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Fünftes Kapitel.

Hrotsvith. Dramen.

Die literarhistorisch interessantesten Werke der Hrotsvith enthält das zweite Buch. Es sind seit dem Untergang der antiken Welt die ersten dramatischen Versuche, von denen wir wissen. Angeregt sind sie durch die Komödien des Terenz, durch welche wohl allein Hrotsvith das Drama überhaupt kennen lernte. Wie wir aus einem Vorwort der Dichterin erfahren, hat sie gerade zu dem Zweck, ein Gegengift gegen die unsittlichen Stücke des römischen Autors, die wegen ihrer lieblichen Rede selbst Verächter der heidnischen Literatur anzögen, zu liefern, Keineswegs aber spricht Hrotsvith, wie dies gewöhnlich behauptet wird, die Absicht aus, durch ihre Stücke die des Terenz verdrängen zu wollen. diese Dramen gedichtet, »damit die preiswürdige Keuschheit heiliger Jungfrauen in derselben Gattung der Poesie gefeiert würde, in welcher hässliche Inceste lasciver Frauen recitirt wurden.« Freilich empfindet die Nonne darüber Scham, dass sie durch die Dichtungsart genöthigt gewesen sei, auch »den verabscheuenswerthen Wahnsinn der unerlaubt Liebenden und ihre süssen Gespräche« zu behandeln. Aber gerade dadurch erscheine der Triumph der frommen Frauen um so ruhmvoller. Dass die Dichterin in formeller Beziehung weit hinter ihrem Vorbild zurückgeblieben sei, brauche ihr niemand erst zu sagen.

Obgleich Hrotsvith selbst hier ihr Verhältniss zu Terenz als »Nachahmung« bezeichnet, non recusavi illum imitari dictando – – so kann doch von einer solchen 315 nur in ganz allgemeinem Sinne die Rede sein. Er ist ihr ein Muster für den Dialog gewesen, wie denn auch manche Redewendungen ihm entlehnt sind, die aber auch auf dem Wege der Tradition durch die Schule Hrotsvith zum Theil schon besitzen konnte. Die sprachliche Einwirkung wurde indessen schon dadurch wesentlich eingeschränkt, dass die Stücke der Dichterin in Prosa verfasst sind. Die hier und da in auffallender Weise gereimt erscheint. In Betreff der Komposition derselben hat sich, wie wir später sehen werden, der Einfluss des Terenz wenig geltend gemacht, sind doch die Stücke Hrotsviths nicht einmal in Akte und Scenen getheilt: dagegen, was man von vornherein nicht erwarten sollte, viel mehr in Betreff der Wahl der Stoffe. Freilich hat Hrotsvith nur Legenden behandelt: aber, wie ihre Vorrede zeigt, glaubte sie auf Grund ihres Vorbildes, dass diese Dichtungsart Liebesgeschichten zum Inhalt haben müsse. Hoc tamen facit non raro verecundari gravique rubore perfundi, quod, huiusmodi specie dictationis cogente, detestabilem inlicite amantium dementiam et male dulcia colloquia eorum, quae nec nostro auditui permittuntur, accomodari dictando mente tractavi et stili officio signavi. Und in der That ist bei fünf von ihren sechs Stücken die Liebe, und zwar bei vier in ihrer sinnlichsten Gestalt, der Hauptfactor der Handlung.

Man hat nach dem Haupthelden den Stücken die Titel gegeben, die in der Handschrift ganz fehlen: Gallicanus, Dulcitius, Calimachus, Abraham, Paphnutius, Sapientia. Das Stück, das die Reihe eröffnet, ist sicher auch das der Abfassungszeit nach erste; Es schliesst sich, worauf schon Köpke S. 58 aufmerksam machte, stofflich unmittelbar an die letzte der poetischen Erzählungen oder vielmehr an deren Quelle, die dem heiligen Ambrosius beigelegte Legende von der heiligen Agnes an, indem dort am Schluss ausführlich die Bekehrung der Tochter Constantins, Constantia durch die heilige Agnes erzählt wird, welche in der poetischen Erzählung Hrotsviths weggelassen ist. S. oben S. 303, Anm. 3. es ist auch das an Handlung reichste und umfänglichste, wie es auch in zwei Theile zerfällt, von welchen der zweite den Charakter eines Nachspiels hat. Hier können wir sogleich die Art, wie Hrotsvith ihre Stoffe dramatisirte, erkennen. Den Gegenstand bildet die Bekehrung des Feldherrn Constantins des Grossen, Gallicanus durch die Hofbeamten Johannes und Paulus, sowie sein und seiner Bekehrer Martyrthum 316 unter Julian. Die Passio der beiden zuletzt erwähnten Heiligen mit den ihr vorausgehenden Acta ist die Quelle, welche die Dichterin, nicht selten mit ihren Worten selbst, benutzt hat. S. Acta Sanctor., Junii T. V, pag. 37 f. und pag. 159 f. Schon der Umstand, dass die Acta mit der Passio zusammen ein Ganzes bilden, zeigt, dass die beiden Theile des Stücks nicht als zwei von einander unabhängige Dramen zu betrachten sind, sondern ihr Verhältniss zu einander das oben angezeigte ist.

Das Sujet des ersten Theils ist nach der Vorlage kurz dieses. Der noch heidnische siegreiche Feldherr Gallicanus verlangt beim Beginne eines neuen Krieges die Hand der Tochter des Kaisers, Constantia als Belohnung seiner Dienste. Sie aber hat sich dem Himmel verlobt. Dem über diesen Conflict sorgenvollen Vater räth die Tochter, in der Hoffnung auf Gott, sie dem Gallican für den Fall des Siegs zu verheissen, aber damit sie sich näher kennen lernten, zu verlangen, dass er während des Feldzugs bei ihr seine beiden Töchter weilen lasse und dagegen ihre frommen Primicerii Johannes und Paulus in seine Umgebung aufnehme. Die Folge dieser Massregel ist die Bekehrung der Töchter wie des Vaters. Gallican freilich wird erst nach einer Niederlage dem Christenthum gewonnen, indem er in der Noth auf den Rath der beiden Primicerii für den Fall des Siegs dem Gott der Christen die Taufe gelobt. Er widmet sich dann selbst, ebenso wie seine Töchter, dem asketischen Leben. – Der zweite viel kürzere Theil hat die Passion der drei Märtyrer unter Julian zum Gegenstand, zuerst des Gallican, der anfangs verbannt, darauf enthauptet wird; dann der beiden Hofbeamten, von denen als solchen Julian Dienste verlangt: das verweigern sie dem Heiden, noch mehr darauf, dem Jupiter zu opfern. Von Soldaten unter Führung des Terentianus werden sie heimlich, weil im Palast erzogen, hingerichtet. Aber als der Sohn des Terentian am Grabe der Märtyrer vom Teufel besessen wird, bekehrt sich der verzweifelnde Vater zum Christenthum und erlangt so von den Märtyrern die Wiederherstellung des Sohnes.

Zeigen wir nun die Komposition des ersten Theils.

Das Stück eröffnet ein Gespräch des Constantin mit Gallican (er ist von den »Principes«, wohl des Heeres, begleitet), worin jener diesen zur endlichen Eröffnung des Feldzugs gegen die Scythen ermahnt, dieser aber unter Betheuerung seines 317 Gehorsams eine Belohnung verlangt, jedoch nur sehr zögernd sie zu bezeichnen wagt. Der Kaiser erklärt, zunächst seine Tochter befragen zu müssen. Dies geschieht in der zweiten Scene. Constantia versichert, dass sie lieber sterben als ihre Jungfräulichkeit opfern wolle, aber im Vertrauen auf Gottes Hülfe gibt sie den Rath wie in der Vorlage. In der folgenden Scene finden wir Gallican mit den Principes wieder, voll Unruhe über die Entscheidung. Doch Constantin kehrt, wie er bemerkt, mit heiterm Angesicht zurück, statt mit dem umwölkten, mit welchem er schied. In der vierten Scene eröffnet dann der Kaiser dem Gallican die Antwort seiner Tochter.

Diese vier ersten Scenen zeichnen sich durch einen äusserst lebhaften, wahrhaft dramatischen Dialog aus – denn er spiegelt die Empfindungen der Redenden getreu wieder – eine für jene Zeit wirklich bewundernswerthe Leistung.

Scene 5 werden bei Constantia die Töchter Gallicans angemeldet. Sie wendet sich darauf im Gebet an Gott, dass er diesen von seiner »ungerechten Absicht« abwende und jene mit der Süssigkeit seiner Liebe erfülle, sodass sie in den Stand der heiligen Jungfrauen treten wollen. Hierzu fordert dann Constantia in der folgenden Scene alsbald die beiden Mädchen auf, die auch ohne weiteres einwilligen. Die plötzliche Bekehrung wird freilich von ihr auf Rechnung einer göttlichen Inspiration gesetzt. Scene 6 werden die Primicerii zu Gallican gesandt, Scene 7 von ihm empfangen; er bricht auf, um den Göttern vor seinem Auszug zu opfern. Scene 8 kommt er vom Tempel zurück und trifft die beiden Primicerii, die unterdessen zum Feldzug sich gerüstet haben. Die Scene beginnt Johannes mit den Worten: En dux egreditur; ascendamus equos.

Mit der folgenden Scene werden wir schon auf das Schlachtfeld versetzt. Unzählig sind die Legionen der Feinde, meint Gallican; doch fordert er zum mannhaften Widerstand auf. Die Tribunen aber zweifeln schon an dem Erfolg, sie sind geneigt sich zu ergeben. Da räth Johannes Gallican, die Annahme des Christenthums Gott zu geloben, dann werde er siegen. Gallican gelobt es. – Alles das vollzieht sich mit Windeseile. Nach der Aufforderung des Johannes sagt Gallican: Voveo et opere implebo. Darauf: Hostes: Heus! rex Bradan, sperandae fortuna victoriae alludit nos; en dextrae languescent, vires fatiscent, sed et inconstantia pectoris cogit nos discedere ab armis. 318 Die Feinde erklären alsbald ihrem König, dass Kräfte und Muth ihnen gesunken sind; er empfindet dasselbe; er zeigt dem Gallican seine Unterwerfung an und wird mit seinem Volk als Föderirte zu Gnaden aufgenommen.

Scene 10 zieht das Heer wieder in Rom ein. Gallican will an den Tempeln vorbeigehen, um die Kirche der Apostel aufzusuchen. Scene 11 wird Constantin hiervon unterrichtet, der sich über das Ausbleiben des Feldherrn wundert.

Die zwölfte Scene ist endlich wieder eine längere, ausgeführte. Gallican berichtet hier dem Kaiser in lebhaftem Wechselgespräch den Verlauf der Schlacht, obgleich dieser ja schon dramatisch vorgeführt worden ist, aber mit einigen Zusätzen, getreu der Vorlage, namentlich, dass ihm nach dem Gelübde ein Jüngling mit einem Kreuz vorangegangen und bewaffnete Scharen Unbekannter zur Seite gestanden; und er endet mit der Erklärung, dass er der Hand der Constantia entsage und unvermählt bleiben wolle. In der folgenden Schlussscene des ersten Theils treten Constantia und die Töchter Gallicans sammt des Kaisers Mutter Helena zu den vorigen ein, Freudenthränen vergiessend. Der bekehrte Gallican verschmäht die Auszeichnung gleich einem Mitglied der kaiserlichen Familie im Palaste zu wohnen, vielmehr will er jetzt nur dem Kaiser noch dienen, durch dessen Hülfe er gesiegt hat, er will zu einem heiligen Manne nach Ostia sich zurückziehen, um dort ganz der Askese zu leben. Mit einem Segen, den Constantin für dieses Vorhaben vom Himmel erfleht, und einem Amen des Gallicanus schliesst dann der erste Theil, der offenbar ein Ganzes für sich bildet.

Es ist leicht zu erkennen, dass wie in den späteren Mysterien die Komposition eine ganz epische ist. Dies zeigen namentlich recht die ganz kurzen Scenen 6 bis 8, die dramatisch ganz werthlos sind, und jedenfalls durch eine hätten ersetzt werden können. Schon der stete Scenenwechsel lässt erkennen, dass an eine Aufführung ihrer Stücke Hrotsvith gar nicht hat denken können, von welcher überhaupt sie auch schwerlich einen Begriff hatte. Sie hat sicher nur eine Lectüre im Sinne gehabt, und wohl selbst von den Stücken des Terenz angenommen, dass sie immer nur zu einer solchen bestimmt gewesen. 319 Wahrhaft dramatisch ist nur der Dialog; doch auch die Eröffnung des Stücks, die Art wie Constantin seine Rede anhebt, zeigt eine gewisse dramatische Begabung der Dichterin. Von einer Charakterzeichnung findet sich dagegen kaum eine Spur.

Unsere Kritik gilt nicht minder von dem zweiten Theil, wo das doppelte Martyrium in gar keine innere Relation gesetzt ist. Die ersten Scenen sind in Betreff der Mängel der dramatischen Komposition recht bezeichnend. Scene 1 sendet Julian seine Soldaten aus, um die Christen aus ihren Besitzungen zu verjagen: Scene 2 kehren sie sofort zu ihm wieder Die Pause zwischen dem Befehl und dem Bericht von der Ausführung wird gar nicht ausgefüllt. Die Sc. 1 schliesst: Milites: In nobis non erit mora. Die folgende Scene beginnt: Consules: En milites revertuntur. und erzählen von dem, was sie bei dem Betreten der »Castelle« Gallicans erfahren haben. Julian fordert sie auf, Gallican zu vertreiben. Scene 3 erklärt dieser den Soldaten, die gar nicht redend eingeführt werden, dass er nach Alexandria ziehen werde. Diese kurze Rede bildet die ganze Scene. Scene 4 erscheinen die Soldaten bei Julian wieder, um bereits die Hinrichtung Gallicans in Alexandria zu melden. – Wie war es möglich an eine Aufführung solcher Stücke zu glauben, wie dies doch von manchen, und selbst von verständigen Gelehrten geschehen ist?

Das zweite Stück, Dulcitius, hat seinem Sujet nach einen wesentlich andern Charakter. Erinnert das erste an die Hauptstaatsactionen, so dieses in manchen Scenen an die Komödie und Posse, obgleich auch hier ein Martyrium und zwar von drei Jungfrauen, Agape, Chionia und Irene den Gegenstand bildet. Der Inhalt ist dieser. Diocletian will die drei Schwestern, welche ebenso schön als von edler Herkunft sind, mit den Ersten seines Palastes vermählen, wenn sie Christus verleugnen und den Göttern opfern wollen. Sie weigern sich. Darauf werden sie dem Präses Dulcitius überantwortet (Scene 1). Dieser lässt sie sich vorführen und bezaubert von ihrer Schönheit, will er sich ihrer Liebe erfreuen, wie er ihren Wächtern erklärt. Er befiehlt, um sie bequem besuchen zu können, sie in einem Wirthschaftsraum seines Hauses, in dessen Vorhof die Küchengeräthe aufbewahrt werden, einzuschliessen (Scene 2). Dort dringt er des Nachts ein, aber in Folge einer plötzlichen 320 Verrücktheit umarmt und liebkost er statt der Mädchen die russigen Töpfe und Kasserollen, wie durch eine Spalte die Jungfrauen sehen und schildern – eine dramatisch lebendig ausgeführte Scene (4). Schwarz wie ein Teufel kommt er wieder heraus, sodass die Wächter selbst vor ihm die Flucht ergreifen (Scene 5). Er eilt zum Palast, um beim Kaiser sich deshalb zu beschweren, aber die Thürhüter drohen den nur noch mit zerrissenen schwarzen Fetzen bekleideten zu prügeln (Scene 6). Da erscheint seine Frau, die ihn trotz aller Entstellung erkennt. Nun endlich bemerkt er, wie er durch die Zaubereien der Mädchen betrogen worden. Er will sich rächen: nackt will er sie ausstellen (Scene 7). Aber die Wachen erklären, dass sie vergeblich sich abmühen, ihnen die Kleider abzuziehen, welche wie die Haut am Körper festkleben (Scene 8). Nun übergibt sie Diocletian dem Comes Sisinnius; der verurtheilt, da sie beim Christenthum beharren, die beiden älteren zum Flammentod, aber sie sterben, ohne dass ihre Körper oder Kleider vom Feuer verletzt sind. Die jüngste, Irene soll dem Lupanar übergeben werden; die Wachen jedoch, durch ein paar Engel verführt, geleiten sie auf den Gipfel eines Berges. Sisinnius versucht vergebens ihn zu ersteigen: so lässt er endlich durch einen Pfeilschuss die Märtyrerin tödten.

Auch hier folgt die Verfasserin einer Legende, welche die Acta S. S. unter dem 3. April bringen, S. Aprilis Tom. I, pag. 248 ff. – Dass die Legende auch im fernen Abendlande schon lange bekannt war, zeigt Aldhelm. S. oben Bd. I, S. 588. mit geringen Abweichungen So spielt in der Legende die erste Scene in Aquileja, die zweite in Thessalonich, wohin sich Diocletian, die gefangenen Christen mitschleppend, begeben hat. Diese Verschiedenheit des Orts wird von Hrotsvith ignorirt, und so eine Einheit desselben hergestellt. Auch einzelne Kürzungen in den Reden finden sich, durch welche die Handlung rascher fortgeführt wird. getreu, nur weniger unter wörtlicher Benutzung, als im ersten Stück. Die Art der Komposition bleibt aber dieselbe.

Das dritte Stück, der Calimachus, So schreibt die Handschrift den Namen. hat den Charakter einer Liebestragödie. Der Stoff ist aus den apokryphischen Akten des Apostels Johannes geschöpft, und zwar aus des angeblichen Abdias Apostolica historia . Die von mir benutzte Ausgabe ist die des Codex apocryphus Novi Testamenti von Fabricius. Ed. II. Hamburg 1719. S. dort die Geschichte der Drusiana pag. 542 ff. – Ueber die Acten des Johannes aber s. Lipsius, Die apokryphen Apostelgeschichten und Apostellegenden. Bd. I, S. 348 ff. und insbesondere unsere Legende S. 457 ff. Die Behandlung ist hier 321 noch etwas freier als in dem Dulcitius, indem sich hier noch weniger wörtliche Anklänge an die Quelle finden.

Auch hier ist die Eröffnung des Stücks – das in Ephesus spielt – mit Geschick gemacht. Calimachus theilt seinen Freunden das Geheimniss seiner Liebe zu der schönen Drusiana, der Gemahlin des Andronicus, mit. Er hofft sie zu gewinnen. Doch sie ist Christin: erwiedern die Freunde. Und als er trotzdem bei dem Vorsatz beharrt, theilen sie ihm mit, dass sie, eine Schülerin des Johannes, sich Gott ganz geweiht habe, sodass sie selbst ihrem sehr christlichen Manne die Rechte des Gatten nicht gestatte. »In Verzweiflung stürzt ihr mich, von denen ich Trost zu erhalten dachte«, ruft der Liebende. Er hofft doch noch Drusiana zu überreden (Scene 1). Dieser Versuch wird in der folgenden Scene gemacht. Freilich ist er, wie kaum anders von der dichtenden Nonne zu erwarten war, in ihrer Darstellung ein sehr unvollkommener. Calimachus fällt sozusagen mit der Thüre ins Haus. Und wird so nur um so rascher von Drusiana abgewiesen, die ihm auch für alle Zukunft jede Hoffnung benimmt. Dennoch droht er, ihr weiter nachzustellen. So fürchtet Drusiana in einem darauf folgenden Monolog doch für ihre Keuschheit. Sie weiss nicht, was zu beginnen: entdeckt sie die Angelegenheit, so wird es zu einem Streit in der Bürgerschaft kommen; verheimlicht sie dieselbe, so wird sie schwer den teuflischen Nachstellungen widerstehen können. Von diesen Sorgen findet sich bei Abdias nichts, bei ihm heisst es (nach Fabricius l. l. p. 543) nur: quia causa tanti vulneris infirmae animae sum und vorher bei ihrer Erkrankung dolens quod – – tantum ex eius forma nefas exortum esset. Darauf bezieht sich der Eingang unsers Monologs: Eh heu! domine J. Chr., quid prodest castitatis professionem subiisse, cum is amens mea deceptus est specie? Man vergleiche damit die Worte des Johannes Scene 7 in Bezug auf den Wunsch der Drusiana zu sterben: Hoc amor castitatis coegit. Sowohl dass Hrotsvith eine tiefere Motivirung nöthig fand, als auch wie sie sie ausführt mit aller Kenntniss der Schwäche des weiblichen Herzens, ist sehr beachtenswerth. So bittet sie Christus um ihren Tod, um nicht dem Jüngling zum Verderben zu werden. Ihre Bitte wird alsbald erfüllt: der heimlich eingetretene Andronicus constatirt nur ihren plötzlichen Tod. So muss man Scene 3 bei Hrotsvith auffassen; bei Abdias geht eine Erkrankung am Fieber voraus, in das sie zwei Tage nach der Begegnung mit Calimachus verfällt. 322

Indessen ist Calimachus auch durch diesen von seiner Leidenschaft nicht geheilt. Er besticht den Wächter des Grabes, Fortunat (Scene 5), ihn die Geliebte sehen zu lassen. In der folgenden Scene will er, von seiner Leidenschaft fortgerissen, selbst der Leiche Gewalt anthun, wozu ihn der ungetreue Fortunat geradezu auffordert. Aber eine furchtbare Schlange greift beide an. Scene 7 kommen Johannes und Andronicus zum Grabe der Drusiana, um für sie zu beten. quo animam Christo commendemus prece: so wird das ut sacra celebrarent des Abdias wiedergegeben, s. Fabric. p. 548. Vgl. Lipsius S. 459. Da treffen sie dort in der Gestalt eines schönen Jünglings Christus, welcher sagt, »er sei wegen der Auferweckung der Drusiana und des Calimachus (durch Johannes) Dies fehlt seltsamer Weise. In der Quelle sagt der Jüngling zu Johannes (l. l. p. 459): Propter Drusianam, quam habes nunc resuscitare etc. erschienen, damit sein Name in ihnen gepriesen werde«: worauf er verschwindet. Andronicus sagt nach Christi Rede: Quam subito receptus est coelo! So wird die Stelle der Erzählung: Et haec cum dixisset – – in coelum, videntibus Joanne et caeteris, revertebatur, dramatisirt. Die beiden andern nähern sich jetzt dem Grabe; da finden sie den Leichnam der Drusiana herausgeworfen und daneben die des Calimachus und Fortunat, beide von der Schlange umwunden. (Der letztere war von derselben getödtet, der erstere vor Furcht gestorben). So wird in der Quelle berichtet, und hier (Scene 6) beim Herannahen der Schlangen von Calimachus vorher verkündet. Andronicus enthüllt nun dem Johannes die Ursache des Todes der Drusiana. Der Apostel aber erweckt, nachdem er die Schlange verscheucht, zuerst den Calimachus. Der erzählt, wie beim Herannahen der Schlange ein schöner Jüngling furchtbaren Anblicks, aus dessen Angesicht Flammen sprühten, von denen ein Funke ihn getroffen, ihm erschienen sei mit den Worten: »Stirb, Calimachus, um zu leben!« Darauf sei er verschieden. – Calimachus bereut innig sein früheres Leben sowie seine Missethat und verlangt unter des Apostels Leitung Christ zu werden. Nun wird Drusiana ins Leben zurückgerufen, welche alsbald auch die Wiedererweckung des Fortunat wünscht. Vergeblich erklärt sich Calimachus dagegen, da er ihn zum Verbrechen aufgefordert habe. Der Apostel verweist ihm dies unter 323 christlichen Ermahnungen, indem er der Drusiana selbst die Erweckung überlässt. Sie erntet aber keinen Dank von Fortunat: als er Calimachus' Bekehrung vernimmt und dass ihn selbst Drusiana erweckte, wünscht er sich lieber den Tod als die beiden so reich an Gnaden zu sehen. Hier weicht Hrotsvith von dem überlieferten Texte des Abdias ab, wo es einmal heisst: cum – – vidisset Drusianam resuscitatam, und hernach: ne videret quod etiam ad illos virtutis gratia pervenisset. l. l. pag. 555. Ich sage von dem überlieferten Texte, da mit dem des Fabricius auch Lipsius' Darstellung S. 463 übereinstimmt. Die Vorlage Hrotsviths bot hier offenbar einen besseren Text. Sein Wunsch soll ihm erfüllt werden und er wegen seines Neides zur Hölle fahren: sagt der Apostel, mit dessen frommen Betrachtungen das Stück schliesst.

Das zunächst folgende Stück, eins der besten, ist Abraham betitelt, obgleich es richtiger nach der Heldin Maria zu nennen wäre. Sein Gegenstand ist die Bekehrung einer Hetäre. Maria, als siebenjähriges Kind verwaist, wird von ihrem Oheim, dem frommen Einsiedler Abraham zu sich genommen und Christus verlobt. Zwanzig Jahre lebt sie bei ihm in der Askese; da gelingt es einem Mönch sie zu verführen, nachdem er fast ein Jahr bei seinen Besuchen des Einsiedlers ihr nachgestellt hat. Sie entflieht darauf, indem sie verzweifelt, je Verzeihung zu erlangen; Abraham aber sendet einen Freund aus, sie auszukundschaften. Dieser findet sie nach zwei Jahren im Hause eines Leno. Nun macht sich der Eremit selbst auf, sie zurückzuführen, indem er als Kriegsmann verkleidet zu ihr dringt. Die reuige kehrt mit ihm heim und unterwirft sich der strengsten Busse. – Dieser Stoff stammt aus einer Vita des Eremiten Abraham (welcher in der Nähe von Lampsacus gelebt haben soll), verfasst von einem Zeitgenossen Ephraim in griechischer Sprache. Selbstverständlich hat unserer Dichterin eine lateinische Uebersetzung vorgelegen, die aber in ihrer ursprünglichen Redaction nicht mehr erhalten zu sein scheint. Am nächsten kommt ihr nach Köpke S. 64 der in Rosweyde's Ausgabe der Vitae Patrum, Antwerpen 1628, S. 368 ff. veröffentlichte Text. Das griechische Original findet sich in den Acta S. S., Martii T. II, pag. 741 ff.; eine moderne lateinische Uebersetzung nebst Einleitung ebenda pag. 433 ff.

Auch die Komposition dieses Stücks hat ganz den epischen Charakter der andern, bei welchem der Einheit der Zeit und des Ortes gar keine Rechnung getragen wird. Die Scenen 324 folgen Schritt für Schritt der Erzählung. Zur Erleichterung der Dramatisirung hat die Dichterin nicht ohne Geschick den Verfasser der Vita, Ephrem in der Eigenschaft eines » coeremita« als Vertrauten des Abraham in das Stück selbst eingeführt. Worauf freilich die Vita selbst sie hinwies, indem ( Acta S. S. l. l. pag. 441 § 28) Maria in ihrer Verzweiflung der von ihm empfangenen Unterweisung gedenkt, von der früher indess in der Erzählung keine Rede war. Ein Dialog beider eröffnet das Stück, in welchem Abraham seinem Freunde die Sorge, welche ihm die schöne siebenjährige Waise macht, offenbart sowie die Absicht, sie dem asketischen Leben zu weihen, auf welches schon ihr Name sie hinweise. In der folgenden Scene wird diese Mittheilung auch dem Kinde gemacht, indem ihm die heilige Jungfrau als Muster hingestellt wird, welchem es durch unverbrüchliche Keuschheit sich annähern könne. – Die dritte Scene spielt schon zwanzig Jahre später. Abraham theilt seinem Vertrauten hier den Fall seiner Nichte mit und die Traumbilder, welche ihm denselben voraussagten, welcher auch in der Vita gedacht wird. Er hat alles durch Leute, die die Wahrheit wissen, erfahren, Abr. Tandem accesserunt qui veritatem scientes, res sese ita ut tibi nunc exposui, habere – dixerunt. er weiss auch schon welches Leben sie führt. Unter der Maske eines Liebhabers will er bei ihr Zutritt suchen, selbst wenn er das Gelübde der Enthaltsamkeit in Speise und Trank verletzen muss. Die Zustimmung Ephrems bestärkt ihn in seinem Vorsatz. – In der vierten Scene kehrt der lang erwartete Freund zurück und Abraham rüstet sich alsbald mit Helm und Speer und einem Solidus für den Leno zur Fahrt. In dieser Scene finden wir eine erklärende Anmerkung der Verfasserin seltsamer Weise in den Mund des Amicus gelegt, die auch recht zeigt, wie diese Stücke nur zum Lesen bestimmt waren. Auf den Ausruf Abrahams: Quid hoc monstri est, quod hanc – – alienos amatores audio sequi, antwortet Amicus: Hoc meretricibus antiquitus fuit in more, ut alieno delectarentur in amore. Scene 5 begrüsst schon Abraham den Stabularius und wünscht die von vielen so gerühmte Schönheit zu sehen: eine durch die Lebendigkeit des Dialogs und Natürlichkeit der Darstellung ausgezeichnete Scene. Die Scene beginnt: Abr. Salve, bone stabularie. Stab. Quis loquitur? – Hospes, salve. Abr. Estne apud te locus viatori ad pernoctandum aptus? Stab. Est plane; nostra hospitiola nulli sunt neganda. Abr. Laudabile. St. Intra, ut tibi praeparatar coena. Abr. Magnas tibi pro hilari susceptione (gratias) debeo, sed adhuc maiora expeto. Stab. Quae voles ut concessurum efflagita. Abr. Accipe vile munus, quod defero, et fac ut praepulchra quam tecum obversari experiebar, puella nostro intersit convivio. etc. etc. Maria wird herbeigerufen. Abraham 325 weiss kaum seine Thränen zurückzuhalten, als er sie in dem Aufzug einer Buhlerin wiedersieht. Der Leno aber beglückwünscht sie, nicht bloss ihre Altersgenossen, sondern auch Greise anzuziehen. Die folgende Begegnung Abrahams mit Maria, die ihn nicht erkennt, ist freilich äusserst naiv dargestellt. Auf den Glückwunsch des Leno erwiedert Maria: Quicunque me diligunt, aequalem amoris vicem a me recipiunt. Dann Abr. Accede, Maria, et da mihi osculum. – Maria: Non solum dulcia oscula libabo, sed etiam crebris senile collum amplexibus mulcebo. Abr. Hoc volo. Als sie ihn küsst, wird sie durch den Duft, der von dem frommen Manne ausgeht, an ihr früheres asketisches Leben erinnert. Sie stösst einen Klageruf über sich und ihren tiefen Fall aus. Abraham aber spielt, da noch immer der Leno gegenwärtig, seine Rolle mit Selbstverleugnung weiter: er sei nicht gekommen, um mit ihr ihre Sünden zu beklagen, sondern ihrer Liebe sich zu erfreuen. Nachdem er gezecht, will er ruhen und folgt nun Marien in das Schlafgemach. – Jetzt erst sind sie allein, die Thür wird verschlossen: nun gibt er sich zu erkennen. Tempus, ablato capitis velamine quis sim aperire: sagt er. Was sich die Dichterin unter der Verhüllung dachte, ist nicht zu erkennen. Sollte sie den Helm gemeint haben? Aber er bedeckte sein Gesicht nicht, da Maria ihn doch küsste. – In der Quelle wird der Umstand, dass sie ihn nicht erkennt, worauf sie dann etwa die Flucht ergriffen hätte, auf eine göttliche Anordnung zurückgeführt. S. Acta S. S. l. l. pag. 442, § 34. Die zerknirschte Maria fürchtet, wegen der Grösse ihrer Vergehen keine Verzeihung des Himmels zu finden. Abraham aber sucht sie zu trösten mit der Ueberfülle der göttlichen Gnade. Hat er doch in dieser Hoffnung allein das grosse Opfer, das er ihr gebracht, sich auflegen können. Endlich folgt sie ihm. – In dem nächsten Auftritt sind sie zurückgekehrt. In der Schlussscene endlich theilt Abraham dem Ephrem bereits den glücklichen Erfolg der Kasteiungen, denen Maria sich unterworfen hat, mit. Mit einem Lob Gottes von den beiden Eremiten schliesst das Stück, das eine grössere Einheit der Handlung und einzelne ergreifende Scenen enthält, die eine rein menschliche Rührung erwecken, welche aus der 326 Milde des Charakters des Abraham und seiner nahen verwandtschaftlichen Beziehung zu Maria entspringt.

Das nächste Stück, Paphnutius, behandelt ein ganz gleiches Thema, sodass wir hier also einer ähnlichen Erscheinung, als bei den epischen Erzählungen der Dichterin begegnen, wo auch Theophilus ein Seitenstück in Proterius erhalten hat. Aber wie da das zweite Sujet dem ersten nachstand, so auch in den beiden Dramen. Auch dieser Umstand spricht wieder für die chronologische Anordnung der einzelnen Werke durch Hrotsvith. – Auch hier ist die Stoffquelle eine griechische gewesen, die durch eine lateinische Uebersetzung der Dichterin vermittelt war: eine Vita der heiligen Thais, die angeblich im vierten Jahrhundert in Aegypten lebte. Eine alte lateinische Uebersetzung theilen die Acta S. S. Octobr. Tom. IV, pag. 225 mit, mit welcher einzelne Stellen unsers Stücks wörtlich übereinstimmen. Von einer etwas abweichenden Recension dieser Uebersetzung werden in den Anmerkungen der Acta Mittheilungen gemacht. Dieselbe gibt sich selbst als eine Uebersetzung aus dem Griechischen. – Der Text der Acta S. S. liegt auch der späteren Bearbeitung dieses Heiligenlebens in leoninischen Hexametern durch Marbod zu Grunde. Auch sie war eine Buhlerin und wurde von dem Abt Paphnutius bekehrt, der auch in der Gestalt eines Liebhabers sie aufsucht.

Wohl um den etwas mageren Stoff zu erweitern und der abermaligen Behandlung desselben Themas einen Reiz zu geben, eröffnet das Stück eine eigenthümliche Scene, von der in der Quelle sich nichts findet. Die Anregung gab gewiss die unten S. 327, Anm. 2 citirte Stelle. Paphnutius erscheint mit seinen Schülern; sein bekümmertes Aussehen veranlasst sie nach dem Grund desselben zu fragen. Es ist, so antwortet er, eine dem Schöpfer von seiner eignen, nach seinem Ebenbild geschaffenen Creatur zugefügte Beleidigung. Nur die kleine Welt widersetze sich seiner Herrschaft, der die grosse gehorsam sich unterwirft. Hiermit beginnt denn eine lange gelehrte Unterhaltung über den Mikrokosmos, den Menschen, und sein Verhältniss zum Makrokosmos, der Welt, wobei die Schüler den Lehrer befragen. Namentlich aber bildet die Musik den Gegenstand auf Grund des Werks des Boëtius. Erst nach dieser langen Abschweifung erfahren die Schüler, dass der Grund des Kummers ihres Lehrers das verderbliche Treiben der Thais ist; er will versuchen, demselben ein Ende zu machen, indem er unter dem Anschein eines Liebhabers sie aufsucht. Dies geschieht, und es gelingt 327 ihm (Scene 3), sie ihrem lasterhaften Leben zu entreissen, da er die Hoffnung auf Verzeihung durch strenge Askese, in ihr erweckt. Er knüpft seine Ermahnung an den Namen Gottes an, den sie ausspricht, indem sie auf seine Frage, ob es ein noch verborgeneres Gemach gebe, in der Vita antwortet: wenn er Menschen fürchte, so habe er in dem, worin sie sich befinden, ein Hereinkommen von ihnen nicht zu besorgen; fürchte er aber Gott, so gäbe es keinen Ort, wo er sich vor ihm verbergen könne. Bei Hrotsvith heisst es viel schlechter: Est etenim (non) aliud occultum tam secretum, ut eius penetral nulli praeter me nisi deo est cognitum. Der Sinn verlangt hier die Ergänzung von non nothwendig. Sie verbrennt öffentlich das Sündengeld, das sie verdient hat (Scene 4), und folgt ihm nach einem Nonnenkloster, wo sie nach Einwilligung der Aebtissin in einer engen Klause von Paphnutius eingeschlossen wird und sich den härtesten Entsagungen unterwirft (Scene 7). Sie darf laut nur beten: Qui me plasmasti miserere mei; denn mit ihren befleckten Lippen soll sie den Namen Gottes nicht aussprechen. Paphnutius kehrt heim (Scene 8); drei Jahre sind verflossen, wie ein kurzer Monolog von ihm (Scene 9) bemerkt, er möchte wissen ob die Zerknirschung der Thais Gott annehmbar ist, und will deshalb an den heiligen Antonius sich wenden. Wie wir aus einer der folgenden Scenen erfahren, hat ein Schüler des letztern eine Vision, worin er ein prachtvolles Bett, von vier Jungfrauen In der Vita der Acta S. S. l. l. § 4 sind es drei; man sollte glauben, dass auch hier die Recension, die der Dichterin vorlag, das richtigere hatte. Marbod stimmt freilich hier mit dem Text der Acta. bewacht, im Himmel erblickt, und durch eine Stimme von oben vernimmt, dass diese Glorie der Thais bestimmt sei. Paphnutius eilt nun zu der Klause, aus der er die Büsserin entlässt, da Gott ihr verziehen. Er kündigt ihr zugleich ihr baldiges seliges Ende an (Scene 12). Dies erfolgt denn unter seinem Beistand in der Schlussscene.

Dies Stück ist entschieden schwächer als das vorausgehende, von dem es an einzelnen Stellen nur als eine blasse Kopie erscheint.

Das letzte Drama, Sapientia, ist das schwächste von allen. Es hat die allegorisirende Legende von den drei Schwestern Fides, Spes, Caritas, den Töchtern der Sapientia, zum Gegenstand, welche unter Hadrian das Märtyrthum erlitten haben sollen. Am ausführlichsten ist diese Legende von Simeon Metaphrastes erzählt, s. das griechische Original sammt der lateinischen Uebersetzung, die zuerst Surius (zum 1. August) veröffentlichte, bei Migne, Patrol. graeca. Tom. 115, pag. 497 ff. Hier erscheint aber als Richter nicht Hadrian selbst, sondern Antiochus. Dagegen jener, wie bei Hrotsvith, in der Legenda aurea. Vgl. auch Acta S. S., August. T. I, pag. 16 und Köpke a. a. O. S. 69. Der Kaiser erfährt von dem Präfecten Antiochus, 328 dass diese Frauen in Rom eingetroffen sind, um dort das Christenthum zu verbreiten (Scene 1). Sie werden vor Hadrian citirt und die Töchter eine nach der andern vergeblich den Göttern zu opfern aufgefordert, indem sie lieber die grössten Martern standhaft erleiden, sodass auch bei ihnen erst die Enthauptung ihr Ende herbeiführt. In drei Scenen hintereinander wiederholt sich so mit geringen Variationen dieselbe Handlung. Sapientia, welche die Töchter zur Standhaftigkeit ermahnte und über ihren Sieg beglückwünschte, bestattet sie dann im Verein mit einigen Matronen und erfleht auf ihrem Grabe von Gott ihren eignen Tod, der ihr auch alsbald gewährt wird.

Obgleich die Namen der Frauen eine allegorisirende Tendenz enthalten, so erscheinen sie doch in der Legende nirgends als Personificationen, wovon nicht einmal in ihren Reden eine Andeutung sich findet; dasselbe gilt auch von dem Stück der Hrotsvith rücksichtlich der Töchter durchaus, Wenn Barack in der Einleitung p. XXXVII das Gegentheil behauptet, so möchte es ihm sehr schwer fallen, den Beweis dafür, den er unterlassen, zu erbringen. in Betreff der Mutter findet sich allerdings an einer Stelle eine Ausnahme, insofern dieselbe (Scene3) als die Weisheit und zwar die Schulweisheit sich zu erkennen gibt, indem sie dem Kaiser das Alter ihrer Töchter in der Form eines wissenschaftlichen Räthsels mittheilt, welches sie dann auf seinen Wunsch weitläufig docirend auseinander setzt. Sapientia sagt: O imperator, si aetatem inquiris parvularum, Caritas inminutum pariter parem mansurnorum complevit numerum, Spes autem aeque imminutum, sed pariter imparem, Fides vero superfluum impariter parem. Das soll heissen: Caritas ist 8, Spes 10, Fides 12 Jahre alt, und dies wird durch die Erörterung der Begriffe numerus imminutus, pariter par etc., namentlich auf Grund von Boëtius' De arithmetica, von Sapientia erwiesen. Man geht aber viel zu weit, wenn man, wie Magnin thut, A. a. O. S. 458. deshalb das Stück schon als ein Muster der späteren Moralitäten betrachten will, die überdies einen ganz andern Ausgang als von den Legenden nahmen.

Die Dramen der Hrotsvith haben überhaupt auf das mittelalterliche Schauspiel und insbesondere die Mysterien, einschliesslich der Mirakelspiele, welche kaum schon in der Form 329 liturgischer Officien existirt haben werden, keinen Einfluss ausgeübt, wie sie ja auch offenbar gar nicht zur Aufführung bestimmt waren. Trotzdem zeigen sie mit ihnen in der Komposition eine grosse Verwandtschaft, wir finden hier wie dort dieselbe naive Ausserachtlassung jeglicher Einheit der Zeit und des Ortes, die ganze epische Anlage. Interessant ist in dieser Beziehung die Vergleichung des ersten Dramas mit der von Lorenzo de' Medici il Magnifico, also einem humanistisch hochgebildeten Poeten, verfasste Rappresentazione di S. Giovanni e Faolo, die dasselbe Sujet als der Gallicanus auf Grund derselben Quelle behandelt. Das Stück ist seit den 80er Jahren des fünfzehnten Jahrhunderts oft gedruckt worden. Dagegen erheben sich Hrotsviths Stücke über die Mysterien im allgemeinen weit in der Ausführung des Dialogs, dank dem Muster des Terenz, und noch mehr, da dieser nirgends sklavisch nachgeahmt sich findet, in Folge der allgemeinen Bildung der Verfasserin, die sie doch wesentlich dem klassischen Alterthum verdankte. So sind sie dadurch zugleich ein glänzendes Zeugniss für den neuen Aufschwung, den diese Studien in Deutschland genommen hatten. Dass sie auch der Ausdruck der Persönlichkeit der Dichterin sind, zeigt eine Vergleichung mit ihren epischen Erzählungen, und zwar schon in der beiden gemeinsamen Tendenz der Verherrlichung der Jungfräulichkeit sowie der göttlichen Barmherzigkeit. Wie sich letzteres recht im Calimachus zeigt. Der weiblichen Natur des Autors entspricht es auch, dass gerade im Dialog die Stärke der Stücke liegt. Von einer reichen individuellen Charakterzeichnung kann bei den angezeigten Mängeln der dramatischen Komposition selbstverständlich nicht die Rede sein, aber in einfachen Linien weiss unsere Dichterin doch von einfachen Charakteren, wie dem Abraham in dem gleichnamigen Stück, ein würdiges Bild zu entwerfen; während dagegen eine Thais zu zeichnen ihr nicht gelingen kann. Ueberhaupt stehen die Reden der Personen doch nicht in offenem Widerspruch mit ihrem Charakter, und wir begegnen keinen solchen Karrikaturen, wie sie namentlich in den späteren Mysterien nicht selten sind. Ueber den ästhetischen Werth der Dramen Hrotsviths und die verschiedene Schätzung, die sie erfahren haben, s. Köpke (S. 184 ff.), der selbst ihren Werth zu hoch anschlägt. Seine Kritik ist leider zu weitschweifig, um treffend sein zu können. 330

 


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