getragen hat, durch die besondere Berücksichtigung des Kriegs- und Seewesens sowie der Musik. Diese lässt uns zugleich in dem Verfasser den spielkundigen Kriegsmann ahnen. Was das Seewesen anlangt, so kommen da nicht bloss die zwei zuletzt erwähnten Räthsel in Betracht, sondern auch manche der andern wie die Seefurche, die Eisscholle, der Sturm. Die geistige Bildung findet sich ja auch durch die Räthsel über Buch, Buchstaben und Tintenfass vertreten, aber das geistliche, christliche Kulturelement erscheint stofflich nur in Loth, in Seele und Leib und namentlich in einem Räthsel, das wahrscheinlich auf den Abendmahlskelch, jedesfalls auf ein kirchliches Geräth sich bezieht (49). Ganz eigenthümlich sind unserm Dichter gegenüber den lateinischen Poeten Räthsel, in welchen die Auflösung durch Runen angezeigt ist (so 20, 24), ja dieselben treten sogar als handelnde Wesen selbst auf, indem sie das Wort componiren. Eine andre Eigenthümlichkeit findet sich noch in ein paar zotigen Räthseln (so 45, 46, 55), die recht bezeugt, wie volksthümlich das Räthsel überhaupt bei den Angelsachsen war.

In Bezug auf die poetische Form ist zu bemerken, dass die Räthsel in der epischen alliterirenden Langzeile der Angelsachsen geschrieben sind, ohne Einmischung von Reimen; die Zeilenzahl ist eine durchaus willkürliche.

Viel mehr als in der gebundenen Form der Rede ruht das dichterische Moment hier in dem Kunststil. Die zu errathenden Wesen und Dinge werden personificirt, ja sie schildern sogar selbst sich. Diese Art der Darstellung, einen so national angelsächsischen Charakter sie auch hat, hatte dennoch Aldhelm dem Symphosius entlehnt. Aldhelms lateinische Nachfolger waren ihr auch treu geblieben. Cynewulf folgt ihnen, nur unterlässt er es in einer Anzahl von Räthseln die Wesen und Dinge selbstredend einzuführen. Wenn hierdurch in solchen Fällen auch die Personification verlieren konnte, so gewinnt sie doch überhaupt bei ihm ungemein an Lebendigkeit schon durch eine detaillirtere Zeichnung und ein farbenreicheres Kolorit. Manche der Räthselobjecte werden aber selbst in 44 dramatischer Action handelnd oder leidend vorgeführt. Da schreitet denn die Personification zu menschlicher Individualisirung fort, indem Empfindungen und Leidenschaften sogar den Dingen verliehen werden. So wird das Schwert selbst zum Helden gemacht, der von dem König im Thronsaal geehrt wird, der aber keinen Sohn besitzt, welcher ihn rächen könnte, da er mit keinem Weibe Umgang pflegen kann; denn diese lästern, schlagen und schelten ihn. So klagt das Schild, so der Bogen seine Leiden. Das Geweihe des Hirsches, oder vielmehr ein Ende desselben, das zum Tintenhorn gemacht worden, erzählt seine Geschichte, wie es einst auf dem Hirsch in den Wäldern gelebt, wie es im Winter den von Frost erstarrten Boden aufscharrte und von seinem Haar mitunter den grauen Reif schüttelte; da vertrieb es ein Bruder von seinem Sitze und es wurde danach vom Eisen durchbohrt, um schwarzes Holz und Wasser zu verschlingen. Solche Räthsel geben dem Dichter mitunter zu weit ausgeführten, wahrhaft poetischen Naturschilderungen den Anlass, wie in dem »Dachs«, dem »Sturm«, der »Rohrflöte«. Das letzte, nach Symphosius gearbeitet, zeigt recht den grossen Unterschied des Kunststils der Antike und der germanischen Romantik. Solche pittoreske, ganz von der Phantasie dictirte Räthsel wollen der Lösung auch keine Schwierigkeit bieten, wie sie sich auch nicht an den Verstand wenden; sie sind dieser angelsächsischen Dichtung ganz eigenthümlich. Ihnen gegenüber steht aber die grössere Zahl der andern, die bei aller malerischen Ausführung doch ein Spiel des Witzes sein sollen und den Scharfsinn weit mehr noch als ihre lateinischen Vorgänger herausfordern, indem sie gerade die ausführlichere Schilderung benutzen, um die Schwierigkeit der Lösung zu erhöhen. Unbedeutende Merkmale werden neckisch so hervorgehoben, dass sie die bedeutenden verdunkeln, und den Lösenden, der schon auf sicherer Spur sich glaubt, in die Irre führen. S. Dietrich a. a. O. S. 449. So zeigt sich auch in dieser Art der Räthsel der angelsächsische Dichter wieder originell.

Noch einer rein formalen Eigenthümlichkeit sei gedacht. Nicht wenige der Räthsel Cynewulfs schliessen mit einer Aufforderung zur Lösung, wie: Sage was ich heisse, oder Rathe was ich meine, u. dgl.

45 Eine in ihrer Anlage ganz eigenthümliche Dichtung ist der Christ. Thorpe, Cod. Exon. pag. 1 ff. – Grein, Bibl. Bd. I, S. 149 ff. – – Dietrich, Cynewulfs Christ in : Zeitschr. f. deutsches Alterth. Bd. IX, S. 193 ff. Dieselbe, im Ganzen, soweit sie erhalten, 1694 Langzeilen, zerfällt in drei Haupttheile, von denen der erste die Ankunft Christi auf Erden durch seine Geburt (439 V.), der zweite seine Himmelfahrt (339 V.), der dritte seine Wiederkunft zum jüngsten Gericht (916 V.) zum Gegenstand hat. Die Handschrift macht innerhalb der drei Theile wieder verschiedene Abschnitte. Durch ihren Gegenstand – Ankunft, Abschied und Rückkehr Christi – vereinigen sich die drei Theile zu einem Ganzen; auch sind die beiden letzten formell und stilistisch eng verknüpft, so dass kein Zweifel sein kann, dass sie von Haus aus zu einander gehörten, während die Verbindung des ersten mit dem zweiten Theile eine weit weniger offenbare und unmittelbare ist, Auffällig ist in der Beziehung auch das den ersten Theil abschliessende Amen, das sich am Ende des zweiten und des dritten nicht findet. auch der Kunststil ist hier ein andrer.

Der Anfang fehlt, doch wird hier nicht viel verloren gegangen sein. Schon der Eingang, wie er vorliegt, hat den Charakter einer zum Weihnachtsfest gehaltenen Predigt. Komme, wie du einst kamst, um uns zu retten, »die wir im Kerker voll Sorgen sitzen,« und erleuchte uns, Lebensfürst – ehe es zu spät für uns ist: das ist der Gedanke des Eingangs, und diese Beziehung auf die Gegenwart, welche gleichsam die Moral der Weihnachtsfeier bildet, wird von dem Dichter festgehalten, um sie später von neuem wieder und noch eindringlicher hervortreten zu lassen: in ihr ruht das subjective Moment, welches an der Darstellung des ersten Theils einen so bedeutenden Antheil hat, denn der Dichter selbst empfindet das Erlösungsbedürfniss. Nachdem er dann kurz (v. 35 ff.) der Empfängniss Maria's gedacht, welche die Weissagungen erfüllte und erklärte, und Jerusalem – im Hinblick auf das himmlische der Apokalypse – gepriesen, Jerusalem, das durch Christus das heilige werden sollte, der auserwählte der Königsstühle: führt er in einem folgenden Abschnitt die Juden redend ein, welche von Maria das Geheimniss ihrer wunderbaren Empfängniss enthüllt wünschen. Maria verweist ihnen ihren Fürwitz, zeigt ihnen aber die Bedeutung dieses Wunders: durch eine Tochter Davids 46 wird die Schuld Eva's gesühnt. – Nach diesem Dialog nimmt der Dichter selbst wieder das Wort, um Christus als das glänzendste Gestirn, die wahre Sonnenleuchte, die dem Menschen gesandt ward, als Gott von Gott erzeugt zu preisen und ihn anzuflehen, herabzukommen und sein eigenes Werk, den Menschen zu erleuchten (v. 71 ff.). Christi Ankunft wurde den Juden vorausgesagt, schon Melchisedek wies vorbildlich auf ihn hin, und die frommen Erzväter, die in der Hölle Banden lagen, riefen seine Hülfe an (v. 130 ff.).

Ein neuer Abschnitt folgt, der wieder einen ganz dramatischen Charakter hat, zumal auch hier wieder der Dialog nicht durch ein Wort des Dichters eingeführt wird: ein Gespräch Maria's mit Josef. »Ach mein Josef, hebt jene an, du willst dich nun von meiner Liebe scheiden?« Und Josef antwortet: »Ich bin tief betrübt, der Achtung beraubt, da ich viel, was mich schmerzt, deinethalben höre und manche Hohnreden erdulde.« Maria, die nicht ahnt, was er meint, glaubt, er klage sich selbst an, und sucht ihn zu beruhigen: sie fände keine Schuld an ihm. Nun enthüllt Josef den Grund: es ist die Schwangerschaft Maria's. Diese aber entdeckt ihm jetzt das Geheimniss, den Gruss Gabriels (v. 164 ff.). – Nunmehr wendet sich der Dichter wieder im Gebet an Christus, indem er zunächst im Anschluss an das Ende des vorausgehenden Abschnitts über die vorweltliche Erzeugung Christi durch den Vater sich ergeht, der ihn zeugte, als er das Licht schuf, Im Hinblick auf Evang. Johann. c. 1, v. 4. »die leuchtende Freude jedes Lebendigen«. Der Dichter fleht dann von neuem um das geistige Kommen Christi, um seine Hülfe gegen den Bösen. Ein Loblied auf Maria folgt, sie soll diese Bitte unterstützen, die auch von dem Dichter abermals an Christus gerichtet wird. Die Seraphim preisen Ein Loblied, »welches aus dem trishagion Jes. 6, 3, dem Gesang in der heiligen Nacht Luc. 2, 14 und der Begrüssung Matth. 21, 9 = ps. 118, 26 gebildet ist.« Dietrich S. 200. dann ihren König, dessen auserwählte Gefolgschaft sie bilden, Christus, der Gott enthüllte; auch die Menschen sollen dankend ihn verherrlichen, denn er kommt ihnen tagtäglich zu Hülfe.

Dies ist in grossen Zügen im ersten Theil der Gang der Darstellung, die einen ganz eigenthümlichen Charakter zeigt. Sie erinnert an die mit dem Gottesdienst verbundenen ältesten 47 Mysterien: die zwei Dialoge der Maria mit den Juden, und derselben mit Josef, worin das Geheimniss der Empfängniss der Gegenstand ist, das wichtigste Moment bei der Geburt Christi, bilden den dramatischen Kern; der Dichter erscheint als der erklärende und betrachtende Prediger, und vertritt zugleich den Chor der Gemeinde in den lobpreisenden, hymnenartigen Stellen: eine höchst merkwürdige Mischung der Didaktik, Lyrik und Dramatik. Dieser Theil ist gewiss auf Grund einer lateinischen Homilie geschrieben, Dafür spricht wohl auch die theologische Gelehrsamkeit, die sich in manchen einzelnen Zügen kundgibt, und eine solche ist, wie wir sie Cynewulf nicht zutrauen können. wie dies vom zweiten selbst nachgewiesen ist.

Dieser zweite Theil, die Himmelfahrt, folgt, wie Dietrich entdeckt hat, in den Gedanken, die er entwickelt, ja, wie gleich im Eingang, selbst wörtlich der zweiten Hälfte einer Homilie Gregors des Grossen (Homiliar. in Evangelia XXIX, § 9 ff.) für diesen Festtag. Die Verbindung mit dem ersten Theil ist eine ganz lose, ja wunderliche. Im unmittelbaren Anschluss an die Erklärung Gregors wird ein »erlauchter Mann« (mon se mæra v. 441), dem diese Dichtung gewidmet sein muss, aufgefordert, zu erforschen, warum bei der Geburt Christi die Engel nicht weisse Kleider trugen, wie die bei der Himmelfahrt gegenwärtigen. Diese Frage, deren Lösung jetzt noch nicht gegeben wird, bildet die Brücke zu einer Schilderung der Himmelfahrt selbst, mit welcher der Dichter die Abschiedsworte des Auferstandenen an seine Jünger (Matth. c. 28, v. 18 ff.) verknüpft. Die Engel aber ziehen im Himmel Christus entgegen, indem sie ihn durch ein Loblied als Besieger der Hölle bewillkommnen, Die Verse 558–585 sind der v. 554 angezeigte wilcuman, wie v. 570 und 573 klar zeigen. Der Sänger selbst spricht sie nicht, wie Dietrich annimmt, a. a. O. S. 202. und zur Feier dieses höchsten Festes erscheinen sie in weissen Gewändern. So wird die obige Frage beantwortet: eben nur am höchsten Feste tragen sie solche. Christus aber, der siegreiche Held, führt die dem Teufel entrissenen Seelen in seinem Gefolge.

Nach dieser Erzählung folgen nun (v. 586 ff.) die an Gregor sich anschliessenden Betrachtungen, welche ihren Ausgangspunkt davon nehmen, dass der Mensch jetzt, vom Fluche befreit, 48 den Himmel wie die Hölle sich erwählen kann. Diese Betrachtungen gründen sich bei Gregor auf einzelne Stellen des Alten Testaments, die auf Christi Himmelfahrt bezogen werden. Hieraus erklärt sich erst der Mangel jedes festen Zusammenhangs der einzelnen Partien der angelsächsischen Darstellung. Von ihnen ist besonders hervorzuheben, weil sie originelles bietet, diejenige, worin der verschiedenen Begabungen, die Christus den Menschen verlieh, gedacht wird (v. 664 ff.). Hier wird – für den Dichter bezeichnend – zuerst das Harfenspiel genannt, ferner, von der lateinischen Vorlage abweichend: Sternkunde, die Kunst des Waffenschmieds, die Tüchtigkeit im Krieg und in der Schifffahrt; so verleugnet sich auch hier der Angelsachse nicht. Der Dichter schliesst dann seine Betrachtungen mit der Ermahnung – auch hier Gregor folgend – V. 751: Is us þearf micel þät we mid heortan haelo sêcen – þær we mid gaeste georne gelŷfađ, – þät þät hælobearn heonen up stige mid usse lîchoman, lifgende god. – Forþon we â sculon îdle lustas – synvunde forseón . . . Vgl. Gregor l. l. § 11: Unde, fratres carissimi, oportet ut illuc sequamur corde ubi cum corpore ascendisse credimus. Desideria terrena fugiamus . . . das Heil mit dem Herzen da zu suchen, wohin Christus in unserm Leibe auffuhr; darum sollen wir die eiteln Lüste verachten, und auf Gott vertrauen, dass er uns schirme vor des Teufels schrecklichen Geschossen.

Mit dem zweiten Theil ist der dritte, das jüngste Gericht, unmittelbar verbunden, denn der Dichter hebt ihn mit den Worten an (v. 779): »Nicht braucht des Teufels Pfeile irgendeiner des Menschengeschlechtes auf Erden zu fürchten, wenn ihn Gott beschützt.« Das Gericht nahet, der Tag der Vergeltung, wo Christus zurückkehrt. Dann wird auch der Kühne zittern – der Dichter selbst, und hier gibt er durch Runen seinen Namen zu erkennen.         þonne C. cwacađ, gehŷređ cyning mäđlan,
        rodera ryhtend sprecan rêđe word
        þâm þe him ær in worulde wâce hŷrdon,
        þendan Y. and N. ŷđast meahtan
        frôfre findan. etc. etc.   v. 797 ff.
(Dann zittert C. [cêne kühn], hört er den König reden, den Richter der Himmel rauhe Worte sprechen zu denen, die früher auf der Welt ihm träge gehorchten, so lange Y [yrmđo Elend] und N [nŷd Noth] gar leicht Trost finden konnten u. s. w.). S. Grein a. a. O. S. 169, Anmerkung.
Nach einer Ermahnung bei 49 Lebzeiten des jüngsten Tags zu gedenken, wobei das Leben mit einer Seefahrt ausführlich verglichen wird (v. 851 ff.), beginnt der Dichter seine Schilderung (v. 868): »Unversehens wird der grosse Tag des mächtigen Herrn die Erdenbewohner, die glänzende Schöpfung überfallen um Mitternacht, wie ein listiger Einbrecher, ein dreister Dieb, der in schwarzer Nacht die sorglosen Helden, die vom Schlafe gebundenen, plötzlich überrascht.« Dann kommen auf Zions Berg die dem Schöpfer getreuen Heerschaaren freudig zusammen, da ihnen das Heil ward; und von den vier Enden der Welt blasen glänzende Engel Posaunen, dass der Mittelkreis zittert, der Boden unter den Menschen. Sie erwecken alle die Todten zum Gerichte. Engel und Teufel, weisse und schwarze, mischen sich dort alle zusammen (v. 895 ff.). Ein heller Glanz vom Zionsberge kündet dann das Nahen Christi, den Guten ein freudiger, den Bösen ein schmerzlicher Anblick: daran können sich schon die einen wie die andern selbst erkennen. – Nunmehr erdröhnt tief die Schöpfung (v. 931) und vor dem Herrn fährt das grösste der Feuer über den weiten Grund, es prasselt die heisse Flamme, die Himmel bersten, Mond und Sterne fallen herab durch den Luftzug, blutig schwärzt sich die Sonne. Das Feuer überfluthet die Welt, wie einst das Wasser (v. 985), von Stürmen genährt: die heisshungrige Flamme frisst alle Wesen, die Berge schmelzen, das Wasser selbst brennt wie Wachs; alle Schätze verschlingt es, grimmig den Schooss der Erde durchsuchend, aber es verzehrt auch allen Sündenschmutz der Welt (v. 1007.).

Jetzt beginnt das Gericht. Christus als König der Himmelsengel, umgeben von den besten seines edeln Gefolges, richtet auf Zion das blutige Kreuz als das Zeichen seines Reiches, wie sein Banner, auf. Selbst die Engel zittern vor Furcht in ihrem Innern. Um wie viel mehr die Menschen, die jetzt auferstanden, alle versammelt sind. Offenbar sind jetzt ihres Herzens Gedanken, alle ihre Thaten: die Sünden der Bösen scheinen aus dem neuen Leib, den sie empfangen haben, wie aus Glas hervor. Sie mögen dann an dem von Blut rothen Kreuz, an den Wundenmalen, die Christus an sich trägt, den mit Schrecken erkennen, welchen sie leugneten, den sie verspotteten und schlugen, ihn, welchen doch die Natur anerkannte in den Wundern bei seinem Tode, die Hölle selbst, welche die gefangenen Erzväter herausgab, auch die Bäume, als er einen von ihnen 50 bestieg, denn mancher wurde von blutigen Thränen roth berieselt, sein Saft zu Blut.         þâ wearđ beám monig blôdigum tearum
        birunnen under roderum reáde and þicce,
        säp weard tô swâte.   v. 1175 ff.
Nur die verblendeten Menschen, die härter als Kiesel, erkannten ihren Schöpfer nicht.

Dann sitzt Christus auf seinem Königsstuhl (v. 1217); zu seiner Rechten werden geschart die Reinen, die Auserwählten, zu seiner Linken die Befleckten. An drei Zeichen sind die einen und die andern zu erkennen: an jenen leuchten die guten Werke, sie schauen die Glorie, die ihrer wartet, und die Strafe der Sünder, wodurch sie sich so um so mehr der ihnen gewordenen göttlichen Gnade erfreuen. – Die andern dagegen sehen das ihnen bereitete Höllenfeuer und die Seligkeit der Reinen, und empfinden die tiefste Scham über ihre eigne offenbare Schande. Sie hätten früher beichten und Busse thun sollen!

Christus redet dann (v. 1337 ff.) zu beiden Scharen auf Grund von Matth. c. 25, v. 35: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt, denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mich gespeist u. s. w., indem er hier in kurzer Rede den Lohn verheisst, dort, zur Linken, in langer, welche die Sündenschuld motivirt und des Erlösungswerks ausführlich gedenkt, die Strafe verhängt. »Fahret nun, Verfluchte, des Engeljubels beraubt, in das ewige Feuer!« endet er, das Richtschwert schwingend; und mit den Teufeln zugleich stürzen die Bösen hinab in die schwarze Flamme.

Der Dichter schliesst (v. 1550 ff.) mit der Ermahnung, mit welcher er diesen Theil begann, indem er die Strafen der Frevler in der Hölle und das Glück der Seligen im Himmel ausmalt; die schönste der Freuden wird sein, wann Engel und selige Seelen zuerst sich begegnen, jene diese in der heiligen Heimath begrüssen. Dahin soll der Sinn des Menschen streben, indem er von den Flecken der Sünde sich reinigt.

Auch aus unsrer kurzen Analyse der Dichtung lässt sich wohl erkennen, wie der zweite und dritte Theil von dem ersten in der Darstellung abweichen, während sie selbst in ihr im grossen übereinstimmen. In dem ersten Theil wird das epische Element durch das dramatische vertreten, schildernde Erzählung 51 findet sich gar nicht; die Didaktik aber, welche gleichsam das grundlegende Element der ganzen Dichtung bildet, ist da mit der Lyrik vermählt. In den beiden folgenden Theilen dagegen erscheint das epische Element mit dem didaktischen im Bunde; wenn aber im zweiten Theile die Erzählung nur die Lehre begleitet, so tritt im dritten dagegen die Schilderung als ein Hauptfactor der Darstellung in den Vordergrund, als ein wichtiges Moment, indem sie die Lehre sehr wirkungsvoll unterstützt. Der poetische Reiz des dritten Theils liegt in diesen schildernden Partien, die mit glänzenden Farben ergreifende Bilder malen, mit treffenden Vergleichen und, was selten in der angelsächsischen Epik, auch mit ausgeführten Gleichnissen geschmückt sind. Und in der Schilderung eines so oft behandelten Gegenstandes, der christliches Gemeingut ist, wie das jüngste Gericht, weiss doch unser Dichter durch die Stärke des ihn beherrschenden Nationalbewusstseins Originalität zu erreichen und zugleich die Lebhaftigkeit der Wirkung zu erhöhen. Ruht auch die Schilderung in allen wesentlichen Momenten, in den Umrissen, der Zeichnung, auf der christlichen Ueberlieferung, so ist doch das Kolorit ein angelsächsisch-nationales. So erscheint Christus wie ein angelsächsischer König, der zu Gericht sitzt, die Engel als seine Degen. So gedenkt der Dichter in der Schilderung der Naturereignisse des Meeres (v. 980 ff.), so erinnert ihn die wallende Lohe leicht an die überschwemmende Fluth. Auch ihm ist das höchste irdische Gut durch die Kleinodien vertreten, »die alten Kostbarkeiten der Edelkönige« (v. 996 f.). – Aber auch die Schwächen der Nationaldichtung seines Volks, Weitschweifigkeit und Wiederholungen, zu denen der Stabreim so leicht den Anlass gab, sind seiner Darstellung keineswegs fremd geblieben.

Betrachten wir schliesslich das Werk im Ganzen, so macht es durch die es zu einer Einheit verbindende, von gläubiger Begeisterung getragene Idee der Erlösung der Welt durch Christus sowie auch durch die Verschiedenheit des poetischen Kunststils, welche die dichterische Individualität Cynewulfs in vielseitigem Lichte zeigt, einen bedeutenden Eindruck.


Wie die lateinische christliche Epik nicht nur an die Bibel, sondern auch an die Legende sich anschliesst, so auch die 52 angelsächsische, die auch darin dem Vorgange jener folgt, und um so mehr, als Angelsachsen selbst, wie Aldhelm und namentlich Beda, bereits die lateinische Legendenpoesie gepflegt hatten. S. Bd. I, S. 589 und 602. Ob Cynewulf das erste Beispiel in angelsächsischer Sprache gab, lässt sich freilich bei der chronologischen Unsicherheit in der älteren angelsächsischen Literatur und einer offenbar unvollständigen Ueberlieferung nicht behaupten, wohl aber, dass keine der andern uns erhaltenen legendarischen Dichtungen der Angelsachsen einem früheren Zeitalter zuzuweisen ist. Von seinen beiden authentischen Legenden scheint aber Juliana Thorpe, Cod. Exon. pag. 242 ff. – Grein, Bibl. Bd. II, S. 52 ff. die ältere zu sein.

Auch diese Dichtung ist nach einer lateinischen Vorlage, einer spätestens im sechsten Jahrhundert geschriebenen S. Acta S. S. Febr. T. II, p. 873 ff. Commentar. praevius § 4. Prosalegende, verfasst, welcher der Dichter im grossen und ganzen getreu folgt, nur mit einigen Weglassungen und Hinzufügungen oder Erweiterungen, hier und da aber auch in ganz wörtlicher Anlehnung. So z. B. v. 94: swêteste (Juliana) – – mînra eágna leóht = mea dulcissima Juliana, lux oculorum meorum, § 2, oder v. 150: dumbum and deáfum deófolgieldum = idolis surdis et mutis ibid. Die lateinische Erzählung findet sich unter dem 16. Februar in den Acta Sanctorum. Die Dichtung, welche an ein paar Stellen nur lückenhaft erhalten ist, zählt, so wie sie vorliegt, 731 Langzeilen.

Der Inhalt ist der folgende. Zur Zeit der Christenverfolgung durch Maximian wurde Juliana von ihrem Vater Africanus, einem eifrigen Heiden in Nicomedien, mit dem Grafen Helisêus (Senator, dann Präfect Er wird es, indem in der Vorlage Juliana, um seine Werbung abzuweisen, zuerst verlangt, dass er dieses Amt bekleide; unser Dichter hat dies weggelassen, und führt ihn sogleich als gerêfa ein, welches Amt bei den Angelsachsen gar wohl dem Praefectus der Römer entsprach. Eleusius) verlobt. Sie hatte aber bereits, was dem Grafen verborgen, »in ihrem Geiste« Christus Treue gelobt, und gedachte aus Liebe zu ihm ihre Jungfräulichkeit rein zu erhalten. Sie erklärt denn dem Grafen, nur unter der Bedingung seine Gattin zu werden, dass er zum Christenthum sich bekehrt. Nun verlangt der Vater, von dem Grafen angerufen, unter Drohungen von ihr, dass sie den »fremden Göttern« entsage, – vergeblich; er lässt sie dann peinigen, 53 aber sie bleibt auf ihrem Sinn. Darauf übergibt er sie ihrem Bräutigam, dem Grafen, als Richter. Dieser sucht durch Schmeichelworte sie zu überreden, den alten Göttern zu huldigen und so furchtbaren Martern zu entgehen, aber umsonst. Juliana bleibt standhaft, auch den nun folgenden Martern zum Trotz. In das Gefängniss geworfen, preist sie den König der Herrlichkeit, den Erlöser (v. 235 ff.).

Da erscheint ihr dort ein Teufel in Engelsgestalt (Beleal) als Versucher und räth ihr, dem Martyrthum sich zu entziehen und den Göttern zu opfern. Das geängstigte Mädchen bittet nun den Allmächtigen um Aufklärung über den Boten. Eine Stimme aus den Wolken antwortet ihr, sie solle ihn fassen und halten, bis er selbst seine Fahrt und seine Herkunft verkünde. Das Verhör, das dann die Heilige mit dem Teufel anstellt, bildet den eigentlichen Kern der Dichtung – mehr als der Legende – in den langen Reden desselben, von denen indessen der Anfang fehlt (v. 289–530). Beleal, des Höllenkönigs Sohn, bekennt die schlimmsten Thaten der Bosheit, die er vollbracht hat. Er erzählt, wie sein Vater ihn auf diese Fahrt, wie auch sonst, aussandte um die Frommen zu verführen, und welche schwere Strafe beim Misslingen seiner warte von den Degen des schrecklichen Königs, die ihn dann suchen, binden und foltern. So habe ihn die Noth gezwungen, Juliana zu versuchen. Noch muss er der Heiligen beichten, in welcher Weise er die Frauen verführt (v. 350 ff.) und mit welchen bösen Künsten er die Menschen fortwährend schädigt (v. 460 ff.).

Diese lange Unterhaltung wird endlich abgebrochen, als der Graf Juliana wieder vor seinen Richterstuhl ruft (v. 530). Auch jetzt gibt sie den Teufel noch nicht sogleich frei, indem sie ihn noch bis zum Richtplatz mitschleppt, und dann erst auf seine wiederholte Bitte zur Hölle entlässt. Es folgt nun das wunderbare Martyrium der Heiligen (nach einer Lücke v. 559). Erst wird sie, auf ein eisernes Rad mit spitzen Messern geflochten, mitten durch ein Feuer gewälzt: ihre Standhaftigkeit bekehrt die Henker, ein Engel zerstreut das Feuer, sie bleibt gesund; darauf taucht man sie in ein Bad von glühendem Blei, seine Fluth aber theilt sich und verwundet nur umherspritzend die Heiden: auch bei dieser Heiligen hilft dem Richter schliesslich nur das Radicalmittel der Enthauptung. Bei dieser Hinrichtung findet sich noch einmal Beleal ein, um die Heiden 54 aufzureizen, aber ein Blick Julianens genügt, den entsetzten in die Flucht zu treiben. Die Heilige stirbt, nachdem sie die bei der Hinrichtung gegenwärtigen Christen zur Standhaftigkeit im Glauben und zur Liebe unter einander ermahnt hat.

Der Dichter berichtet dann noch (v. 671 ff.) kurz das Schicksal des Grafen, der bei einem Schiffbruch ertrinkend ein Genosse der Hölle wird; das Grab der Heiligen aber werde noch bis auf diesen Tag fromm geehrt. Ihrem Beistand empfiehlt sich zum Schlusse der Dichter für den Fall seines Todes, indem er reuig seiner Vergangenheit gedenkt, seinen Namen durch Runen (v. 704 ff.) anzeigend. Auch den Leser bidde ic monna gehwone – gumma cynnes, þe þis gied ræde. v. 718 f. bittet er um dessen Fürbitte, und endet mit einem kurzen Gebet. So pflegen auch die lateinischen Legendendichter ihre Werke zu schliessen.

Vergleichen wir die Darstellung Cynewulfs mit der seiner Vorlage, so finden wir, dass die ihm eigenthümliche Behandlung des Stoffes vornehmlich auf zwei Momenten beruht. Einmal hat er demselben ein national-angelsächsisches Kolorit gegeben. Wenn auch die Scene Nicomedien (»Commedia«) bleibt, und die Handlung zur Zeit Kaiser Maximians spielt, so erscheint doch der Präfect als angelsächsischer Graf, der wie ein solcher vor dem Volke Gericht hält (v. 184); als er mit dem Vater zur Berathung zusammentrifft, lehnen die beiden »kampfstarken« die Speere zusammen (v. 63); sie verehren mit Schätzen (welum weorđian) die Götter (v. 76); die kriegerische Natur der Germanen, die ihr ganzes öffentliches Leben und die Phantasie beherrschte, schildert auch den Kampf mit dem Teufel als einen mit Schild und Helm gegen Pfeile geführten (v. 384 ff., 395); der Teufel reizt die vom Biere Trunkenen zum Streit beim Gelage (v. 486 ff.). Andrerseits lässt der Dichter auch weg, was das nationale Kolorit beeinträchtigen könnte. Wie den Namen der Diana, wofür er nur Götter setzt (v. 194 ff. und vgl. A. S. S. l. c. § 4), und die Ernennung des Eleusius zum Präfecten durch den Kaiser.

Zweitens hebt er die Heiligkeit der Juliana mehr als der lateinische Bericht hervor, er stellt sie von Anfang an als eine Braut Christi hin (v. 30 f., 106 f.), was in der Vorlage keineswegs geschieht. Daher lässt sie Cynewulf auch nicht die oben S. 52, Anm. 5 mitgetheilte Forderung stellen.

55 Dass der Dichter durch seine Darstellung dem Stoffe eine poetische Weihe gegeben, lässt sich nicht sagen, eher in gewissem Sinne eine religiöse, namentlich indem er die verderbliche Thätigkeit des Teufels, die Art und Weise seiner Versuchungen lebendig im einzelnen schildert. Sonst wirkt auch hier die Weitschweifigkeit der angelsächsischen Diction ermüdend.

 

Sowohl in Bezug auf den Stoff, wie auf die dichterische Darstellung ist die andre Legende Cynewulfs, Elene (1320 Langzeilen) Andreas und Elene, herausgeg. von Jacob Grimm. Cassel 1840. (Prolegg.). – The poetry of The Codex Vercellensis with an english translation, by Kemble. Part II. London 1856. S. 1 ff. – Grein, Bibl. Bd. II, S. 105 ff. – Cynewulfs Elene, mit einem Glossar herausgeg. von Zupitza. Berlin 1877. 2. Ausg. 1883. weit bedeutender und von grösserem allgemeinen Interesse. Die Heldin der Dichtung, die ihr den Namen gab, ist die Mutter Constantins des Grossen und die Kreuzfindung Ueber diese Sage s. die histor. Kritik von Gildemeister und Sybel in: Der heil. Rock zu Trier. 3. Aufl. Düsseldorf 1845. S. 14 ff. und Lipsius, Die edessenische Abgarsage. Braunschweig 1880. S. 71 ff. der Hauptgegenstand. Der Wunder wirkende Heilige aber ist Cyriacus, und eine apocryphische Legende, die sich an seinen Namen knüpft, Acta S. S. Maii Tom. I, p. 445 ff. war die Vorlage, der unser Dichter im Gange der Erzählung bis gegen den Schluss hin in der Hauptsache ganz getreu folgt, so dass die lateinische Schrift geradezu zur Erklärung der angelsächsischen benutzt werden kann. Cynewulf verfährt hier also im allgemeinen nicht anders als bei der Abfassung der Juliana, nur bot ihm hier seine Vorlage die Gelegenheit zur ausführlichen Schilderung von Kriegszügen zu Land und zu Wasser in der Weise der nationalen angelsächsischen Epik. Diese Partien sind wie die originellsten, so die poetisch anziehendsten.

Die Dichtung eröffnet der Feldzug Constantins, der seine Bekehrung zur Folge hatte. Wie in der Vorlage, aber im Widerspruch mit der Geschichte, ist er gegen ein fremdes Heer, das über die Donau hereinbricht, gerichtet: während aber dort dasselbe einfach als ein Volk von Barbaren bezeichnet wird, sind es bei Cynewulf Hunnen und Germanen, namentlich Gothen 56 und Franken. Der Hunnenkönig befehligt sie – offenbar hat der Dichter hier an Attila gedacht. Ihre Heerfahrt wird mit lebhaften Farben gemalt: das Funkeln der Speere und der Brünnen, der vom Klang der Schilde begleitete Schlachtruf; das Kriegslied singt der Wolf, und der federbethaute Aar folgt den Spuren des Heeres. Vgl. oben S. 25. Der Auszug der Römer wird nicht weniger lebendig geschildert: der Lärm der Rosse und Waffen, der Ruf der Hörner und der Herolde, das Lied des Raben. So sind die beiden Heere an der Donau versammelt. Der Kaiser aber fürchtet die grosse Ueberzahl der Feinde. Da erscheint ihm im Schlaf ein Engel und zeigt ihm das Kreuz, mit dessen Zeichen er siegen soll. Schleunigst lässt er ein solches Feldzeichen fertigen und seinem Heere voraustragen. Nun folgt die Schlacht, die der Dichter offenbar mit Lust ausmalt (v. 109 ff.) mit ihrem Pfeilregen und den über den Schildrand geschleuderten Kampfnattern. Die Heiden, der Hunnen Leute, fallen oder fliehen. Constantin aber erfährt darauf, welchem Gott er den Sieg verdankt, und lässt sich von Papst Silvester taufen (v. 192).

Nachdem der Kaiser später gelernt, wo Christus gekreuzigt worden, sandte er seine Mutter zu den Juden, den verborgenen Glorienbaum zu suchen. Mit einem Heere unternimmt sie den Zug, der in unserer Dichtung eine Kriegsseefahrt ist, welche mit all der Bilderpracht der nationalen Epik dargestellt wird (v. 225 ff.). In Jerusalem angelangt, versammelt Helena die Juden und lässt sie die weisesten auswählen, die ihr Auskunft geben könnten. Von 3000, die zuerst erscheinen, werden zu dem Zweck 1000, und von diesen wieder 500 ausgewählt; aber sie hören nur Vorwürfe von Helenen, und wissen nicht, worum es sich handelt. Da klärt sie endlich einer von ihnen, Judas, der Sohn des Simon, der Bruder des ersten Märtyrers Stephanus, auf: Helena suche nach dem Kreuze, wenn dies aber offenbar werde – so habe sein Grossvater Zachäus verkündet – werde das Gesetz verworfen werden und der Juden Herrschaft ein Ende nehmen. In der Vorlage heisst es: nam vere destruerentur paternæ traditiones et lex ad nihilum redigetur; bei Cynewulf v. 430: þŷ läs tôworpen sîen | frôd fyrngewritu and þâ fäderlîcan | lâre forlæten . Ne biđ lang ofer đät, | þät Israhêla äđelu môten | ofer middangeard mâ rîcsian. Die Juden, von neuem vor Helena gefordert, und am Leben bedroht, stellen dann Judas als den weisesten, 57 ihr Auskunft zu geben (v. 585). Er weigert sich; er wird ins Gefängniss geworfen und soll Hungers sterben, wenn er nicht bekennt. Nach sieben Tagen erklärt er sich endlich dazu bereit; er wird nach Golgatha geführt; da er aber in der That gar nicht weiss, wo das heilige Kreuz sich befindet, so fleht er im Gebet Gott an, ihm, wenn Christus herrschen solle (v. 774), durch Rauch die Stelle anzuzeigen. Das Gebet wird erhört; Judas, nunmehr bekehrt, gräbt dort eifrig, und findet die drei Kreuze. Aber welches ist das Christi? frägt die Königin. Erst ein neues Wunder gibt die Antwort, die Judas nicht wusste. Die Kreuze sind in der Burg aufgestellt, ein Todter wird vorbeigetragen. Judas berührt ihn mit den Kreuzen: bei dem dritten erhebt er sich zu neuem Leben (v. 890). Das Volk preist nun den Vater und den Sohn: aber der Teufel klagt, dass ein Judas ihn demüthige, nachdem ein andrer Judas ihn hatte hoffen lassen. Er droht ihm, sein zukünftiges Martyrthum – unter Julian V. 921. Ic âwecce wiđ đê | ôđerne cyning, se êhteđ þîn, | and he forlæteđ lâre þîne etc. Cynewulf folgt auch hier der Vorlage. Cyriacus soll in der That unter Julian das Märtyrthum erlitten haben, wie in seiner an die Legende sich anschliessenden (apocryphen) Passio erzählt wird. S. dieselbe in Acta S. S. l. c. p. 449 f. – ihm ankündigend. Aber Judas antwortet ihm muthig. – Helena, hoch erfreut, benachrichtigt durch Boten den Kaiser, Diese Benachrichtigung fehlt in der Vorlage. der ihr eine Kirche auf dem Kalvarienberg zu bauen befiehlt. Dies geschieht; zugleich lässt die Königin das Kreuz mit Gold und Edelsteinen schmücken und in einem silbernen Gefässe einschliessen (v. 1024 ff.). Es thut dort für und für an Kranken jeder Art Wunder. Judas aber wird getauft und durch den Papst Eusebius unter dem Namen Cyriacus zum Bischof von Jerusalem gemacht.

Indess will Helena auch noch die Kreuznägel wiedergewinnen (v. 1063 ff.): auf das Gebet des Cyriacus gibt Gott ein Zeichen, ein Feuerschein zeigt die Stelle auf dem Kalvarienberg (nur die Vorlage sagt: da wo das Kreuz gefunden) an: dort glänzen die Nägel wie Himmelssterne oder Goldgemmen Nach der Lesung von Zupitza (v. 1114) goldgimmas für godgimmas. aus dem Dunkel. Es lässt sie Helena, nach des Cyriacus Rath, um die Prophezeiung des Zacharias C. 14, V. 20. Vgl. oben Bd. I, S. 158. zu erfüllen, zu einem 58 Pferdegebiss für Constantin verarbeiten. Der wird im Kampfe geehrt, den dieses Ross trägt. – Ehe Helena scheidet, belehrt sie die von ihr versammelten Juden und ermahnt sie dem Cyriacus zu folgen – im merkwürdigen Gegensatz zu der Vorlage, welche Helena vor ihrem Abschied die Juden verfolgen lässt – und setzt schliesslich das Fest der Kreuzfindung ein. Als der Tag der Auffindung und Feier wird in der Vorlage der 5. der Nonen des Mai, also der 3. Mai angegeben, an welchem Tag schon unter Gregor d. Gr. die Feier stattfand. Unser Dichter dagegen sagt: wäs þâ lencten âgân | bûtan VI nihtum ær sumeres cyme | on maias kalendas (v. 1227). Jedem der Menschen, endet die Erzählung im Anschluss an die Vorlage, sei die Hölle verschlossen und der Himmel geöffnet, und sein Theil bei Maria beschert, welcher das Fest des Kreuzes feiert.

Cynewulf lässt dann noch (v. 1237 ff.) einen Epilog folgen, von wesentlich persönlichem Charakter. Hier finden sich die wichtigsten Angaben über des Dichters Leben, die wir im Eingang des Kapitels verwertheten. Er gedenkt hier, wie auch im Christ, reuig des traurigen sündenvollen Lebens, welches er führte, ehe er von dem Kreuze das Rechte wusste, ehe ihm im Alter Erleuchtung kam. Indem er dann seinen Namen durch Runen anzeigt (v. 1257 ff.), wirft er auf die eitle Freude seiner Jugend einen Rückblick: zerronnen sind des Lebens Wonnen, vergänglich die Glücksgüter dieser Welt, welche selbst untergehen wird in den Flammen. Dann wird die Menschheit dreifach sich theilen: zu oberst im Feuer werden die Frommen sein, gemässigt ist ihnen die Gluth und am mildesten; die Mitte nehmen die Sündenvollen ein, herzbekümmert im heissen Wallen, in Rauch gehüllt; in dem Grunde des Feuermeers aber finden sich die verfluchten Frevler. Diese werden von da in den Höllenabgrund geschleudert, während die beiden andern Scharen durch das Feuer nur wie Gold von ihren Sünden gereinigt werden, um sich dann des Friedens, der ewigen Glückseligkeit zu erfreuen. Dieser Epilog hat in seinem Eingang, den ersten fünfzehn Versen, noch einen besondern Schmuck durch den Reim, der die Halbzeilen bindet, gewöhnlich von derselben Langzeile, aber auch einmal von zwei auf einander folgenden, z. B. v. 1240 ff.
        nihtes nearwe, nysse ic gearwe
        be đære rôde riht, ær mê rûmran geþeaht
        þurh đâ mæran miht on môdes þeaht:
Mitunter ist der Reim auch blosse Assonanz.
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