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Fünftes Kapitel.

Hagiographie. Heiligenleben in Versen und Prosa.

Die Hagiographie, die uns von der Poesie zur Prosa überleiten kann, da sie in beiden Formen vertreten erscheint, fand auch in dieser kürzeren Zwischenperiode keine geringe Pflege, da der Heiligenkultus noch immer im Aufblühen begriffen war, wie uns auch schon die geistliche Lyrik gezeigt hat. Auf diesem Gebiete der Literatur entwickelte die mannichfaltigste Thätigkeit einer der wissenschaftlich gebildetsten Geistlichen Germaniens damals, der Bischof von Utrecht, Radbod.

Radbod Opera ed. Migne in Patrol. lat. T. 132. – – Histoire littér. de la France T. VI, p. 158 ff. – Dümmler N. A., S. 549 f. – Wattenbach, Deutschl. Geschichtsquellen 5. Aufl. Bd. I, S. 349 f. – Vita in: Acta S. S. ord. S. Bened. T. VII, p. 25 (Praef. Mab.). war von edler Geburt: er stammte mütterlicherseits von dem alten Friesenfürsten gleichen Namens, nach dem er von seiner Mutter genannt worden war. Sein geistlicher Sinn soll sich schon von früher Jugend an kundgethan haben; selbst seinem Namen gab man eine dem entsprechende Deutung. Nomen eius mysterio non vacat, quod consilii nuncium latine possis reddere: a Christo enim mittendus erat optimi consilii legatus ad Frisios. Vita S. Radbodi c. 1. Frühe wurde er in die Studien eingeführt, zuerst durch seinen Oheim, den Erzbischof von Köln, Gunthar, dann nach dessen Absetzung (863), in der westfränkischen Hofschule, unter Karl dem Kahlen und seinem Sohne Ludwig II., So besuchte er also die Schule noch nach dem Jahre 877, in welchem Karl der Kahle starb; da Ludwig 879 starb – auch Manno 880 – ist sein Abgang von der Schule spätestens 879 zu setzen, höchst wahrscheinlich aber schon früher, da es in c. 3 der Vita heisst: Postquam autem Carolus, sub quo adolescentiae annos exegit, e vita decessit, suos volens invisere, Lomaganium adiit. Das Datum ist deshalb von Bedeutung, weil das Geburtsjahr Radbods nicht überliefert ist. durch den gelehrten Manno. Eine Frucht dieser Studien Radbods war eine für jene Zeit seltene grammatische und metrische Bildung, von der seine lateinische Poesie und Prosa zeugen. Die Gelehrsamkeit, durch welche er sich auszeichnete, hat auch wohl zu seiner Berufung auf den erledigten Bischofsstuhl von Utrecht (899) beigetragen. Nach der Verwüstung dieser Stadt durch 185 die Normannen verlegte er aber seinen Sitz nach Deventer, wo er im Jahre 917 starb.

Ganz seinem Amte hingegeben, asketisch lebend, verschmähte Radbod an den weltlichen Händeln theilzunehmen, wohl aber huldigte er in seinen Mussestunden Er sagt selbst in der Ecloga pro S. Lebuino: Sed refert, quid quisque canat: nos otia foeda | In melius mutasse rati etc. der Dichtung, und selbst der profanen. Von letzterer hat sich wenigstens ein Gedicht erhalten, welches, weit anziehender als seine geistlichen, das beste Zeugniss von seiner poetischen Befähigung ist, denn diesem Gedicht lässt sich kaum ein andres lateinisches aus dieser Periode zur Seite stellen. Es sind die Versus de hirundine , 22 Distichen, Herausgeg. von Dümmler in: Zeitschr. f. deutsch. Alterth. N. F. Bd. 7, S. 388 f. in welchen aber von Beginn die Schwalbe selbst redend eingeführt wird, und sich und ihr Leben schildert, und am Schlusse den Menschen ermahnt, sich mit ihr zu vergleichen, um die Vorzüge seiner mit Vernunft begabten Natur werth zu schätzen. Ein ungekünstelter frischer Ausdruck, eine gemüthvolle Beobachtung der Natur zeichnet dieses Gedicht aus.

Radbods geistliche Werke sind alle der Verherrlichung der Heiligen gewidmet. So hat er Antiphonen auf den heiligen Martin, den er besonders als seinen Schutzpatron verehrte, So hat er auch eine Oratio in fünf epanaleptischen Distichen an ihn gerichtet, worin er um seine Hülfe bei seinem Tode bittet. Sie findet sich in Monum. German. hist., Scriptores T. II, p. 218. gedichtet; Namentlich wegen des über die Normannen 903 durch seine Reliquien davongetragenen Siegs, s. über denselben weiter unten. Die Antiphonen sind herausgeg. von Moll, Kerkhistor. Archief III, S. 213 ff. so besitzen wir von ihm ein sogenanntes Carmen allegoricum auf den heiligen Suitbert und eine Ecloga auf den heiligen Lebuin. Das erstere besteht aus 44 Distichen, und führt seinen eigenthümlichen Titel offenbar nur wegen der reichen bildlichen Ausdrucksweise, indem der Heilige als ein »neues Licht«, das die Angeln und Franken erleuchtete und die sächsischen und friesischen Fluren befruchtete, im Eingang gefeiert wird, wie späterhin Christus als Sonne. Im übrigen ist es nur das allgemeine Lob des kühnen und begeisterten Missionars, ohne individuelle Färbung, das hier Suitbert, dem Stifter von Kaiserswerth, zu Theil wird, welcher, ein Angelsachse, gleichzeitig mit dem Gründer des Utrechter Bisthums, 186 Willibrord den Friesen das Evangelium predigte. Zwei Züge sind in diesem Gedichte bemerkenswerth, der Gebrauch der antiken Mythologie als poetischen Schmucks und eine gelegentliche so detaillirte Anführung musikalischer Terminologie, dass man auch bei diesem durch seine Gelehrsamkeit hervorragenden Autor eine besondere musikalische Kenntniss annehmen darf. Die Hist. littér. hat hierauf auch schon aufmerksam gemacht a. a. O. S. 162.

Die »Ecloga«, in 82 Hexametern, ist wohl so betitelt, weil der Dichter, den Schluss motivirend, in seiner Bescheidenheit seine Muse eine bäuerliche nennt, die nicht zu lange gelehrte Ohren beleidigen dürfe. Uebrigens fehlt auch hier in dem Preise des Heiligen die individuelle Charakteristik; nur die Erklärung der angelsächsischen Namensform, die der lateinischen Lebuinus zu Grunde liegt: Liafwin durch carus amicus , macht eine Ausnahme. Auch dies Gedicht zeichnet sich durch eine bilderreiche Darstellung aus; wohl gelungen ist der Eingang, in welchem die Ankunft des Missionars Auf dessen Persönlichkeit wir unten bei seiner von Hucbald verfassten Vita zurückkommen. nach stürmischer Fahrt an den Ufern des Rheins lebendig geschildert wird, hier zeigt sich der poetisch beanlagte gelehrige Schüler des Virgil. Auch Lebuin gehörte zu den Vätern der Utrechter Kirche.

Radbods geistlicher Poesie entspricht auch seine Prosa: es sind Predigten zur Festfeier der Heiligen, und zwar auch der beiden zuletzt erwähnten, von ihm besungenen, die seiner Kirche besonders werth waren. In dem Sermon auf den heiligen Suitbert wird derselbe als Muster für die Lehre empfohlen, die Vorschriften der Religion nicht nur zu vernehmen, sondern auch im Handeln zu erfüllen, namentlich ehe man sie selbst lehren will. Von dem Leben des Heiligen aber gesteht Radbod nichts anderes berichten zu können, als was Beda mitgetheilt, Hist. eccles. l. V, c. 11. den er wörtlich citirt: dafür entwirft er in einem mit Metaphern und Vergleichungen reich geschmückten Stil das Idealbild eines Bischofs als Suitberts Porträt. In der andern Homilie wird der heilige Lebuin, dessen Vorbilder der Bekenner Willibrord und der Märtyrer Bonifatius waren, als Muster der Unerschrockenheit gerühmt, seiner Lebensgeschichte aber nicht 187 im einzelnen gedacht, vielmehr auf den Vortrag seiner Legende verwiesen. Derselbe Schmuck der Rede findet sich auch hier. Eine Anführung des Plautus, die freilich von einer vollen Unkenntniss desselben zeugt, ist wohl erwähnenswerth: quoniam bona, quae de ipso (S. Leb.) dici queant, ultro se offerunt, quae si quis omnia exponenda praesumeret, Tullianae Plautinaeve eloquentiae floribus indigeret. Einen andern Charakter, als diese beiden Sermone, hat ein dritter uns noch erhaltener auf die heilige Amalberga. Hier bildet den Kern des Inhalts die Vita selbst. Amalberga, von vornehmer Geburt und ausgezeichneter Schönheit († 772), führte nach dem Tode ihrer Eltern auf dem grossen, von ihnen geerbten Grundbesitz an der Schelde, zugleich mit ihrem Bruder, ein asketisches Leben, reiche Almosen spendend. Der Ruf ihrer Schönheit erweckte in Karl dem Grossen den Wunsch sich mit ihr zu vermählen, aber sie wies seine Anträge zurück, ja sie flüchtete in ihr Oratorium, um seinem Andringen zu entgehn, und lag dort auf dem Boden wie angewurzelt, so dass als der König sie mit Gewalt entfernen wollte, er den Arm ihr zerbrach. – Sie wollte ihrem Bräutigam Jesu treu bleiben. Mit einer schwungvollen Apostrophe an die Heilige schliesst dieser Sermo, der, im allgemeinen in einem einfacheren Ausdruck gehalten, von der geistlichen Beredsamkeit Radbods ein gutes Zeugniss ablegt.

Noch ein Sermon Radbods ist erwähnenswerth, da er eine gewisse Bedeutung für die Geschichte seiner Zeit hat. Libellus cuiusdam episcopi Traiectensis de quodam S. Martini miraculo, in: Supplement aux Chroniques de Touraine par A. Salmon. Tours 1856 (Publié par la société archéologique de Touraine). – Das Libell ist aber in der Form eines sermo , als welchen es selbst sich bezeichnet, gegeben und offenbar auch als solcher zunächst gehalten worden. S. darüber Mabille, Les invasions normandes dans la Loire et les perégrinations du corps de St. Martin in: Bibl. de l'école des chartes 6 e sér. T. V, p. 149 ff. In demselben feiert er nämlich einen Sieg, welchen die Reliquien des heiligen Martin über die Tours stürmenden Dänen im Jahre 903 davongetragen. Beim Anblick ihres Schreines hätte die Heiden ein wahres Entsetzen ergriffen, so dass sie den Verstand verloren und wie trunken herumtaumelnd von den ausfallenden Christen niedergemacht wären. Dies Mirakel wird von Radbod so gepriesen, dass er es selbst dem Stillstand der Sonne bei Josua's Triumph vergleicht. Uebrigens gibt er in Anbetracht der grossen Entfernung Tours' von Utrecht der Kritik der 188 Zweifler – und es ist interessant, dass auf eine solche Kritik schon gerechnet wurde – den Wahnsinn und die auf 900 angegebene Zahl der getödteten Dänen im voraus preis, indem er nur den Sieg selbst als unanfechtbar erklärt. Die Stelle verdient in der Hauptsache angeführt zu werden: – – omnes opusculi huius lectorea fraterna voce praemoneo, ne me idcirco contra fidem historiae fecisse calumnientur, quia quod incertum est, eo ordine digessi, quo fama id disseminante didiceram; qua in re dari mihi veniam obsecro. pag. 11. Von der insania Danorum und dem numerus occisorum aber heisst es pag. 12: quae omnia nec affirmo nec abnego, sed scrutatoribus importunis inquirenda relinquo. Die Stelle ist aber, zumal in ihrem ganzen Zusammenhang, auch ein Zeugniss für die Wahrheitsliebe des Autors.

 

Auf diesem Felde der Hagiographie hat sich besonders ausgezeichnet, wie wir schon oben andeuteten, der gelehrte Hucbald von St. Amand. Nicht weniger als vier Vitae sind von ihm überliefert. Hucbaldi Opp. in: Migne's Patrol. lat. T. 132, p. 827 ff. Und obwohl auch sie die Absicht der Erbauung haben, so lässt sich doch nicht verkennen, dass auch historischer Sinn und Interesse den Autor bei ihrer Abfassung geleitet hat; dies gilt namentlich von dem Leben der heiligen Rictrud und in noch höherem Grad von dem des heiligen Lebuinus. Die erstere Vita ist auf Bitten »der Kleriker und Nonnen« des vom heiligen Amandus gegründeten Klosters Marchiennes im Jahre 907 verfasst, wie in einer Zuschrift an den Bischof Stephan von Lüttich der Autor mittheilt. Dieses flandrische Kloster war, so berichtet unsre Vita selbst (c. 10), ursprünglich nur für Mönche bestimmt, aber schon unter dem ersten Abt, dem Schüler des Amandus, Jonatus wurden auch Nonnen »aggregirt«, denen dann Rictrud selbst sich anschloss, die ihrem Hause vorstand und es reich dotirte. Hucbald weigerte sich zuerst, den Bitten Folge zu geben, weil sichere schriftliche Quellen fehlten, die durch eine Verwüstung, welche das Kloster von den Normannen erlitt, untergegangen waren; doch hatte ihr Inhalt sich durch mündliche Tradition erhalten.

Der Verfasser beginnt seine Erzählung mit der Taufe Chlodwigs und seines Volkes sowie der Ausbreitung der Herrschaft der Franken Deren Abstammung von den Trojanern er im Eingang erwähnt. und des Christenthums, die sich dann unter Dagobert auch über das Baskenland erstreckte: hierbei wird 189 der Beziehungen dieses Königs zu dem heiligen Amandus, dessen Vita hier die Hauptquelle Hucbalds war, S. Bd. I, S. 579 und vgl. Bd. II, S. 278 f. ausführlicher gedacht. Aus Wasconien aber, das damals noch grösstentheils heidnisch, stammte Rictrud, die von edler Herkunft war. Die Vereinigung dieses Landes mit dem Frankenreiche führte denn auch einen jungen Edlen aus Belgien, Adalbald dorthin, der die durch Schönheit, Reichthum und Geschlecht ausgezeichnete Jungfrau heimführte, trotz des Widerspruchs einiger ihrer Blutsverwandten (c. 5). Eine Frucht dieser Ehe waren vier Kinder. Als aber Adalbald einmal die Heimath seiner Frau wieder besuchte, wurde er dort von jenen Blutsverwandten derselben getödtet (c. 7). Rictrud beschloss jetzt auf den Rath des heiligen Amandus, sich Christus zu weihen. Doch der König selbst drängte sie zu einer zweiten Heirath mit einem seiner »Optimaten«. Da wusste die fromme Wittwe, von dem Heiligen berathen, durch eine List ihr Ziel zu erreichen. Sie lud den König mit seinen Grossen zu einem Gastmahl, und bei dem heitern Gelage fragt sie ihn, ob er gestatte, dass sie in ihrem Hause was sie wünschte frei vor ihm thun dürfe. Der König, der einen Scherz erwartet, gewährt es, worauf Rictrud den von dem Bischof geweihten Schleier aus dem Busen zieht und mit ihm sich verhüllt (c. 8). Die Heilige begnügte sich aber nicht damit, selbst in das Kloster zu gehen, sie weihte auch ihre drei Töchter, die noch in zartem Alter waren, dem Himmel; auch der Sohn Marontus, der erstgeborne, der im königlichen Dienste stand, folgte später, obgleich er schon verlobt war, ihrem Beispiel, auch, wie Hucbald sagt, auf des Amandus Antrieb. Er wurde Abt des Klosters Broil (c. 15). Er bekleidete auch eine Zeit lang die Stelle eines königl. Kanzlers. Denn es heisst hier: Et ut clara editus prosapia, regis quoque praeclarus fulsit in aula, regia honoratus bulla, utpote prudens notarius regalium praeceptorum conscribena edicta. So fielen die ganzen bedeutenden Güter dieser Familie der Kirche zu. Bemerkenswerth ist, dass eine der Töchter noch als Kind, d. h. im zwölften Jahre Aebtissin eines Klosters wurde, in dieser Würde einer verstorbenen Verwandten folgend. Und diese Aebtissin liess die Mutter, weil sie ihr nicht gehorchte, von dem eignen Bruder, dem Abte, aufs härteste körperlich züchtigen (c. 17), so dass man ihre spätere Kränklichkeit dieser Strafe schuld gab. Noch 190 zu Hucbalds Zeit erregte dies Verfahren solchen Unwillen, dass er hier zu einer heftigen Diatribe gegen die Tadler sich veranlasst sieht. Sie gingen freilich soweit zu sagen: En quales isti dicuntur sancti! c. 18. – Rictrud starb im 74. Lebensjahre 687.

Bedeutender als diese Vita, die doch schon einige historisch interessante Züge enthält, ist das dem Bischof Balderich von Utrecht gewidmete Leben des heiligen Lebuinus, Opp. ed. l. p. 875 ff. – Theilweise in: Monum. German. hist, Script. II, p. 360 ff. – – Rettberg, Kirchengesch. Deutschlands Bd. II, S. 405 f. – Kentzler, Ueber die Glaubwürdigkeit der Vita Lebuini und die Volksversammlung der Sachsen zu Marklo, in: Forschungen zur deutschen Gesch. Bd. VI, S. 343 ff. welches von den Zeitgenossen sehr hoch geschätzt wurde. Wie Briefe angesehener Cleriker – so des Odilo von Soissons – und selbst ein an Baldrich gerichteter Panegyricus in Distichen auf diese Vita, deren Stil mit dem des Cicero verglichen wird, zeigen. S. diese Zeugnisse bei Migne l. l. p. 875 und p. 628. Da Balderich im Jahre 918 der Nachfolger Radbods wurde, so ist damit wenigstens der terminus a quo der Abfassung gegeben. Auch in dieser breit angelegten Vita zeigt Hucbald das Streben, den Forderungen der Geschichtschreibung Rechnung zu tragen, zugleich aber mit seiner theologischen Gelehrsamkeit durch eine Fülle von Citaten aus den verschiedenen Büchern der Bibel zu glänzen. Zur Herstellung der Vita selbst hat er mit allem Fleisse die verschiedensten Werke benutzt.

Nachdem er im Eingang auf Grund der Gedichte Radbods auf Suidbert und Lebuin S. oben S. 185 f. den Heiligen als ein Licht des Abendlands gefeiert und seinen Namen erklärt hat, schildert er kurz dessen Vaterland Britannien und seine Christianisirung, auf Gregors des Grossen Leben verweisend, um zu zeigen, wie von dort Francien wahre Apostel erhalten habe, unter denen auch Lebuin glänzte. – Den liberalen wie den heiligen Studien hingegeben, fleht dieser als Jüngling Gott an, ihm die Weisheit zu senden, die ihm dann auch erscheint, sowie sie einst von einem ihrer Freunde (Boëtius) geschildert worden. Die Weisheit ist hier aber Christus (c. 3). Indem dann Hucbald berichtet, wie Lebuin Kleriker und Presbyter wurde, entwirft er, um ihn selbst zu charakterisiren, das Idealbild eines Geistlichen. Erst im siebenten Kapitel hebt die Erzählung von seiner missionaren Thätigkeit an. Lebuin begibt sich nach 191 Utrecht, »vor alters castrum Wiltenburg genannt«, zu Gregor, des Bonifatius Schüler, der dort das Bisthum verwaltete. S. über ihn Bd. II, S. 107 f. (Die Erwähnung des Bonifaz veranlasst den Autor hier, c. 8, einen Abriss von dessen Leben einzuschalten). Gregor aber weist Lebuin als Arbeitsfeld das Land an der Yssel an und gibt ihm zum Gehülfen den Marcellinus, einen Schüler des Willibrord, von welchem letzteren einiges hier mitzutheilen sich Hucbald auch nicht enthalten kann (c. 9). Lebuins missionare Wirksamkeit war auch eine erfolgreiche, zwei Kirchen konnte er erbauen, die eine am Westufer der Yssel zu Wilpa (Wulpen), die andre am Ostufer zu Deventer, wo er selbst seinen Aufenthalt nahm. Aber ein Einfall der über die Ausbreitung des Christenthums wüthenden Heiden zerstörte durch Brand diese Kirche und nöthigte ihn zur Flucht. Lebuin wurde jedoch nicht entmuthigt, er beschloss vielmehr mitten in das heidnische Sachsenland hinein zu ziehen, um den Feind an seiner Hauptstätte zu bekämpfen. Er begab sich nämlich auf die jährliche Volksversammlung der Sachsen zu Marklo unweit der Weser, Der Ort wird von Hucbald als » in media Saxonia« bezeichnet. S. über seine Lage Abel, Karl der Gr. Bd. I, S. 96, Note 5. wo Abgeordnete aller ihrer Gaue, aus den drei Ständen der Edelingi, Frilingi und Lassi gewählt, sich vereinten. Der Landtag wurde nach der Väter Sitte mit den Göttern dargebrachten Gelübden und Opfern eröffnet. Dies war für den Heiligen das Signal seine Sendung zu erfüllen. Mit dem Kreuz in der einen, der Bibel in der andern Hand, hält er an die sprachlos erstaunten eine feurige Rede, welche die Götzen verdammt, den einzigen Gott predigt und mit der Drohung schliesst, dass der Himmelskönig den tapfern König der Franken bestimmt habe, mit Feuer und Schwert sie heimzusuchen, wenn sie in ihrem Irrthum beharrten (c. 11 f.). – Die erbitterten Sachsen rissen schon Pfähle aus, um Lebuin zu spiessen, als er durch einen der Ihrigen gerettet wurde, der seine Eigenschaft als unverletzlicher Gesandter, und zwar Gottes selbst, In Wahrheit vielleicht des Frankenkönigs, Karls des Grossen. geltend machte. So liess man ihn ziehen (c. 13). – Nachdem noch Hucbald der Beredsamkeit Lebuins Lob gezollt, gedenkt er seines Todes und seiner Bestattung in der Kirche von Deventer, die von 192 ihm wiederhergestellt worden war. Nach seinem Tod aber erfuhr sie eine neue Zerstörung. Liudger fand später, durch eine Vision geleitet, die Gebeine des Heiligen und baute eine neue Kirche über seinem Grabe auf, an dem dann auch Wunder nicht fehlen sollten, deren aber hier nicht weiter gedacht wird.

Diese Vita eines geschichtlich denkwürdigen Mannes, die auf für jene Zeit sehr gründlichen Studien mannichfacher historischer Werke beruht, Ausser den im Texte oben schon angezeigten hat Hucbald namentlich Altfrids Vita Liudgeri, dann die Vitae des Bonifatius, des Willibrord, des Gregor von Utrecht, sowie Beda's und Nithards histor. Werke benutzt. erhebt sich weit über die gewöhnlichen Heiligenleben und auch über zwei andre, die Hucbald noch verfasst hat. Das eine, die Vita S. Aldegundis , ist nur eine Bearbeitung einer alten eines Zeitgenossen der Gründerin des Klosters Maubeuge, auf den Wunsch der Nonnen desselben unternommen. Opp. l. l. p.858 ff. – S. Hist. littér. de la France T. VI, p. 218. Hucbald verweist selbst den Leser auf eine ausführlichere Vita, c. 1 § 6. – Dass der Verfasser in der Zuschrift an die Nonnen seinen Namen nicht zu nennen bittet, spricht im Hinblick auf das bei dem Leben der Rictrud zuerst von Hucbald eingehaltene Verfahren (s. die Zuschrift dieser Vita an Stephanus) für seine Autorschaft. Diese Heilige, von königlicher Abkunft, war um das Jahr 630 im Hennegau geboren. Sie war von Jugend auf eine Visionarin. Die Engelserscheinungen, die sie hatte, begründet der Autor den Zweiflern mit den »dämonischen Illusionen«, von welchen die Unreinen heimgesucht werden. Doch wurde auch die Heilige selbst durch Erscheinungen des Teufels heimgesucht, den sie dann über seine verderbliche Wirksamkeit zur Rede setzt (c. 6, § 26). Es erinnert dies an die angelsächs. Juliane. S. oben S. 53. Das äussere Leben der Heiligen ist übrigens sehr einfach. Die Eltern wollen sie vermählen, sie will aber Christus' Braut sein. Sie flieht deshalb in eine Einöde: die Eltern geben nach. Doch nach deren Tode sucht der ihr Verlobte sich ihrer zu bemächtigen. Sie verbirgt sich vor ihm in einer waldigen Gegend, Melbodius geheissen; dort nimmt sie, von St. Amandus berathen, den Schleier und gründet das Kloster (c. 4). Eine ganze Reihe recht unbedeutender Mirakel darf zum Schlusse nicht fehlen. – Bemerkenswerth in formaler Beziehung ist, dass an ein paar Stellen (c. 3 und c. 5) 193 einige Hexameter, zum Theil leoninische, in die Prosa sich eingemischt finden. Aus einer älteren, versificirten Vita können sie nicht wohl entlehnt sein, schon weil leoninisch; in solchem Falle würden sich auch reichlichere Citate finden: es sind im ganzen nur neun Verse.

Die vierte hagiographische Schrift Hucbalds ist die Passio S.S. Quirici et Julittae martyrum. Opp. l. l. p. 851 ff. Diese Schrift, die einen sermonartigen Charakter hat, ist direct für den Festgottesdienst der Heiligen bestimmt gewesen. So heisst es am Ende des ersten Absatzes: (Deus) largietur nobis gaudia, suffragantibus horum meritis sanctorum, quorum nunc veneramur solemnia. Dagegen lässt sich nicht mit der Hist. littér. de la France T. VI, p. 216 annehmen, als sei die Passio bei Gelegenheit der Translation der Reliquien nach St. Amand verfasst worden, da dieser Translation darin gar nicht gedacht wird, obgleich doch die frühere nach Chartres am Schlusse erwähnt wird. Sie ist zum Ersatz für eine alte, von der Kirche selbst als apokryph erklärte Passio – wohl aber unter deren Benutzung Wie die Hist. littér. geradezu behauptet. – verfasst. Der Inhalt ist sehr einfach: Cyricus ist noch nicht ganz drei Jahr alt und wird noch von der Mutter Julitta gesäugt, als diese um das Jahr 226 während der Christenverfolgung zu Tarsus vor den Präses gefordert wird, um den Göttern zu opfern. Sie lässt ihr Kind nachkommen; und dieses bekennt sich denn ebenso wie sie selbst trotz aller Folter zum Christenthum. Ins Gefängniss geworfen, bekehren sie 444 Heiden; dieselben erleiden dann sammt ihnen selbst den Märtyrertod. Diese Passio ist ein rein rhetorisches Product, das nur wegen der besondern Verehrung, die dem kindlichen Heiligen auch später noch in Frankreich wurde, Denn Quiricus, auch Cyricus geschrieben, ist St. Cyr. von Interesse ist. Uebrigens zeichnen sich diese hagiographischen Werke Hucbalds vor andern in Bezug auf den Stil und Ausdruck aus, die auch seine höhere Bildung bekunden.

 

Zu den erwähnenswerthen Vitae dieser Periode gehört auch das Leben eines Heiligen, dem wir als Autor bereits in der vorigen begegnet sind. Ich meine den heiligen Rimbert, den Verfasser der Vita Anscarii. S. Bd. II, S. 341 ff. Rimbert, der Nachfolger des heiligen Ansgar in dem Hamburger Erzbisthum, ist auch 194 schon als Missionar von historischer Bedeutung. Seine Vita Vita Anskarii auctore Rimberto. Accedit Vita Rimberti. Recens. Waitz. Hannover 1884. ( Script. rer. German. in usum scholar.). ist im ersten Jahrzehnt des zehnten Jahrhunderts und zwar noch vor dem Jahre 909 S. c.12, wo es von Rimberts Nachfolger († 909) heisst: adhuc hodie superest. verfasst, vielleicht von einem Mönch von Corvey. S. Adam, Gesta Hamburg. eccles. Pontif. l. I, c. 37.

Der Verfasser beginnt mit der Gründung der Kirche und des Erzbisthums von Hamburg, das dem Ansgar verliehen wird. Zur Deckung der Kosten wird dieser Mission die Celle Thurholt in Gallien zu Theil. Dort sieht Ansgar eines Tags in einer zur Kirche eilenden Knabenschar Rimbert, der durch ein ernsthaftes frommes Wesen von seinen Genossen sich unterscheidet. Mit Einwilligung der Eltern schert er ihn und lässt ihn in der Celle in den Wissenschaften sorgfältig unterrichten (c. 3). Diese Auserwählung Rimberts durch Ansgar wird aber von unserm Autor als ein Werk göttlicher Inspiration hingestellt, die Ansgar öfters in Visionen und Träumen zu Theil ward und das Zukünftige erkennen liess (c. 5). Vgl. Bd. II, S. 342. Solche Träume hatten aber auch andre in seiner Umgebung und auch Rimbert selbst, dem ein im Fegefeuer schmachtender Presbyter erscheint, um ihn zu bitten, durch Fasten, was er selbst unterlassen, sein Leiden abzukürzen: diese Zumuthung erfüllt denn auch der opferwillige Heilige (c. 8), worauf der Presbyter einem alten Weibe erscheint und sie mit der Abstattung seines Dankes bei Rimbert beauftragt. Man sieht da recht, wie ansteckend solche ecstatische Zustände wirkten.

Auf die Empfehlung Ansgars selbst wird nach dessen Tode Rimbert zu seinem Nachfolger erwählt (c. 10 f.), bei dessen eigenthümlicher Einweihung, in Folge des Mangels von Suffraganbischöfen, der Autor länger verweilt. Der neue Erzbischof aber eilte alsbald nach Corvey, um einem früheren Gelübde gemäss in den Mönchstand zu treten. Von dort nahm er dann, um in der Beobachtung der Regel des heiligen Benedict sicher zu gehen, auf seinen Bischofssitz einen Diacon Adalgar, den Bruder des gleichnamigen Abtes, mit, welcher später Rimberts Nachfolger werden sollte (c. 12). Die Vita schildert darauf die 195 Lebensweise des erzbischöflichen Mönchs, der im Wachen und Fasten verständig Mass zu halten wusste. Die zum Wohle der Armen von seinem Vorgänger getroffenen Einrichtungen, namentlich auch das Hospital, pflegte er weiter. Aber er sorgte auch für geistige Nahrung, indem er aus den Büchern des heiligen Gregor zum Nutzen der Leser einen Auszug machte und manche erbauliche Briefe an verschiedene verfasste, wovon ein Beispiel – ein Schreiben an eine Nonne, das namentlich über die Keuschheit des Herzens sich verbreitet – hier mitgetheilt wird (c. 15). – Von der missionaren Thätigkeit, die er selbst wie durch seine Presbyter entfaltete, ist leider nur im allgemeinen die Rede (c. 16 ff.). Wir erfahren, dass er sie auch über das Meer hin erstreckte bis nach Schweden (c. 20), die Kirchen der Diaspora besuchte und namentlich die gefangenen Christen um jeden Preis wo er konnte loskaufte, gab er doch selbst einmal in Schleswig sein Pferd mit Sattel und Zaum für eine gefangene Christin hin; so nahm er denn auch keinen Anstand die Altargefässe zum Lösegeld zu verwenden. Er war ebenso weichen Gemüths als festen Charakters. Für seine Handlungen bezog er sich gern auf Eingebungen Ansgars, der ihm erscheine (c. 19). Auch Mirakel wurden von ihm erzählt, aber auch hier finden wir die Bemerkung wieder, dass man an dergleichen nicht mehr glauben wolle (c. 20). Set quia nostris temporibus, ut dicit psalmista, defecit sanctus et diminutae sunt veritates a filiis hominum, nec facile accipitur, quenquam ex modernis viris talia fecisse – – Im Alter vom Podagra geplagt, erhielt er einen Coadjutor in dem Adalgar, der sein Nachfolger wurde. Rimbert ward neben Willehad vor der Kirche in Bremen bestattet, aber eine Kapelle über seinen Gebeinen erbaut.

 

Auch kulturgeschichtlich nicht uninteressant ist die Vita eines irischen Asketen, der ein abenteuerreiches Leben als Reclusus in einem deutschen Kloster beschloss: es ist der heilige Findanus. Er starb 878 in Rheinau. Seine Vita Vita s. Findani confessoris in Mone, Quellensammlungen der badischen Landesgeschichte Bd. I. Karlsruhe 1848. S. 54 ff. – – Rettberg, Kirchengesch. Deutschlands Bd. II, S. 125 f. ist von einem Zeitgenossen, offenbar auch einem Iren, verfasst worden. Dass der Verfasser ein Zeitgenosse, ergibt sich schon aus dem Schlusse des ersten Kapitels, noch mehr aus dem des siebzehnten, welcher eine ihm selbst von Findan gemachte Mittheilung enthält. – Dass er aber ein Ire war, ist gewiss daraus zu schliessen, dass einige Reden des Heiligen in irischer Sprache angeführt sind (capp. 11, 14, 18, 19), zumal im Original nicht einmal eine Uebersetzung hinzugefügt war. Dagegen kann ich nicht mit Mone (Einleitung) annehmen, dass der Verf. als Begleiter Findans nach Rheinau gekommen sei, denn über dessen Pilgerfahrt nach Rom und von dort weiss er ja gerade fast nichts zu berichten; es erscheint mir sogar zweifelhaft, ob er überhaupt ein Mönch des Klosters Rheinau war: würde er dann z. B. c. 12 cum permissu abbatis sui gesagt haben? Ebenso wenig kann ich mit Rettberg und Wattenbach die Biographie für eine sehr fabelhafte halten, da unter den keltischen Uebertreibungen der Kern der Wahrheit doch leicht zu erkennen ist. 196 Findan war der Sohn eines » Miles« in der Provinz Lagenia. Die Familie hatte in Folge der räuberischen Einfälle der Normannen und der steten inneren Streitigkeiten der Iren selbst traurige Schicksale, in denen sich recht das allgemeine Elend des Landes abspiegelt. Zuerst wurde eine Schwester Findans von den die Küste verwüstenden Normannen mit andern Frauen geraubt; Findan, sie auszulösen abgesandt, wird selbst von ihnen gefangen genommen, aber doch nach einer Berathung wieder freigegeben (c. 2 f.). Indessen tödtet der Vater, in einem Streit seines Fürsten mit einem andern, einen Mann der Gegenpartei; die Feinde überfallen deshalb sein Haus und ermorden ihn. Findan selbst entkommt, ein Wergeld wird ihm gezahlt und der Friede wiederhergestellt. Aber die Feinde fürchten dennoch die Blutrache des Sohnes: sie laden ihn zu einem Mahle an der Küste ein, um ihn den Händen der Normannen zu überliefern. Er wird an einen derselben, der in die Heimath zurückkehrt, verkauft. Als das Schiff aber an einer der Orcaden landet, um günstigen Wind zu erwarten, bietet sich Findan die Gelegenheit zu entfliehen; er verbirgt sich in einer Höhle eine Zeit lang, und es gelingt ihm dann auch durch Schwimmen das Festland zu erreichen, nachdem er Gott in heissem Gebet Leib und Seele geweiht und eine Pilgerfahrt nach Rom gelobt hatte (c. 8). Auf dem Lande begegnet er nach einigen Tagen Leuten, die ihn zu dem Bischof führen, welcher, weil er in Irland seine Studien gemacht, mit der Sprache Findans genügend vertraut war. c. 9. Hieraus ergibt sich also, dass an der Nordspitze des heutigen Schottlands die Iren sich damals nicht niedergelassen hatten, die Bevölkerung also wohl aus Picten bestand. Nachdem er bei 197 diesem zwei Jahre verweilt, zog er mit einigen Gefährten durch Frankreich, Alemannien und die Lombardei nach Rom. Ueber diese Romfahrt erfahren wir weiter nichts. Auf der Rückkehr von dort blieb er in Rheinau, wo er mit einem edlen Alemannen geistlichen Uebungen oblag und dann in dessen Kloster trat; hier widmete er sich ganz der Askese, indem er namentlich im Hungern ausserordentliches leistete. Die nervöse Ueberreiztheit, eine Folge solcher Lebensweise, gibt sich auch bei ihm in Visionen kund, und zwar sind es vornehmlich Teufelserscheinungen. Die Schilderung des Teufels in c. 13 ist nicht ohne Interesse: Accidit ut – – daemonem in similitudine hominis cuiusdam mirae magnitudinis, ore aperto, linguaque emissa, manibus expansis, oculis minacibus videret – – – Bemerkenswerth ist noch, dass, ehe Findan in das Kloster trat, er die von Rom in Rheinau angelangten Reliquien des heiligen Blasius selbst nach ihrem Bestimmungsort Albzell trug, der dann nach ihnen seinen späteren Namen erhielt (c. 15 ff.).

 

Einen eigenthümlichen Charakter hat die Vita S. Geraldi In den Opp. Odo's l. l., (s. oben S. 170, Anm. 4), pag. 639 ff. – * Bibliotheca Cluniacensis ed. Marrier, pag. 65 ff. des Odo von Cluny. Denn der Heilige, der hier gefeiert wird, gehörte dem Laienstande an: es ist der Graf von Aurillac, der Gründer des gleichnamigen Klosters (im Anfang des zehnten Jahrhunderts), welches auch für die wissenschaftliche Bildung eine Bedeutung erlangte. Die Vita, in vier Bücher getheilt, ist auch ein umfänglicheres Werk und offenbar mit grosser Sorgfalt von Odo verfasst, der als Abt auch von Aurillac an seinem Helden ein besonderes Interesse nahm. Wie wir aus der Vorrede des ersten Buchs erfahren, pflegten die meisten in Betreff der Wunder des Heiligen zu zweifeln, manche sogar dieselben für ein Werk der Phantasie ( phantasticum) zu erklären. Odo hat selbst Zweifel gehegt. Er hat deshalb in Aurillac selbst bei vier Zöglingen des Grafen, zwei Klerikern und zwei edlen Laien, genaue Erkundigung eingezogen, sie auch einzeln befragt, um zu sehen, ob sie sich nicht widersprächen. So hat er, wie er sagt, Geralds Leben erfahren, das ein so frommes war, dass ihm Wunder zuzutrauen sind, trotzdem die Zeit des Antichrist herannaht, wo die Wunder aufhören 198 müssen. Vgl. auch lib. II, c. 10. Auch ist daran nicht deshalb zu zweifeln, weil er ein Laie und Mächtiger war. Die Mächtigen sollen ihn darum sich zum Muster nehmen. Auf die Aufforderung des Bischofs Turpio und des Abtes Aimo hat Odo die Vita geschrieben, und zwar in einem agrestis stilus , der aber für den demüthigen Helden auch besser passe.

Das erste Buch hat die Aufgabe, die »äusseren Thaten« und das »gewöhnliche«, weltliche Leben des Helden zu schildern. En quaedam de exterioribus gestis eius et communi conversatione digessimus heisst es beim Rückblick im letzten Kapitel dieses Buchs. Der Graf Gerald, zu Aurillac geboren, stammte aus einer vornehmen, reich begüterten Familie, in welcher Religiosität und Frömmigkeit eine erbliche Ueberlieferung waren. Hatte ihr doch auch der heilige Caesarius von Arles angehört. Als der Knabe, nach Absolvirung des Psalterium, decurso psalterio – der erste Unterricht also. c. 4. zu ritterlichen Uebungen übergehen sollte, erkrankte er auf längere Zeit der Art, dass er zwar an jenen, aber nicht am Studium gehindert wurde. Er wurde nun zu diesem um so mehr angehalten, als man glaubte, er werde durch seine Kränklichkeit genöthigt werden, sich der geistlichen Laufbahn zu widmen. So lernte er nicht nur singen, sondern auch die Grammatik. Heranwachsend aber wurde Gerald gesund, ja so kräftig, dass er mit leichtem Sprung über ein Pferd hinsetzte. Blieb er nun auch im weltlichen ritterlichen Stande, so widmete er doch zu seinem Vergnügen manche Stunde literarischer Beschäftigung, sodass er fast vollständig die heilige Schrift durchlas, und in ihrer Kenntniss viele gelehrte Kleriker übertraf (c. 5). Odo charakterisirt dann den Helden, nachdem derselbe zur Regierung gelangt ist, durch manche Anekdoten, von denen einige allgemeineres historisches Interesse haben. Er rühmt namentlich seine Bescheidenheit, Mässigkeit, Keuschheit, Einmal versuchte der Teufel ihn zu verführen, indem Gerald sich in eine schöne Leibeigene verliebte (c. 9). Dies Abenteuer ist nicht uninteressant, insofern es ein Streiflicht auf die Stellung der Herren zu den Unfreien wirft. Einfachheit (auch in der Kleidung, in der er die neumodige Pracht verschmähte [c. 16]), nicht minder seine Freigebigkeit gegen die Armen und seine Milde, die selbst zur Schwäche werden konnte: 199 so erhielt er auch den Beinamen »der Gute« (c. 33). – Die politischen Ereignisse des südlichen Frankreichs, die Unruhen und Kämpfe, welche durch das Streben der »Markgrafen« (Marchiones), die königlichen Lehnsleute sich zu unterwerfen, entstanden (c. 32), betrafen auch Gerald. So machte ihm u. a. eine solche Zumuthung auch der Herzog Wilhelm von Aquitanien, der ihm auch seine Schwester vermählen wollte (c. 34). Aber diese politischen Dinge werden von Odo mehr in einzelnen Zügen berührt, als im Zusammenhange dargestellt.

Auch dem zweiten Buche geht eine Vorrede voraus, welche dieselbe Tendenz als die des ersten hat, die Bezweifler der Heiligkeit Geralds zu bekämpfen. Man machte in der Beziehung auch geltend, dass er sich der Fleischspeisen und des Weines nicht enthalten habe. – In dem Buche selbst wird, wie Odo am Schlusse des vorausgehenden bemerkt, von den Thaten Geralds gehandelt, die er vollbrachte, nachdem er sich ganz »dem Kultus des göttlichen Dienstes« geweiht. – Er wollte selbst Mönch werden, aber ein ihm nahe befreundeter Bischof überredete ihn im Interesse seiner Unterthanen zum Schein im weltlichen Stande zu bleiben. Doch suchte Gerald wenigstens so weit als möglich in heimlicher Weise seinen Wunsch auszuführen (c. 2 ff.). Er beschnitt seinen Bart und machte sich eine Art von Tonsur, die er aber unter seinen Locken verbarg. Auch seine Kleidung suchte er der mönchischen anzunähern. Das Schwert liess er, während er ritt, sich voraustragen, um es nie zu berühren. Diese Aenderung nahm er vor, als er nach Rom reiste, um dem heiligen Stuhl seine Güter ( praedia) zur Gründung des Klosters von Aurillac zu vermachen (c. 4), das direct dem Papst untergeben wurde. Aber nachdem das Kloster nicht ohne Schwierigkeit erbaut worden, machte die Bevölkerung desselben mit Mönchen Gerald fortwährend die grösste Sorge; er liess selbst zu dem Zweck eine Anzahl edler Knaben in einem andern Kloster erziehen, doch misslang die Absicht, da sie wegen Mangels von Lehrern zu früh zurückgekehrt, verwilderten (c. 6). – Odo erzählt dann in diesem Buche namentlich die Mirakel, Obgleich Odo für seine Person mehr Werth auf Geralds fromme Handlungen legt; die erzählten Mirakel, sagt er am Schlusse des Buchs (c. 34), sollen die befriedigen, qui gloriam cuiuslibet sancti non ex quantitate bonorum operum, sed ex numerositate metiuntur signorum. welche Gerald wider 200 Willen vollbrachte, durch die Heilkraft seines Waschwassers,(!) Wunder, die er selbst längere Zeit für Illusion erklärte (c. 10), gegen ihre Annahme sogar heftig sich verwahrend, bis er endlich, wie es scheint, sich selbst von den Gläubigen bethören liess. S. die Erzählung c. 24. Früher liess er sogar, um den Schwindeleien seiner Diener vorzubeugen, das Waschwasser vor seinen Augen ausgiessen (c. 20). Ja er bedrohte jene mit den schwersten Strafen (c. 11). – Das Wort » mundus vult decipi« findet in diesen Wunderberichten ausgezeichnete Belege. Auch gedenkt hier der Verfasser ausführlicher der Romfahrten des Heiligen, die er im ersten Buche schon berührt hatte. l. I, c. 27 ff. Sein Verkehr mit venezianischen Kaufleuten bei Pavia ist kulturgeschichtlich nicht ohne Interesse. Nicht weniger als siebenmal ist Gerald dorthin gezogen mit einem ganzen Geleite von Klerikern und allem kirchlichen Apparat (c. 16 f.). Er bezeichnete jedesmal seinen Weg durch reiche Geschenke, namentlich an Klöster und Arme. So wurde er in Italien ganz populär. Er pflegte über den kleinen Bernhard zu ziehen ( juga Jovina), s. l. II, c. 17.

Das dritte Buch ist dem Lebensende des Heiligen gewidmet, der die letzten sieben Jahre erblindet war. Unter seinen letzten Verfügungen ist bemerkenswerth die Freilassung von hundert Leibeigenen, nachdem er schon früher sehr viele emancipirt hatte, von denen aber gar manche die Freilassung verschmähten (c. 4). Beachtenswerth ist in mehrfacher Rücksicht der folgende Zusatz: Monebatur autem a quibusdam suis, quatenus de familia, quae sibimet affatim superabundabat, maiorem multitudinem iugo servitutis absolveret. Quibus ait: Justum, inquit, est ut lex mundialis in hoc observetur; et ideo numerum in eadem lege praestitutum praetergredi non debere. Quod ad hoc sit commemoratum, ut hinc pateat, quantopere divinis praeceptis adhaeserat, quando etiam legalibus ita se submiserit et humanis. – Gerald wurde in Aurillac bestattet.

Das vierte Buch endlich, das noch kürzer als schon das vorausgehende ist, erzählt die Wunder, welche von den Reliquien ausgingen.

Die Darstellung ist insofern zu loben, als sie klar und einfach, ungesucht und ohne Schwulst ist, leider fehlen alle und jede chronologischen Angaben. An kulturgeschichtlich interessanten Zügen ist diese Vita nicht arm, wie unsre Anmerkungen zeigten.

201 Noch weit weniger als die Vita des Grafen Gerald hat den Charakter der gewöhnlichen Heiligenleben die von Johannes Diaconus abgefasste Biographie des grossen Papstes Gregor I., In: Mabillon Acta S. S. s. o. Bened. saec. I, p. 398 ff. (Migne, Patrol. lat. T. 75, p. 61 ff.). – Ewald, Studien zur Ausgabe des Registers Gregors I., im Neuen Archiv der Gesellsch. f. ältere deutsche Geschichtskunde Bd. 3, S. 429 ff. der doch mehr als die meisten andern die Auszeichnung jenes kirchlichen Titels verdiente. Sie ist, wie die Vorrede lehrt, auf Verlangen des Papstes Johann VIII., der von 872 bis 882 die Tiara trug, also schon ganz im Anfang unsrer, wenn nicht am Ende der vorigen Periode geschrieben. Die in Rom bei einem Fest versammelten Bischöfe hatten die Klage erhoben, dass Gregor, der das Leben so vieler Heiligen geschildert, Damit sind seine Dialogi gemeint, s. über sie Bd. I, S. 580 ff. selbst nur ganz kurze Biographien von einem Sachsen und einem Langobarden erhalten, Der Sachse ist Beda, der lib. II, c. 1 seiner Hist. eccles. einen langen Necrolog Gregors gibt, vgl. Bd. I, S. 597, der Langobarde ist Paulus Diaconus, s. Bd. II, S. 42. und gar nicht aus dem Schooss seiner eigenen Kirche. – Johannes sollte eine ausführliche Lebensgeschichte geben, um so mehr als ihm das päpstliche Archiv zu Gebote stand. Und in der That hat er denn auch eine sehr umfangreiche Vita in vier Büchern verfasst, indem er seinen Stoff zum grössten Theil aus den Erlassen und der Correspondenz Gregors geschöpft hat, diese Documente oft wörtlich theilweise oder ganz aufnehmend. Hierin ruht der Hauptwerth seines Werks, der für seine Zeit ein ausserordentlicher ist. Daneben hat er aber auch die Werke Gregors, seine Dialoge und Moralia namentlich, ausgebeutet und auch seine beiden Vorgänger, deren stilistische Vorzüge er nicht zu erreichen hofft, vornehmlich gründlich Beda, benutzt. So ruht diese Vita auch auf einem ganz andern Material als die gewöhnlichen Heiligengeschichten, obgleich freilich einzelne Züge auch hier mündlicher Tradition entlehnt sind, aber sie erscheinen von geringem Belang. Denn auch in der Darstellung tritt die grosse hierarchische Bedeutung – dies Wort in seinem allgemeinen Sinne genommen – Gregors durchaus in den Vordergrund, viel mehr bildet der Papst als der Mensch den Helden der Erzählung, wenn auch die Gliederung des Stoffs, wie sie 202 Johannes angibt, dies nicht zeigt. Er sagt nämlich in dem Vorwort, dass er bei der Eintheilung seines Werks in vier Bücher, dem Vorbild der Regula pastoralis Gregors gefolgt sei und ihm entsprechend Vgl. Bd. I, S. 526. im ersten Gregor geschildert habe, wie er »zum Gipfel der Regierung« (der Kirche) gelangte, im zweiten wie er lebte, im dritten wie er lehrte, im vierten mit wie vieler Ueberlegung er seine Schwachheit erkannte; mit einem Worte also wie Gregor das von ihm selbst in jener Regula vorgezeichnete Ideal eines Seelsorgers war. Aber nur das erste Buch entspricht durchaus dieser Inhaltsangabe. In den andern Büchern sind es nur einzelne Partien, die sie rechtfertigen. So wird im vierten Buche der » humilitas« Gregors erst c. 58 ff. gedacht, das Bekenntniss seiner » infirmitas« nach den Moralia erst c. 79 gegeben. – S. übrigens in Betreff des Inhalts der Biographie Bd. I, S. 517 ff. Dass er nicht streng chronologisch verführe, sondern ähnliches zusammenfasse, brauchte nach der von ihm angezeigten Eintheilung der Verfasser nicht mehr zu versichern. Es ist dies in der That auch nicht der Fall.

Die Arbeit des Johannes erfreute sich übrigens so sehr des Beifalls des Papstes, dass das erste Buch alsbald nach seiner Vollendung für sich publicirt wurde. S. die Praefatio. In Wahrheit verdiente das Werk denselben, da es, mit einer gewissen ruhigen Objectivität dargestellt, auch stilistisch über das Niveau der Werke seiner Gattung in jener Zeit sich erhebt.

 


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