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Siebentes Kapitel.

Elegisch-lyrische Dichtungen.

An die epische Poesie der Angelsachsen, die ganz im Vordergrund ihrer Literatur steht, schliessen sich einige elegische Dichtungen, die, in demselben Vers und Stil als jene geschrieben, auch gern in ausführlichen Beschreibungen sich ergehen. Sie machen den Eindruck epischer Monologe, indem der Dichter auch einer typischen Gestalt seines Volks, wie dem Heimathlosen, dem Seefahrer, die eigenen schmerzlichen Empfindungen und wehmüthigen Betrachtungen in den Mund legt. So sind diese Gedichte ebenso sehr vom allgemeinen Nationalgeist durchdrungen, als vom individuellen Genius des Poeten erfüllt, der auch hier, nur zugleich mit den eigenen, den allgemeinen Gefühlen seines Volks Ausdruck verleiht. Daher haben diese Elegien einen wahren kulturgeschichtlichen Werth: sie lassen uns einen tiefen Blick in das Gemüthsleben dieses germanischen Stammes thun und die Verhältnisse, durch welche es hauptsächlich beeinflusst wurde, erkennen. Aber sie enthalten auch einzelne Stellen von vorzüglich schöner Ausführung, wenn auch im Ganzen ein fester Gang und eine klare Entwicklung öfters vermisst wird.

Eins dieser Gedichte hat man »Der Wanderer« betitelt (115 V.). Thorpe, Cod. Exon. S. 286 ff. – Wülker, Biblioth. Bd. I, S. 284 ff. – – Wülker, Grundriss S. 204 ff. Ein vereinsamter Gefolgsmann, der seinen »Goldfreund« – den treu berathenden und erhaltenden Lehnsherrn – und seine Verwandten durch den Tod (wohl in der Schlacht) 81 verloren, beklagt sein Elend in der Fremde, wohin er über das Meer zog, einen neuen »Schatzgeber« vergeblich zu suchen. Er klagt für sich, denn einem andern, einem Fremden, seinen Kummer zu klagen ist nicht der Edlen Sitte. – All sein Glück ist dahin. Wenn auf dem Meere den sorgenvollen der Schlaf befiel, so gaukelte ein Traum wohl das Bild seines Herrn ihm vor: er umfasste und küsste ihn und legte sein Haupt auf seine Kniee, sowie er einst that, als er seiner Gaben sich erfreute; aber dann erwacht der freundlose und sieht vor sich die fahlen Wogen, in deren Schaum sich die Seevögel baden, und Schnee, mit Hagel gemengt, herabfallen: dann fühlt er nur um so mehr die Wunden seines Herzens und die Sehnsucht nach dem lieben Lehnsherrn. Gedenkt er dann noch der theuern Verwandten, wie sie plötzlich dahinschieden, so überkommt ihn das Gefühl der Vergänglichkeit alles Irdischen – dem dann der Dichter einen oft ergreifenden Ausdruck gibt. So schildert er sie namentlich (v. 75 ff.) in dem Bild einer verödeten Burg, Einen ganz ähnlichen Gegenstand behandelt in ähnlicher Weise ein uns nur durchaus fragmentarisch erhaltenes Gedicht (Die Ruine), welches wahrscheinlich auf die Stadt Bath sich bezieht. S. darüber Wülker in der Anglia II, S. 376 ff. Das Fragment findet sich ebendort neu edirt, danach auch in Wülkers Biblioth. Bd. I, S. 296 ff. von der nur noch die hohen Mauern stehen, von Stürmen gepeitscht in der Winternacht. Wo kam das Ross hin? wohin der Held? und der Kleinodspender? wohin die Stätte der Gelage? wo ist der Jubel der Gäste? Ach glänzender Becher! ach Brünnenkämpe! ach des Herrn Herrlichkeit! Wie verging die Zeit, wie hüllte sie sich in Nacht, als sei sie niemals gewesen! – Das lehrt erst die Weisheit des Alters (s. v. 64 f.). Wohl dem, der seinen Trost beim himmlischen Vater suchen kann.

 

Eine gewisse Verwandtschaft mit dieser Elegie zeigt eine andre, der man den Titel: »Der Seefahrer« gegeben hat (124 v.). Thorpe, Cod. Exon. S. 306 ff. – Wülker, Bibliothek Bd. I, S. 290 ff. – Wülker, Grundriss S. 207 ff. Auch hier ist ein Hauptmotiv der Klage die Entfernung von der Heimath und den Verwandten, das Leben in der Fremde und das Gefühl der Vereinsamung, noch verstärkt durch die Seefahrt im Winter; auch hier die Klage über die Vergänglichkeit alles Irdischen. Aber das beide Gedichte 82 unterscheidende fehlt keineswegs: denn nicht die Noth, sondern der eigene Wille führt den Seemann aus der Heimath, in die er zurückkehrt; auch zeigt diese Dichtung ein stärkeres christliches Gepräge als die andre. Eine kurze Analyse erscheint bei ihr um so nöthiger, als man den inneren Zusammenhang der in Gegensätzen sich bewegenden Darstellung mitunter so wenig erkannt hat, um sogar von einem Dialog, aus dem sie bestehen sollte, reden zu können. Zu dessen Annahme freilich eine Hypothese auf die andre gehäuft werden musste. S. Rieger in Zeitschr. f. deutsche Philologie I, S. 330 f. und 334 ff. und Kluge in Kölbings Engl. Studien Bd. VI, S. 322 ff.

Es ist von Beginn an ein Monolog. Der Seefahrer beklagt das Leben, das er zur See führte: wie er in der Winternacht hungrig und erfroren, »mit Eiszapfen behängt«, durch die Klippen des eiskalten Meeres steuert. In das Geheul der tosenden See mischt sich zuweilen der Schwimmvögel Lied. Statt des Gelächters der Männer ist sein Vergnügen das Gebell des Seehunds, statt des Methtrunks der Möve Gesang. – Von einem solchen mühseligen Leben hat keine Ahnung der Mann, der am Lande fröhlich sich ergeht. Darum (v. 33) beklemmt es auch des Seemanns Herz, das Spiel der Salzwogen wieder zu versuchen, denn kein Mann ist auf Erden so übermüthig, dass nicht eine Seefahrt ihm Sorge machte. Doch immer regt sich im Seemann die Lust auf die Fahrt sich zu begeben, um fern von hier der Fremden Länder zu besuchen. Nicht ist sein Sinn auf Harfenspiel, Ringspende, Weiberwonne gerichtet, auf nichts sonst als auf der Wogen Gewühl: nach dem Meer geht immer seine Sehnsucht. Wenn der Frühling kommt, die Bäume blühen, die Wiesen sich schmücken, mag auch der Kukuk mit seiner Jammerstimme Sorgen wecken swylce geác monađ geómran reorde | singeđ sumeres weard, sorge beódeđ | bitter in breósthord. v. 53 ff. – denn was manche zu dulden haben, die weite Seefahrten machen, weiss der Glückliche nicht – da schweift des Seemanns Sinn über des Walfisches Heimath bis an die Enden der Welt und reizt ihn unwiderstehlich auf den Todweg des Meeres. Liegt ihm doch mehr an den Freuden des Himmels (wenn ihn auf dem Meere früher der Tod träfe), als an diesem todten vergänglichen Leben auf dem Lande, das auch Alter, Krankheit oder Schwerthass bedrohen. Nur darauf kommt es an, dass der Mensch 83 rechtschaffen handelt, und so die ewige Seligkeit erlangt. Das irdische Glück ist ein ganz vergängliches. Die besseren Zeiten sind dahin (v. 80 ff.); der Adel der Erde ist gealtert und verwelkt. So ist schliesslich auch das Loos des Einzelnen. Nichts hilft ja dem Todten irdisches Gut. Gott muss man fürchten, demüthig leben, um die Gnade des Himmels zu erwerben. Denken wir darum stets nur an das ewige Leben!

 

Zu dieser Klasse von Dichtungen kann auch »Die Klage der Frau« gerechnet werden, ein Gedicht von 53 Langzeilen Thorpe, Cod. Exon. pag. 441 ff. – Wülkers Bibl. Bd. I, S. 302 ff. – – Wülkers Grundriss S. 224 ff., das man bezeichnender »Die Klage der Verbannten« zu betiteln hat. So hat es schon Thorpe betitelt: The Exile's Complaint, der aber in dem Exile keine Frau sah. – Eine Art Seitenstück bildet das Gebet eines in der Verbannung lebenden Mannes bei Thorpe l. l. pag. 452 ff. und in Greins Bibl. Bd. II, S. 283 ff. Vgl. Wülker, Grundriss S. 316 f. Die treue Gattin ist bei ihrem Gemahl durch seine Verwandten verläumdet, von ihm verlassen, ja in eine Waldöde verbannt worden, wo sie nun ihr einsames sehnsuchtsvolles Leben, der gebrochenen Gelübde sowie der fernen Freunde gedenkend, beklagt. Die stimmungsvolle Schilderung der Natur (v. 27 ff.) gibt dieser kleinen Dichtung einen Reiz. Ihr volles Verständniss aber fehlt uns, da der Dichter offenbar die Kenntniss einer uns unbekannten Sage, deren Heldin die Klagende ist, voraussetzt. Nur halte ich darum das Gedicht nicht für ein Fragment aus einer grösseren Dichtung, wie das andre kleine Stück des Exeter Cod. (S. 412 ff.), welches Grein (Bibl. Bd. I, S. 246) »Botschaft des Gemahls« betitelt hat, und das uns hier nicht weiter interessirt.

 

Eine Verwandtschaft mit diesen elegischen Dichtungen zeigt eine Paraphrase des 50. Psalms, welche in einer Handschrift der ersten Hälfte des neunten Jahrhunderts überliefert, ein höheres Alter beanspruchen darf. Anglosaxonica, quae primus edid. Dietrich. Marburg 1854. ( Ind. lection. per sem. hibern.). – Grein, Biblioth. Bd. II, S. 276 ff. Sie hat eine Einleitung (von 30 Langzeilen), worin der angelsächsische Dichter David, den berühmtesten Harfner unter dem Himmel, verherrlicht und das Motiv dieses Psalms, der das Erbarmen Gottes mit dem Sünder erfleht, in dem Zorne Gottes wegen der von David an Urias und Bathseba vollbrachten Missethaten darlegt. Der 84 Paraphrase selbst folgt dann noch ein Schlusswort (v. 146–157), das in einem kurzen Gebet endet.

Die Lyrik der Angelsachsen ist sonst nur durch geistliche Hymnen in dieser Periode vertreten, von welchen ja schon Cädmon ein Beispiel gab. Eine solche alte In Dietrichs Anglosaxonica (s. die vorige Anm.) S. XII. – Grein, Bibl. Bd. II, S. 290. findet sich auch in der oben erwähnten Handschrift überliefert (43 Langzeilen). Sie ist an Gott Vater und Sohn gerichtet; die Gemeinde wird zu seiner Lobpreisung aufgefordert, zu deren Schluss um Vergebung der Sünden gebeten wird. Die Hymne beginnt: Wuton wuldrian weorada dryhten. Der Ausdruck ist von einer einfachen Würde.

 


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