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Sechstes Kapitel.

Hagiographie. Translationen.

Auch die Translation, diese besondere Species der Hagiographie, wurde in dieser Periode weiter gepflegt, zumal der Reliquienkultus wo möglich einen noch höheren Aufschwung nahm: sie hat denn auch einzelne in materieller oder formeller Beziehung beachtenswerthe Werke aufzuweisen. Sie erscheint nicht selten mit einer Vita verbunden, zu der die Erzählung von der Translation erst den Anlass gab.

203 So haben wir sogleich aus dem Anfang unseres Zeitraums ein sehr umfangreiches Werk eines Mönchs von Hautvilliers, Almannus Acta S. S., Augusti T. III, p. 580 ff. – – Hist. littér. T. V, p. 618 ff. zu verzeichnen, welches die Geschichte der Ueberführung der Gebeine der heiligen Helena nach jenem Kloster, die im Jahre 840 erfolgt war, erzählt und damit eine sehr ausführliche Vita derselben verbindet, die aber den Charakter einer panegyrischen Homilie hat. Da das Werk, wie der Verfasser selbst in einem Schreiben an den Leser sagt, auf Befehl des Erzbischofs Hincmar von Reims ausgeführt ist, so ist es nicht später als im Jahr 882, in welchem dieser starb, geschrieben. In der sehr weitläufigen Vita wird die Heilige sowohl als Mutter Constantins, »der durch ihre Verdienste zum Gipfel des römischen Imperium gelangte«, wie als Auffinderin des Kreuzes gefeiert. Der Verfasser zeigt in den beiden ersten Kapiteln, nachdem er der Vermählung der Helena mit Constantius gedacht, wie erst durch ihren Sohn das römische Reich gerettet wurde, das gleich den Aegyptern durch zehn Plagen heimgesucht worden war. Im Kap. 2 (§ 26 f.) wird dann auch schon der Auffindung des Kreuzes und der Kreuznägel gedacht. Die Art, wie Almann darauf die Heilige preist, indem er sie mit alttestamentlichen Personen, wie mit der Königin von Saba, vergleicht, den Text der Bibel auf sie anwendend, bis er endlich am Schluss (c. 6) bei ihrem Tod und Begräbniss anlangt, entzieht sich jeder Analyse; sie zeigt aber seine für jene Zeit nicht geringe theologische Kenntniss, wie denn überhaupt die ganze Vita eine nicht gewöhnliche literarische Bildung So finden sich die verschiedensten Kirchenschriftsteller citirt, vornehmlich aber sind Orosius, Cassiodor ( Hist. tripart.) und Beda (Chronicon) benutzt. bekundet und selbst den Schein erregt, als habe der Verfasser etwas griechisch verstanden. Durch die Erklärung griechischer Worte (s. c. 6, § 59), deren schlechte Ueberlieferung vielleicht auf Rechnung der Schreiber kommt. Merkwürdig, dass auch das ihm gewidmete Epitaph mit griechischen Worten prunkt. S. dasselbe Hist. littér. l. l. p. 619.

Ganz im Gegensatz zu der Vita ist die Translation von Almann sehr kurz behandelt. Viel ausführlicher von Flodoard, Hist. eccles. Rem. l. II, c. 8. Ein Priester der Parochie von Reims, Theogisus, schon lange krank, wandert nach Rom und 204 setzt seine Hoffnung auf die Fürsprache der heiligen Helena, er sucht ihr Grab, und als er es gefunden, gelingt es ihm, ihre Gebeine zu stehlen. Wie er dies » furtum fidele« vollbrachte, wird nicht erzählt. Die Aechtheit der nach Hautvilliers gebrachten Reliquien wird denn auch bezweifelt, und nach einem Beschluss der Kirche von Reims werden drei Mönche jenes Klosters deshalb nach Rom gesandt, die nicht nur die gewünschte Bestätigung, sondern auch noch eine ganze Anzahl andrer Reliquien mitbringen.

Wir besitzen noch von Almann eine Vita des heiligen Sindulph, eines Reimser Presbyters (um 600). Herausgeg. von Mabillon, Acta. S.S. o. s. Bened. Saec. I., p. 368 ff. Von Sigebert De Script. eccles. c. 98. Vgl. auch Dümmler N. A. S. 540. wird ihm auch ein Leben des heiligen Nivardus, Erzbischofs von Reims im siebenten Jahrhundert, sowie ein Klagelied über die Verwüstung Frankreichs und seines Klosters durch die Normannen in seiner Zeit, zugeschrieben.

 

Nicht uninteressant in historischer Beziehung wie durch die Bedeutung des Heiligen Der namentlich seit dem siebzehnten Jahrhundert eine weit verbreitete Verehrung gefunden hat. S. Mertens S. 148 ff. ist die Geschichte der Translation des heiligen Liborius Acta S. S., Julii Tom. V, pag. 394 ff. – Monum. German. histor., Scriptores. Tom. IV, p. 149 ff. (nur das zweite Buch, die Translatio). – – Rettberg, Kirchengesch. Deutschlands Bd. II, S. 440 ff. – Mertens, Der heilige Liborius. Sein Leben, seine Verehrung und seine Reliquien. Paderborn 1873. von Le Mans nach Paderborn, welche 836 stattfand. Sie ist auf Befehl des Bischofs von Paderborn Biso (886–908) durch einen seiner Kleriker, einen Sachsen, der offenbar aus diesem Gau stammte, Das zeigt die begeisterte Schilderung desselben in der Translatio, s. weiter unten. – Als Sachsen bezeichnet der Verfasser selbst sich l. II, c. 5. gegen Ende des neunten Jahrhunderts verfasst worden. Er hat ihr denn als erstes Buch die Vita des Heiligen vorausgesandt. Die Daten des Lebens schöpfte er, wie er selbst anzeigt (§ 5), namentlich aus den Gesta pontificum Cenomanensium . Die kurze biographische Notiz, die letztere enthalten, besitzen wir noch, und so vermögen wir hier recht zu beobachten, mit welchen Mitteln das karge thatsächliche Material zu einem ganzen kleinen Buche erweitert werden konnte, Was hier nicht ohne Geschick geschieht. wie dies in so vielen andern 205 Fällen auch geschah. Wir wissen in Wahrheit von Liborius wenig. Er war aus Gallien gebürtig, ein Zeitgenosse und Freund des heiligen Martin; seine Begabung und seine Frömmigkeit veranlassten seine Wahl zum Nachfolger des heiligen Pavacius auf dem Bischofsitz von Le Mans. Er entfaltete dort eine grosse Wirksamkeit, indem er eine Menge Kirchen baute und so die Christianisirung seines Sprengels sehr förderte. Der Verfasser weiss nun, nachdem er sich weitläufig über den Werth der Heiligenverehrung verbreitet hat, den Stoff vornehmlich dadurch zu erweitern, dass er als Lebensbild seines Heiligen das Idealbild eines Bischofs entwirft, der so lehrte wie er selbst lebte.

Das zweite Buch, welches die Translation behandelt, ist durch seinen Eingang, die Geschichte der Anfänge des Paderborner Bisthums, nicht unwichtig. Es wird hier erzählt, wie Karl der Grosse nach der Besiegung der Sachsen in deren Gebieten so rasch als möglich Kirchen erbauen liess und Bischofssitze bestimmte, und da es keine Städte gab, dazu Orte erwählte, die durch ihre vortreffliche natürliche Beschaffenheit und dichtere Bevölkerung sich besonders dazu eigneten. Paderborn empfahl sich durch seine fruchtbare, sowie an Wald und Wiesen reiche Umgebung, seine gesunden Quellen, seine milde Luft; und die Bewohner des Gaus waren einer solchen Heimath, die an das Land der heiligen Schrift, wo Milch und Honig fliesst, erinnerte, würdig (c. 3). Zunächst wurde das Bisthum den Bischöfen von Würzburg durch Karl anvertraut; da diese es aber selten besuchen konnten, wurde endlich ein Kleriker Würzburgs, der Sachse Hathumar (der, noch ein Knabe, als Geissel dorthin gekommen war), von Karl in seinen letzten Lebensjahren zum Bischof von Paderborn ernannt (c. 5).

Sein erster Nachfolger war Badurad, auch ein Sachse und ein Kleriker Würzburgs. Er hob das Bisthum sehr. Er war es denn, der die Translation veranlasste. Um das jung bekehrte Volk vor Rückfällen in das Heidenthum zu bewahren, wünschte er die Gebeine eines »vorzüglichen Heiligen« zu erhalten, die durch ihre Wunder und die von ihnen bewirkten Heilungen am besten das Christenthum befestigen könnten, Dasselbe Motiv finden wir bei der Translatio S. Alexandri s. Bd. II, S. 336. und dem 206 Bisthum Schutz und Ruhm verliehen. Da sei ihm denn, berichtet unser Autor weiter, von Gott offenbart worden, dass sein Wunsch durch den Bischof von Le Mans, Alderich Erfüllung finden könne. Da Badurad häufig am Hofe Ludwigs des Frommen sich aufhielt familiaritatem regiam intime consecutus c. 6. und so auch bei der Ankunft der Reliquien in Paderborn, so ist es sehr wahrscheinlich, dass er an jenem Hofe Alderich, der ausserdem sein Landsmann war, S. Mertens a. a. O. S. 22, Anm. 1. kennen gelernt; und weil seine Kirche besonders reich an Reliquien war, konnte dieser Badurads Wunsch auch am ehesten erfüllen. An der Spitze der Paderborner Gesandtschaft stand der Presbyter Ido, auf dessen schriftliche und mündliche Mittheilungen sich die Darstellung unseres Autors gründet (c. 7). Alderich übergab ihnen den Leib des heiligen Liborius, zugleich mit Reliquien des Pavacius und des Gundanisolus. Die Feierlichkeiten, die mit der Uebergabe verknüpft waren, die Beschwichtigung der Klagen der Gemeinde über den Verlust durch die Beredsamkeit des Bischofs, den langen Zug über Chartres und Paris nach dem Rhein und Westphalen mit seinen obligaten Wundern schildert der Autor sehr ausführlich, während er die Wunder, welche später in Paderborn von den Reliquien ausgingen, anderswo mittheilen will (c. 31). Die Translation hatte eine Verbrüderung der beiden Kirchen von Le Mans und Paderborn zur Folge, die selbst bis auf die neuere Zeit gedauert hat. Sie trug Paderborn die Protection Frankreichs beim westphälischen Frieden und auch noch später ein. S. Mertens a. a. O. S. 53 ff. – Der Stil dieses Werks ist übrigens für jene Zeit lobenswerth, ein anspruchsloser, leicht hinfliessender Vortrag.

 

Wenn nicht mit einer Vita, doch mit einer Passio verbunden erscheint die Translation in einer Schrift eines Italieners, der auch durch andre Werke sich literarisch bethätigt hat: es ist der Johannes Diaconus von Neapel, Monum. German. histor., Scriptores rerum langobard. et italicar. saec. VI–IX, pag. 398 ff. (Ed. Waitz. Praef.). – Acta Sanctor., Septembris T. VI, pag. 769 ff. der nicht mit dem römischen, dem Verfasser der Vita Gregorii, zu verwechseln ist. Dieser Diacon der Kirche des heiligen Januarius hat schon in seiner Jugend, in den siebziger Jahren des neunten 207 Jahrhunderts, ein wichtiges annalistisches Werk über die Bischöfe von Neapel verfasst, das ich weiter unten betrachte. Später, um 901, schrieb er die Translation des heiligen Severin aus dem Lucullischen Castell bei Neapel S. Bd. I, S. 433. nach dem Kloster des Heiligen in dieser Stadt, auf den Wunsch des Abtes desselben, Johannes; etwa zehn Jahre danach aber das grössere Werk, das uns zunächst hier interessirt. Es ist die Geschichte der Ueberführung des heiligen Sosius, an welcher der Verfasser selbst Theil genommen hatte, von dem Castell von Miseno nach Neapel, mit welcher Geschichte die Erzählung von seiner und seiner Genossen, namentlich des heiligen Januarius, Passion von dem Autor verbunden ist. Vollständig in den Acta S. S. l. l. pag. 874 ff.; die Translation allein sammt Prolog in: Monum. German. Hst. l. l. pag. 459 ff. Den Anlass zu der Auffindung und Ueberführung der Gebeine des Heiligen gab der Umstand, dass jener Abt des Klosters des heiligen Severin in Neapel, nachdem er die Reliquien des letzteren erhalten hatte, diesem Heiligen zu Ehren eine Basilika erbauen wollte und deshalb nach dem sechzig Jahre vorher durch die Sarazenen zerstörten Miseno Mönche sandte zu erkunden, ob sich dort Materialien für den Bau etwa fänden. An der Wand der Kirche glaubten nun die Mönche Reste des Namens des Sosius zu entdecken und hofften, dass dort seine Gebeine sich befänden (§ 24). Auf diese Nachricht hin wurde von jenem Abte, nachdem ihm der Bischof diese Reliquien versprochen, zu ihrer Aufsuchung eine Expedition ausgesandt, zu der auch unser Autor gehörte. Er selbst war es, der die andern auf die rechte Spur führte. An die lebendige und detaillirte Schilderung der Auffindung und Ueberführung der Reliquien reiht sich (§ 33 ff.) zum obligaten Schluss noch die Erwähnung von ein paar wunderbaren Heilungen, die von ihnen ausgingen.

Der Translation voraus geht aber hier die Passio des Heiligen und seiner Genossen. Sie gründet sich auf ältere Acta. S. § 2. Während der Diocletianischen Verfolgung gerathen die Christen in Misenum in besondere Gefahr, weil diese Stadt wegen des Grabs der Sibylle ein Wallfahrtsort der Heiden war (§ 5). Sosius, Diacon der dortigen Kirche, entfaltet da eine so muthige Thätigkeit in der Stärkung seiner Gemeinde, dass er 208 die Aufmerksamkeit des Bischofs von Benevent, Januarius auf sich zieht, der sich mit ihm innig befreundet. Bei einem seiner Besuche sieht dieser das Haupt seines Freundes von einer Flamme umgeben und erkennt darin mit Entzücken die zukünftige Martyrkrone desselben (§ 7). Sosius wird auch bald danach vor den Richter Campaniens, Dracontius citirt, und nach seinem Bekenntniss gegeisselt und in das Gefängniss zu Puteoli geworfen. Deshalb klagen drei andre fromme Christen, der Diacon Proculus, Eutices und Acutius, angesehene Bürger Puteoli's, die Heiden an, während sie zu Sosius' Kerker eilen, in welchem sie darauf auch eingeschlossen werden. Indessen wird der grausame Timotheus Präses Campaniens. Er erfährt in Nola von den Märtyrern und dass Januarius den Sosius besuche (§ 15). So wird jener vor ihn gefordert und nach seinem Bekenntniss in einen glühenden Ofen geworfen, aus dem er aber unversehrt wieder hervorkommt. Auch zwei Kleriker des Januar, der Diacon Festus und der Lector Desiderius, die klagend nach Nola kommen, werden dort ergriffen, und dann zugleich mit ihrem Bischof nach Puteoli gebracht. Darauf werden sie im Verein mit Sosius und den Seinigen den Thieren im Amphitheater vorgeworfen, da diese sie aber verschonen, sämmtlich enthauptet (§ 22; 19. Sept.).

Die Erzählung der Passion ist sehr rhetorisch ausgeschmückt, indem Johannes lange Exclamationen, namentlich donnernde Apostrophen an die Richter einflicht; aber der Ausdruck ist, wie auch in den andern Schriften unsers Autors, im allgemeinen wenigstens, für jene Zeit correct und leicht fliessend.

Für die politische Geschichte wichtiger ist die Translatio S. Severini Acta Sanctor., Januar. T. I, p. 1098 ff. – * Monum. Germ. hist. l. l. pag. 452 ff. (mit Abkürzung der Mirakel). durch die Erzählung der Ereignisse, die sie veranlassten. Es waren die Einfälle der Sarazenen in Unteritalien, die Eroberung Reggio's 899 und die von Taormina 902, worauf der Emir Ibrahim in seinem Uebermuth Rom und Constantinopel zu erobern vor den Abgesandten der italienischen Städte drohte, die vergeblich Bündniss und Frieden erbaten. Er schlug schon sein Lager auf der Strasse nach Neapel in Cosenza auf. Die Furcht vor den Sarazenen bewog damals den Consul Gregor von Neapel im Verein mit dem Bischof zu 209 dem Entschluss, die Einwohner des Lucullischen Castells nach Neapel überzusiedeln und dasselbe, das wohl einen Stützpunkt für die Belagerung der Stadt abgeben konnte, zu zerstören. Die Gebeine des Heiligen aber bat sich der Abt des Klosters S. Severin zu Neapel aus, wohin sie denn auch am 13. September des Jahres 902 übergeführt wurden (c. 6). Indessen hörte die Furcht vor Ibrahim mit seinem bald darauf erfolgten Tode auf; der heilige Petrus selbst sollte ihm, sein Rom zu schützen, die Seiten durchbohrt haben (c. 8). Der Autor berichtet dann noch von den Wundern, die nach der Translation von den Reliquien ausgingen.

Auch in diesem Buche des Johannes finden wir denselben rhetorischen Stil wieder. Noch sei bemerkt, dass unser Autor auch auf den Wunsch des Abtes Johannes die Passio ss. martyrum XL Sebastenorum aus dem Griechischen des Bischofs von Caesarea, Evodius ins lateinische Übertragen hat. S. die Uebersetzung in: Acta S. S., Martis T. II, pag. 22 ff. Auch diese Arbeit, wie nicht minder die weiter unten betrachteten Gesta episcoporum Neapolitanorum, zeigt, dass Johannes von Neapel zu den gelehrtesten und gebildetsten Männern Italiens in jener dort so dunkeln Zeit gehörte.

 

Auch noch dieser Periode An zwei Stellen der Vita, Ende des Vorworts und Ende des ersten Kapitels, sagt der Autor von dem Heiligen, er habe nostris temporibus gelebt. gehört eine Translation eines Italieners, die an eine Vita desselben Autors, aber als selbständige, später verfasste Schrift sich anreiht, Die Selbständigkeit ergibt sich aus der besondern Einleitung der Translation, die spätere Abfassung aus einer Stelle am Ende dieser Einleitung, die auf die Vita zurückweist; dagegen ist der Schlusssatz der Vita, in welcher auf die Translation hingewiesen wird, offenbar eine spätere Hinzufügung; er fehlt auch in einer Handschrift. an: es ist die Translatio S. Athanasii episcopi Neapolitani . Monum. Germ. hist., Script. l. l. (s. oben S. 206, Anm. 4), pag. 439 ff. und vgl. pag. 401. Die Vita ist weit wichtiger, indem sie trotz der Benutzung der langobardischen Geschichte des Erchempert und der Gesta des Johannes von Neapel S. über diese Werke unten S. 232 und 225. manches beachtenswerthe für die Geschichte Neapels und Benevents bietet. Der Verfasser sendet dem Leben ein 210 Vorwort voraus, worin er diejenigen, welche daran zweifeln, dass es noch Heilige, die durch Wunder glänzen, geben könne, zu widerlegen sucht. Die Biographie selbst aber beginnt er mit einem Lob Italiens und insonderheit Neapels, namentlich auch in kirchlicher Beziehung, um dann auf die vornehme Herkunft seines Helden überzugehen, der schon vor seiner Geburt für die Kirche bestimmt wurde. Nachdem der Vater Sergius, dessen Kenntniss der lateinischen wie griechischen Sprache der Autor sehr rühmt (c. 2), zum Herzog erwählt worden, konnte dem Athanasius der Bischofssitz, als er erledigt war, nicht wohl entgehen. Aber durch seine Bildung wie durch seine Tugenden war er desselben würdig. Namentlich feiert der Verfasser seine Askese (c. 4). Dagegen weiss er von seinen Bemühungen um die Bildung der Geistlichkeit (vgl. weiter unten S. 225) nichts zu berichten. Nachdem aber Athanasius' Bruder, Gregorius, der dem Vater in der Regierung Neapels gefolgt war, gestorben, änderten sich die Verhältnisse sehr zu Ungunsten des Bischofs. Der Sohn und Nachfolger Gregors, Sergius entzog sich, durch seine Schwiegermutter aufgereizt, dem Einfluss des Oheims; ja, um allein zu herrschen, nahm er ihn selbst gefangen. Diesem gelang es erst nach manchen Abenteuern bei dem Kaiser Ludwig II., der damals in Benevent sich aufhielt, eine Zuflucht zu finden (c. 7), wie hier ausführlich erzählt wird. Er blieb bis zu seinem Tode (872) in der Verbannung, und wurde in Montecasino bestattet.

Erst nach fünf Jahren wurde sein Leib, wie die Translatio erzählt, nach Neapel übergeführt, auf Anordnung des damaligen Bischofs, der auch sein Neffe war und seinen Namen führte, aber sie geschah nicht ohne den Widerspruch seiner alten Gegner. Offenbar hatte doch Sergius in dem Kampf mit der Hierarchie eine Partei in Neapel hinter sich gehabt.

 

Eine ganz selbständige Translationserzählung im grossen Stil, so möchte man sagen, ist die Relatio memorabilis, cunctisque Galliarum populis – – perenniter profectiva der Ueberführung der Gebeine des heiligen Sebastian von Rom nach dem Kloster des heiligen Medardus in Soissons, welche im Jahre 826 stattgefunden hatte. Der Titel ist zwar sicher nicht vom Verfasser, aber wohl in seinem Sinne gefasst. S. die Translatio in Mabillons Acta S. S. o. s. Bened. Tom. V (Migne, Patrol. lat. T. 132, pag. 575 ff.). – – Hist. littér. de la France T. VI, p. 173 ff. Diese weitläufige, fünfundvierzig 211 Kapitel umfassende Erzählung ist das Werk eines Mönchs jenes Klosters, Odilo, der sie auf das Verlangen seines Abtes Ingrann etwa im ersten Jahrzehnt des zehnten Jahrhunderts verfasste. Von einzelnen historischen Daten, die sie überliefert, abgesehen, ist sie als Kulturbild nicht ohne Bedeutung, wenn auch letztere in keinem Verhältniss zu der weitschweifigen Darstellung steht. Der Autor, ein Mann von einer für damals nicht gewöhnlichen gelehrten Bildung, dem selbst ein Hucbald seine Vita Lebuini zur kritischen Durchsicht übersandte, S. Odilo's Antwortschreiben Migne l. l. p. 627, darin gedenkt Odilo auch seines Werks über den heiligen Sebastian, das also vor der Vita Lebuini, und wie es scheint längere Zeit vorher verfasst worden ist, da Odilo in dem Schreiben als hoch an Jahren sich bezeichnet. hat sich bei der Abfassung seines Werks wahrhaft genuggethan, indem er die Translation wie die grösste Hauptstaatsaction behandelt, und dabei auf dem Kothurn echt gallischer Rhetorik einherschreitet. So schaltet er auch öfters längere Reden der handelnden Personen ein, gleich den alten Geschichtschreibern. Es lässt sich aber andrerseits nicht leugnen, dass wir hier wirklich einmal einem Stil, einem Ausdruck von individuellem Gepräge, wieder begegnen und einer in jener Zeit seltenen Gewandtheit im lateinischen Ausdruck. Gehen wir nun auf den Inhalt in der Kürze ein.

Dem Erzkapellan Ludwigs des Frommen, Hilduin war unter vielen Klöstern auch das des heiligen Medard anvertraut, dessen Vorstand Rodoin war. Zur Beilegung eines Conflicts der Römer mit Eugen II. (Papst seit Juni 824) nach Rom gesandt, erzählt Hilduin auf der Rückkehr dem Rodoin u. a. von der unendlichen Menge von Heiligen, die sich dort fänden, worauf dieser ihn bittet, die Gunst, die er beim Papst gewonnen, doch dahin zu verwerthen, dem Kloster zu einem solchen Heiligen zu verhelfen. Hilduin ist dazu bereit und verschafft dann auch dem Rodoin noch Empfehlungsbriefe des Kaisers an den Papst. Man wünschte zuerst die Gebeine des heiligen Silvester. Auf der Reise nach Rom aber wird Rodoin andern Sinnes – wie Odilo es darstellt, in Folge einer Erscheinung des heiligen Sebastian, der von Rom nach St. Medard will. Man kehrt deshalb noch einmal um, und die kaiserlichen Briefe werden dem entsprechend 212 geändert. Rodoin kommt endlich in Rom an (c. 7); aber die hier zu besiegenden Schwierigkeiten waren keine geringen, die, um den Werth der Reliquien zu erhöhen, von dem Autor noch ungemein übertrieben werden. Durch reiche Geschenke mussten die höchsten Beamten der Curie gewonnen werden, die, offenbar eben deshalb, den Werth des Heiligen sehr hoch taxirten. Wie viel die umständliche Erzählung der weitläufigen Verhandlungen wahres enthält, muss dahingestellt bleiben. Doch wird sie immerhin ein Abbild von den Proceduren, mit welchen die Curie in solchem Falle damals zu verfahren pflegte, bieten. Eigenthümlich ist, dass, nachdem Rodoin endlich sein Ziel erreicht, er zum Danke auch noch einen andern Heiligen, die Gebeine Gregors des Grossen, wie man wenigstens in Soissons behauptete, stahl und so »mit doppelter Freude« heim ziehen konnte (c. 15). Was man von solchen Diebstählen hielt, besagen Odilo's Worte: Hinc nostrates pia fraude laudabiles etc.

Nachdem die Reliquien in Soissons angelangt und auf das feierlichste empfangen waren, verbreitete sich ihr Ruf rasch und es strömten jetzt Massen von Gläubigen mit reichen Gaben Erat denique in diversis speciebus, quae votivis donariis ad confessionem huius praecellentissimi ex diversis provinciis et regionibus pia fidelium offerebantur devotione, tam ingens copia, ut ponderis numerique summam pene viderentur excedere adeo, ut 85 modiorum diversorum numismatum argenti cumulus excresceret, praeter monilia virorum ac mulierum, missoria quoque diversi ponderis aliaque vasa; auri quoque 900 librarum summa fieret (c. 36). – Eine solche Goldquelle konnte ein Heiliger damals werden; dass die Klöster da nach Reliquien begierig waren, ist freilich nicht zu verwundern. von allen Seiten herbei, sodass der Klerus anderer Orte und selbst Bischöfe, wie der von Lyon, gegen diese Wallfahrten predigten, indem sie mit Recht geltend machten, man sollte lieber die eigenen Kirchen und deren Wittwen und Waisen unterstützen (c. 37). Nicht ohne Interesse ist dann die Erzählung (c. 39 ff.), wie ein Stück von dem Laken, in welches die Gebeine des Heiligen eingewickelt waren, dem Kloster Manlieu in der Auvergne zu Theil ward, das auch jenem geweiht war und dessen Gründung c. 38 erzählt wird. Sie geschah nach der Legende in Folge der Wunderwirkungen des Staubs vom Grabe des heiligen Sebastian, welchen ein Pilger aus Rom in seiner Tasche mitgebracht. Dort war man nämlich 213 früher in der Hoffnung, die Gebeine des Heiligen zu bekommen, arg getäuscht worden. Zwei Mönche waren aus dem Kloster entflohen; nachdem sie eine Zeit lang sich herumgetrieben, erwachte in ihnen der Wunsch der Rückkehr. Um sie zu ermöglichen, begaben sie sich nach Rom, dort »irgend einen der Heiligen zu kaufen«, durch dessen Ueberbringung sie Verzeihung hofften. Die schlauen Römer, an die sie sich deshalb wenden, betrügen sie aber, wie der Erfolg zeigte; sie hatten, sagt unser Autor, den Sarkophag eines heidnischen Kaisers entleert, den sie vorher mit solchem Aroma gefüllt, dass der Duft die Mönche an der Heiligkeit nicht zweifeln liess, denn ein solcher Wohlgeruch scheint damals ein Hauptargument für die Beurkundung der Heiligkeit gewesen zu sein. Wie gar viele Heiligengeschichten zeigen. Als die Mönche dann mit diesem Schatz in ihr Kloster zurückkehren, werden sie von dem Abt und den Brüdern trotz ihrer früheren Vergehen mit Glückwünschen und Ehren feierlich empfangen. Ein Fest wird gefeiert. Aber während die Mönche bankettiren, stürzt unter Donnergepolter der Reliquienschrein vom Altare, und sein Inhalt wird zerstreut und zerschmettert. So berichtet Odilo mit vieler Genugthuung. Das so einst getäuschte Kloster hoffte nun jetzt von St. Medard einen Ersatz zu erhalten. Es musste sich aber, statt Reliquien zu empfangen, mit einem Stück Zeug begnügen, so zornig es auch dies Anerbieten im Anfang zurückwies. – Das Werk schliesst mit der Erzählung von der Verehrung, welche dem Heiligen in St. Medard, auch durch reiche Geschenke, Ludwig der Fromme zollte (c. 43), der bekanntlich dort nach dem Verrath auf dem Lügenfelde eine Zeit lang gefangen gehalten wurde (833). Hier theilt denn Odilo auch eine Klagschrift Ludwigs gegen seine Söhne – die bekannte Conquestio domni Hludovici imperatoris – die, wie Wattenbach bemerkt, Deutschlands Geschichtsquellen Bd. I, S. 199. Vgl. auch Simson, Jahrb. des Deutschen Reichs unter Ludwig d. Fr. Bd. II, S. 49. wohl nur eine Stilübung der Mönche dieses Klosters war, mit (c. 44). Im letzten Kapitel zeigt Odilo noch eine Quelle, aus der er wohl vorzugsweise den Stoff entnommen hat, in folgendem Satze an: Superest hodie tenus in chartophylacio nostro schedula Rodoini ad memorabilem Hilduinum abbatem transmissa, in qua numerosa plurimum capitulatione virtutum eius insignia breviata personaliter habentur inserta, quorum summa in conum redacta surgit in millibus 470.

214 Odilo wird noch eine kleinere Schrift S. bei Migne l. l. p. 623 ff. über die Translation einer ganzen Anzahl Märtyrer, an deren Spitze Tiburtius und Marcellinus und Petrus genannt werden, in der Ueberschrift des aus dem XI.–XII. Jahrhundert stammenden Manuscripts beigelegt, aber mit Unrecht. Schon Papenbroch Acta S. S., Jun. T. I, p. 206 bezweifelt die Aechtheit. Die Schrift ist eine offenbare Fälschung auf Grund der von Einhard verfassten Translation des Marcellin und Petrus. S. oben Bd. II, S. 99 ff. Ein Vergleich mit dieser kann recht zeigen, wie solche Machwerke fabricirt wurden: insofern ist die Schrift lehrreich.

 


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