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Zweites Kapitel.

Ecbasis Captivi.

Wohl den ersten Anfängen der Regierung Otto's I. gehört das älteste Thierepos an, das auch das Werk eines Deutschen Vgl. Voigt (s. die folgende Anm.) S. 14. und aus einem Kloster hervorgegangen ist. Es ist die Ecbasis captivi , * Ecbasis captivi, das älteste Thierepos des Mittelalters, herausgeg. von E. Voigt. Strassburg 1875. (Dazu die werthvollen umfänglichen Kritiken von Peiper in: Zeitschr. f. deutsch. Alterth. N. F. Bd. 8 und von Seiler in: Zeitschr. f. deutsche Philol. Bd. 8). – Grimm, Latein. Gedichte (s. oben S. 265, Anm. 1) S. 241 ff. – Metrisch aus dem Latein. übersetzt von Weiske in: Progr. der latein. Hauptschule in Halle. 1858. eine Dichtung von 1175 Hexametern, Wenn man eine von Voigt S. 63 ff. nachgewiesene Interpolation von 54 Versen in Abzug bringt. die zum grössten Theil leoninisch gereimt sind. Der Dichter, dessen Name nicht bekannt ist, aus Lothringen und wohl aus dem Wasgau Dies ergibt sich, worin ich mit Seiler übereinstimme, aus v. 71: Vosaginis partibus altus. gebürtig, war Mönch des Klosters St. Evre von Toul. Wie sich aus seiner Dichtung schliessen lässt, traf die strenge Reform, 277 welcher dies Kloster 936 unterzogen wurde, Dass die Klosterreform des Jahres 936 allein hier in Frage kommen kann, zeigt die Erwähnung der beiden Königsnamen Konrad und Heinrich. S. im übrigen Voigt S. 9 ff. ihn, der noch Klosterschüler war, schwer, da er sich die Freiheiten der früheren lockeren Disciplin sehr zu nutze gemacht zu haben scheint: sagt er doch selbst im Prologe der Dichtung, dass er den Unterricht versäumt, umhergeschweift und seine Zeit mit Possen vertrieben habe; seiner Faulheit habe er den Namen Esel verdankt. Die Folge der strengeren Zucht war, wie es scheint, dass er dem Kloster entlief; zurückgebracht, wurde er in den Kerker geworfen. Hier kam er zur Besinnung, und reuevoll beschloss er der Faulheit zu entsagen, indem er dichte; erhabene Stoffe aber verwarf er bald, da er sich ihnen nicht gewachsen fühlte, so kam er auf den guten Gedanken eine Fabel zu ersinnen, worin er » per tropologiam«, wie der ausführlichere Titel besagt, Der handschriftliche Titel lautet nämlich: Ecbasis cuiusdam captivi per tropologiam. sein eigenes Schicksal darstellen konnte, indem er sich selbst unter dem Bilde eines Kalbes zum Helden der Erzählung machte.

Es war zu Ostern, so beginnt er dieselbe, als die Hirten des Wasgaus ihre Herden auf die Weide trieben: da blieb ein jähriges Kalb im Stalle angebunden zurück, es jammert nach dem Euter der Mutter; mit Lecken und Kauen löst es den Strick, und eilt auf die Wiesen, seiner Freiheit sich erfreuend. Ermüdet sucht es dann den Wald auf. Aber hier begegnet es dem Förster: es ist der Wolf, der es wie einen von langer Wanderschaft heimkehrenden Mönch mit frommen Grusse bewillkommnet, ihm die Gastfreundschaft für die Nacht zusagt, zugleich aber ankündet, es solle den andern Morgen ihm zum Ostermahle dienen. Damit führt der Wolf das Kalb in seine Höhle (v. 104). Er ist um so mehr über die Ankunft dieses Gastfreunds erfreut, wie er ihm selbst versichert, als er schon lange asketisch gelebt, kein Fleisch und keinen Blutwein genossen. Er soll ihn stärken. Das Kalb fleht nur um Aufschub bis zur Frühmesse: der wird ihm gewährt; ja der Wolf setzt ihm eine Henkersmahlzeit vor, so gut als er vermag.

Indessen langen um Mitternacht seine beiden Dienstmannen ( ministri ), die Otter und der Igel mit Vorräthen für ihn an, 278 jene mit Fischen aller Art, dieser mit Gemüse und Obst. Nach dem Physiologus bestiehlt der Igel den Weinstock, indem er die Beeren desselben aufspiesst; nach Aelian (III, 10) verfährt er so mit den Feigen. Vgl. Carus, Gesch. der Zoologie, S. 125. Der Wolf dankt ihnen; er will, vom Alter gebeugt, ihnen auch alles, was er besitzt, hinterlassen, dem Igel seine Felsenhöhle, der Otter den fischreichen Bach (v. 188). Die Thiere fragen dann verwundert nach dem Fremdling, worauf der Wolf ihnen seine Absicht mittheilt und die Otter zur Hüterin desselben bestellt. Der reisige Igel aber, obgleich weder der Musik noch den Musen ergeben, singt dem Wolf mit Citherspiel ein Schlummerlied, worin er die Triumphe Roms feiert – offenbar wegen der Wölfin, die Romulus und Remus säugte. Während der Wolf schnarcht, tröstet die Otter das Kalb, indem sie mit ihm betet. Jener aber erwacht, von einem Traum Dies Kunstmittel des Traums findet sich ebenso wieder in den volksmässigen Epen der späteren Zeit, wie im Rolandslied die Träume Karls. erschreckt, nach dessen Deutung er die Genossen fragt. Er fand sich von Wespen und Fliegen umschwärmt, zwei Hornissen wollten ihm den Hals zerstechen, das Kalb und der Fuchs aber jubelten laut. Die Otter mahnt, das Kalb zu entlassen, die Fliegen wären die Scharen der Thiere, die Hornissen die Eltern des Kalbs, der Jubel des Fuchses das Vorzeichen seines eigenen Leids. Aber der Wolf will um keinen Preis das Kalb freigeben; es muss bestraft werden, weil es ihm die Speisen verthan hat; Es ist ein blosser Vorwand, und so erinnert dies an die Fabel von dem Wolf und dem Schaf, das ihm das Wasser trübte. Phaedr. l. I, 1. was es auswärts beging, kümmert ihn nicht, aber wohl, was bei ihm selbst. Er gibt darauf dem Igel den Befehl, das Kalb nach der sechsten Stunde zu tödten, und ordnet sorgfältig, gleich einem alten Gourmand, an, wie er es zum Osterbraten zubereiten soll. Er sei des Bohnenessens müde, das habe ihn geschwächt; die alte Fleischnahrung bekomme ihm besser, zu ihr werde er zurückkehren. Die fromme Otter warnt den Wolf vergebens, das heilige Mönchthum zu verachten, nachdem er sieben Jahre asketisch gelebt. Er werde nach dem canonischen Recht den Tod der Räuber sterben. »Du predigst tauben Ohren«, erwiedert der Wolf, »es soll vielmehr dem Kalbsschwanz eine Eselslende folgen« (v. 315 f.).

Als der andre Morgen aber tagt, wird von der Herde der 279 Verlust des Kalbs entdeckt; der Hund hat die Höhle ausgewittert, er führt die Herde dorthin. Das Gebrüll des Stiers erweckt den schlaftrunkenen Wolf. Er fordert seine Dienstmannen zum Kampfe auf, er fürchtet nichts in der festen unersteiglichen Höhle, da er den Fuchs nicht bemerkt, der ihm allein gefährlich sei. v. 370. Sed vereor vulpem solitum turbare bitumen durch seinen ätzenden Harn, indem der Wolf hier an seine sonst unangreifbare Höhle denkt. Voigt S. 37. Die Dienstmannen aber verclausuliren ihre Kampfbereitschaft, vor allem wünschen sie zu hören, welchen Grund die alte Feindschaft mit dem Fuchse hat.

Indem der Wolf ihrem Wunsche entspricht, beginnt eine neue Thiererzählung (v. 392), welche Innensage viel grösser als die Aussensage ist. Ihren Kern bildet die Fabel von dem kranken Löwen und dem geschundenen Wolfe, die hier sehr weit ausgeführt ist. Der nierenkranke Löwe entbietet alle Thiere des Waldes zu seiner Höhle, ihm Heilmittel zu bringen. Sie folgen dem Gebot, über dessen Ausführung der Wolf als Kämmerer zu wachen hat, sämmtlich bis auf den Fuchs. Der kranke König, deshalb auf diesen höchst erbittert, und durch den Wolf noch mehr gereizt, befiehlt ihn zu fangen und in Stücke zu reissen. Der Wolf triumphirt und sinnt auf neue Marter; den Parder dagegen dauert der Fuchs und er eilt ihn zu benachrichtigen, den er nach langer Fahrt endlich trifft. So erscheint der Fuchs demüthig vor dem Löwen und weiss sich zu rechtfertigen. Er war bis zum heiligen Lande gewandert: dort am See Genezareth hat ihm das Wasserhuhn ( fulica ) In dem alten latein. Physiologus des achten Jahrhunderts wird dieser Vogel aufgeführt und als prudentissimum super omnia volatilia bezeichnet. S. Cahier, Mélang. archéolog. T. III, p. 209. das Geheimmittel mitgetheilt, das allein den Löwen heilen kann, es wies ihm auch den Weg, auf welchem er am schnellsten über Rom Bordeaux, wo des Löwen Hof ist, erreichen konnte. Bei Pavia traf ihn der Storch, der dasselbe Mittel anrieth, nur wäre noch der heilige Aper um seinen Beistand anzuflehen. Der Löwe aber traut dem Fuchs noch nicht: »von dir geht vieles um, was dein Leben mit Verbrechen schändet«, antwortet er. Hierauf verlangt der Fuchs eine Untersuchung; seine Unschuld werde noch an den Tag kommen, die Zeit bringe ja alles ans Licht, er sei ein Greis geworden und habe doch um 280 der Gesundheit des Königs willen alle Klimate der Welt durchwandert. So lügt er, falsches mit wahrem vermischend: die Thiere aber gerührt verehren ihn mit Kniefall, der Zorn des Königs schwindet, und zum Zeichen des Friedens darf der Fuchs das Scepter des Königs berühren (v. 492). Nunmehr verlangt der Löwe das Geheimmittel zu erfahren. Ganz gegen seinen Willen, versichert der Fuchs, muss er es nennen. Seinem Gevatter Wolf soll das Fell abgezogen und darein der König gehüllt werden, nachdem der Fuchs ihm mit Fischgehirn, das er aus Indien brachte, Lenden und Rücken gesalbt. Die Vorschrift wird sogleich ausgeführt, denn dem König geht Gesundheit über alles: von zwei Luchsen unter Beihülfe des Bären wird der Wolf bis auf den Kopf und die Füsse enthäutet.

Der Fuchs, der den Thieren eine Strafpredigt hält, dass sie ohne Vorladung ihn, den abwesenden, verurtheilt gehabt hätten, spielt dann den Arzt weiter, indem er die beste Mönchskost dem geschwächten Patienten verordnet. Der König aber macht ihn zum Pfalzgraf, domus comes wird er v. 565 genannt. indem er ihm die Ruhe seines Hofes anvertraut. Des Fuchses Befehlen soll jeder Folge leisten. Derselbe beordert darauf den Leopard den Haushalt zu bestellen, die Höhle zu reinigen und zu schmücken. Dann führt er selbst den König, ihn unterstützend, in den Garten (v. 606). Nachdem auf des Leoparden Antrag die Thiere, die schon drei Tage gefastet, gespeist worden, wird einem jeden sein Geschäft angewiesen (v. 641 ff.): die Bären sollen Holz holen, die Kamele die Teppiche (zur Ausschmückung der Höhle) bringen, Otter und Biber das Wasser zutragen, der Tiger für das Brot sorgen; der Elephant wird zum Koch, der Hirsch zum Schenk, der Eber zum Thürhüter ernannt, der Leopard selbst übernimmt das Amt des Truchsess. Luchse und Gemsen bilden die Leibwache, die Meerkatze sorgt für das Bett, der Affe für die Lichter. Der Igel endlich soll Aepfel und Mandeln bringen. S. oben S. 278, Anm. 1. Der aber verwahrt sich stolz dagegen in längerer Rede: er sei von Cato's Geschlecht, Entlehnt ist diese Phrase aus Symphos. Aenigmata 85 (Perna). vom Blute grosser Könige, er nennt sich einen Markgraf der Rutuler, einen Bannerträger Roms. Aber seine Remonstration führt nur zu seiner Demüthigung: er wird 281 verurtheilt, den Bratspiess in der Küche zu drehen und das Gespüle zu trinken.

Nun erst (v. 709) erinnert sich der Fuchs seines Freundes, des Parders, den er in der Nähe der Höhle zurückgelassen. Er macht dem Leoparden den Vorschlag, ihn als Psalmensänger zu berufen. Der König, der zu Tisch gehen will, wundert sich auch über des Parders Abwesenheit, der Fuchs eilt ihn zu holen, während der Leopard ihn dem Könige so preist, dass dieser ihn zum Thronfolger adoptirt. Das Mahl beginnt, bei dem die beiden Könige den Vorsitz führen. Das Einhorn liest das Leben des Malchus vor. S. Bd. I, S. 194. Danach kommen die Becher. Der Löwe frägt dann den Parder, warum er so lange ausgeblieben. Er suchte, antwortet er, für ihn ein Schlafmittel: er fand es in einem Sängerpaar, der Amsel und der Nachtigall. Sie erscheinen und singen Christi Leiden auf das ergreifendste. Hier, nach v. 851, findet sich die Interpolation. Da gebietet der Parder dem Trauergesang Einhalt (v. 854 [908]), nunmehr solle ein freudiges Lied erklingen. Die beiden thränenbenetzten und aschebedeckten Als Zeichen der Trauer hatten sie sich während des Vortrags des Gesangs mit Asche bedeckt (v. 844), sie baden sich, um die Zeichen der Trauer abzulegen und sich so für das freudige Osterlied zu schmücken. – Dies Motiv des Bades ist bisher nicht erkannt worden. Sänger baden sich dann auf des Parders Geheiss in der Gironde, und während sie ihr Federgewand wieder ordnen, gesellen sich Sittich und Schwan zu ihnen, um dann mit ihnen vereint beim Königsmahle das Osterfestlied anzustimmen. Allgemeine Fröhlichkeit herrscht, der Löwe rühmt den Fuchs und empfiehlt ihn seinem Nachfolger; doch der Fuchs scheint nicht ganz befriedigt. Auf des Königs Frage nennt er eine Höhle auf eines Berges Gipfel, die er zu eigen zu haben wünscht; sie wird ihm alsbald gewährt. Das ist eben die Höhle, welche der Wolf der Aussenfabel besitzt, wie derselbe hier in seiner Erzählung einschaltet, indem seine Vorfahren, das dem Ahn angethane Unrecht rächend, die Nachkommen des Fuchses daraus vertrieben (v. 956 ff. [1010 ff.]).

Die Innenfabel geht nun zu Ende: der König entlässt dankend die Thiere, welche scheidend den geschundenen Wolf verhöhnen. – Auf den Wunsch des Löwen singt die Nachtigall ihn in den Schlaf. Drei Tage dauert derselbe, dann verlässt 282 der König die Höhle und zieht in den Schwarzwald, die Schätze seines Hauses eignet sich der Parder an, und geht mit Amsel und Nachtigall nach Westen, während der Schwan die Normannen, Das Alterthum verlegte die Heimath des Singschwans nach dem hohen Norden, Island, Norwegen, Schweden u. s. w., von wo er mit Beginn des Winters nach dem Süden zöge. S. Müllenhoff, Deutsche Alterthumskunde Bd. I, S. 3 f. der Sittich die Inder beherrschte. Zuletzt bricht der Fuchs auf, er begibt sich zunächst zu seinem Gevatter, um ihm eine schimpfliche Grabschrift zu widmen, welche seine Falschheit geisselt; dann zieht er mit dem Leoparden nach der ihm verliehenen Burg, um sie von diesem als Königsboten in aller Form Rechtens übergeben zu erhalten.

Hiermit schliesst der Wolf seine Erzählung (v. 1043 [1097]). Die Otter dankt ihm und besteigt den Hügel der Höhle, um nach dem Feinde zu spähen: da erblickt sie den Fuchs, welcher die Urkunden seiner Belehnung bei sich trägt; und die ganze Feindesschar bedroht einstimmig den falschen Wolf, der des Königs Gebot nicht beachtet, mit dem Tode am Kreuze, während seine Dienstmannen gebunden nach Ilerda Aus Horat. Epist. l. I, ep. 20, v. 13. geführt werden sollen; dem Fuchse aber solle sein Lehen wieder werden. Die erschreckte Otter verkündet dies dem Wolf und beschwört ihn noch einmal, das Kalb freizugeben. Aber umsonst. Da fliehen die Dienstmannen, die Otter springt von des Hügels Spitze in den Fluss, in dessen Tiefe sie untertaucht; der Igel aber vergräbt sich im Felsen. Die Burg wird nun vom Feinde gestürmt; der Fuchs aber lockt aus dem Innersten der Höhle mit einer Schmeichelrede den Wolf hervor, worauf alsbald der Stier ihn an einen hohen Baum heftet, während das Kalb mittlerweile sich selbst freigemacht hat. Auch hier wird dem Wolf von dem Fuchs ein Epitaphium gewidmet. Er entlässt dann, von den väterlichen Laren Besitz nehmend, mit Ermahnungen die Genossen. Ohne Verlust, schliesst er, sei die Feste gewonnen, weil Verstand und List mehr als tausend Bewaffnete vermöchten. Das Kalb aber kehrt mit seiner Mutter heim, der es in der Kürze, was es gelitten, erzählt, um mit einem Preise Christi zu schliessen.

Das Werk des Mönchs von St. Evre ist literargeschichtlich nicht bloss als das erste grössere Thiergedicht des Mittelalters 283 merkwürdig, sondern namentlich auch durch die eigenthümliche Verquickung der aus dem klassischen Alterthum überlieferten Thierfabel mit dem durchaus christlichen Physiologus, der auf die typologische Erklärungsweise der Bibel, wie sie in ihr selbst sich bereits findet, sich gründete. Vgl. oben S. 76. Der auch auf jener ruhenden »Tropologie« verdankt ja das Werk überhaupt seinen Ursprung. Mit Recht hat man die Rahmenerzählung so erklärt, dass der Wolf hier den Teufel bedeutet, in dessen Klauen der verlorene Sohn des Klosters geräth, aus denen die fromme Herde ihn wieder errettet. Erscheint auch der Wolf nicht in dem Physiologus, so doch der Igel, sein Genosse, als Typus des Satan.

Die Innenerzählung aber ist in ihrem Kern eine äsopische Fabel, die bereits von Paulus Diaconus, wie wir sahn, bearbeitet ward, S. Bd. II, S. 55. aber wohl schon früher durch mündliche Ueberlieferung im Westen verbreitet war, denn unser Autor schliesst sich in ihrer Behandlung an ihre ursprüngliche Fassung, nicht an die durch Paulus modificirte an, welcher zum Gegner des Fuchses den Bären statt des Wolfes gemacht hatte. Auch sonst zeigt sich in einzelnen Zügen unseres Gedichts eine Bekanntschaft mit äsopischen Fabeln, die wohl auch durch die frühen Prosaauflösungen des Phädrus vermittelt war. In diesen wird ja auch die Vulpis geradezu als aemula des Lupus bezeichnet, Romulus l. III, f. 6. und die fallacia des letzteren ist sein Hauptcharakterzug, wie in unserm Gedichte. Auch die Askese des Wolfs und die Rückkehr zu seiner alten Natur erinnert an Romul. l. III, f. 20, wo der Löwe nach seiner Krönung renuncians prioribus factis, mutavit consuetudinem, pecus ullum se non laedere, sine sanguine cibum sumere, sanctam et incorruptam iuravit se fidem servare – – aber, doch seine Natur nicht andern konnte, und die Thiere durch die Frage, ob er aus dem Munde rieche, ins Verderben lockt und zerreisst. Andrerseits findet sich auch in der Ausführung der Innenerzählung manches dem Physiologus entnommen. So die dem Parder zugetheilte Rolle. Er ist im Physiologus ebenso wie der Löwe ein Typus Christi, daher wird er hier zum Thronfolger des ersteren, und nimmt mit ihm als ein zweiter König den Vorsitz an der Tafel ein. Dass er zunächst als Psalmensänger berufen wird, könnte damit zusammenhängen, dass des Panthers Gebrüll – mit dem sich ja der anlockende Duft seines Athems verbindet – als Stimme des Himmels aufgefasst wurde, wie dies in des Philipp von Thaun Bestiaire, vielleicht auf Grund einer seiner Quellen, geschieht; dort heisst es: Et le cri de la beste| demustre voiz celeste. So ferner 284 das dreitägige Schlafen des Löwen, seiner typologischen Auffassung entsprechend. Auf anderes haben wir oben in den Anmerkungen schon hingewiesen.

Zu der in der Verquickung eines klassisch antiken mit einem altchristlichen Literatur- und Kulturelement beruhenden Eigenthümlichkeit kommt dann noch, im Zusammenhang mit ihr, die ganz subjective Behandlung des Stoffes, selbst in der Innenerzählung. Die Dichtung ist eine Mönchsdichtung im vollen Sinne des Wortes. Die Thiere werden nicht als Menschen überhaupt, sondern als Mönche gedacht, wie sie auch als fratres, confratres bezeichnet werden, der Löwe als Abt aber mit pater (v. 748) angeredet wird. Auch der Wolf-Teufel erscheint in der Hülle eines Asketen. Die Osterfeier der Innenerzählung ist die eines Klosters, die Mahlzeit wie die in einem Refectorium, ebenso die Vorlesung während derselben und dazu die einer Mönchsgeschichte. S. die weiteren Belege in Voigts Einleitung S. 48 ff. Auch an persönlichen Beziehungen und Anspielungen scheint es nicht zu fehlen; Darauf weist namentlich der Igel hin, der zwei unweit von Luxemburg gelegene Orte als sein Besitzthum bezeichnet, und dessen Schilderung auch sonst ganz individuelle Züge aufzeigt. S. namentlich v. 670 ff. wer weiss, wie weit hierin der Verfasser gegangen ist.

Merkwürdig ist das Gedicht endlich auch in formeller Rücksicht. Einmal was den Vers betrifft, durch die Anwendung des leoninischen Reims, der, nur von einzelnen Versen abgesehen, in diesem schon umfangreicheren Gedicht ganz durchgeführt ist, während er bis dahin nur in kürzeren in allgemeinerer Anwendung erscheint. S. oben S. 153 u. 156, und vgl. über den leoninischen Reim überhaupt sowie in unserer Dichtung Grimms Ausg. S. XXIII ff. und Voigt S. 30 f. In Betreff der Darstellung aber ist zunächst der eigenthümliche Zug hervorzuheben, dass der Verfasser eine nicht geringe Zahl von Versen ganz oder theilweise älteren Dichtungen, vor allem des Horaz, dann des Prudentius, entlehnt hat. So sind von jenem namentlich die Sermone und Episteln benutzt. Von Prudentius aber ist vorzugsweise die Hamartigenie in Contribution gesetzt. Auch in der Wahl des griechischen Titels scheint der Dichter, wie Voigt 285 bemerkt, diesem christlichen Vorgänger gefolgt zu sein. Unter den klassischen Poeten hat ihm nach Horaz vornehmlich Ovid in seinen Metamorphosen Material für den Ausdruck geliefert, während Virgil in der Benutzung in auffallender Weise zurücktritt. Ueber den Umfang der Literaturkenntniss des Verfassers verbreitet sich ausführlich Voigt S. 27 ff., der in den Anmerkungen zu dem Gedicht Entlehnungen und Anklänge im einzelnen nachweist. Jedoch scheinen mir die auf die Lectüre des Dichters daraus gezogenen Schlüsse zum Theil nichts weniger als sicher, da der Herausgeber nicht berücksichtigt zu haben scheint, dass auch jene Zeit ihre Glossare, d. h. Wörter- und Phrasensammlungen hatte. Nicht zu leugnen ist aber, dass, wie schon Piper bemerkte, A. a. O. S. 99. auch eine parodisch-humoristische Absicht bei einzelnen der wörtlichen Entlehnungen gewaltet hat, die auch nicht ohne Wirkung blieb.

 


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