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Zwölftes Kapitel.

Annalistik. Kloster- und Bisthumsgeschichte. Flodoard.

Hand in Hand mit dem lebhaften Fortschritt der politischen Entwicklung im Abendland seit dem Regierungsantritt Otto's I., welche in der Epoche machenden Wiederherstellung des Kaiserthums gipfelt, geht auch ein bedeutender Aufschwung der Geschichtschreibung, der auch gerade seit den sechziger Jahren sich recht manifestirt. S. über die Historiographie dieser Periode überhaupt: Giesebrecht, Geschichte der deutschen Kaiserzeit Bd. I, S. 777 ff. – Maurenbrecher, De historicis decimi saeculi scriptoribus, qui res ab Ottone Magno gestas memoriae tradiderunt. Bonn 1861 (Dissert.). – Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen Bd. I, S. 308 ff. Auch hier steht das deutsche Reich durch die Zahl der Werke überhaupt, wie der bedeutenden durchaus im Vordergrund.

Die allgemeine Annalistik, diese primitivste Form der mittelalterlichen Geschichtschreibung, hat in dieser Periode zwar eine ganze Anzahl Werke, zumal bei uns, aufzuweisen, die als historische Quellen von Belang sind, aber nur wenige von ihnen haben mehr oder weniger einen literarischen Charakter. Sehen wir daher hier von solchen ganz ab, die, wie die durchaus dürftigen Kölner und die etwas reichhaltigeren Trierer Annalen, bei einzelnen Jahren im Lapidarstil willkürlich einzelne allgemein wichtige und manche nur die Kirche und das Kloster, aus denen sie hervorgingen, interessirende Thatsachen 400 verzeichnen: so finden wir doch schon in ein paar andern, wie in den Reichenauern, die bis in den Anfang dieses Zeitraums (bis 939) sich erstrecken, In: Jaffé, Bibliotheca rerum Germanicarum. Bd. III. Monum. Moguntina. Berlin 1866. S. 700 ff. und den grösseren Sangallern, Herausgeg. von Henking in: Mittheilungen zur vaterländ. Geschichte herausgeg. vom histor. Verein in St. Gallen. Neue Folge. 9. Heft. St. Gallen 1884. S. 265 ff. und vgl. S. 358 ff. die bis in die Mitte des folgenden Jahrhunderts fortgeführt werden, mit der Zeit immer mehr einen Fortschritt zu einer ausführlicheren Darstellungsweise. In den letzteren stellen sich sogar versificirte Notizen ein in meist leoninischen Hexametern, zuerst bei 971 und 973, dann bei 980 und 984, von 1000–1021 aber fast regelmässig. Ein grösseres Werk, das in der Form einer Weltchronik beginnt, um dann die Gestalt einer Reichschronik anzunehmen, sind die Hildesheimer Annalen, fast allein eine wörtliche Compilation aus ganz verschiedenen Werken, im Jahre 994 angefangen. Annales Hildesheimenses, in usum scholar. ex monum. etc, contulit cum cod. Parisiensi Waitz. Hannover 1878. (Praef.). Es beginnt mit Erschaffung der Welt und gibt zunächst Daten aus der jüdischen und der persischen Geschichte, dann aus der Alexanders und seiner Nachfolger, darauf der römischen Kaiser, alle vornehmlich der Chronik des Isidor entnommen; nun folgt die Geschichte der Franken seit dem ältern Pippin, den kleinen Lorscher Annalen entlehnt, bis 818; mit diesem Jahre aber beginnt die werthvolle Reproduction der verlorenen Hersfelder Annalen bis 994, Der auch einzelne Hildesheimer kirchliche Nachrichten beigemischt sind. Vgl. dazu Lorenz, Die Jahrbücher von Hersfeld nach ihren Ableitungen und Quellen untersucht und wiederhergestellt. Leipzig 1885. von wo ab erst originale zeitgenössische Aufzeichnungen folgen, die sich bis zum Jahre 1040 erstrecken.

Ueber alle diese Annalen Deutschlands erhebt sich nicht wenig, zumal auch in literarischer Beziehung, eine um 960 unternommene Der Ansicht Werra's, dass der Anfang der Abfassung erst nach 964 zu setzen sei, kann ich nicht beitreten. Fortsetzung der Weltchronik des Regino, S. oben S. 226, Anm. 4. – – Werra, Ueber den Continuator Reginonis. Leipzig 1883 (Dissert.). – Wattenbach a. a. O. S. 342 f. welche hier, wie schon in ihrem zweiten Theile, zur blossen Reichschronik geworden ist; nicht ganz mit Unrecht, da das Reich ja der Hauptfactor der Weltgeschichte geworden 401 ist. – Besonders aber finden sich Lothringen, Franken und Schwaben berücksichtigt, sowie die Ereignisse in der königlichen Familie, namentlich seit der Thronbesteigung Otto's, als dessen loyaler Unterthan der Autor überhaupt erscheint; doch auch von den westfränkischen und italienischen Angelegenheiten, soweit sie Deutschland berühren, weiss derselbe zu berichten, ja von dem Römerzug Otto's theilt er sehr genaue Nachrichten mit.

Man kann in dieser Fortsetzung drei Theile unterscheiden. Der erste, der vom Jahre 907 bis 939 gerechnet werden kann, gründet sich vorzugsweise auf die Reichenauer Annalen, die aber in einer erweiterten Gestalt dem Verfasser vorgelegen haben werden. Derselbe folgt ihnen oft sogar wörtlich. Der zweite Theil ist dann bis zum Jahre 960, der dritte von 961 bis zum Schluss, 967 zu rechnen. In diesen letzten sieben Jahren erscheint die Abfassung als eine gleichzeitige und durchaus eigenthümliche, während der zweite Theil aus noch nicht nachgewiesenen Quellen geschöpft ist, mitunter aber gewiss auch schon auf eigene Aufzeichnungen des Verfassers sich gründen wird. In diesem Theil ist die Darstellung schon bei manchen Jahren eine recht ausführliche und dadurch sehr werthvolle; dies ist durchweg und in noch höherm Grade in dem letzten Theile der Fall, der die wichtigste Quelle für diesen Zeitraum bildet. Der ungeschminkte, durch Correctheit sich auszeichnende Ausdruck legt auch für die Wahrheit der Darstellung wie für die Bildung des Verfassers ein Zeugniss ab. Von diesem, der uns nirgends genannt wird, lässt sich mit Sicherheit nur sagen, dass er aus dem Kloster St. Maximin in Trier stammte, dem auch Regino angehörte, und mit einem andern Mönche desselben Klosters, Adalbert, dem späteren Erzbischof von Magdeburg, innig befreundet war; auch stand er in einem nähern Verhältniss zu dem damaligen Erzbischof von Mainz, Wilhelm, dem natürlichen Sohne Otto's I. Alles dies ergibt sich aus seinem Werke. Mehr aber nicht, denn in ihm Adalbert selbst zu sehen, wie dies Giesebrecht a. a. O. S. 778 und nach ihm Werra thun möchten, halte ich für nicht gerechtfertigt, da gerade die Stelle, welche der erstere für seine Vermuthung anführt, mir direct dagegen zu sprechen scheint. Es lasst sich meines Erachtens nicht denken, dass Adalbert den Unmuth über seinen Gönner, den Erzbischof Wilhelm, in der Chronik für alle Zeit niedergelegt haben sollte, zumal er schon im folgenden Jahre durch ihn wieder vollkommen versöhnt worden ist. S. Jahr 961 und 962.

402 Auch einige Geschichten von Klöstern und von Bisthümern finden sich in dieser Periode, die bemerkenswerth sind. Die ersteren sind die Gesta abbatum S. Bertini Sithiensium und die Gesta abbatum Laubiensium , Gesta abbat. S. Bertini Sithiensium ed. Holder-Egger in: Monum. German. histor., Script. T. XIII. 1881 (Praef.). – Gesta abbat. Lobiensium ed. Pertz, ebenda T. IV. 1841 (Praef.). – Vita S. Folcuini, episcopi Tarvennensis, in: Mabillon, Acta S. S. ord. Bened. Saec. IV, p. 622 ff. – – Holder-Egger, Zu Folcwin von St. Bertin im Neuen Archiv etc. Bd. VI (1881) S. 415 ff. beide von demselben Folcuin Dass nicht zwei Autoren desselben Namens anzunehmen sind, wie man früher im allgemeinen glaubte, hat Holder-Egger a. a. O. gründlich erwiesen. Namentlich spricht mir dafür die Vorrede der Vita des heiligen Folcuin, zumal in Verbindung mit c. 46 der Gesta abb. Sithiensium. verfasst, der, aus einer vornehmen Familie Lothringens stammend, als Knabe dem Kloster St. Bertin übergeben und dort Mönch wurde. Hier verfasste er als junger Diacon, auf Befehl des Abts Adalolf, 961–962 die erstere Geschichte, während er die andre zwanzig Jahre später als Abt des Klosters Laubach (Lobbes) schrieb, zu welcher Würde er von dem Bischof von Lüttich, Ebrachar 965 berufen ward. Ebendort hat er dann noch die Vita des heiligen Folcuin, des Bischofs von Thérouanne, seines Grossoheims, edirt und dem Abt Walter von St. Bertin zwischen 970 und 984 gewidmet, welche er bereits in dem letztern Kloster als Jüngling entworfen hatte. Er starb im Jahre 990.

Die beiden Klostergeschichten sind in ihrer Ausführung wesentlich verschieden. Die des Klosters St. Bertin will, wie der Verfasser selbst im Eingang sagt, nicht bloss die Gesta der Aebte, sondern auch die possessionum traditiones , die dem Kloster von der Gründung desselben an wurden, aufzeichnen; ja das letztere hat Folcuin sogar vornehmlich im Auge. Er begnügt sich auch nicht, was dem Werke besondern Werth verleiht, mit der blossen Angabe der Schenkungen und Privilegien bei den einzelnen Aebten, die er chronologisch vorführt, sondern er theilt die Urkunden selbst mit, für deren treue Wiedergabe er sich besonders verbürgt (c. 111). Das Kloster wurde von dem heiligen Bertinus im Jahre 648 in der ihm zu diesem Zweck geschenkten Villa Sithiu gegründet. Nach 403 unserm Autor starb der Heilige im Jahre 698, hatte aber die Regierung des Klosters des Alters halber schon früher niedergelegt. Nach Holder-Egger a. a. O. S. 438 lebte Bertin vielmehr bis in das Jahr 697, und ist die Niederlegung seiner Würde bei Lebzeiten eine Fiction, wie denn überhaupt die von Folcuin hinzugefügten chronologischen Angaben kritischer Nachprüfung sehr bedürfen. Von diesem Stifter ab führt Folcuin die Klostergeschichte bis zum Anfang des Jahres 962. Den Nachrichten über die »Thaten« der Aebte, die in der älteren Zeit sich hauptsächlich auf die mitgetheilten Urkunden selbst gründen, fügt der Verfasser aber auch solche, die, von allgemeinerem Interesse, Westfrancien überhaupt betreffen, nicht selten hinzu, welche theils aus Büchern, theils aus mündlicher Ueberlieferung geschöpft sind. Hier findet sich manches nicht unwichtige. Aber auch die Klosternachrichten enthalten einzelne Mittheilungen von allgemeinerer Bedeutung. S. z. B. c. 47 über den Abt Fridogis und c. 52 über die Thätigkeit des in Italien gebildeten Schreibkünstlers Guntbert.

Die andre Klostergeschichte Folcuins ist ein weit reiferes Werk, wie es auch im sprachlichen Ausdruck correcter ist. Sie hat auch dadurch für uns ein höheres Interesse, dass das Kloster Laubach in diesem Jahrhundert ein mit Recht sehr gerühmter Sitz der Studien war, aus dem ein Gelehrter wie Ratherius hervorgehen konnte. – Der Verfasser gibt seiner Erzählung eine breite Grundlage, indem er in einem Prolog zunächst die Ansicht entwickelt, dass unbeschadet des freien menschlichen Willens die Vorsehung den Gang der Welt leite, und dann nach Orosius der Weltreiche gedenkt, die Gott angeordnet hat und aufeinander folgen liess. Das römische ist zwar das letzte, aber das fränkische Imperium ist in diesem mit zu rechnen, Francorum imperium, quodin Romana republica est connumerandum. weil die Franken als Sieger in die römischen Burgen einzogen, und ebenso wie die Römer von Troja stammend (sie von Antenor, wie diese von Aeneas), mit ihnen gewissermassen verwandt wären.

Seine Geschichte selbst anhebend, erzählt der Verfasser ausführlich die Gründung des Klosters, die in einer durch Walddickicht und Felsen zu einem Schlupfwinkel für Räuber wohl geeigneten Gegend durch einen solchen, der sich zu einem 404 besseren Leben bekehrte, im Jahre 637 erfolgte. Es war Morosus, der jetzt den Namen Landelinus annahm. Er wanderte aber von Laubach nach einem andern von ihm gestifteten Kloster, St. Crispin aus, worauf dort der heilige Ursmar Abt wurde, der wie der zweite Gründer von Laubach betrachtet wurde, und namentlich auch von Folcuin; selbst sein Name scheint diesem schon auf seinen frommen Beruf hingedeutet zu haben. Ursmarus ex duobus usitatis Galliae locutionum generibus dicitur, latina videlicet, quam usurpantes vitiarunt, et teutonica; congruum plane beato viro vocabulum. Ursum enim aiunt partum informem lingua lambere, et quod naturae minus est, officio linguae complere. c. 2. So habe er durch seine Predigt gewirkt. Ursmar soll hiernach wohl der herrliche Bär bedeuten von ursus und dem althochdeutschen mâri. – Die Neigung zu etymologisiren zeigt unser Autor auch sonst, so gibt er eine ganz richtige Herleitung von Laubach (c. 1), und eine höchst lächerliche von dem Namen Bertin in den Gesta abb. Sithiens. Prolog. Er brachte jedenfalls das Kloster erst in Blüthe und wirkte zugleich auch als Missionsbischof in Flandern, wie er denn den Bischofstitel in den Urkunden seiner Zeit führt. Sein wie seines Nachfolgers Ermin Leben wurde zuerst von Anso, einem späteren Abt des Klosters, zur Zeit Karls des Grossen geschrieben, in einem freilich sehr unvollkommenen Ausdruck (c. 9). Indem Folcuin dann die Geschichte der Aebte bis zum Jahre 980 weiter verfolgt, theils auf Grund von Urkunden und den Werken andrer Autoren, wie des Einhard, Flodoard, Ruotger, die er, wie das Leben Bruns, auch wörtlich excerpirt, theils später auf Grund seiner eignen Erfahrungen, bringt er manche nicht unwichtige und interessante Nachrichten, so über die Einfälle der Normannen und Ungarn, über die Streitigkeiten in Betreff der Besetzung des Lütticher Bischofsstuhls, mit welchem das Kloster seit 889 verbunden war, über die literarische Kultur; namentlich liefert das Werk auch wichtige Beiträge zur Lebensgeschichte Rathers, die wir oben S. S. 373 ff. schon verwertheten. Mit ihm kam ja auch der Verfasser in die schlimmsten Conflicte. Folcuin schliesst seine Geschichte, indem er der von ihm selbst auf Anregung des Bischofs Notker unternommenen kirchlichen Bauten und der zum Schmucke derselben ausgeführten Kunstwerke (c. 29 f.) und endlich anhangsweise einer Anzahl wunderbarer Heilungen, die von dem Grabe des heiligen Ursmar oder andern ihm geweihten Orten zur Zeit des Autors ausgegangen 405 waren, gedenkt. Auch hier fehlte es nicht an Zweiflern, s. c. 38. – Auch dieses Werk Folcuins zeichnet sich durch die Benutzung urkundlichen Materials, ja durch einen gewissen Sinn für historische Kritik aus. S. c. 3 und c. 7. Der Verfasser hat also an der fortschreitenden Bewegung der Geschichtschreibung in diesem Zeitalter auch seinen Antheil.

Die von ihm verfasste Vita S. Folcuini ist dagegen unbedeutend, stoffarm, wie auch das Leben ihres Helden, trotz des hohen Alters, das er erreichte, offenbar wenig ereignissvoll war. Und seine nach der Ansicht Folcuins und seiner Zeit wichtigste Handlung hat noch dazu der Verfasser selbst schon einmal in den Gesta abbatum Sithiensium (c. 57), und viel ausführlicher erzählt, ich meine die Zurückführung der vom Abt Hugo entführten Reliquien des heiligen Andomar nach dem Kloster St. Bertin, welches zur Parochie unsers Bischofs gehörte. Das Leben des heiligen Folcuin lehrt nur von neuem, wie leicht Söhne aus vornehmem Hause die geistliche Laufbahn machten. Der Heilige, mit dem karolingischen Hause verwandt, erlangte, zum geistlichen Stande ausgebildet, das Bisthum der urbs Tarverna 817 in verhältnissmässig jungen Jahren, da er es fast 40 Jahre verwaltet hat.

 

Auch der Nachfolger Folcuins als Abt von Laubach hat sich auf diesem Felde der Geschichtschreibung versucht, allerdings zu einer Zeit, wo er noch Mönch dieses Klosters war, ich meine Heriger, einen der bedeutendsten Gelehrten seiner Zeit. Er verfasste noch vor dem Jahre 980 die Gesta episcoporum Leodiensium . In: Monum. German. histor., Script. T. VII, 1846, herausgeg. von Köpke (Praef.). – – Histoire littér. de la France T. VII, pag. 194 ff. Heriger war damals Vorstand der Klosterschule, zugleich aber die rechte Hand des Bischofs von Lüttich Notker, den er nicht bloss in häuslichen und kirchlichen Angelegenheiten, sondern auch in politischen unterstützte, an welchen der Bischof grossen Antheil hatte; so begleitete er ihn auch nach Italien an den Hof Otto's III. i. J. 989. Heriger hat ausser jenem historischen Werk noch eine reiche literarische Thätigkeit auf andern Gebieten entfaltet, im Interesse der Schule sowohl als der Kirche. So verfasste er eine Schrift zur Erklärung des Gerbertschen Abacus, so behandelte er in 406 einem in den neunziger Jahren verfassten Schreiben an einen Mönch Hugo, wahrscheinlich den späteren Abt von Laubach, seinen Schüler, die Frage der Berechnung des Ostertermins, indem er den Cyclus des Dionysius verwirft, und in einem Dialog zwischen ihm und Adelbold, dem späteren Bischof von Utrecht, die Ausdehnung der Adventszeit. Sigebert, De script. eccles. c. 137. Ferner schrieb er Heiligenleben, auch eine Vita des heiligen Ursmar in Versen. Ed. Gilles Waulde in: La vie de s. Ursmer. Mons 1628. Inhaltlich wie formell ohne Bedeutung. – Auch die von uns und andern Gerbert beigelegte Abhandlung De corpore et sanguine Domini (s. oben S. 389) wird von einigen, und namentlich auch von Köpke l. l. pag. 146 f. Heriger zugeschrieben. Endlich hat er auch Antiphonen und Hymnen verfasst.

Seine ungewöhnliche gelehrte Bildung zeigt sich denn auch in der Ausführung seiner Bischofsgeschichte, die dadurch gerade ein besonderes literarisches Interesse hat. Er hat sie auf Anregung des Bischofs Notker geschrieben, der ihn zunächst nur zur Abfassung des Lebens eines der Lütticher Bischöfe, des h. Remaclus, worum er selbst schon gebeten worden war, Da die alte Vita nicht genügte. aufgefordert hatte. Heriger erweiterte dann die Aufgabe, indem er die Vorgänger des Remaclus auch behandelte, ja er wollte auch die Gesta der Nachfolger bis auf seine Zeit erzählen; aber das Werk, sowie es uns überliefert ist, schliesst mit des Remaclus Leben (667); das letztere, das mit einem eigenem Proömium versehen ist, wurde von Heriger auch selbständig edirt. Notker selbst hat den Autor wohl mit Material unterstützt. S. über das Verhältniss des Antheils beider Autoren an dem Werke die eingehende Untersuchung Köpke's l. l. pag. 138 ff.

Betrachten wir zunächst den Inhalt des ganzen Werkes. Vgl. in Betreff der folgenden Geschichte des Lütticher Bisthums die vortreffliche kritische Darstellung Rettbergs, Kirchengeschichte Deutschlands, Bd. I, S. 74 ff., 204 ff. und 554 ff. Auch ihm geht als erstes Kapitel ein Proömium voraus, worin wir Auskunft über Anlass und Anlage des Werks erhalten. Der Autor lehrt dann, wie Gott gerade das noch in tiefer Finsterniss liegende Abendland durch die Apostelfürsten selbst erleuchten liess. So sandte denn auch Petrus von Rom in die Hauptstadt der Trevirer die drei Missionare Eucharius, Valerius und Maternus. Aber auf dem Wege dahin stirbt im Elsass Maternus, worauf die beiden andern nach Rom wieder gehen; 407 dort werden sie von Petrus getröstet, er ermahnt sie zurück zu eilen und mit seinem Bischofsstab, den er ihnen mitgibt, Hieraus erklärte man, dass der Papst keinen Bischofsstab führt. Rettberg a. a. O. S. 75. den Todten wiederzuerwecken. Dies Wunder geschieht und unterstützt dann ihr Bekehrungswerk (c. 6). Sie gelangen darauf nach Trier und gründen dort ein Bisthum, das zugleich noch Köln und Tongern umfasst. Der Reihe nach bekleiden sie es, der eine nach des andern Tode. Maternus hat in Tongern acht Nachfolger, von denen man nichts näheres weiss in Folge der Verwüstungen der Hunnen (c. 15). Ueber diese, ihre Herkunft und ihre Invasionen verbreitet sich hier der Autor, um dann des neunten Bischofs von Tongern nach Maternus, Servatius, des ersten historischen, zu gedenken, welcher, um das drohende Unheil der herannahenden Hunnen von seinem Lande abzuwehren, nach Rom eilt und den heiligen Petrus an seinem Grabe um Hülfe anfleht. Doch der Apostel, der ihm in einer Vision erscheint, belehrt ihn, dass wegen ihrer Sünden die Stadt des Servatius nicht gerettet werden könne; er selbst aber solle nach Mastricht flüchten (c. 23). Den Auszug des Heiligen, die Klagen seines Klerus und seiner Gemeinde beschreibt darauf unser Autor, weitläufige Reden einflechtend. Das Bisthum von Tongern bleibt danach eine Zeitlang verwaist: erst seit der Zeit des heiligen Remigius erscheint es wieder besetzt. Der ein und zwanzigste Bischof aber, Monulf verlegt den Sitz des Bisthums nach Mastricht (c. 28). – Sehr ausführlich beschäftigt sich dann Heriger noch mit zwei unmittelbaren Vorgängern des Remaclus, dem Bischof Johannes Agnus und dem heiligen Amandus, dessen Leben wir früher schon betrachtet haben; S. oben Bd. II, S. 278 ff. der erstere ist unserm Autor hauptsächlich dadurch merkwürdig, dass er, obwohl Laie und vermählt, zum Bischof gewählt wurde, ein Ereigniss, das die Ueberlieferung durch ein Wunder motiviren zu müssen glaubte (c. 30 f.).

Mit Kap. 40 hebt dann das Leben des heiligen Remaclus an. Derselbe stammte aus einer vornehmen und reichen Familie Aquitaniens und wurde durch den heiligen Eligius in Solignac in das Klosterleben eingeführt. Er zeichnet sich dort durch seine Tugenden so aus, dass Eligius ihm die Leitung 408 des Klosters überlassen kann und er selbst später an den Hof des Königs (Dagobert) zur Führung der Staatsgeschäfte gezogen wird. Kein Wunder, dass man einen solchen Mann in Mastricht gern zum Bischof wählte (um 650, c. 43). Er wirkte denn auch in der That als solcher bedeutend, indem er namentlich viele Klöster gründete und eine Zahl vortrefflicher Schüler erzog, unter welchen der heilige Lambert und der heilige Trudo genannt werden. Unter den Klöstern aber war das 650 gegründete Stablo: dorthin zog sich der Heilige am Abend seines Lebens zurück, um es als Asket zu beschliessen (um 667).

Dies ist der Hauptinhalt der Gesta, welche man gewöhnlich nach den Lütticher Bischöfen nennt, weil später (721) das Tongrische Bisthum seinen Sitz von Mastricht nach Lüttich verlegte. Das Werk Herigers aber erhielt in der Mitte des elften Jahrhunderts eine ausgezeichnete Fortsetzung durch einen Domherrn Lüttichs Anselm. S. über dieselbe Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen Bd. II, S. 131.

Was nun die Ausführung des Werkes betrifft, so zeigt sich in derselben die klassische Bildung Herigers in einer doppelten Beziehung; einmal in einer Nachahmung der alten Historiographie durch Einfügung langer von dem Autor selbst verfasster Reden, wovon wir oben schon ein Beispiel anführten. Ein Seitenstück zu diesem bilden die Reden, welche der heilige Remaclus mit seinen geistlichen Söhnen wechselt, als er von dem Bisthum in das Kloster sich zurückziehen will (c. 49 ff.). Der andre Zug, worin sich diese Bildung direct kundgibt, sind die reichen und mannichfaltigen Citate aus den lateinischen Klassikern, die unser Autor, namentlich im Eingang des Werks wie an seinem Ende, zum besten gibt. Da finden wir solche aus allen Werken des Horaz, aus Tibull, Martial, Persius, Claudian, Terenz (Adelphi, Eunuch), und selbstverständlich aus Virgil; ferner werden von Prosaikern aus Cicero (Tusculanen, Orator, Catilina), Sallust, Plinius ( Hist. natur.) Stellen angeführt. Von den christlichen Autoren, die indess gegen die Klassiker zurücktreten, begegnen namentlich Prudentius und Arator, Hieronymus, Augustin, Sulpicius Severus, Jordanes, Beda, Paulus Diaconus. Man sieht schon hieraus, wie ausserordentlich ausgedehnt die Lectüre Herigers gewesen sein muss, und wie reich seine oder seines Klosters Büchersammlung.

409 Als Geschichtsquelle ist das Buch freilich kaum von Werth, da es, von den rhetorischen und stilistischen Zuthaten abgesehen, fast nur eine zum Theil wörtliche Compilation aus verschiedenen Werken ist; es hat aber auch keine Quellenschrift sein wollen. Indessen ist es nicht ohne alle Kritik verfasst worden; Die sich allerdings nicht auf die Wundererzählungen bezieht; wohl aber tritt der Autor der Meinung, dass der heilige Servatius von Verwandten des Heilands abstamme, entgegen, eine opinio quae fortassis ex pietate ingeritur (c. 20). Auch bekennt er offen über dunkle Zeitabschnitte seine Unwissenheit. auch ist wenigstens das Streben nach einer kunstvolleren Darstellung anzuerkennen.

Noch eine Vita in Prosa hat Heriger verfasst (980), von Notker ebenso wie bei den Gesta aufgefordert und unterstützt: das Leben und die Translationen des heiligen Landoald, der ein Lehrer des heiligen Lambert gewesen sein sollte. Notker selbst war darum von dem Kloster von Gent gebeten worden. Dieses Werkchen hat aber so geringes Interesse, dass wir von einer weiteren Besprechung desselben absehen.

 

Bei weitem das bedeutendste Werk auf dem hier betrachteten Gebiet der Geschichtschreibung hat aber in diesem Zeitraum Frankreich aufzuweisen: es ist die Geschichte der Reimser Kirche von Flodoard, ein paar Decennien vor den Werken des Folcuin und Heriger verfasst. Bei der wichtigen Rolle, die dieses Erzbisthum als kirchliche Metropole Westfranciens, namentlich seit Hincmar, auch in den politischen Angelegenheiten des Landes spielte, erhebt sich auch seine Geschichte schon von selbst zu einer allgemeineren Bedeutung.

Flodoard Flodoardi canonici Remensis opera omnia ed. Migne. Paris 1853 ( Patrolog. latin. T. CXXXV). – Flodoardi Annales ed. Pertz in: Monum. German. histor., Script. T. III (Praef.). – – Historia Remens. ecclesiae ed. Heller et Waitz ebenda T. XIII. (Praef.). – – Histoire littér. de la France. Tom. VI, pag. 313 ff. war in der Diöcese von Reims, zu Epernai 894 geboren, und erhielt seine Ausbildung in der durch Fulco wiederhergestellten Schule der Bischofsstadt selbst. Er wurde Kanonikus ihrer Kirche. Schon frühe zeigte er geschichtlichen Sinn, da er bereits im fünf und zwanzigsten Jahre annalistische Aufzeichnungen machte. Von den Erzbischöfen Herivaeus († 922) und Seulfus († 925) wurde er sehr begünstigt und mit Beneficien 410 ausgestattet, ja von dem letzteren, wie es scheint, auch bei wichtigeren Angelegenheiten zu Rathe gezogen. Als aber nach Seulfs Tode der mächtige Graf von Vermandois Heribert seinen unmündigen Sohn Hugo, einen vierjährigen Knaben, Reims als Erzbischof aufzwang, enthielt sich Flodoard der Theilnahme an einer solchen Wahl und verlor dadurch seine Beneficien. Er schloss sich dann der Gegenpartei an, welche, nach der Einnahme von Reims durch den König Rudolf 931, den Mönch von St. Remi Artold zum Erzbischof erwählte. Im Jahre 936 oder den nächst folgenden unternahm Flodoard eine Reise nach Rom, wo er vom Papst Leo VII. sehr huldvoll aufgenommen wurde, auch wohl ein Zeichen des Ansehens, in welchem er schon damals stand. Auch war er unter den angesehenen Klerikern, an die Rather seine Schrift über sein Exil adressirte. Nach der Vertreibung Artolds vom erzbischöflichen Stuhle 940 traf ihn neue Verfolgung von Heribert, der ihn sogar fünf Monate bewachen liess. Man sieht daraus, welche wichtige Stellung Flodoard bereits in der Partei Artolds einnahm. Die Gegner suchten ihn denn auch zu versöhnen; es wurden ihm seine Beneficien zurückgegeben. Flodoard aber blieb Artold treu und nach der Wiedereinsetzung desselben 947 stand er ihm in den wichtigsten Angelegenheiten der Kirche, auf Synoden wie auf Conventen mit Fürsten, zur Seite, bis er um das Jahr 952 in die Stille eines Klosters, vielleicht St. Basol, sich zurückzog, dessen Abt er wurde. Auch diese Stelle legte er im siebzigsten Jahre, durch Alter und Krankheit genöthigt, zu Gunsten eines Neffen nieder. Drei Jahre später, 966, starb er, hochverehrt.

Vor dem bedeutenden Geschichtswerk, das der Hauptträger seines Ruhms werden sollte, hatte Flodoard ein andres begonnen, das auch von nicht geringem Werthe ist, und zum Theil als Vorarbeit des erstern zu betrachten, ja in mancher Beziehung eine Ergänzung desselben ist: es sind seine Annalen, zu denen er schon im Jahre 919 den Grund legte. Mit diesem Jahre beginnen sie und endigen erst mit dem Jahre seines Todes, sodass ihn dieses Werk durch sein ganzes bewegtes Leben bis in die Stille des Klosters begleitete. Diese Jahrbücher verzeichnen nicht bloss die kirchlichen, sondern ebensowohl die politischen Ereignisse, soweit sie in den Bereich der Kenntniss 411 des Autors kamen, zunächst also die Frankreichs, dann Lothringens und hiernach Italiens; die deutsche Zeitgeschichte wird als solche weit weniger von ihm berührt, vielmehr nur insofern sie direct auf Frankreich influirt oder mit den beiden eben genannten Ländern in Connex erscheint. Lothringen war ja das nächste Nachbarland und griff damals nicht selten unmittelbar in die politischen Verhältnisse Frankreichs ein; zu Italien aber schuf das Papstthum und das burgundische Reich nähere Beziehungen. Zu rühmen ist die unparteiische Objectivität der Darstellung; freilich darf man andrerseits auch keine Motivirung der Thatsachen, keine Erklärung des Zusammenhangs der Dinge erwarten: dies lag in der annalistischen Abfassung begründet, welche gerade durch diesen Mangel die erst genannte Tugend begünstigte. Auch im Stil der alten Annalen, versäumt der Verfasser nicht, alle meteorologischen Ereignisse anzumerken, ebenso Pestilenzen, Misswachs u. dergl. Ein mit besonderer Vorliebe gepflegtes Thema seiner Aufzeichnungen aber sind Mirakel und Visionen, Die grosse Zahl der hier erwähnten ist allein schon kulturgeschichtlich sehr bemerkenswerth. bei deren Mittheilung, und selbst der allerunglaublichsten Dinge, So z. B. den Schluss des Jahres 937. Er erzählt da von einem in die Hände der Ungarn gefallenen Mönch: Quidam, ut hic presbiter refert, nudum eum vidit in medio positum et sagittis undique appetitum, nec summo tenus saltem cute praecisa vulneratum. Resiliebant enim ab eius corpore, ut ab adamante, relisae sagittae nec signum ictus ullum eius apparebat in cute. Sed et gladio cum omni conatu eum nudum se vidisse percuti dicit, ac nihilominus caro ipsius intemerata permansit. Und dasselbe Geschichtchen wiederholt er noch in der Historia l. II, c. 10. Solcher Leichtgläubigkeit gegenüber kann man nicht, wie Waitz (Praef. pag. 407), geltend machen, dass er durch ein fertur, traditur bei solchen Erzählungen seinen Zweifel ausdrücke, so wenig er dies offenbar durch das ut presbiter refert in der obigen thut. er keinerlei Neigung zu irgendwelcher Kritik verräth, obgleich doch manche seiner Zeitgenossen, wie wir sahen, schon zu einer solchen sich aufgefordert fanden. Es ist dies für Flodoard bezeichnend und steht ganz im Einklang mit seiner poetischen Production, die wir oben betrachteten. – Einen besondern Werth verleiht diesem Werke dagegen die Sorgfalt der chronologischen Angaben; es bildet schon durch letztere allein ein nothwendiges Supplement zu dem andern, grössern Werke.

412 Die Historia Remensis ecclesiae wurde, wie es scheint, auf Anregung des Erzbischofs Rotbert von Trier, dem er schon sein grosses poetisches Werk gewidmet, S. oben S. 357. 948 begonnen und ihm zugeeignet. Zu ihrer Abfassung war Flodoard besonders berufen, nicht nur durch das Annalenwerk, an dem er schon lange arbeitete, sondern auch durch das Amt eines Archivars der Kirche, das ihm übertragen war. Er hat beides sich wohl zu Nutze zu machen verstanden.

Das Werk zerfällt in vier Bücher, in welchen Flodoard die Geschichte seiner Kirche von ihren ersten Anfängen bis zum Jahre 948 (incl.) darstellt, indem er die Geschichtserzählung l. IV, Kap. 37. Als Anhang gleichsam folgen noch eine Anzahl Kapitel, die von Kirchen, Klöstern, Heiligen, Mirakeln und Visionen handeln. mit der Excommunication des Grafen Hugo von Vermandois, des Usurpators des Erzbisthums und »Feindes des Königs Ludwig« schliesst, also mit einem wichtigen Ereigniss, da von jetzt an Artold nach langer Fehde im unbestrittenen Besitze des erzbischöflichen Stuhles blieb, ein Ereigniss, das um so bedeutender unserm Autor erscheinen musste, je grösser der Antheil war, den er an dem Kampfe der zwei erzbischöflichen Prätendenten zu Gunsten Artolds genommen hatte. Der Sieg, den dieser erfochten, war zugleich der seinige.

Wie also der Abschluss des Werks wohl motivirt ist, so auch seine Eintheilung. Das erste Buch (26 Kapitel) behandelt die Geschichte bis auf den heiligen Remigius, sein Leben und Wirken, worauf hier noch seiner Hauptschüler, namentlich des Theoderich, des Gründers des Klosters des heiligen Remigius und dessen zweiten Nachfolgers Theodulf gedacht wird. Remi, der Bekehrer Chlodwigs, verlieh zuerst diesem Bisthum ein hohes allgemeines Ansehen, und so bildet in der Geschichte desselben sein Name nicht mit Unrecht einen Markstein. Das zweite Buch (20 Kap.) ist dann seinen Nachfolgern bis zu Hincmar gewidmet, während das dritte (30 Kap.) allein die ausserordentliche Wirksamkeit dieses grössten der Reimser Erzbischöfe zum Gegenstand hat. Das vierte Buch (53 Kap.) endlich erstreckt sich dann vom Tode Hincmars 882 bis zum Schluss: es umfasst die Episcopate Fulco's, Herivaeus', Seulfs und Artolds sowie seines Gegners Hugo, unter welchen der Autor selbst 413 dieser Kirche angehörte. Indem in dem letzten Buche also Flodoard die Geschichte der eigenen Zeit behandelt, ist auch die Ausführung hier wesentlich verschieden von der in den drei andern Büchern. In diesen schöpft er den Stoff theils aus Büchern, theils – und darin liegt ihr grosser Werth – aus den Akten des Archivs der Kirche, indem er seine Quellen, und zwar die letztern wörtlich, die erstern häufig kürzend reproducirt. So werden im Eingang des ersten Buchs für die erste Geschichte der Stadt Reims, die unser Autor zwar nicht »nach der allgemein verbreiteten Meinung« von des Romulus Bruder, Remus, sondern nur von dessen flüchtigen Soldaten gründen lässt, Livius, Isidor, Eutrop, Ethicus, Caesar und Lucan excerpirt; dann bilden Heiligenleben und Passionen die Quelle für die Geschichte der ersten Bischöfe und Märtyrer der Kirche, von denen der heilige Nicasius besondere Berücksichtigung findet. Hincmars Vita des heiligen Remi ist danach die Hauptquelle. Nur fügt unser Autor das Testament desselben aus dem kirchlichen Archiv in seinem ganzen langen Texte (5½ Seiten in Fol.) hinzu, ein zwar unechtes, aber doch historisch interessantes Aktenstück. Vom zweiten Buch an werden immer mehr Auszüge, Regesten und ganze Urkunden (Diplome, Synodalakten, Briefe u. s. w.) aus dem Archive, welche Quelle mit der Zeit immer reichlicher floss, gegeben, bis das dritte allmählich fast allein solche noch enthält, wodurch dieses Buch von unschätzbarem Werth für die Geschichte der Zeit Hincmars geworden ist. In dem letzten Buche aber schreibt Flodoard, wie sich dies gar nicht anders erwarten liess, seine eigenen Annalen aus, nur mit stilistischen Aenderungen, bezw. auch Verbesserungen, und unter Hinzufügung von Aktenstücken sowie auch einiger Thatsachen, auch solcher, die er aufzuzeichnen früher Anstand genommen hatte. Worauf Monod, Revue critique 1873, No. 42, pag. 263 aufmerksam macht. Auch finden sich hier Mittheilungen, die ihn selbst betreffen und für seine Lebensgeschichte von Bedeutung sind, so c. 13, 20, 28.

Sehr bemerkenswerth ist noch, wie sogleich im Beginne (c. 3) des Werks das Streben hervortritt, die hohe Bedeutung der Kirche von Reims, namentlich eine gewisse Selbständigkeit derselben, Rom gegenüber, darzulegen und historisch zu begründen. Wie Rom von Romulus, so wird Reims, sei es direct 414 oder indirect, von dessen Bruder gegründet; geht die Kirche Roms von Petrus aus, so die von Reims wenigstens von einem, der von ihm gesandt und als Erzbischof ordinirt worden ist, dem heiligen Sixtus. Ampère, der dies hervorhebt (a. a. O. S. 301 f.), geht aber zu weit, wenn er Flodoard hier von einem » concours des suffragants« reden lässt; er bezieht in der betreffenden Stelle irriger Weise die Worte cum suffraganorum auxilio zu ordinatum , während sie offenbar zu dem folgenden delegandum gehören. So wird ferner (l. II, c. 19 fin.) die Vision eines Mönches zur Zeit Ebo's erzählt, worin die heilige Jungfrau selbst erklärt, dass der heilige Remi, da er das Volk der Franken zum Christenthum bekehrt habe, auch das unverletzliche Privileg ( inviolabile donum) besitze, ihnen einen König oder Kaiser zu bestimmen ( constituendi).

 


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