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Erstes Kapitel.

Weltliche Epik: Poeta Saxo, Abbo, Gesta Berengarii.

Die weltliche Epik, wie sie in der vorigen Periode Ermoldus Nigellus vertritt, fand auch in dieser noch Pflege, und zwar sind es drei Dichtungen, die, eine jede von besonderer Eigenthümlichkeit, zugleich die drei Hauptlande, aus denen das karolingische Weltreich bestand, repräsentiren: Ostfrancien, Westfrancien und Italien. Das Werk des Deutschen ist das älteste: es sind die Annales de gestis Caroli magni des Poeta Saxo, In: Monum. German. hist., Scriptores T. I, p. 225 ff. – * Monumenta Carolina ed. Jaffé, Berlin 1867 ( Bibl. rerum German. Tom. IV). – – Simson, Der Poeta Saxo und der Friede zu Salz, in: Forschungen zur deutschen Gesch. Bd. I, S. 301 ff. wie man den anonymen Dichter von unzweifelhaft sächsischer Abstammung, welche das Werk selbst ergibt, S. die folgende Inhaltsangabe des fünften Buchs. Recht bezeichnend ist für den sächsischen Geistlichen, wie er die Besiegung der Sachsen durch die Franken motivirt l. I, v. 35 ff.:
        Christicolae vero iam longo tempore Franci,
        Catholicam tenuere fidem, multisque per orbem
        Iam dominabantur populis, quibus undique fulti,
        Praecipue virtute Dei
, quem rite colebant,
        Hanc unam poterant nimirum vincere gentem.

Hier zeigt sich der allerdings berechtigte Nationalstolz des Sachsen.
genannt hat. Der Verfasser war offenbar ein höherer Geistlicher, der vielleicht dem König Arnolf näher stand. Die Dichtung, zwischen 888 und 891 verfasst, Es geschah im Anfang der Regierung Arnolfs, noch vor seiner Besiegung der Normannen an der Dyle. S. weiter unten S. 127 Anm. 5. Vgl. auch Simson a. a. O. S. 324. besteht aus fünf Büchern, von denen die vier ersten in Hexametern, das fünfte Buch in Distichen geschrieben ist. Jene vier haben durchaus den 126 Charakter der Chronik in Versen, indem sie, auch auf Grund von Annalen, die Geschichte Karls des Grossen vom Jahre 771 an, dem Jahr wo er durch Karlmanns Tod Alleinherrscher wurde, Jahr für Jahr, diese genau verzeichnend, Im Anfang der Bücher geschieht dies sogar in Versen. bis zu seinem Tode berichten; das fünfte Buch, welches gleichsam einen Anhang bildet, hat dagegen, wie wir sehen werden, einen andern Charakter. Die Eintheilung der Verschronik in die vier Bücher entspricht der annalistischen Natur des Werkes: jedes Buch umfasst eine Decade von Jahren, Für das erste Buch sagt dies der Verf. selbst an dessen Schlusse. so geht das erste (477 V.) bis 780 (incl.), das zweite (506 V.) ebenso bis 790, das dritte (631 V.) bis 800, das vierte (385 V.) umfasst allerdings den ganzen Rest der Alleinherrschaft Karls, indem es bis 813 geht und mit der Krönung Ludwigs schliesst.

In den drei ersten Büchern folgt der Dichter durchaus den Annales Einhardi, aus welchen er fast ganz allein hier seinen Stoff schöpft, selbst Ausdrücke ihnen entlehnend; doch ist es keine trockene schwerfällige Versification derselben, vielmehr weiss der Autor den Stoff durch ausführende Zusätze, Aber auch Weglassungen finden sich in diesen Büchern; bezeichnend für den geistlichen Verfasser ist, dass er des bei Einhard Ende des Jahres 800 erwähnten Gerichts Karls über den Papst nicht gedenkt. auch in eigenthümlicher Weise, zu reproduciren und durch den fliessenden, für jene Zeit selbst eleganten Vers mit einem ästhetischen Reiz zu umgeben. Diese Zusätze sind theils erklärender, namentlich motivirender Art; So gleich im Anfange des ersten Buchs, wo der Dichter erklärt, warum einige der Proceres Karlmanns sich Karl nicht unterwarfen und weshalb sich die Wittwe zu Desiderius begab. – Auch werden motivirende Andeutungen der Annalen deutlicher ausgeführt, so I, v. 233: Sed male securos res prospera fecerat illos u. s. w., wo die Annalen a. 775 nur : incaute se agendo haben. Ebenso ib. v. 136 ff. Ferner l. III, v. 12 ff., wo das Hunis factorum suorum vicem redderet der Annalen a. 791 zu einer langen Schilderung der Verwüstungen der Hunnen Anlass gibt, wobei denn auch des Todes Attila's von der Hand seines Weibes gedacht wird. theils kleinere oder grössere Beschreibungen, so der Jahreszeit wie II, v. 13 ff. und III, v. 570 ff., der Tageszeit (I, v. 238 f.), eines Erdbebens (IV, v. 38 ff), von Oertlichkeiten wie Paderborn (I, v. 330 ff.) und Salt (II, v. 490 ff.); oder es sind subjective Betrachtungen und Aeusserungen der Empfindung, wie im Eingang der Erzählung von 127 dem auf den Papst Leo vollbrachten Attentat (III, v. 431 ff.). S. auch I, v. 93 ff., v. 161 ff. und v. 189 ff. Die erste Stelle lautet:
        – – Sic saepe videtur
        Tutior oceani fervor pelagique procella
        Quam mentes hominum, quas turbida commovet ira.
Im vierten Buche und namentlich vom Jahre 802 an folgt der Dichter nicht mehr so wie früher den Einhardschen Jahrbüchern, sondern hat neben blossen Auszügen aus diesen andre Annalen, die uns nicht mehr erhalten sind, S. darüber Simson a. a. O. und Jahrbücher des fränkischen Reichs unter Karl d. Gr., fortges. von Simson Bd. II, S. 590 ff. benutzt. Seine Behandlung des Stoffes wird aber hier wohl dieselbe gewesen sein. Wie in der Schilderung des Misswachses des Weines v. 254 ff. So endet auch dies Buch mit einer ausführlichen Schilderung des schmerzlichen Abschieds der zur Reichsversammlung in Achen, auf welcher die Krönung Ludwigs stattfand, berufenen Grossen, welche den Tod des kranken Kaisers voraussehen und die ganze Grösse dieses Verlustes, als er herannaht, empfinden; ahnt man doch bereits den Verfall des Reichs unter seinem Nachfolger. Vor diesem suchen sie vergeblich den Schmerz unter einem Lächeln der Freude zu verbergen. Diese Schilderung, die in dem innigen Ausdruck des Gefühls einen recht deutschen Charakter hat, gehört auch durch die feine Ausführung im Detail zu den gelungensten des Werkes, indem sie am besten die Begabung des Dichters bezeugt.

An sie schliesst sich stofflich unmittelbar das fünfte Buch an, dessen verschiedenen Charakter schon der Wechsel des Versmasses zeigt. Der Dichter will hier den Tod des grossen Kaisers beklagen, daher jetzt das elegische Versmass, Wie er selbst sagt v. 9. aber auch Trost spenden, indem er das Verdienst Karls, wofür er bei Christus lebt, singt. Obgleich der Dichter dem hohen Gegenstand sich nicht gewachsen glaubt, lässt ihn doch die glühende Liebe, die er Karl schuldet, nicht schweigen, denn dieser hat seinem Volke (den Sachsen) das Licht des Glaubens gebracht. Ihm verdankt der Dichter selbst also sein Christenthum und auch seine Bildung.         Si qua meam scripturarum scintillula mentem,
            Artis et illustrat si qua scientiola,
        Nonne dabit iuste Carolo praeconia laudum,
            Per quem nancisci tale bonum merui?
        Nostri non solum fidei documenta parentes
            Sed penitus cunctos nescierant apices;
        Per Carolum nuper nobis est huius honestas
            Ac pariter vitae spes data perpetuae.
  v. 45 ff.
Er preist Gott, der Karl zu seinem Werkzeug machte gleich den Aposteln und Märtyrern. – Hierauf beginnt (v. 111) das Elogium Karls, indem der Dichter zunächst 128 kurz des ausgezeichneten Geschlechts desselben gedenkt, dessen Ruhm bekannt sei: feiern doch Volkslieder Karls Ahnen. Diese für die Nationalliteraturen so bemerkenswerthe Stelle lautet v.  117 ff.:
        Est quoque iam notum (sc. genus): vulgaria carmina magnis
            Laudibus eius avos et proavos celebrant;
        Pippinos, Carolos, Hludowicos et Theodricos
            Et Carlomannos Hlothariosque canunt.
Er aber verlieh ihm mehr Zier, als es ihm. Nur einer von dem Geschlecht ist besonders zu erwähnen, sein Beschützer, der heilige Arnolf, um dessen Fürsorge für seinem gleichnamigen Nachkommen der Dichter bittet (v. 135 ff.). Derselbe geht nunmehr auf Karls des Grossen Verdienste selbst über (v. 149), indem er von jetzt an ebenso der Vita Caroli Einhards Die er übrigens auch in den früheren Büchern schon hier und da benutzt hat. den Stoff entlehnt, zum Theil selbst die Worte, als in den drei ersten Büchern dessen Annalen, nur ordnet er das Material hier selbständig. Auch hier fehlt es aber zugleich nicht an eigenen und bemerkenswerthen Zusätzen. So ermahnt der Poet, als er die Bildung und den sittlichen Charakter Karls schildern will, den Leser und insbesondere jeden Regierer ( rector), wohl zu beachten, dass Bildung und Sittlichkeit die innere Wurzel der äusseren Thaten sind,         Interius radix operum latet exteriorum,
            Mens moresque viri facta palam generant.
  v. 211 ff.
indem dieser Gedanke dann weiter ausgeführt wird (v. 203 ff.). So klagt er, wo er des Küstenschutzes unter Karl dem Grossen gedenkt, über die Verwüstungen des Reichs durch die Normannen nach seinem Tode, und setzt seine Hoffnung auf Arnolf, der seinem Ahnherrn ähnlich ist, der mit der alten Tapferkeit die Franken wieder beseelt, aber den ungeheuern Bau des Reichs, der schon lange eine Ruine, nicht mit einem Male wiederherstellen könne.         Sed moles immensa, diu quae corruit ante,
            Non restaurari se subito patitur.
  v. 421 f.
Aus dieser Stelle ergibt sich die Zeit der Abfassung des Werks.
129 Gott mag ihm dazu das Leben geben! – Mit v. 569 kehrt der Dichter zum Eingang des Buchs zurück, indem er von dem Ende des Kaisers berichten will: er schildert nach Einhards Vita die Krankheit, den Tod und die Vorzeichen desselben, und schliesst mit dem Preis seines Ruhmes, der den der gefeiertsten Römer übertrifft, aber höher noch, als die irdische, ist Karls himmlische Glorie, die er mit einem Constantin und Theodosius theilt. Wer kann die Seelen zählen, die er durch die Bekehrung der Sachsen dem Herrn zuführte! Am jüngsten Gericht werden sie sein Gefolge jubelnd bilden, möchte dann auch der Dichter unter den Geretteten seines Volkes sein!

Um dieselbe Zeit als die Dichtung des Sachsen wurde auch die des Franzosen in der Hauptsache verfasst (888–889), wenn auch erst später vollendet (896). Dass das Werk, wenigstens die beiden ersten Bücher, die hier in Betracht kommen, nicht vor diesem Jahre vollendet war, zeigt der Inhalt selbst, der sich bis 896 erstreckt. Dass aber der Haupttheil (die Belagerung von Paris und die nächst folgenden Ereignisse) früher verfasst ist – doch nicht vor der Krönung Odo's, da derselbe stets als rex venturus hier bezeichnet wird – ergibt sich aus verschiedenen Gründen. Einmal ist die Darstellung hier eine viel detaillirtere als in dem folgenden Rest. Auch ist es unwahrscheinlich, dass Abbo 896, also nach 10 Jahren noch alle die Einzelheiten, die er hier erzählt, im Gedächtniss gehabt. Ferner verweist er in der Zuschrift an Gozlin, dem er das vollendete Werk mit seinen drei Büchern zusandte, auf die Zeit, wo er dasselbe begann, mit einem tunc hin und bemerkt dazu, dass er damals ein Anfänger gewesen sei. Auch sagt er dort, dass die Verse seiner an seinen Lehrer gerichteten Widmung, mit der er offenbar die erste Ausgabe des Haupttheils begleitet hatte, dessen Beifall nicht erlangt hätten. Wir können den Verfasser einen Franzosen im wahren Sinne des Wortes nennen, denn Abbo, Abbo, De bellis Parisiacae urbis in: Monum. German. hist. Script. T. II, p. 776 ff. (Sep. Abdr. Hannover 1871. 8°). Praef. – – Dümmler, Die handschriftl. Ueberl. N. A. IV, S. 556 ff. – Ampère, Histoire littér. de la France sous Charlemagne. 2. éd. p. 303 ff. – Guizot, Collection des mémoires relatifs à l'histoire de France. Paris 1824. (Notice). so heisst er, war Mönch des Klosters St. Germain des Prés bei Paris und er verherrlicht in seinem Werke die erste Hauptstadt des eigentlichen Frankreichs und den ersten wahrhaft französischen König mit einem rein französischen Patriotismus. Schon hierdurch ist seine in Hexametern geschriebene Dichtung De bellis Parisiacae urbis historisch wahrhaft bedeutend. Sie zählt drei Bücher, von welchen aber das letzte 130 nur ein Anhang ist, der vollkommen fremd dem Gegenstand der beiden ersten. Diesen bilden die Kämpfe mit den Normannen vor Paris in den Jahren 885–887, namentlich die Belagerung der Stadt vom November des ersteren bis zum Mai des letzteren Jahres, die Thaten Odo's während derselben und später als König bis zum Jahr 896, sowie die Wunder, welche der heilige Germanus von Paris in der Zeit jener Kämpfe vollbrachte, dem die Stadt, nach des Dichters Behauptung, auch vor allem ihre Befreiung verdankte.

Dem Werk geht, ausser einer an seinen Lehrer Aimoin – offenbar der Verfasser des Buchs über die Mirakel des heiligen Germanus von Paris S. über Aimoin oben Bd. II, S. 352 ff. – von Abbo gerichteten Widmung in dactylischen Versen (Tetram. catal. in syllab.), eine prosaische Zuschrift von ihm an den Mönch Gozlin voraus, worin wir schätzbare Aufklärungen über die Dichtung erhalten. Abbo hat sie, so erfahren wir hier, aus einem doppelten Grunde unternommen: zunächst zur Uebung im lateinischen Verse, es war zu einer Zeit, wo er, noch ein »Anfänger in der literarischen Wissenschaft«, die Eklogen des Maro scandirte, dann um den Vertheidigern andrer Städte ein Muster zu bieten. Der Verse wegen erhebt er aber noch keinen Anspruch auf den Namen eines Dichters. Ueber ihre Bildung verbreitet er sich und bittet den Freund zu verbessern, da er die Dichtung selbst zu feilen keine Zeit gehabt. Numquam enim otio reficiendi ob scolarum pluralitatem, cuius commoditati ubique locorum vacaverim. Nur zur Ergänzung der Dreizahl hat er das dritte Buch hinzugefügt, das vom Inhalt der andern nichts wisse. Was er hier von diesem Buche noch sagt, darauf komme ich weiter unten zurück.

Den Hauptinhalt des eigentlichen Werks, der beiden ersten Bücher, bildet die Belagerung von Paris, Vergl. über dieselbe Dümmler, Gesch. d. ostfränk. Reichs Bd. II, S. 260 ff., wo sich auch die andern Quellen gut verwerthet finden. welche Abbo als Augenzeuge, Als solchen bezeichnet er sich selbst in der Dichtung l. I, v. 25 und v. 595. S. im übrigen die folgende Inhaltsanalyse. ja als Mitkämpfer erzählt. Das erste Buch (660 V.) geht von ihrem Beginn bis zum ersten Versuch eines Entsatzes durch den Sachsen Heinrich im Frühjahr 886, mit dessen Erzählung das zweite anhebt.

131 Die eigentliche Stadt beschränkte sich damals noch auf die Insel, die mit den beiden Ufern durch zwei Brücken verbunden war, mit dem nördlichen durch die später Pont au Change genannte, mit dem südlichen durch den Petit-Pont. Beide Brücken waren durch Thürme geschützt. Sie bildeten also die ersten Zielpunkte des Angriffs. Dieser erfolgte zunächst von Norden, also gegen den ersten, auch bedeutenderen Thurm, den späteren Grand-Châtelet.

Nach einem begeisterten Preise Lutetia's, der Königin der Städte, schildert der Dichter zuerst sehr lebendig die Ankunft der Dänen, So nennt Abbo selbst in der Regel die Normannen; letzterer Name findet sich nur ausnahmsweise, wie l. I, v. 263 und v. 445. wie sie mit siebenhundert Segelschiffen und unzähligen Barken Meilen weit die Seine bedeckten, so dass man von dem Flusse selbst nichts mehr sah. Am Tage nach der Ankunft fordert der Seekönig Den als solchen Abbo treffend mit den Worten zeichnet: solo rex verbo, sociis tamen imperitabat l. I, v. 38, wozu sich bei verbo die Glosse findet: nam carebat regno. Sigfrid von dem Oberhaupt der Stadt, dem Bischof Gozlin freien Durchzug. Gozlin verweigert ihn unter Berufung auf des Kaisers Karl Befehl, und frägt den König schliesslich, ob er selbst an seiner Stelle thun würde, was er von ihm verlangt. Sein Haupt möge fallen, antwortet er, ein Frass den Hunden, wenn er es thäte. Unter Drohungen scheidet er. Am andern Morgen beginnt der Angriff auf den nördlichen Thurm (v. 60). Er bleibt diesen Tag erfolglos; die Nacht verstärken die Belagerten die Befestigung, indem sie von Holz einen zweiten Stock dem Thurm aufsetzen. Des andern Tags erneuert sich der Angriff und noch heftiger; der Dichter entwirft ein lebendiges ausführliches Bild von demselben (v. 84 ff.). Ein Hagel von Geschossen macht den Thurm erzittern, während die Hörner die Bürger zur schleunigen Vertheidigung herbeirufen. Vor allen zeichnet sich der Graf Odo, »der in keinem Kampfe besiegte«, und der Abt Ebolus aus. Der Feind sucht den Thurm zu untergraben, die Belagerten aber wehren es ihm, indem sie glühendes Oel, Wachs und Pech hinabgiessen. Die verbrannten Dänen stürzen sich in den Fluss: »mögen euch die Fluthen andre, besser gekämmte Mähnen wiedergeben«, spotten die Franzosen (v. 105 f.). Doch so tapfer diese kämpfen, was vermögen ein paar hundert gegen 40 000! 132 Diese greifen immer mit neuen Kräften an, und so gelingt es ihnen denn auch eine Bresche zu legen. Die Gegner sehen sich schon von Angesicht durch dieselbe. Aber der Feind wagt nicht gegen die Vorkämpfer der Franzosen einzudringen. Nun legt er Feuer an die Thore: schon verzweifeln die Belagerten; aber Verstärkung langt von der Stadt an und ein Regen löscht die Flammen. – Auch dieser Sturm ist abgeschlagen.

Doch die Dänen geben darum das Unternehmen nicht auf, vielmehr errichten sie nunmehr ein festes Lager auf dem nördlichen Ufer um die Kirche von St. Germain von Auxerre, nicht weit von dem Thurme, und durchstreifen von dort aus die ganze Umgegend zu Pferd und zu Fuss plündernd, brennend, und mordend ohne Ansehn des Geschlechts und des Alters. Unterdessen bereiten sie einen neuen Sturm vor: sie bauen drei Ungeheuer ( monstra) von Widdermaschinen (v. 205 ff.), die aber (vor dem Gebrauch) sammt ihren Ingenieuren von den Belagerten vernichtet werden, ferner rüsten sie tausend Schutzdächer, für je vier oder sechs Mann, und fabriciren Tag und Nacht Pfeile u. s. w. Ende Januar erfolgt dann der neue Angriff (v. 224 ff.), den der Dichter in einzelnen Episoden oft sehr anschaulich schildert. So v. 276 ff.:
        Unius hinc iaculum transmittitur os in apertum,
        Quem subito conans alius clipeare migrantem,
        Nempe cibum gustat, primus quem repserat ore;
        Adveniens autem numerum qui clauderet almum,
        Hos nitens geminos auferre latenter, et ipse
        Perculsus faretra, turri veniam quoque poscit.
In drei Heerhaufen waren die Dänen getheilt: der eine, grössere, wendet sich zu Land gegen den Thurm – wie ein Bienenschwarm eilen sie heran, den schweren Bogen auf den Schultern und den Köcher mit den zitternden Pfeilen – die beiden andern zu Schiff gegen die Brücke. Doch so tapfer sie kämpften, ihre Anstrengung war auch heute vergebens. Dasselbe war an den beiden folgenden Tagen der Fall, an welchen sie den Angriff fortsetzten. Umsonst suchten sie den tiefen Graben des Thurmes auszufüllen, nicht bloss mit Erde und Holz, wo sie es fanden, sondern auch mit geschlachtetem Vieh und selbst mit den Leibern der Gefangenen, die sie deshalb tödteten (v. 301 ff.). Sie gehen am dritten Tage 133 (v. 353 ff.) mit ihren Widdern vor, aber die Mangonen der Belagerten thun ihnen den grössten Schaden. Nun ergreifen sie noch ein Mittel, das Ziel zu erreichen. Drei hohe Schiffe binden sie zusammen und beladen sie mit Aesten, die sie anzünden, und ziehen sie dann mit Tauen längs des Ufers zur Brücke und dem Thurm. Verzweiflung ergreift jetzt die Belagerten, die den heiligen Germanus um Hülfe anrufen, während die Dänen ein lautes Freudengeschrei erheben. Aber die Schiffe scheitern an den gewaltigen Steinpfeilern der Brücke. Die Stadt ist gerettet. Die Dänen geben den Angriff auf.

Eine Woche danach traf aber die Stadt ein schweres Missgeschick (v. 504 ff.). Die angeschwollene Seine zerriss die hölzerne Brücke im Süden derselben, und so griffen alsbald den sie beschützenden Thurm, der jetzt von der Stadt isolirt war, die Dänen an; Transque natant Sequanam (in den Schiffen): schon hieraus ergibt sich, dass es sich um den späteren Petit-Pont hier handelt. nur zwölf Mann, deren Namen Abbo verewigt, vertheidigten ihn tapfer. Aber der Feind zündete ihn an; sie flüchten auf den Rest der Brücke und ergeben sich endlich auf den Zuspruch der Dänen, die sie dann treulos niedermachen. – Jetzt können die Feinde sich freier bewegen, und dringen nun plündernd tief in das Land zwischen Seine und Loire (v. 598). Vergebens macht unterdessen der muthige Abt einen Angriff auf ihr festes Lager. – Mit einer Klage über das verwüstete Neustrien, dem der Dichter auch selbst dabei das Wort gibt, schliesst er das Buch.

Das zweite Buch (618 V.) erzählt zunächst, wie Graf Heinrich, »dem der Kaiser während seines Römerzugs die Vertheidigung des Reichs vornehmlich übertragen hatte«, Dümmler a. a. O. S. 266. von Gozlin zu Hülfe gerufen, vergeblich die Stadt zu entsetzen sucht; die Dänen unter Sigfrid ziehen darauf auf das linke Seineufer hinüber und schlagen dort um die Abtei des heiligen Germanus von Paris, auf seinem » pratum« ihr Lager auf, das sie befestigen. Jetzt tritt der Bischof mit Sigfrid in Unterhandlung, der sich auch bereit erklärt, gegen ein Lösegeld abzuziehen. Aber die Seinigen weigern sich. Sigfrid fordert sie da höhnend auf, die Stadt doch zu erobern. Der Angriff wird versucht, aber zurückgeschlagen. Nun verlässt wenigstens 134 dieser Seekönig das Dänenheer. Dagegen trifft ein schwerer Schlag die Belagerten, der muthige Bischof Gozlin stirbt, zum Frohlocken der Feinde.

An dieser Stelle schaltet der Verfasser episodisch einen Bericht von den Wundern, die der heilige Germanus damals, und namentlich auch einzelnen Dänen gegenüber vollbrachte, Schon früher ist vom Dichter solcher Wunder gedacht I, v. 461 ff.; und so geschieht dies auch später wieder II, v. 349 ff. Um den Heiligen nicht gegen sich zu erzürnen, liessen die Normannen in der Abtei den Gottesdienst halten. S. II, v. 105 f. und vergl. ib. v. 348. ein (v. 79–153), um dann zu erzählen, wie die bedrängte Stadt, die nicht bloss durch das Schwert, sondern auch durch die Pest litt, den Grafen Odo zu dem Kaiser sendet, schleunige Hülfe zu erflehen. Odo vollbringt auch glücklich die Sendung: begleitet von drei gewappneten Scharen kehrt er zurück, die Bürger sehen freudig deren Schilde auf dem Mons Martis in der Morgensonne leuchten; aber der Feind hat sie auch entdeckt und verlegt dem Grafen den Weg, der tapfere Odo schlägt sich aber durch (v. 195 ff.). Freilich die Hülfstruppen, die er mitgebracht, mussten umkehren. Ein gleiches Schicksal traf die, welche der Graf Heinrich von neuem herbeiführte, wobei er selbst getödtet wurde. Hierdurch kühn gemacht, versuchen die Dänen noch einmal einen allgemeinen Sturm (v. 227 ff.). Es war um Mittag, als die Bürger beim Essen sassen. Die Feinde liessen Bleikugeln regnen, wie Aepfel zum Nachtisch. Die Reliquien der heiligen Genovefa, die man herbeiträgt, helfen an einer Stelle zum Sieg, wo ein kleiner muthiger Mann mit der Katapulte geschickt zu zielen weiss. Aber bei der Fortdauer des Kampfes gerathen die ermüdeten Bürger in die höchste Noth, sodass allgemeines Wehgeschrei erschallt; da erscheint auf ihr Flehen der heilige Germanus in Person, d. h. seine Reliquien, So ist die Stelle v. 280 f.: Omnibus en Germanus adest | Corpore subsidioque simul, nil vota moratus, offenbar zu verstehen, wie v. 309 f. zeigen: meritis Germani antistitis almi | Quem revehunt ad Basilicam Stephani quoque testis. mit einer Hülfsschar, um die Feinde zurückzutreiben, die jetzt nur um den einen Thurm sich im dichtesten Gedränge scharen, ihn zu erobern. An seine Thore legen sie Feuer. Mitten im erstickenden Rauch hält unser Verfasser allein aus, und schwingt das Kreuz gegen die Flammen, die 135 darauf erlöschen (v. 309 ff.). Hiermit ist der Sieg der Belagerten entschieden.

Nun langt endlich der Kaiser Karl selbst mit einem Heere an (v. 330). Der Dichter berichtet dann den schmählichen Frieden, welchen derselbe mit dem Feinde (November 886) schloss, dem er für den Winter Burgund zur Beute auslieferte. Abbo gedenkt dann noch, seinen Bericht Jahr für Jahr fortsetzend, verschiedener feindlicher Begegnungen der Pariser und ihres Grafen Odo mit den aus Burgund zurückgekehrten Dänen in den folgenden Jahren, der Erhebung Odo's nach dem Tode des Kaisers zum König von Westfrancien im Jahre 888 (v. 444), der nun drei Völker in seinem Heerbann gegen die Dänen zu vereinigen vermag, die stolzen Francigeni, die schlauen und redescharfen Aquitanier, und die zur Flucht geneigten Burgunder; v. 470 ff.:
        Francigeni approperant alta cum fronte superbi,
        Calliditate venis acieque, Aquitania, linguae,
        Consilioque fugae Burgun-adiere-diones.
ferner berichtet er (v. 532 ff.) von den Kämpfen Odo's mit grossen Kronvasallen in Aquitanien (892), wie mit den Anhängern Karls des Einfältigen (893–895), doch dies nur in aller Kürze (v. 567 – 583). Aber auch nach ihrer Besiegung sollte Odo keine Ruhe werden, denn die Normannen dringen von neuem verwüstend in das Land (896). Doch klagt diesmal der Dichter seinen Helden an, Es zeigt dies, wie auch der Tadel des kriegerischen Abtes Ebolus ib. v. 437 f., den er sonst wie Odo als Helden feiert, eine beachtenswerthe Unparteilichkeit Abbo's. der sich einzuschreiten weigert, noch mehr aber Frankreich ( Francia) selbst (v. 596 ff.). »Warum lässest du im verborgenen deine alten Kräfte ruhen, mit denen du über Reiche, die grösser als du selbst waren, triumphirtest, sie unterwerfend? Eine dreifache Sünde ist daran Schuld: der Hochmuth, die Wollust und der Kleiderluxus.« Der Dichter verbreitet sich dann noch über die beiden letzten Sünden, indem er auf den Umgang mit Blutsverwandten und Nonnen und selbst auf widernatürliche Laster hinweist, und andrerseits an die goldnen Agraffen, den tyrischen Purpur, die mit Edelsteinen verzierten Gürtel und die vergoldeten Schuhe erinnert. – Mit dieser Apostrophe schliesst unser Autor, da der weitere Stoff ihm fehle, obgleich Odo, der edle, noch am Leben sei.

136 Diese Dichtung hat, von ihrer Bedeutung als zeitgeschichtliche Quelle hier abgesehen, vor allem ein grosses kulturhistorisches Interesse, insbesondere in der detaillirten Schilderung der Belagerung von Paris, wie unsre Analyse wenigstens andeutet. Die verschiedenen damals und noch lange danach üblichen Mittel des Angriffs und der Vertheidigung von Städten, die Kriegsmaschinen, die Geschosse (so werden auch giftige Pfeile erwähnt), Bei den Normannen, toxica tela, so I, v. 57 und öfters. dann aber auch die Natur und das Treiben der Normannen lernen wir durch eine lebendige, hier und da selbst mit volksthümlichem Humor gewürzte Ausser den oben wiedergegebenen Stellen vergl. noch I, v. 110 und II, v. 17., und oft auch recht anschauliche Darstellung kennen, die deshalb selbst der ästhetischen Anziehung nicht entbehren würde, wenn der sprachliche Ausdruck nicht unter dem doppelten, selten so vereinigten Fehler grösster Incorrectheit, ja sprachlicher Willkür Die sich auch in der Wortstellung zeigt, so in der Trennung der Präpositionen von dem von ihnen regierten Worte, wie I, v. 191: A tellus opulenta gazis nudata. und gesuchter falscher Gelehrsamkeit, öfters selbst bis zur äussersten Dunkelheit oder Geschmacklosigkeit, litte. Am stärksten tritt dieser Fehler in der Wahl der Worte hervor; hier werden schon des Verses wegen selbst ganz gewöhnliche Ausdrücke mit andern vertauscht, die nicht einmal synonym sind, wie einmal loqui mit orare (II, v. 462); Mit welcher Willkür dies auch ohne diesen Grund geschieht, können solche Beispiele lehren wie siccam für terram, spatium für requiem II, v. 253 und 458, Worte, deren Bedeutung an den Stellen nur aus den Glossen erkannt werden kann. dann aber wählt der Autor gar häufig, nur um mit seiner Gelehrsamkeit zu prunken, die seltensten Ausdrücke oder mit besonderer Vorliebe griechische, so polis für urbs, matites für discipulus, falae für turres, so basileus, kosmus, elios, caumata u. s. w. Dazu finden sich mitunter, wohl des Verses wegen, die seltsamsten Neubildungen wie quium für quorum. Ebenso Einschaltung von que öfters mitten in das Wort, z. B. Ocquecidens I, v. 360; aber auch: Burgunadierediones II, v. 472. Das Gedicht würde noch unverständlicher sein, als es schon ist, wenn nicht der Verfasser selbst, seine Weisheit recht zu zeigen, Glossen hinzugefügt hätte. In der That waren sie sehr nöthig, da er selbst auch Personen, von denen er redet, nur in der Glosse zu nennen keinen Anstand nimmt. So II, v. 315 die Glosse: scil. Karolus . Schon hieraus ergibt sich, dass die Glossen von dem Verfasser selbst sind, der es mindestens hinsichtlich des dritten Buchs in der Vorrede selbst sagt. – Hin und wieder finden sich in den Glossen auch Wörter der Volkslatinität, so wird mergitibus II, v. 87 durch garbis, und cateiam durch dardum (ib. v. 27) erklärt. 137 Aus demselben Grunde schmückt er seinen Stil auch mit mythologischen Bildern: da »herrscht der wüthende Mavors«, da »besteigt Phoebus seine Quadriga«, da siegt Lemnius über den Neptun, da wird einer von dem heiligen Germanus(!) an den Pechwagen der Eumeniden gefesselt – es erreicht ihn durch den Heiligen das Schicksal! So zeigt die Dichtung die merkwürdigste Mischung wissenschaftlicher Roheit und zerstreuter Reste der Ueberlieferung einer höheren gelehrten Bildung, wie sie Westfrancien den Iren verdankte, die dorthin auch das Studium des Griechischen getragen hatten. In ersterer Hinsicht ist freilich auch in Betracht zu ziehen, dass sie die Arbeit eines Anfängers war.

Auch diese historische Dichtung entbehrt der künstlerischen Composition, sie hat den annalistischen Charakter, nur zeigt sie in dem Haupttheil, der wohl das ursprüngliche Werk war, bis zur Krönung Odo's, eine grössere Einheit als die Dichtung des sächsischen Poeten, da sich hier die ganze Erzählung um den einen Punkt, das Schicksal von Paris bewegt. Eigenthümlich ist ihr noch die Verbindung des Berichts von den Mirakeln des heiligen Germanus mit der weltlichen Geschichte, indem sie in jenem an die versificirten Vitae der Heiligen sich anschliesst.

Das dritte Buch, der Anhang, auch in Hexametern (115 V.) ist nur für die Kleriker, die Gelehrten, Wie auch die Vorrede des Werks und die Ueberschrift dieses Buches besagt, sie lautet recht bezeichnend: Ingreditur tertius, clericorum scilicet decus tyrunculorumque effectus. (Gl. utilitas). bestimmt, und enthält eine Anzahl von Lebensregeln und Sentenzen, die unverbunden und ungeordnet auf einander folgen; sie sind in einem wahren gelehrten Kauderwelsch geschrieben, in den seltensten und seltsamsten, öfters auch aus dem Griechischen entlehnten Ausdrücken, so dass mitunter Wort für Wort vom Autor zu glossiren war. Um ein Beispiel zu geben, v. 69 ff.:
        Aporiam a) sed et atrophiam b) patiaris, ut acam c)
        Atervam d) appodix e) tua mens sibi congerat f) eius.
Gl. a) anxietatem. b) tenuitatem corporis. c) amenitatem. d) perpetuam. e) socia. f) congreget.
Einzelne der Sentenzen haben den Charakter von Sprichwörtern, z. B. v. 54:
        Mulio a) strabo tuus b) neque sit neque agason c) inermis.
Gl. a) custos mulorum. b) unekus(?) Ist dies Gl. zu strabo? c) provisor equorum.
Oder:
        Pomerium a) curti, pomaria b) congrua malis. c)   v. 46.
a) locus vacuus. b) viridiaria. c) pomis.
Der volksthümlichen lateinischen Worte wegen, die sich zerstreut im Text und den Glossen finden, verdiente dies Buch eine genauere Untersuchung, die wohl auch den Text zu berichtigen Gelegenheit fände.
Nur um jene Worte und ihre Glossen vorzuführen, 138 scheint dies Buch verfasst, wie auch das Vorwort des Werks in wunderlicher, kaum verständlicher Ausdrucksweise andeutet. Aber gerade weil dies Buch selbst mit Benutzung der Glossen viel zu rathen aufgibt, sagte es dem mittelalterlichen Scholasticismus sehr zu und fand eine weite Verbreitung, wie die zahlreichen Handschriften (vom zehnten bis dreizehnten Jahrhundert) beweisen, von welchen eine mit einer angelsächsischen Interpretation versehen ist. Eines Bildergedichts Abbo's auf Odo gedenkt Ampère a. a. O. S. 311, über das ich sonst nirgends etwas habe finden können.

Es haben sich von Abbo auch eine Anzahl Predigten erhalten, von welchen fünf durch D'Achery herausgegeben worden sind. Spicileg. 2. ed. Tom. I, p. 336 ff. Sie sind insofern von Interesse, als sie uns zeigen, dass der Verfasser auch einfach und natürlich sich ausdrücken konnte, wie hier allerdings dem Vorwort zu Folge auch seine Absicht war; auch verstösst diese, freilich erst in späterer Zeit als die Dichtung, niedergeschriebene Prosa gegen die grammatische Correctheit nicht mehr als die der besseren Zeitgenossen. Die Zeit der Abfassung, die, wie sich aus der Vorrede ergibt, nach 921 erfolgte, Es bestimmten ihn zu der Abfassung die Bischöfe Froterius von Poitiers und Fulrad von Paris, von denen jener von 900–936, dieser von 921–927 sein Amt bekleidete. zeigt zugleich also, dass Abbo mindestens noch im dritten Jahrzehnt des zehnten Jahrhunderts lebte.

Der dritte Epiker, dessen wir hier zu gedenken haben, ist der anonyme Autor der Gesta Berengarii imperatoris; Gesta Berengarii imperatoris, Beiträge zur Geschichte Italiens im Anfange des zehnten Jahrhunderts von Dümmler. Halle 1871. – Pannenborgs Anzeige davon in den Gött. Gel. Anz. 1871. Bd. II, S. 1767 ff. wie 139 sein Werk ergibt, offenbar ein Lombarde. Nach Inhalt und Abfassung desselben zu urtheilen, war der Verfasser ein gelehrter Schulmeister. Dafür spricht auch seine Armuth, s. Prol. v. 17. Auch er erzählt, wie Abbo, als Zeitgenosse und hat seinem Helden selbst, Berengar I. von Italien, die Dichtung als Geschenk dargebracht. Prolog. v. 22. Da sie mit dessen Kaiserkrönung (December 915) schliesst und ihn noch lebend und in voller Macht voraussetzt, so ist sie zwischen 916 und 922 – dem Jahr der Erhebung Rudolfs – verfasst. Auch mir ist es, wie Dümmler S. 11, wahrscheinlich, dass das Werk bald nach der Kaiserkrönung, wohl schon im Jahre 916, geschrieben worden ist. Darauf weist auch der Schluss hin.

Die Dichtung, in Hexametern geschrieben, besteht aus vier Büchern, denen ein Prolog von sechzehn Distichen vorausgeht. Dieser enthält ein Zwiegespräch des Autors mit seinem Buche. Er fürchtet, dass es keinen Lorbeer erwarten dürfe gleich den Werken des Homer und Virgil, vielmehr den Flammen übergeben werde. – Warum hast du dann deine Zeit mit mir verloren, antwortet mit Recht das Buch, zumal bei deiner Armuth? – Der Dichter dagegen: es soll nur ein Geschenk für das höchste Oberhaupt sein und, wenn auch verbrannt, Bessere zum Schreiben anregen, die Triumphe des in der ganzen Welt zu verehrenden Mannes zu feiern; ihm selbst, dem Verfasser, genügt es, wenige Thaten desselben zu erzählen; der Beifall der Menge ist ihm gleichgültig.

Hiermit wird der Charakter des Werks schon angezeigt: mit Recht bezeichnet es die Ueberschrift des ersten Buchs als einen Panegyricus, Sie ist in griechischer Sprache gegeben und lautet: Ἀρχεται το Πανηγυρικον Βερενγαγιου του ἀνικητου καισαρος; während das ganze Werk in der Handschrift den oben angegebenen Titel trägt. Uebrigens hat auch der Prolog die griechische Ueberschrift: Ἀρχεται Προλογος. und eben deshalb konnte sich der Autor auf eine Auswahl der Thaten beschränken: er feiert seinen Helden nur als König und Kaiser; wie er mit seiner Wahl zum König von Italien beginnt, so endet er mit seiner Krönung als Kaiser; und indem er nur solche Thaten berichten will, die ihn auszeichnen, so nimmt er auch keinen Anstand, durch Verschweigen und Vertuschen, ja durch chronologische Aenderungen und selbst durch Zusätze sein Ziel zu erreichen. So 140 sehr auch hierdurch sein Werk als geschichtliche Quelle an Werth verliert, so gewinnt es doch in ästhetischer Rücksicht. Es zeichnet sich vor den beiden andern historischen Dichtungen durch Einheit der Composition und durch eine übersichtliche Gliederung des Stoffes aus. Der annalistische Charakter verschwindet; eine bestimmte Idee beherrscht das Ganze, der zu Gefallen die Thatsachen ausgewählt, gruppirt und ausgemalt werden, alles Detail, das ihr nicht dient, wird von dem Verfasser verschmäht, der eben als Poet verfährt, obgleich er auch die Rolle des Historikers spielen will. Wie Dümmler schon sehr richtig bemerkte (S. 12), wird von dem Dichter »lediglich dargestellt, wie Berengar die Krone (von Italien) gewann und wie er sie glücklich und siegreich wider alle minder berechtigten Nebenbuhler behauptete, um endlich durch die Hand des Nachfolgers Petri die höchste Weihe zu erlangen.«

Das erste Buch (272 V.) hebt, nach einer Rechtfertigung des Unternehmens des Dichters durch den Vorgang des alten Griechenlands und Roms, damit an, die Ansprüche Berengars auf die Krone Italiens zu begründen; vor allem durch seine Abstammung von Karl dem Grossen. Und in der That war Berengar dessen Urenkel, durch seine Mutter Gisela, eine Tochter Ludwigs des Frommen, die sich mit dem Markgrafen von Friaul, Eberhard S. über ihn oben Bd. II, S. 195. vermählt hatte. Unser Dichter lässt aber auch, der historischen Wahrheit gewiss zuwider, S. Dümmler S. 14 f. Karl III. bei seinem Tode Italien seinem Helden vermachen (v. 34 ff.). Ihn verlangen denn auch die Grossen des Landes zum König, denn die verschiedenen Völker des Imperium forderten jetzt ihre eignen Herrscher (v. 44 ff.). So wird Berengar in Pavia gekrönt. Ruhe und Frieden geniesst nun das Land, wie der Dichter mit Versen des Statius Aus seiner Thebais III, v. 255–259. ausmalt (v. 70 ff). Das aber verdriesst den neidischen Wido (den Herzog von Spoleto), der unter Hinweis auf Rudolf von Burgund und Odo von Paris auch eine Krone besitzen will – wie ihn der Dichter in einer Rede ausführen lässt. Er bricht aus Gallien in Italien ein (in der That kehrte er nur dahin zurück), Der Dichter will ihn aber als einen Ausländer darstellen; er nennt ihn daher auch nie Herzog von Spoleto. um Berengar die Krone zu rauben. 141 Er fordert zum Abfall von Berengar auf, während dieser in einer schwülstigen Rede den Himmel gegen den Feind anruft (v. 107 ff.). Sein Heer sammelt sich. Es kommt zur ersten Schlacht mit Wido (October 888), welche der Dichter von V. 165 an beschreibt; Berengar behauptet das Schlachtfeld, Wido muss ihn bitten, die Gefallenen bestatten zu dürfen.

Das zweite Buch (279 V.) schildert dann die zweite, entscheidende Schlacht der beiden Gegner im Anfang des Jahres 889, ohne dass am Schluss der Autor die Niederlage seines Helden eingesteht: vielmehr lässt er nur die Nacht den Kampf beenden. Der Dichter beginnt aber seine Erzählung hier, nach Anrufung Gottes – statt der Musen – um Beistand, mit der Aufzählung der Kriegsscharen und ihrer Führer auf beiden Seiten (v. 13–103) – ohne Frage die historisch werthvollste Partie des Buches, während die Schlachtschilderung selbst, die vornehmlich in der Beschreibung von Einzelkämpfen besteht, um so weniger ein historisch treues Bild bieten kann, als sie zu einem guten Theil aus einem Mosaik von Versen des Statius und Virgil besteht. So bilden die Stelle v. 118 nach der heroischen Cäsur bis v. 124 Thebais, VII, v. 137–144, danach wieder Pan. v. 127: Theb. VIII, v. 373, und Pan. v. 129–132: Theb. VIII, v. 375–378, Pan. v. 133–138: Theb. VIII, v. 385–391, Pan. v. 139–141: Theb. VIII, v. 395–397, Pan. v. 142–143: Theb. VIII, v. 402–403, Pan. v. 144–145: Theb. VIII, v. 406–407, Pan. v. 146 zweite Hälfte und 147: Theb. VIII, v. 407–408. Dieser Plünderung der Thebais begegnen wir in einzelnen und mehreren Versen, wenn auch nicht in derselben Ausdehnung, bis zum Ende des Buchs, dazwischen auch der Aeneis des Virgil, obschon in geringerem Masse, so v. 240–244, und mehr mit Variationen. An lebendiger Bewegung fehlt es ihr indessen nicht.

Im dritten Buch (299 V.) geht der Dichter sogleich auf die Hülfe über, die Berengar von Seiten seines Verwandten, des deutschen Herrschers Arnolf wird, indem er die Zwischenzeit von Anfang 889 bis Sommer 893, während welcher Wido die Krone Italiens, ja die Kaiserkrone sich eroberte, vollständig ignorirt. Nach der Darstellung unseres Autors dauert der Krieg, in dem die Schlacht des zweiten Buches geliefert worden, einfach fort, und Arnolf sendet aus eignem Antrieb, statt, wie es die geschichtliche Wahrheit ist, auf Bitten Berengars, diesem zunächst seinen Sohn Zwentibald (hier Sinbaldus) zu Hülfe. Wido aber, den der Dichter noch immer nur dux Gallicus 142 betitelt, vermeidet den Kampf, in seinen Festungen sich einschliessend. Erst als Zwentibald unverrichteter Sache heimgekehrt ist, bricht Wido von neuem hervor (v. 47). Nun aber erhebt sich Arnolf selbst, den übermüthigen zu züchtigen (894). Die Eroberung Bergamo's, wie die Hinrichtung seines Befehlshabers Ambrosius als abschreckendes Beispiel wird lebendig und historisch getreu berichtet (v. 80 ff.). Unmittelbar nach dieser Eroberung lässt unser Dichter, Wido zu verfolgen, die Könige Berengar und Arnolf nach Rom ziehen, der historischen Wahrheit zuwider, da Arnolf erst nach Wido's Tod (December 894), im zweitfolgenden Jahre (896) diese Romfahrt unternahm, auf welcher er die Kaiserkrone erhielt, welche wichtige Thatsache unser Dichter wieder verschweigt. Er lässt vielmehr Berengar jetzt Arnolf zur Heimkehr bereden und Wido danach von neuem zum Angriffe schreiten (v. 153 ff.). Nun fleht der Klerus Gott um den baldigen Tod des Verbrechers an. Er wird erhört, Wido aber empfiehlt sterbend seinem Sohne Lambert, sich mit Berengar zu einen (v. 187). In der That fand 896 ein Vergleich statt, durch welchen sich beide in die Herrschaft von Oberitalien theilten. Nach unserm Dichter aber verzeiht Berengar grossmüthiger Weise und erscheint als der mächtigere, der Wahrheit zuwider. Es folgt dann noch die Erzählung von dem Tode des Lambert durch einen unglücklichen Fall auf der Jagd (v. 249 ff.), worauf Berengar als Alleinherrscher Italiens anerkannt wird (898). Der Dichter schliesst das Buch mit dem Preise des neuen Frühlings, dessen Italien sich erfreut.

Das vierte und letzte Buch (208 V.) hat zunächst die Abwehr eines neuen Gegners, der Berengar in Ludwig von Burgund, dem Sohne Boso's, erstanden war, zum Gegenstand. Der Dichter ignorirt auch hier die wichtigsten, für seinen Helden freilich unehrenhaften Thatsachen, den ersten Zug Ludwigs nach Italien im Jahre 900, der so erfolgreich war, dass er das folgende Jahr selbst zum Kaiser gekrönt wurde. Er erzählt nämlich sogleich Ludwigs zweiten Zug im Jahre 905, der durch die Markgräfin von Tuscien Bertha veranlasst wurde und den unglücklichsten Ausgang nahm. Ludwig besetzt Verona, während Berengar am Fieber krank ist und deshalb, wie ein Löwe im Käfig, seinen Muth bezähmen muss. Als er wiederhergestellt, sammeln sich die Seinigen um ihn und ziehen gegen Verona, 143 indem sie Nichtschonung des Feindes von ihm fordern. Dieses Verlangen weist aber Berengar zurück, da Ludwig sein Verwandter sei (v. 47 ff.). Trotzdem wird der in Verona überraschte Kaiser geblendet (v. 62 f.); der Panegyriker aber hat durch seine thatsächlich gewiss nicht gerechtfertigte Darstellung Vgl. Dümmler S. 39. die Schmach einer grausamen, wenn auch damals nicht ungewöhnlichen Handlung von seinem Helden abgewandt. – Die zweite Hälfte des Buches bildet dann die Erzählung von der Kaiserkrönung Berengars, die allerdings erst zehn Jahre später erfolgte (v. 89 ff.). Auch hier wird der Zwischenzeit nicht gedacht. Die Erzählung, interessant durch manche Einzelheiten, macht den Eindruck des Berichts eines Augenzeugen. Mit der Aufforderung an die Jugend, der Clio holder sei, das Lob Berengars nach seiner Kaiserkrönung weiter zu singen, schliesst dann das Werk.

Auch diese Dichtung ist wie die des Abbo mit zahlreichen Glossen versehen, von welchen ein Theil sicher auch von dem Verfasser selbst stammt; es sind solche, welche, wie manche des Abbo, zum Verständniss des Textes absolut nothwendig sind, denn sie dienen dem Verfasser zur Aushülfe an solchen Stellen, wo er, meist offenbar der Versification wegen, sich so dunkel auszudrücken genöthigt sah. So gebraucht er nicht selten, gerade wie Abbo, das Pronomen ille statt eines Eigennamens, wo derselbe aus dem Zusammenhange gar nicht mit Sicherheit sich erkennen lässt. So lässt er ganze Wörter wie quam nach einem Comparativ (I, v. 261), die Präposition in öfters (III, v. 51 und 58), selbst ein Verbum wie petit (I, v. 255) im Texte aus, um sie in den Glossen zu ergänzen. So gebraucht er offenbar des Verses wegen das an der betreffenden Stelle (I, v. 247) ganz unverständliche luce carentes für mortui , welches die Glosse bietet. Auch manche Glossen anderer Art mögen dem Autor angehören, Dass nicht alle, kann wohl schon die Glosse zu dem Worte panegyricon in der Ueberschrift des ersten Buchs zeigen: panigiricum est licentiosum et lasciviosum genus dic endiin laudibus regum etc., aus Isidors Etymol. VI, c. 8. Auch andre Stellen beweisen dies, wie solche Pannenborg anführt (a. a. O. S. 1769), der aber mit Unrecht darauf das Urtheil gründet, die Glossen wären sämmtlich nicht von dem Dichter. – Die geschichtliche Erläuterungen enthaltenden Glossen müssten, wenn nicht vom Autor selbst, mindestens von einem Zeitgenossen, ja Freund desselben verfasst sein: urtheilt Dümmler S. 8. der vielleicht selbst sein Werk zum 144 Unterricht gebrauchte, jedenfalls in ihnen mit seiner Gelehrsamkeit prunken wollte. Und in der That gibt sich dieselbe als eine für jene Zeit nicht geringe zu erkennen. So werden ausser den Dichtern Roms namentlich Servius, Fulgentius, Marcianus Capella, Priscian, Donat, Isidor citirt, auch zeigen die Glossen wie die Ueberschriften eine gewisse Kenntniss des Griechischen. Und selbst die Sprache, so gesucht und ungeeignet der Ausdruck oft ist, bezeugt doch ein Fortleben der aus dem Alterthum überlieferten grammatischen Schule in Italien, was sich auch in dem Ueberwiegen antiker Erinnerungen und der geringen Zahl biblischer Anspielungen zeigt. S. Dümmler S. 9.

 


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