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Sechstes Kapitel.

Gesta Apollonii. Walter v. Speier. Purchart. Uffing. Erchenbald.

Dieser Periode und zwar Deutschland wird auch angehören eine Dichtung, Da einer der beiden die Erzählung vortragenden Sänger Strabo genannt wird, so schloss man früher auf Walahfrid als Verfasser, eine Behauptung, die eine vollständige Unkenntniss der Gedichte desselben zur Voraussetzung hat. Dümmler nimmt daher in der Praefatio der unten citirten Ausgabe nur einen Schüler Walahfrids an, der also seinen Lehrer hier als Sänger eingeführt habe, und setzt deshalb das Gedicht in eine frühere Zeit. Ich kann dem nicht beistimmen. Denn wir hätten dann in dem Saxo einen Schüler, oder wenigstens einen Mönch des Klosters Walahfrids zu sehen: wie dürfte ihn dieser aber dann frater , oder sodalis anreden? Die Anrede müsste vielmehr magister oder abbas sein. Offenbar ist der Satz, durch den zum Gesang aufgefordert wird ( Est reticere nefas etc.) einer Schrift des Walahfrid entlehnt, und entweder deshalb von dem Verfasser der Name Strabo dem ersten Redenden gegeben, oder wenn dies nicht der Fall, was mir wahrscheinlicher, von dem Kopisten, der, weil er den ersten Redenden nicht genannt fand, das jenem Satze vorausgehende Quod suadet Strabo (v. 2) so falsch auslegte. Walahfrid Strabo war doch weit über den Kreis seiner Schüler bekannt genug. Eher kann die Anwendung dieses Namens auf Reichenau oder das ihm benachbarte St. Gallen als die Heimath des Verfassers hinweisen, zumal die Dichtung früh nach Tegernsee in Abschrift gelangt ist. Für unsre Periode spricht nicht wenig die Durchführung des leoninischen Hexameters, die sich früher nur ganz vereinzelt und bloss in kleineren Dichtungen findet. welche eine Bearbeitung des bekannten lateinischen Romans »Apollonius von Tyrus« Historia Apollonii regis Tyri recens. et prafatus est Riese. Leipzig 1871. S. in Betreff seiner griechischen Herkunft Rohde, Der griechische Roman und seine Vorläufer. Leipzig 1876. S. 408 ff., in Betreff seiner Verbreitung Hagen, Der Roman vom König Apollon. von Tyrus in seinen verschiedenen Bearbeitungen. Berlin 1878. in leoninischen Hexametern ist. Letzterer ist selbst wieder offenbar eine Bearbeitung eines griechischen Originals. Von unserer Dichtung, den Gesta Apollonii , In: Poetae lat. aevi Carolini recens. Dümmler. Tom. II, pag. 483 ff. – Thielmann, Ueber Sprache und Kritik des lateinischen Apolloniusromans. Speier (Progr.) 1881. sind aber nur 792 Verse überliefert, welche der Vorlage nur von Beginn bis in den Anfang des achten Kapitels folgen, während der ganze Roman 51 Kapitel umfasst. Mitten in der Erzählung bricht die Handschrift ab, nachdem schon 331 einzelne Lücken vorausgegangen sind. In jenem ersten Abschnitt des Romans wird nur erzählt, wie Antiochus, König in Antiochien, der verwittwet ist, in die eigene Tochter, welche er vermählen wollte, sich verliebt, sie verführt und heimlich das verbrecherische Verhältniss fortpflegt; um die Freier abzuhalten, gibt er ihnen ein Räthsel auf, unter der Bedingung dass wer es löst, die Tochter erhält, wer nicht, enthauptet wird. Schon manche Köpfe waren über der Pforte des Palastes befestigt, als Apollonius, aus königlichem Geschlechte, sich zu bewerben erscheint: ihm gelingt die Räthsellösung, die die Blutschande des Königs selbst war; Antiochus leugnet aber die Richtigkeit und gibt Apollonius dreissig Tage Bedenkzeit in der Absicht, ihn unterdessen zu verderben, da er von ihm eine Veröffentlichung seines Geheimnisses befürchtet. Apollonius kehrt darauf nach Hause zurück, verlässt jedoch Tyrus alsbald wieder mit reich beladenem Schiffe. Antiochus aber sendet ihm einen Mörder (Namens Thaliarch) nach, der zu spät angelangt, nur seine Abfahrt erfährt. Der König setzt darauf einen Preis auf den Kopf des Helden aus und lässt ihn überall zu Lande suchen, während er zugleich eine Flotte zu seiner Verfolgung ausrüstet. Dies ist im Umriss die Vorlage unseres Gedichtes, soweit es erhalten.

Die Einkleidung desselben ist eine eigenthümliche. Es treten wie im Wechselgesang der Eclogen und gewiss nach diesem Vorbild zwei Vortragende Ihr Vortrag wird auch als Gesang bezeichnet. auf, die als » fratres« sich bezeichnen, und von denen in den Ueberschriften der eine Strabo, der andre (und dieser auch im Text selbst) Saxo genannt wird. Das Gedicht beginnt mit der Aufforderung des ersteren, das von Christus verliehene Geschenk der Beredsamkeit nicht ungenützt zu lassen. Sie flehen dann die Dreieinigkeit an, »sie mit dem Wasser des Pegasus-Baches zu tränken« (v. 28). Nachdem noch Saxo den Bruder gebeten, nicht durch Weitschweifigkeit ihn zu ermüden, weil die Nacht schon herannahe, – ein Verlangen, hier seltsam genug, da es von beiden Seiten gar keine Erfüllung findet – fordert er Strabo auf zu beginnen. Und hierauf fängt dieser sogleich die Erzählung an (v. 42), ohne dass irgendwie die Wahl dieses Stoffes motivirt wäre. Der Wechsel der Vortragenden erfolgt willkürlich, in der Regel 332 durch irgend einen Absatz in der Erzählung bestimmt, Nur einmal hat es den Anschein, aber auch bloss diesen, als wenn der eine Redner den andern durch eine Betrachtung über das eben Gehörte unterbräche v. 141. die Persönlichkeit der Sänger macht sich nirgends geltend, sodass für die Vertheilung der Erzählung auf zwei Personen gar kein Grund sich darbietet. Der Abweichungen von dem Inhalt der Vorlage sind wenige. S. ein Beispiel unten. Ein unpassender Zusatz ist v. 195. Dagegen wird die Erzählung ungemein erweitert durch eingeflochtene lange Beschreibungen, Reden und Vergleichungen. So geben die Worte der Vorlage (Apoll.) navigans attingit Antiochiam (cap. 4) den Anlass zu einer 40 Verse zählenden Beschreibung (v. 198 ff.) von der Seefahrt und namentlich der Landung des Helden. So ist das Gespräch des Thaliarch mit einem Puer, das im Roman (c. 7) auf eine Frage und eine Antwort von wenigen Zeilen sich beschränkt, Thaliarch findet bei seiner Ankunft in Tyrus die Stadt in Trauer, er frägt deshalb einen Puer und erfahrt als Grund die heimliche Abreise des Apollonius. in dem Gedicht zu einer langen Unterhaltung ausgesponnen, die, obwohl sie in eine Lücke der Dichtung ausläuft, doch schon 78 Verse zählt. Freilich weicht dabei unser Poet von seiner Vorlage ab, indem der Puer dem Thaliarch zunächst die gewünschte Auskunft verweigert. Die Gleichnisse werden meist in der weitläufigsten Weise ausgeführt, und in ihnen besonders tritt der Schwulst der Diction am stärksten hervor. S. z. B. v. 141 ff., v. 185 f., v. 599 ff. (ein Gleichniss von 15 Versen). Das Gedicht wird überhaupt in seinem Fortgang immer weitschweifiger, sodass manche Kritiker deshalb daran gezweifelt haben, dass es vollendet worden wäre. Zwei Eigenthümlichkeiten unseres Versificator verdienen noch besondere Erwähnung: einmal die Verwendung der antiken Mythologie in seinen Schilderungen und dann der Gebrauch seltener und vornehmlich aus dem Griechischen entlehnter Ausdrücke, welche einer Glossirung bedurften, die ihnen denn auch, vielleicht auch schon vom Verfasser selbst, zu Theil ward. Vgl. hierzu: Schepss, Handschriftliche Studien zu Boëthius. Würzburg 1881 (Progr.) und derselbe, Funde und Studien zu Apollonius etc. im N. Arch. Bd. IX, p. 171 ff. Auch das passt für Deutschland In Frankreich fanden wir ja schon früher davon in der Dichtung Abbo's ein bedeutendes Beispiel, s. oben S. 136. 333 besser zu dieser als der vorausgehenden Periode, nicht minder die Stoffwahl, in welcher das literarhistorische Interesse unserer Dichtung beruht, denn das antike Werk, das sie bearbeitet hat, hat später auch in den Nationalliteraturen des Mittelalters eine mannichfache Behandlung gefunden, wie es denn bereits in den Anfängen des folgenden Jahrhunderts in das angelsächsische übersetzt wurde. Durch dies Werk vornehmlich hat der altgriechische Liebesroman seine Einwirkung auf das christliche Mittelalter erstreckt, nachdem es in seiner lateinischen Uebertragung, in welcher es allein überliefert worden ist, sich selbst oberflächlich christianisirt hatte.

 

Gewiss ist die eben betrachtete Dichtung als metrisch-poetisches Dictamen aus der Schule hervorgegangen: Darauf weist wohl auch der Gebrauch der griechischen Worte hin. Auch scheint die häufige Anwendung des Gleichnisses wie nach Vorschrift erfolgt zu sein. denselben Ursprung hat, wie uns in diesem Falle ausdrücklich bezeugt wird, eine andre poetische Erzählung, deren Abfassungszeit und Verfasser uns überliefert sind. Es ist eine Legende, welche wohl vorzugsweise auch zum Thema dieser Dictamina gewählt wurden, obschon unsere Dichtung selbst nicht im eigentlichen Sinne als solches zu betrachten, wohl aber durch eins veranlasst ist, ich meine die 983 verfasste Vita et Passio S. Christophori Martyris des Walther von Speier. Waltheri Spirensis Vita et Passio S. Christophori Martyris, herausgeg. von Harster. Beigabe zum Jahresber. 1877/78 der k. Studienanstalt Speier. München 1878. (Vgl. dazu die Textkritik Nolte's in: Zeitschr. f. d. österreich. Gymnas. 1879. S. 617 ff.). – – Harster, Walther v. Speier, ein Dichter des X. Jahrhunderts. Beigabe zum Jahresber. 1876/77 der k. Studienanstalt Speier. Speier 1877. – (Vgl. Schönbachs Kritik in: Anzeiger f. deutsches Älterth. u. Litter. Bd. VI, S. 155 ff.).

Walther war von früher Jugend an in der Schule des Bischofs Balderich (970–987) von Speier auferzogen, welche, wie sein Werk selbst genauer nachweist, den ganzen Bereich der damaligen Studien umfasste. Dorthin hatte Balderich die gelehrte Bildung St. Gallens, wo er selbst erzogen worden war, verpflanzt. Als Walther schon Subdiacon war, wurde er von Balderich aufgefordert, auf Grund eines Büchleins, das dieser ihm gab, Im Prolog der Prosa sagt Walther von Balderich: admonitionem allato historiarum S. Christophori libello haec – – subiecit: Quoniam, fili carissime, te meo servitio promptum videor videre, hunc libellum, quem quorundam neglegentium depravavit incuria scriptorum, tibi emendandum vel potius iuxta Maronis in versibus disciplinam, sive Ciceronis in prosa, prout valeas, industriam, iterata stili acie e vestigio exarandum iniungo. Vgl. auch die Zuschrift an Hazecha pag. 103, da heisst der libellus de virtutibus S. Christophori. das Leben des heiligen Christoph in Versen und in 334 Prosa, dort nach Virgils, hier nach Cicero's Vorbild, zu verfassen, indem der Bischof offenbar schon längere Zeit eine solche sozusagen literarisch ausgeführte Vita gewünscht hatte. Schon hatte eine Schülerin von ihm, als sie die Schule verliess, die Nonne Hazecha, denselben Stoff in Versen behandelt, wohl als eigentliches Dictamen, d. h. specimen eruditionis, und die Arbeit dem Bischof zur Verbesserung übergeben. Dies Buch war aber abhanden gekommen. Alles dies erfahren wir aus einer Zuschrift unseres Dichters an die Nonne, der er sein Werk nach Balderichs Tode nach Quedlinburg, wo sie Schatzmeisterin des Klosters geworden war, übersandte. Walther wurde dann Magister der Speierer Domschule, Dies zeigt eine die Sendung seiner Dichtung begleitende Zuschrift an Liutfred, den damals berühmten Salzburger Lehrer, nach Balderichs Tod, worin er jenen als Collegen bezeichnet. an der er wohl schon zur Zeit der Abfassung seines Werks als Lehrer wirkte. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist unser Autor mit Walther, dem zweiten Nachfolger Balderichs auf dem Bischofsstuhle Speiers (1004–1031), der für einen der ersten Gelehrten seiner Zeit galt, identisch.

Indem Walther der Aufforderung seines Bischofs und Lehrers vollständig entsprach, hat er das Leben und Leiden des heiligen Christoph sowohl in Prosa als in Versen behandelt. Wie eine Vergleichung beider Arbeiten zeigt, ist die erstere, weniger ausführliche, wohl zuerst und offenbar im Anschluss an den ihm von Balderich übergebenen libellus geschrieben. Jedenfalls ist Walthers Prosa nicht im Hinblick auf seine Dichtung verfasst, denn in dieser findet sich einzelnes, was in jener fehlt und als Zusatz erscheint, und selbst als Verbesserung der Prosa so l. II, v. 129 ff. vgl. Prosa c. 6; so ferner l. III, v. 62 und 109, l. V, v. 38 ff. Es wird auch an einer Stelle in der Dichtung auf die Prosa verwiesen l. II, v. 240 f.: Quem numerum vulgi, properat quia pagina claudi, Lectoris veniae referent libamina prosae. Bei dem Futur ist zu berücksichtigen, dass bei der Herausgabe des Werks die Prosa der Dichtung folgte, auf die es zunächst ankam. 335 Stil und Ausdruck der Prosaerzählung sind für jene Zeit vortrefflich, einfach, klar und leicht, im vollen Gegensatz zu der Dichtung, deren Diction nicht selten gesucht, unklar und schwierig ist. Die Dichtung zählt im ganzen 1700 leoninische Hexameter. Sie zerfällt in sechs Bücher, denen ein Prologus (33 V.) und eine Praefatio (122 V.) vorausgehen. Der erstere, an Balderich gerichtet, bittet diesen um gütige Aufnahme und um Verbesserung der Dichtung, das für den Leser bestimmte Vorwort dagegen enthält eine lange Entschuldigung, dass der Autor, kaum der Schule entwachsen, eine Aufgabe über sich genommen, die zu lösen es eines Maro bedürfe (v. 80 ff.). Das Schicksal des Regulus, auf das er ausführlich erzählend eingeht (v. 21 ff.), hätte ihm die Folgen hartnäckiger Verwegenheit warnend zeigen sollen.

Das erste Buch (271 V.) hat einen besonderen Charakter, den schon die Ueberschrift anzeigt. Die Ueberschrift lautet: Incipit primus libellus de studio poetae, qui et scholasticus. Ich beziehe auch mit dem Herausgeber und seinen Kritikern scholasticus auf liber; aber es könnte dies Wort auch auf poeta gehen, woran keiner seltsamer Weise gedacht zu haben scheint. Dies Buch bildet nur eine Einleitung, worin Walther den Gang seiner Studien in der Domschule von Speier erzählt, als deren Frucht gleichsam die Dichtung auf den heiligen Christoph erscheint. Diese Erzählung ist, obwohl an manchen Stellen recht dunkel, von nicht geringem kulturgeschichtlichen Interesse. Nach einem Elementarunterricht im Lesen und Schreiben und Psalmengesang folgte im dritten Jahr die Grammatik, bei welcher der Lectüre der alten Dichter ein Studium der Mythologie vorausging, das die Herzen der Knaben ergötzte (v. 91). Von den alten Poeten, die sie lasen, werden genannt Homer – natürlich ist der lateinische hier gemeint – Martianus Capella, Wenn er hier unten den vates genannt wird, so hat der Autor wohl, wie bei Boëtius, an die in seinem Werk zerstreuten Gedichte gedacht. Horaz, Persius – dessen genaue Kenntniss auch manche Reminiscenz in der Dichtung Walthers bezeugt – Juvenal, Boëtius, Statius, Lucan und der alle übertreffende Virgil mit seinem dreifachen Werke. Eine besondere Freude war es dabei für die Schüler die metrische Kunst sich anzueignen und zu üben (v. 109 ff.). Nachdem vier Jahre diesen grammatischen Studien allein gewidmet waren, folgten die philosophischen, in die des Porphyrius 336 Introductio – selbstverständlich in des Boëtius Uebersetzung – einführte (v. 114 ff.). S. darüber Prantl, Geschichte der Logik Bd. II, S. 52. Der Dialektik schliessen sich dann noch fünf »Schwestern« an, die Rhetorik (v. 137 ff.), für welche Cicero das Muster ist, die Rhythmica, d. h. hier die Arithmetik mit ihren fünf Töchtern, den fünf Species, Die erste ist die Numeratio, die Herzählung, die heute nicht als Species gilt. S. hier namentlich die Anmerkungen des Herausg. S. 26 ff. für welche Wissenschaft auf Boëtius verwiesen wird (v. 148 ff.), Seine zwei Bücher De arithmetica. die Geometrie, die Martianus Capella erschliessen soll (v. 169 ff.), die Musik, bei der wieder Boëtius Seine fünf Bücher De musica. als Autorität genannt wird (v. 182 ff.), endlich die Astronomie (204 ff.). Alle diese freien Künste werden von dem Verfasser durch eine Andeutung ihres Inhalts, die freilich mitunter dunkel genug ist, charakterisirt. Zwei Jahre waren diesen Studien gewidmet (v. 224), in acht die ganze Schule durchlaufen (v. 227).

Der Dichter hofft durch die Besingung des heiligen Christoph vor dem »Zorne des Richters« sich zu sichern; nachdem er dann Christus, die Jungfrau und die heiligen Hilarius, Fridolin, Gallus und Leo um Beistand angerufen, wendet er sich an Christoph selbst mit der Bitte, das Steuerruder seines Schiffleins zu führen, indem Walther auch in der Folge auf dies schon früher in der christlichen Dichtung beliebte Bild häufig zurückkommt. Namentlich in den letzten Büchern. – Rücksichtlich des Bildes s. u. a. Fortunats Vita Martini Bd. I, S. 512, und das Carm. de Carolo magno Bd. II, S. 59.

Mit dem zweiten Buch (251 V.) beginnt nun erst seine Erzählung vom heiligen Christoph. Der Inhalt derselben ist in der Kürze folgender. Christophorus, ein Chananäer, hiess vor seiner Taufe Reprobus, bei welchem Namen der Dichter an den von den Bauleuten verworfenen Stein erinnert (v. 25), denn er gereichte ihm nicht zur Schande. Diese Erklärung im Hinblick auf Evang. Matth. c. 21, v. 42: Lapidem quem reprobaverunt aedificantes gegeben, findet sich nur hier in der Dichtung. Christoph war – wie später angezeigt wird – von riesenmässiger Gestalt und hatte den Kopf eines Cynocephalen. Noch ungetauft, führte er schon ein christliches Leben. »Da aber kein Prophet in seinem 337 Vaterlande etwas gilt«, wanderte er aus; er suchte einen Führer des Glaubens. Schon ist er an die Grenze gelangt, wo der Weg nach Syrien führt, und noch immer hat er diesen nicht gefunden: darüber weinend setzt er sich nieder. Da erscheint ihm ein Engel, der ihn tröstet und ihm das Geheimniss des christlichen Glaubens enthüllt. Er ertheilt ihm die Taufe, indem eine Wolke am Himmel sich bildet und ihr Nass herabsendet, und gibt ihm den Namen Christophorus. Der Heilige zieht darauf nach der Hauptstadt Syriens Samon weiter, wo der dem Christenthum feindliche heidnische König Dagnus herrscht. Er betritt zunächst den vor der Stadt gelegenen Tempel Jupiters. Ein Weib, das dort opfern will, erblickt ihn; erschreckt ruft es die Bürger herbei. Christoph aber bittet Christus um seinen Beistand, die Menge zu bekehren. Es gelingt durch ein Wunder, indem der Heilige seinen Stab in die Erde stösst, und auf sein Gebet hin derselbe grüne Zweige hervorbringt. (Hier endet das zweite Buch der Dichtung und Kap. 10 der Prosa).

Als zu dem Könige diese Kunde gelangt, sendet er erzürnt zweihundert der Seinigen aus, um Christoph vor ihn zu führen; aber das Gesicht desselben erschreckt sie so, dass sie unverrichteter Dinge umkehren; der König schickt darauf zweihundert andre, denen der Heilige freiwillig folgt. Vor dem Glanz seiner Augen aber stürzt der König zu Boden, der ihn dann in zürnender Rede mit dem Tode bedroht. Vergeblich sucht ihn Christoph zu bekehren. In der Dichtung in einer langen Rede, die fast die Hälfte des dritten Buchs (v. 140–237) einnimmt, während sie in der Prosa nur wenige Zeilen zählt. Er wird in das Gefängniss geworfen; die vierhundert an ihn gesandten aber bekehren sich, und erleiden dann das Martyrthum. (Bis hierhin geht das dritte Buch, 254 V. Kap. 11–13 der Prosa). – Der König sendet darauf zwei Buhlerinnen Nicaea und Aquilina in den Kerker des Heiligen, um ihn zu verführen. Aber von »den Flammen der Augen« des im Gebet versunkenen getroffen, fallen sie zu Boden und wagen nicht aufzuschauen, bis er nach Beendigung seiner Andacht sie aufrichtet, um die reuigen durch seine Predigt tröstend zu bekehren. Ja, vor den König geführt, versuchen sie jetzt diesen selbst für den neuen Glauben zu gewinnen. (Bis hierhin 338 das vierte Buch, 252 V., Kap. 14 bis Mitte von 16 der Prosa.) – Da der König sehr zornig wird, so erklären die Mädchen sich zum Schein bereit, vor allem Volk den Göttern zu opfern, stürzen aber in dem Tempel die Bildsäulen des Jupiter und Apollo von ihren Altären. Sie erleiden darauf das Martyrthum. Aquilina wird gehängt; Nicaea werden zuerst die Zähne ausgerissen, dann, da sie bei ihrem Glauben beharrt, wird sie zum Flammentod verurtheilt, doch sie bleibt unverletzt; so greift man auch hier zum letzten Mittel der Hinrichtung, der Enthauptung: die umstehende Menge aber bekehrt sich zum Christenthum. (Hier endet das fünfte Buch, 250 V., und Kap. 20 der Prosa).

Es folgt nun das Martyrthum Christophs selbst. Er wird zunächst mit eisernen Ruthen geschlagen und ihm ein glühender Helm aufgesetzt: selbst drei der Grossen des Königs tadeln dessen Grausamkeit; sie werden mit dem Tode bestraft, erwerben aber damit die Märtyrerkrone. Der Heilige dagegen fordert den König zu grösseren Martern heraus. So wird er auf einen glühenden zwölf Ellen langen Rost gelegt. Dieser wird von der Hitze verzehrt, Christoph aber bleibt unverletzt. Am folgenden Tag wird er von drei Bogenschützen vergeblich beschossen, denn keiner der Pfeile trifft ihn. Da will der König selbst es versuchen, doch einer der Pfeile, die er in der Hand hält, verletzt ihm ein Auge, dass es erblindet. Der Heilige aber verkündet ihm, dass er selbst morgen die Märtyrerkrone gewinnen werde, der König dagegen mit seinem Blute die Stirn bestreichen und so das Augenlicht wieder erhalten solle. Diese Verkündigung erfüllt sich, Christoph wird enthauptet; der geheilte König aber bekennt sich zum Christenthum, das er in seinem Reiche einführt. ( Sechstes Buch, 265 V., Denen sich noch drei Verse anschliessen, worin der Autor sich nennt und als die Zeit der Abfassung das Jahr des Regierungsantritts Otto's III. bezeichnet. die Prosa endet mit Kap. 29).

Dies sind die alles thatsächliche enthaltenden Umrisse der Erzählung, wie sie der Poesie und Prosa Walthers gemeinsam sind. In der Ausführung weicht die erstere von der letzteren schon durch den Schmuck, den sie der Darstellung durch Tropen und Bilder verleiht, ab, wenn auch ihrer, abgesehen 339 von dem oben angezeigten oft wiederkehrenden Vergleich der Dichtung mit einer Schifffahrt, nicht viel sind. An einer Stelle aber bedient sich der Autor auch des Kunstmittels der Allegorie, indem er beim Eintritt der Buhlerinnen in den Kerker (l. 4, v. 75 ff.) Pudicitia und Libido in Person einführt und mit einander streiten lässt, und zwar im Anschluss an Prudentius' Psychomachie v. 40 ff. Dazu kommen auch Schilderungen, wie die des Tagesanbruchs l. 4, v. 178 ff., wobei denn auch der antiken Mythologie die Ausdrucksweise entlehnt wird; auch wird die indirecte Rede der Prosa durch die directe ersetzt (l. 2, v. 60 ff.). Endlich ist dem Stil der Poesie Walthers seiner Prosa gegenüber der nicht seltene Gebrauch griechischer Wörter wie archia, alithia, eutyches, eucharis, acontia u. s. w. eigenthümlich, die hier wie in der vorhergehenden Dichtung als Schmuck der Gelehrsamkeit sich eingefügt finden. Uebrigens zeichnet sich die Poesie durch einen trefflichen Versbau aus, auch ist ihr Ausdruck nicht sklavisch abhängig von dem des Virgilschen Epos, zumal an ihm auch die Sprache der Bibel keinen geringen Antheil hat.

Literarhistorisch ist die Dichtung Walthers schon als älteste poetische Bearbeitung der so weit verbreiteten volksthümlichen Legende, die in Deutschland besonders beliebt war, wichtig; dieser christliche Riese konnte nicht bloss den antiken Herkules, Dies geschah noch in meiner Jugend in meiner Heimath; das Volk nannte den Herkules auf der Wilhelmshöhe bei Kassel den »grossen Christoffel«. sondern auch die altgermanischen Riesen der Phantasie des Volkes ersetzen. Wie mannichfache Umgestaltung die Legende mit der Zeit fand, namentlich durch die sinnliche Auslegung des Namens, kann recht die Erzählung Walthers zeigen, die die ursprüngliche Gestalt der christlichen Sage noch zeigt. Die Geschichte derselben zu geben, liegt mir hier nicht ob; ich verweise in der Beziehung auf Harsters Walther v. Sp. S. 29 ff. und Schönbachs Kritik a. a. O. S. 156 ff.

 

Noch ist eine epische Dichtung Deutschlands aus diesem Zeitraum zu erwähnen, welche die Thaten eines Zeitgenossen berichtet und auch durch ihre Form bemerkenswerth ist. Es ist das Werk Purchards von Reichenau 340 De gestis Witigowonis abbatis , (im ganzen 549 leoninische Hexameter). In: Monum. German. histor., Scriptor. T. IV, pag. 621 ff. – (Vgl. für den Text: Breitenbach, Die Quellen der Reichenauer Chronik des Gallus Öhem im N. Arch. Bd. II, S. 176 ff.). Das Gedicht (491 V.) ist auf das Verlangen des Klosterconvents selbst, wie uns eine Zuschrift des Dichters belehrt, zu Ehren des damals regierenden Abts im Jahre 994 verfasst worden, hat dann aber ein paar Jahre später noch einen Nachtrag von 57 Versen erhalten. Witigowo regierte das Kloster vom Jahre 985 bis 997; in diesem Jahre scheint er abgesetzt worden zu sein. So sehr dies auch nach unserm Panegyricus auffallen muss, so lässt sich trotzdem auch aus ihm vielleicht die Ursache erkennen. Denn das Gedicht hat offenbar nicht bloss die Absicht, die Thaten des Abts und damit das Kloster selbst zu verherrlichen, sondern ihn auch zu mahnen, nicht so häufig und so lange das Kloster zu verlassen – worunter gewiss die Disciplin leiden musste – und diese Tendenz musste dem Dichter von dem Convent eingegeben sein, sonst hätte er sicher nicht gewagt, sie in dem gleichsam officiellen Werke auszudrücken.

Das Gedicht ist in der Form eines Zwiegesprächs des Poeta mit der Augia, als deren Gemahl ( sponsus ) der Abt hingestellt wird, gegeben – also eine dialogische Form der Erzählung, wie wir ihr schon in dem Apollonius begegneten, nur dass sie hier einen ganz andern Werth und eine ästhetisch viel bedeutendere Ausführung hat, die sich zu einer gewissen dramatischen Wirkung steigert.

»Was weinst du, Mutter Augia,« – so beginnt der Poet das Gespräch – »was raufst du dein lockiges Haar und zerfleischest die zarten Wangen?« Gott habe ihr doch soviel Ehre verliehen, dass kein Ort auf der Welt sich solcher rühmen könne. Sie werde mit Recht die Ruhestätte ( torus) Maria's genannt. Sie wohne in Frieden, sei reich an Gütern; warum freue sie sich nun nicht? – Augia dagegen: »Mein Sohn, du redest wie ein Kind. Ich sollte um nichts trauern, da doch mein Gemahl mich verachtet, und allein lässt, trostlos wie eine Gefangene.« – Nachdem dann der Poet gewagt, daran zu erinnern, dass man Frauenklagen niemals trauen dürfe, und Augia ihn deshalb gehörig zurechtgewiesen, beantwortet sie zunächst seine Frage, 341 wer ihr Gemahl sei (v. 81 ff.). Nach Ruodmanns Tode (984), der ihre Güter reich vermehrte, sei sie, die schutzlose, von habgierigen Bösewichtern geplündert worden, da hätten ihre Colonen ihre Wiedervermählung mit einem Manne, der sie beschützen könne, verlangt und auf Witigowo hingewiesen, den hochgelehrten Theologen, der auch so gut handle als er lehre. Er gab ihr alle Zier zurück. Alles wäre gut, wenn er bei ihr zu Hause bleiben und aufhören wollte herumzuschweifen (v. 144). Auf des Poeta weitere Frage, wohin der Gemahl gehe und in welcher Absicht, erfährt er (v. 156 ff.), dass derselbe oft zum König sich begebe, bei dem er viele Tage verweile, da sie beide sich gefallen. Er werde der Mund des Königs genannt. Er habe bei ihm den grössten Einfluss. Aber er gedenkt nicht der verlassenen Gemahlin. Kehrt er endlich einmal zurück, so kommt er wie ein Gast, um kaum eine Nacht zu verweilen: schon muss er dann sie wieder verlassen, um nach Rom zu ziehen, dort ein Gelübde zu erfüllen. Nach seiner Heimkehr von da sagt er ebenso rasch wieder valete als salve . Er besucht nun die Besitzungen des Klosters und schafft dort, wiederherstellend und verbessernd, so namentlich in Schleitheim und in Fungingen. Hier, wo er nur eine Kapelle vorfand, errichtete er eine schöne Kirche und ein Kloster.

Poeta frägt nun Augia, ob ihr jene Reisen des Abts an den Hof und nach Rom etwas eingetragen. Sie bekennt, dass er die Bestätigung ihrer Rechte und Freiheiten vom Könige, von Rom aber die kostbare Reliquie des Blutes Christi in einem kristallenen Gefäss mitgebracht habe (v. 260 ff.). – Der Poet beglückwünscht deshalb die Augia: schon hierdurch, sagt er, habe Witigowo alle seine Vorgänger übertroffen; er bittet sie dann Mit der allerdings eigenthümlichen Motivirung v. 289:
        Nobis alternis est sermo sed quia dictis.
die Bauten zu nennen, welche der Abt in den zehn Jahren seiner Regierung in Reichenau selbst ausgeführt habe. Augia entspricht seinem Wunsche (v. 302 ff.) und führt sie Jahr für Jahr der Reihe nach auf; nicht bloss baute der Abt mehrere Altäre und Kapellen und liess jene mit Gold und Edelsteinen, Einen auch mit einem Glasspiegel v. 422 ff. diese mit Gemälden schmücken, S. namentlich v. 344 ff., aber ebenso auch das Kloster v. 355 ff:
        Jusserat et totum pictores pingere claustrum,
        Sunt illae tabulae quae per laquearia pictae,
        Signantes patrum facti monimenta priorum,
        Vivere quod bellis, quae conversatio pacis
        Illis tunc fuerat, totum pictura figurat.
sondern auch den 342 prächtigen Münster, den er der Jungfrau und den beiden Apostelfürsten weihte. Auch einen schönen Garten legte er an. – Möge Augia den Himmel um Erhaltung eines solchen Abtes bitten, ruft der Poet (v. 460), nachdem er all dies vernommen, und Augia, für seinen Trost dankend, stimmt ihm bei, und folgt seiner Aufforderung. Mit ihrem Gebet für Witigowo schliesst das Gedicht.

Der Nachtrag, welcher nicht in Dialogform ausgeführt ist, behandelt noch das elfte Jahr der Regierung Witigowo's, indem hier namentlich der Erbauung eines kaiserlichen Palais in Reichenau und des ersten Römerzugs Otto's III. gedacht wird, an dem der Abt an der Spitze der Schwaben einen bedeutenden Antheil genommen habe. Nach der Krönung sei Witigowo in den Schooss Augia's zurückgekehrt. Den Schluss bildet eine Charakteristik der Frömmigkeit des Abts, wobei namentlich seine Geduld, die ihn in Widerwärtigkeiten stärke, gerühmt wird. Dieser Schluss ist also wohl geschrieben als die Absetzung Witigowo's drohte oder bereits vollzogen war.

Eine von Schwulst wie von aller sich spreizenden Gelehrsamkeit freie Diction sowie ein leicht hingleitender Vers zeichnen die Dichtung in jener Zeit aus.

 

Derselben kunstmässig-gelehrten Richtung gehören noch ein paar lateinische Gedichte Deutschlands in diesem Zeitalter an, die eine kurze Anführung verdienen. Einmal, ein panegyrisches Gedicht von 63 Hexametern auf den heiligen Liudger als den Bekehrer und Colonisator Werdens an der Ruhr von einem Mönche des Klosters dieses Orts, Uffing. In: Die Geschichtsquellen des Bisthums Münster Bd. IV, S. 223 ff. Vgl. ibid. pag. X und LXXXVII f. Der Heilige hatte das Kloster dort auf ihm angestammten Boden gegründet. S. über Liudger oben Bd. II, S. 338 f. Merkwürdig ist, wie in dem Gedicht die doppelte Thätigkeit der Missionare, die Kultivirung des Landes und die Bekehrung der Einwohner, in eine innere Beziehung gesetzt erscheint, die eine bereitet die andre vor, und sie unterstützen sich 343 gegenseitig. In sprachlicher Hinsicht ist die Vorliebe des Verfassers für archaistische Formen (so selbst ein aquai, v. 36) erwähnenswerth.

Endlich haben wir noch eine Anzahl Epigramme von einem Gönner der Wissenschaft, dem Strassburger Bischof Erchenbald (965–991), S. über ihn Wattenbach a. a. O. Bd. I, S. 368. namentlich auf einige seiner Vorgänger wie auch auf sich selbst, in leoninischen Distichen, In: Böhmer, Fontes rerum Germanicarum Bd. III, p. 2 ff. und vgl. ibid. pag. XII ff. zu erwähnen.

 


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