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Erstes Kapitel.

Ekkehart: Waltharius.

Aus einer jener Stätten literarischer Kultur in Deutschland ging in den dreissiger Jahren dieses Jahrhunderts, wahrscheinlich noch am Ende der vorigen Periode, ein poetisches Werk in lateinischer Sprache hervor, welches die bedeutendste dichterische Schöpfung des zehnten Jahrhunderts und eine der vorzüglichsten epischen Dichtungen Deutschlands überhaupt ist. Obgleich in der Weltsprache der gelehrt Gebildeten abgefasst, ist es doch vom nationalen Genius ganz erfüllt, und so erscheint es recht als der Herold einer neuen literarischen Epoche, die von der Entwicklung und Erstarkung des deutschen Nationalbewusstseins ihren Ausgang nimmt. Um so mehr betrachten wir diese Dichtung erst an dieser Stelle. Ich meine den Waltharius des St. Galler Mönchs Ekkehart, der in der Reihe seiner bekannt gewordenen Namensgenossen desselben Klosters der erste ist. Waltharius, latein. Gedicht des zehnten Jahrhunderts, nach der handschriftl. Ueberlieferung berichtigt, mit deutscher Uebertragung und Erläuterungen von Scheffel und Holder. Stuttgart 1874. – Ekkehardi I Waltharius ed. Peiper. Berlin 1873. – Latein. Gedichte des X. und XI. Jahrh., herausgeg. von J. Grimm und Schmeller. Göttingen 1838. pag. 1–126. – Geyder, Anmerkungen zum Waltharius. In: Zeitschr. f. deutsch. Alterthum. Bd. IX, S. 145 ff. – W. Meyer, Philolog. Bemerkungen zum Waltharius. München 1873. (Aus den Sitzungsber. der Münchener Akad.). – – Ekkeharti IV. Casus S. Galli in: St. Gallische Geschichtsquellen. Neu herausgeg. von Meyer von Knonau. Bd. 3. St. Gallen 1877. (Namentlich c. 74 und 80 mit den Anmerk. des Herausg).

266 Ekkehart stammte aus einer edeln Familie der Umgegend von St. Gallen. In das Kloster jung eingetreten, erhielt er seine wissenschaftliche Ausbildung vornehmlich durch Gerald, welcher von den Jünglingsjahren an bis zum Lebensende im Greisenalter dort eifriger Magister war. – Seiner ausgezeichneten Gelehrsamkeit, die er auch im Unterricht verwerthete, So wird als sein und Geralds Schüler sein Neffe Ekkehart II., einer der ersten Gelehrten jener Zeit, bezeichnet. Ekkeh. IV., Cas. S. Galli c. 89. – Dass er selbst etwas griechisch verstand, zeigen die in seinen Hymnen eingestreuten griechischen Worte. wie seinem liebenswürdigen Charakter, der sich namentlich auch in seiner Barmherzigkeit gegen die Armen kundgab, verdankte Ekkehart das grosse Ansehn, dessen er sich bald im Kloster erfreute. Unter dem Abt Craloh erhielt er die Stelle des Decanus, die höchste nach dem Abte, ja nach dem Tode Cralohs 958 wurde er zum Abt selbst auserkoren und verwaltete schon provisorisch bis zur königlichen Bestätigung das Amt, als ein Sturz mit dem Pferde, der ihn hinkend machte, ihn darauf verzichten liess. Er blieb aber doch noch lange die Seele der Regierung des Klosters. Wie hoch man auch ausserhalb St. Gallens seine Gelehrsamkeit zu schätzen wusste, zeigte sich bei einem Pilgerzuge Ekkeharts nach Rom, wo ihn ihretwegen der Papst Ekkehart IV., der dies c. 80 erzählt, nennt nicht den Namen des Papstes, auch gibt er keine andre Zeitbestimmung als dass damals Purchhart Abt war. So ergibt sich der Zeitraum 958–971. Benedict nahm allerdings nur von Mitte Mai bis gegen Ende Juni 964 den päpstlichen Stuhl ein. Er war der Gegenpapst Leo's VIII.; an diesen und an Johann XIII., der 965 geweiht wurde, liesse sich auch denken, aber keinesfalls an Johann XII., einen der ruchlosesten Päpste, obgleich man gerade auf ihn allein gerathen hat. – wahrscheinlich Benedict V., der seiner wissenschaftlichen Bildung den Beinamen »der Grammatiker« verdankte – länger festhielt und seines intimen Umgangs würdigte. Ekkehart starb im Jahre 973.

Das epische Gedicht, welches 1456 Hexameter zählt, hat er schon als Schüler verfasst und zwar für die Schule als eine ihm gewordene metrische Aufgabe; sein Magister Gerald, der wohl durch metrische und sprachliche Correcturen seinen Antheil daran haben mochte, hat es dann später dem Strassburger Bischof Erchenbald (965 – 991) mit einer poetischen Widmung zum Geschenk gemacht. Noch später, etwa im dritten 267 Jahrzehnt des elften Jahrhunderts, hat Ekkehart IV. auf den Befehl des Erzbischofs von Mainz, Aribo (1021–1031) eine verbesserte Ausgabe gemacht, vielleicht zu dem Zweck des Gebrauchs des Werks in der Mainzer Domschule, deren Vorstand Ekkehart IV. damals war. Ich schliesse mich hier Scheffel (S. 121 ff.) in der Auffassung der Widmung und der betreffenden Stelle der Casus S. Galli Ekkeharts IV. (c. 80) an.

Die Dichtung behandelt einen deutsch-nationalen Stoff, eine Sage von Walthari, dem Sohn des Königs der Aquitanier, d. h. hier offenbar der Gothen, Alphere, welche der Dichter wohl nur aus mündlicher Ueberlieferung kannte. Das Gedicht zeichnet sich durch eine einfache klare Composition aus, sodass seine Analyse keine Schwierigkeit bietet. Der Dichter hebt mit einem Heereszug Attila's gen Westen an, nachdem er in den einleitenden Versen des Reichs der Hunnen gedacht hat. Die Fürsten, die Attila bedroht, erkaufen, als er herannaht, Frieden und Bündniss mit Gold und Geiseln: so sendet ihm Gibich, der Herrscher der Franken, den jungen Hagen, von edler, trojanischer Abkunft, der Burgunder Herrich das einzige Kind Hiltgund, und Alphere seinen Sohn Walthari, der, auch noch ein Kind, mit Hiltgund verlobt war. Hierauf kehren freudig mit den Schätzen und den Geiseln die Hunnen heim (v. 93).

Attila aber, der hier, wie auch sonst in der deutschen Heldensage, einen Zug von Hochherzigkeit hat, lässt die beiden Kinder, als wären es seine eigenen, auferziehen. Walthari behält er zugleich mit Hagen in seiner nächsten Umgebung und weiht sie in die Künste des Kriegs ein, während er Hiltgund seiner Gemahlin Ospirin anvertraut. Die Jünglinge wachsen heran an Verstand wie an Stärke, sodass sie alle Hunnen übertreffen; Hiltgund aber gewinnt durch ihre züchtigen Sitten und fleissige Thätigkeit immer mehr die Liebe der Königin, welche sie zur Hüterin der Schatzkammer macht. Indessen stirbt Gibich, und da sein Nachfolger Gunther den Hunnen den Tribut verweigert, entflieht Hagen nach der Heimath. Die Königin fürchtet, dass Walthari seinem Beispiel folgen werde, sie räth deshalb Attila, ihn durch Vermählung mit einer der hunnischen Fürstentöchter an seinen Dienst unauflöslich zu fesseln. Doch Walthari, der schon im Sinne trägt, was er später ausführte, 268 weiss der ihm gelegten Schlinge geschickt zu entgehen. Er dankt dem König für seine gütige Absicht: solchen Lohn verdiene er nicht; in den Banden der Ehe, von ihren Sorgen erfüllt, und ihren Freuden ergeben, werde er von dem Königsdienst abgezogen werden, und nichts süsseres gebe es für ihn, als diesen. Keine Kinder und kein Gemahl sollten im Kriege ihn zurückhalten oder gar zur Flucht bewegen können. Der König steht von seinem Verlangen ab. Walthari aber zieht an der Spitze der Hunnen ins Feld gegen ein Volk, das sich empört hat (v. 170 ff.). Der Dichter schildert mit lebhaften Farben die Schlacht, die vom Fernkampf zum Nahkampf übergehend, durch die Tapferkeit des Walthari entschieden wird.

Mit Lorbeer die Stirn umkränzt, kehrt er als Sieger zurück. Hiltgund begegnet allein zuerst ihm in dem Palast, sie reicht dem ermatteten, der sie, seine Braut ja, mit Küssen begrüsst, in kostbarer Schale des Weines Trunk, um den er sie bat. Ein traulich Gespräch hebt Walthari (v. 231 ff.) an: wie lange dulden wir beide schon das Leid der Fremde und wissen doch was unsre Eltern über uns beschlossen haben! Die Jungfrau aber sieht nur Spott in diesen Worten: warum heuchle er mit der Zunge was sein Herz verwerfe. Doch Walthari antwortet: »fern seien solche Gedanken: du weisst, dass ich nie trügerisches rede, dass kein Falsch in mir ist. Wir sind allein: wenn ich wüsste, dass du geneigtes Gehör mir schenktest und treu es bewahrtest, würde ich das ganze Geheimniss meines Herzens dir eröffnen.« Da antwortet die Jungfrau, die Kniee beugend: wohin du mich rufst, ich werde dir folgen, nichts soll mich abhalten. Nun entdeckt ihr Walthari seinen Fluchtplan. Hiltgund soll aus dem Hunnenschatz des Königs Helm, Tunica und Panzer entnehmen und mit goldnen Spangen zwei Schreine füllen, auch heimlich Angelhaken machen lassen zum Fisch- und Vogelfang, der ihnen die Wegzehrung verschaffen soll. Binnen acht Tagen sei dies alles bereit: dann will Walthari dem König und der Königin sammt ihren Vasallen ein glänzendes Fest geben, bei dem sie alle im Trunk sich begraben sollen.

Der Plan wird ausgeführt und gelingt. Als die Hunnen alle trunken im tiefen Schlafe liegen, der sie bis zum andern Mittag gefesselt hält, entfliehen die Verlobten auf einem Rosse, dem »Löwen« des Walthari, das auch die beiden Schreine trägt. 269 Die Jungfrau lenkt es, die Angelruthe in der Hand. Sie reiten bei Nacht und verbergen bei Tage sich im Walde: so gelangen sie nach vierzig Tagen glücklich zum Rhein in der Nähe von Worms, dem Königssitze der Franken. Dort setzt sie ein Schiffer, den sie mit unterwegs gefangenen Fischen bezahlen, über; und sie flüchten weiter (v. 435). Der Fährmann aber verkauft die Fische an des Königs Gunther Koch. Der König ist beim Mahle über die Fische verwundert, deren Gleichen er im Frankenlande nie gesehen. Er forscht, wer sie gebracht. Der Ferge erzählt dann von dem seltsamen Paare, dem gewaltigen in Erz gehüllten Reisigen und der von Schönheit glänzenden Jungfrau, welche ein starkes Ross am Zügel führte, das zwei Schreine trug: die erklangen, als es stampfend den Nacken schüttelte, als wenn Gemmen an Gold anschlagen. Da ruft Hagen, der gegenwärtig: freuet euch mit mir, ich errath' es, mein Genosse Walthari kehrt von den Hunnen zurück. – Mit mir, freut euch, ruft dagegen Gunther, denn der Schatz, welchen Gibich dem König des Ostens sandte, führte der Allmächtige wieder in mein Reich. Alsbald springt er auf, lässt satteln und mit zwölf auserwählten Mannen, darunter Hagen, der vergeblich vom Unternehmen ihn abzuwenden sucht, stürmt er Walthari nach.

Der hat indessen den Wasgenwald erreicht (v. 490) und dort einen Zufluchtsort gefunden, wo er hofft, endlich einmal wieder entwaffnet eines ruhigen Schlafs zu geniessen. Es ist eine zwischen zwei Bergen hoch gelegene Felsenhöhle, mit grünem Gras bewachsen, zu der nur ein enger Pfad führt. Ueber diese Oertlichkeit, den Wasgenstein, s. die ausführliche Untersuchung von Scheffel in dessen Ausg. S. 158 ff. Dort ruht der Held, das Haupt in dem Schooss der Jungfrau, während diese mit scharfem Auge Wache hält. – Indessen hat Gunther die Spur der Flüchtigen entdeckt und eilt trotz Hagens Warnung mit seinen Mannen heran. Walthari, von Hiltgund geweckt, rüstet sich und vor den Höhleneingang tretend, spricht er das stolze Wort: kein Franke soll heimkehrend vor seinem Weib sich berühmen, er habe ungestraft etwas von meinen Schätzen geraubt. Aber der Held bereut alsbald die Rede und bittet Gott um Verzeihung (v. 565). Dann mustert er die Gegner: Hagen allein sei zu fürchten. Dieser räth dem König, erst 270 durch eine Botschaft zu versuchen sein Ziel zu erreichen. Camelo von Metz übernimmt sie: er verlangt das Ross mit den Schreinen sammt der Jungfrau. Walthari bietet, so thöricht er die Forderung findet, doch hundert Goldspangen, »um des Königs Namen zu ehren.« Hagen räth dringend das Anerbieten anzunehmen, ein Traum habe ihn erschreckt: ein Bär, den sie jagten, zerriss dem Könige ein Bein und schlug ihm selbst ein Auge und Zähne aus (623 ff.). Da schilt der übermüthige Gunther Hagen: er ahme seinen Vater nach, der auch ein feiges Herz im Busen getragen. Nun zieht sich Hagen zürnend vom Kampfe zurück; er entsagt der Beute und will, auf einem nahen Hügel gelagert, des Ausgangs harren. Als Camelo dann, zum zweiten Mal gesandt, den ganzen Schatz fordert, bietet Walthari, noch immer friedfertig, die doppelte Zahl der Spangen. Für den freien Durchzug durch Gunthers Gebiet: ecce viam mercor . v. 662. Aber Camelo, die Verhandlung abbrechend, geht alsbald zum Angriff über (v. 668). Damit beginnen die Zweikämpfe, denn auf dem engen Weg vermag immer nur einer dem Walthari entgegen zu treten.

Die elf Mannen Gunthers – Hagen hält sich ja fern – greifen, bis auf die drei letzten, einer nach dem andern den Helden an, und sämmtlich werden sie von ihm besiegt und getödtet. Art und Verlauf der einzelnen Kämpfe ist je nach dem Charakter der Streiter Unter diesen ist eine besonders eigenthümliche, aber fragliche Gestalt »der von den sächsischen Küsten entstammte« Ekevrid (v. 755 ff.), der wegen einer Blutthat Verbannte. Er wendet sich an Walthari mit den Worten:
        Dic, ait, an corpus vegetet tractabile temet,
        Sive per aerias fallas, maledicte, figuras?
        Saltibus assuetus Faunus mihi quippe videris.
        Illeque sublato dedit haec responsa cachinno:
        Celtica lingua probat te ex illa gente creatum,
        Cui natura dedit reliquas ludendo praeire.
        At si te propius venientem dextera nostra
        Attingat, post Saxonibus memorare valebis,
        Te nunc in Vosago Fauni fantasma videre.

Hiernach möchte man glauben, dass Ekevrid ein Angelsachse war und diese hier in seltsamer Weise mit den Scoten identificirt wurden.
wie nach den gebrauchten Waffen sehr verschieden: so schleudert der eine einen, der andre zwei Speere, ein dritter vertraut auf Pfeil und Bogen, ein vierter 271 auf das Schwert allein, ein andrer wieder wirft die zweischneidige Streitaxt der Franken. So führt eine grosse Mannichfaltigkeit von Kampfbildern, im einzelnen reich ausgemalt, uns der Dichter vor, hier recht seine reiche Phantasie offenbarend. Die Spannung des Lesers bleibt fortwährend erhalten, keine Ermüdung tritt ein, im Gegentheil es steigert sich das Interesse.

Den ersten Höhepunkt erreicht die Kampfschilderung als Hagens Schwestersohn, Patavrid der sechste zum Angriff übergeht (v. 846). Sein Oheim beschwört ihn mit Thränen, von dem Kampf, in dem er unterliegen muss, abzulassen. Vergeblich, da bricht Hagen in Verwünschungen über den unersättlichen Hunger nach Gold, die Habsucht, aller Uebel Quelle, aus; Hier findet sich v. 857 eine Reminiscenz aus der Psychomachie. obwohl, wie der Dichter selbst sagt, die Ehrsucht es ist, die den Neffen ins Verderben treibt. Die letzte Ursache des Kampfes war aber freilich die Habsucht Gunthers. Als Walthari die Klagen des Freundes von ferne vernimmt, warnt auch er den Jüngling, selbst dann noch, als dieser seinen Speer geschleudert, erst wie er mit dem Schwert ihn angreift, da freilich war seine Geduld zu Ende und Patavrid fällt von seinem Speere durchbohrt. Ihm folgt ein andrer, der ihn rächen wollte.

Nachdem also sieben gefallen, zaudern die Franken und bitten Gunther vom Streite abzustehen (v. 941); der aber treibt sie von neuem an: nicht Furcht, sondern Zorn solle sie erfüllen, galt es früher um den Schatz, so jetzt um die Blutrache. – Die Pause hatte Walthari benutzt, um den Helm abzuthun und Luft zu schöpfen: da stürmt schon wieder ein Kämpfer heran, kaum hat Walthari Zeit, sich mit dem Schilde zu schützen. Jener unterliegt zwar, haut ihm aber, dem barhäuptigen, ein paar Locken ab. Die drei letzten Mannen dachten nunmehr mit vereinten Kräften, unterstützt vom König selbst, den Helden zu verderben. Einen Dreizack an dreifachem Seil werfen sie nach seinem Schilde, um ziehend ihn selbst zu Fall zu bringen, oder wenigstens den Schild ihm zu entreissen. Doch fest wie eine Esche stand der Held. Sie aber lassen nicht nach vom eiteln Beginnen; da übermannt ihn der Zorn. Fahren lässt er den Schild und stürzt sich auf die Feinde, die unter seinen Streichen fallen. Nur Gunther selbst rettet sich durch die Flucht (v. 1062).

272 Walthari ist Sieger geblieben. Dem König aber ist nur ein Held noch übrig, freilich der gewaltigste, Hagen. Er wendet sich flehend an ihn, von seinem Grolle zu lassen und mit ihm den Kampf zu erneuen, würde doch diese schimpfliche Niederlage Francien nie überwinden. Hagen zaudert in der Erinnerung an die Walthari gelobte Treue, aber die demüthigen Bitten seines Königs, dessen Beschämung rufen in ihm das Ehrgefühl des Vasallen wach; er ist zum Kampfe bereit. Doch nicht an dieser Stelle, da ein einzelner Walthari nicht besiegen kann; sie wollen sich entfernen, und in einen Hinterhalt legen, um, wenn der Held den Platz verlässt, gemeinschaftlich ihn angreifen zu können.

Indessen bricht die Nacht herein. Walthari, der von fern die Versöhnung Hagens mit Gunther bemerkte, beschliesst doch auf dem Platze bis zum Tagesanbruch zu verweilen, damit nicht der stolze König ihn der Flucht zeihe. Er schliesst durch ein Verhau den engen Pfad. Dann legt er mit bitterem Seufzen an jeden Rumpf der Gefallenen sein Haupt – denn jedem, den er besiegte, schlug er am Ende des Zweikampfs das Haupt ab – und betet, gen Osten knieend, das entblösste Schwert in der Hand, indem er Gott für den Sieg dankt und die Seelen der Todten ihm empfiehlt. Nachdem er sich dann mit Speise und Trank gelabt, schläft er auf seinem Schilde, von Hiltgunden behütet, welche durch Gesang sich wach erhält, die halbe Nacht, die andre Hälfte wacht er selbst. Wie anschaulich der Dichter im einzelnen ausmalt, mag diese Stelle lehren, v. 1180 ff.
        Ad cuius caput illa sedens solito vigilavit
        Et dormitantes cantu patefecit ocellos.
        Ast ubi vir primum iam expergiscendo soporem
        Ruperat, absque mora surgens dormire puellam
        Jussit et arrecta se fulciit impiger hasta.
        Sic reliquum noctis duxit, modo quippe caballos
        Circuit, interdum auscultans vallo propiavit,
        Exoptans orbi species ac lumina reddi.

Als der Morgen dämmerte, brechen sie auf; Hiltgund voraus mit den gefangenen Rossen, die mit den Rüstungen und Spangen der getödteten Feinde beladen sind. Kaum waren sie tausend Schritte, als sie die beiden letzten Gegner, sie verfolgend, erblicken. Walthari wendet sich nicht zur Flucht, sondern ihnen entgegen. Den König nicht beachtend, redet er Hagen an, 273 und an ihre innige Jugendfreundschaft ihn erinnernd, beschwört er ihn, vom Kampfe abzustehen. »Du hast schon unsern Bund gebrochen«, erwiedert Hagen finster, »als du die zarte Blume, meinen Neffen, mit des Schwertes Sichel mähtest. Ihn fordere ich von dir.« Hiermit schwingt Hagen sich vom Pferd, die andern beiden folgen: und so beginnt der Kampf der drei zu Fuss. Hagen und Gunther schleudern ihre Speere, aber sie springen von dem Schilde Walthari's ab, der dann mit seinem gewaltigen Speer die mit den so viel kürzeren Schwertern ihn fortwährend angreifenden sich längere Zeit fern hält: dann aber fürchtet er in dem ungleichen Kampfe zu ermatten – worauf die Gegner es wohl abgesehen – und schleudert den Speer gegen Hagen, und dem Wurfe nachspringend zieht er das Schwert und haut mit wuchtigem Schlage dem König ein Bein bis zum Schenkel ab. Einen zweiten, tödtlichen Streich wehrt diesem Hagen sich vorbeugend mit seinem Helme, an dessen eherner Härte die Klinge Walthari's zerspringt. Wüthend schleudert der Held den unnützen Griff, so kostbar er ist, ihr nach: aber in diesem Augenblick haut ihm Hagen die weit ausgestreckte Rechte, vielen Völkern und Fürsten so furchtbar, mit seinem Schwerte ab. Doch Walthari ist noch nicht entwaffnet. Wohl nach der Hunnen Sitte, trägt er ein Halbschwert noch an der Rechten, mit ihm nimmt er seine Rache und mit der linken Hand es ergreifend schlägt er dem Hagen das rechte Auge, und die Wange zerreissend, sechs Zähne aus.

Damit endete der Kampf, einen jeden der Helden zwang Verwundung und Erschöpfung zum Frieden. Der Hunnenschatz wird getheilt. Hiltgund, herbeigerufen, verbindet sie. Walthari heisst ihr, Wein zu mischen, zuerst ihn Hagen zu reichen, dann ihm selbst, der mehr als die andern ertragen, Gunther zuletzt, weil er nur lässig gekämpft. Doch Hagen weist sie zunächst an Walthari, der stärker als er sei, ja alle überrage. Die alten Freunde, wieder versöhnt, scherzen dann, beim Becher zusammensitzend, über den Verlust ihrer Gliedmassen. Walthari, meint Hagen, werde auf die Hirschjagd gehen, um Handschuh ohne Zahl von ihrem Fell sich zu machen; der rechte mit zarter Wolle ausgestopft werde die Unkundigen täuschen. Walthari dagegen: der zahnlose Hagen werde sich nun an Brei von Mehl und Milch erlaben müssen. Mit solchen Reden erneuen sie den alten Bund; dann scheiden sie. Walthari aber, 274 mit grosser Ehre in der Heimath empfangen, feierte seine Vermählung mit Hiltgund, und nach des Vaters Tod herrschte er glücklich dreissig Jahre. Wie viele Kriege er noch führte, wie viele Siege er gewann, kann die stumpf gewordene Feder nicht mehr aufzeichnen.

Mit einer Bitte an den Leser um Nachsicht schliesst der jugendliche Dichter. Die ausführliche Darlegung des Inhalts wird schon die Schönheit des Werks und die Genialität seines Verfassers gezeigt haben; sie offenbaren sich aber noch mehr bei einer ins einzelne gehenden Betrachtung. Der Dichter Scheffel sagt in seiner Ausg. S. 112 ebenso schön als wahr von unsrer Dichtung: Noch heute erquickt den Leser der waffenklirrende Nachhall germanischer Urzeit, der charakteristische Schmelz, der aus Bindung zweier so ungleicher Elemente wie virgilische Form und nibelungischer Inhalt entstehen muss, die Einfachheit einer dennoch reichen Erfindung, das ruhige Gleichmass im Fortschritt der Erzählung, die empfindende Wärme und epische Kraft des Dichters. Diese lässt denn auch wohl erkennen, was dem Genius des Dichters allein angehört, was der ihm überlieferten Volkssage. Dieselbe hat ihm nur den Grundriss der Handlung und die Charaktere der Haupthelden geboten. Die Ausführung ist ganz Ekkeharts Werk; ganze Partieen gehören ihm offenbar allein an, so die Erzählung von dem Kriegszuge Walthari's im Dienste Attila's, so die vortreffliche detaillirte Schilderung der Verzweiflung des letzteren über des Helden Flucht; Während das Gemälde des Gastmahls wenigstens in seinen Hauptzügen wohl aus der Ueberlieferung stammt. Von der oben erwähnten Schilderung mögen aber folgende Verse zeugen, 392 ff.:
        Namque ubi nox rebus iam dempserat atra colores,
        Decidit (Attila) in lectum, verum nec lumina clausit,
        Nunc latus in dextrum fultus nunc inque sinistrum,
        Et veluti iaculo pectus transfixus acuto,
        Falpitat atque caput huc et mox iactitat illuc,
        Et modo subrectus fulcro consederat amens,
        Nec iuvat hoc, demum surgens discurrit in urbem,
        Adque thorum veniens simul attigit atque reliquit.
dann vor allem die Zweikämpfe selbst in allen ihren lebensvollen Einzelheiten – man vergleiche mit dieser äusserst kunstvollen Schilderung einmal die Darstellung der letzten Kämpfe der Nibelungen, wie ästhetisch unbedeutend erscheint sie dagegen! Von einer blossen Bearbeitung einer Volksdichtung kann gar nicht die Rede sein. Wir haben in der That ein Werk der Kunstpoesie vor uns im vollsten Sinne 275 des Wortes, das aber einen echt volksthümlichen Stoff in wahrhaft nationalem Geiste und mit wahrer epischer Objectivität behandelt, welche nur in wenigen kleinen Zügen die Subjectivität des Dichters erkennen lässt. So verräth sich der Mönch v. 156 f., 225, 565, auch wohl v. 857 ff. Der Dichter hat aber den Stoff nicht bloss im Sinne einer höheren Kunststufe, sondern auch in dem einer höheren sittlichen Kulturstufe veredelt, doch ist dies ihm, auch soweit der Stoff überhaupt es erlaubte, nicht vollkommen gelungen, wohl auch einmal aus poetischer Rücksicht unterlassen, sodass sich selbst Widersprüche in der Charakterzeichnung finden. Walthari ist bei ihm ein christlicher Held geworden, aber einzelne heidnische Züge finden sich doch noch in seinem Bilde. Diction und Vers zeigen den Schüler Virgils, der es selbst nicht verschmäht hat, hier und da einmal einen ganzen Vers seines Meisters seiner Darstellung einzuweben: im ganzen aber beherrscht er die durch Virgil geschaffene Ausdrucksweise des römischen Epos mit vollster Freiheit; S. in dieser Beziehung Peipers Ausg. p. 80 ff. sein Stil ist keineswegs ein künstlich gemachtes Mosaik aus antiken Reminiscenzen. Das römische Gewand schmiegt sich dem deutsch-nationalen Inhalt so vollkommen an, dass es oft als kein aus der Fremde erborgtes mehr erscheint, zumal der Dichter auch mitunter sich nicht enthält, eine deutsche Redewendung wörtlich in das lateinische zu übertragen und gegen die Grammatik desselben als Deutscher sich zu versündigen. S. Grimm in seiner Ausg. p. 68 ff. und das Glossar in der Peipers p. 116 ff. In der Beziehung erscheint die Dichtung auch als ein Jugendwerk.

Ekkehart hat auch die geistliche Poesie und zwar die der Sequenzen, deren wahre Heimstätte ja sein Kloster war, nicht ohne Erfolg gepflegt. Ekkehart IV. verzeichnet (c. 80) zunächst vier namentlich (mit ihrem Anfangsvers) als sein Werk, die sich auch sämmtlich erhalten haben. Sie sind auf die Dreieinigkeit, Johannes den Täufer, den heiligen Benedict und den heiligen Columban gedichtet und in einer einfachen würdigen Sprache verfasst. Sie finden sich sämmtlich gedruckt in Kehrein, Latein. Sequenzen des Mittelalters. Mainz 1873. S. 117, 251, 357, 370; die beiden ersten, besser edirt, auch bei Mone Lat. Hymn. Bd. 3, S. 46, No. 654 und S. 227, No. 841, und die letzte mit den Noten bei Schubiger a. a. O. (s. S. 144) Exempla S. 41. Dann gedenkt er noch einer Sequenz und 276 Antiphonen auf die heilige Afra, welche Ekkehart verfasst haben soll, und eines nach Karlmannscher Melodie gedichteten Lieds, das auch als Sequenz sich gefunden hat. In einer St. Galler Handschrift, am besten edirt bei Müllenhoff und Scherer, Denkmäler 2. Ausg. S. 329 f. Diese Sequenz enthält ausser der Angabe der oben genannten Melodie die Worte, welche Ekkehart IV. aus dem Lied citirt. Es ist ein schwungvolles Gedicht, das über die Mehrzahl der Sequenzen sich weit erhebend, den Verfasser des Waltharius wieder erkennen lässt. Endlich erwähnt derselbe Gewährsmann auch drei »Hymnen« Ekkeharts, aber nur die erste hat sich wieder aufgefunden, Sie ist von Morel Lat. Hymn. S. 176, No. 289 herausgegeben. die auf einen Märtyrer, dessen Name nicht überliefert, verfasst und unbedeutend ist.

 


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