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23.

Mr. Brown blieb eine Weile verständnislos vor seinem Hause stehen. Er war unschlüssig, was er tun sollte, war denn die Polizei des Teufels? Welcher neue Streich wurde hier gegen seine Mieterin verübt auf eine völlig erfundene Beschuldigung hin?

Darüber konnte er nur an einer Stelle Aufklärung erlangen: auf dem Polizeibüro selbst.

Als das Auto in eine Seitenstraße eingebogen und seinen Blicken damit entzogen war, trat er in das Haus, aber nur, um das schwarze Blechkästchen abzustellen, in dem er sein Frühstück mit nach dem Arbeitsplätze nahm. Dann verließ er es wieder und machte sich in größter Eile, zu der ihn schon seine Erregung trieb, auf den Weg nach dem Polizeibüro.

Als er dort eintraf, wandte er sich an den diensttuenden Polizisten und verlangte den Leutnant zu sprechen.

»In welcher Angelegenheit?« fragte der Polizist.

»Well, ich bin der Mann von Sue Brown, die im Gefängnis das tote Kind geboren hat. Sie werden davon wissen. Jetzt hat man meine Mieterin, Miß Ramona Barranca, verhaftet, unter der Beschuldigung, daß sie mit meiner Frau zusammen Whisky verkauft habe. Das ist eine verdammte Lüge und ich will wissen, von wem sie ausgeht.«

Er keuchte das fast heraus, denn er war von dem schnellen Laufe und unter seiner Aufregung noch ganz außer Atem.

Der Polizist hatte sich das ruhig angehört, zeigte nur auf eine Tür in einem Korridor und sagte: »Zimmer Nummer vier.«

Nach einem kurzen Klopfen trat Brown dort ein. Er wußte nicht, ob es beantwortet worden war, fühlte sich aber auch gar nicht in der Stimmung, auf etwaige Empfindlichkeiten von Beamten irgendwelche Rücksicht zu nehmen.

An einem großen Rolltop-Schreibtisch saß ein Beamter in Uniform, die ihn als Sergeant auswies. Er blickte auf, kam aber nicht dazu, eine Frage zu stellen, denn Brown wartete eine solche nicht erst ab, sondern begann, als er kaum seinen Namen genannt hatte, sofort die Verhaftung der Miß Barranca zu berichten und verlangte genauen Aufschluß über die Gründe, aus denen sie erfolgt war.

Der Sergeant blickte ihm ruhig in das erregte Gesicht, ohne daß sich der Ausdruck des seinigen in irgendeiner Weise geändert hätte.

»Wie heißt das Girl, um das es sich handelt?«

»Ramona Barranca.«

Der Beamte schüttelte den Kopf, als ob er den Namen zum ersten Male höre. Dann nahm er ein Luch aus einer Abteilung seines Schreibtisches, schlug es auf und ließ seine Augen über eine Liste von Namen gleiten.

»Das muß wohl ein Irrtum sein«, sagte er endlich. »Ich finde hier nichts von einem Verhaftsbefehl für eine Ramona Barranca.«

Brown starrte verblüfft auf ihn.

»Ich habe die Verhaftung aber doch mit angesehen!« rief er. »Vor einer Viertelstunde. Ich kam gerade nach Hause von der Arbeit. Da stand ein Auto vor der Tür und ein Mann, es war wohl ein Sheriff, schob Miß Barranca hinein. Sie konnte mir gerade noch zurufen, daß sie verhaftet sei, weil jemand –«

»All right. Das haben Sie mir ja schon erzählt. Aber gestern und heute ist überhaupt keine Frau und kein Mädchen in Haft gekommen.«

»Sind Sie ganz sicher?« fragte Brown, der nicht mehr wußte, was er von der Sache halten sollte, »könnte es nicht sein, daß die Verhaftung von einer anderen Stelle ausgegangen ist?«

»Das könnte wohl sein. Die föderierte Polizei kann auf Anweisung der Prohibitionsagenten Verhaftungen vornehmen, aber die Verhafteten müssen dann immer bei uns eingeliefert werden.«

»Dann ist mir die Sache ein Rätsel«, gestand Brown. »Aber kann denn da nichts getan werden? Ich kann doch nicht nach Hause gehen und mich damit begnügen, daß Miß Barranca von irgend jemand aus meinem Hause mit Gewalt entfernt worden ist, unter der Angabe, es sei eine polizeiliche Verhaftung.«

Der Sergeant dachte eine Weile nach.

»Die Sache ist jedenfalls rätselhaft und muß aufgeklärt werden. Augenblicklich kann ich Ihnen aber nicht weiter helfen. Ich werde die Angelegenheit an die Detektivabteilung abgeben und die wird dann tun, was nötig ist. Die Nummer des Autos haben Sie sich wohl nicht gemerkt?«

»Nein, ich hielt es für ein Polizeiauto und es kam mir daher gar nicht in den Sinn, nach der Nummer zu sehen. Es scheint mir aber jetzt, als ob sie jemand mit ›auf eine Fahrt‹ genommen hat.«

»Sieht fast so aus«, stimmte der Sergeant bei, indem er sich erhob. »Kommen Sie mit mir, der Detektivinspektor wird vielleicht einige Fragen an Sie richten wollen.«

Das war auch der Fall. Brown hatte eine endlose Reihe von Fragen über Ramona Barranca, ihre Lebensgewohnheiten, den Platz, wo sie auftrat, den er aber nicht kannte, ob sie Feinde und Neider hätte und ähnliches mehr zu beantworten. Er wußte nicht viel von ihren Privatangelegenheiten, gab aber Auskunft, so weit er dazu in der Lage war.

Als er endlich das Polizeibüro verließ, um sich nach Hause zu begeben, kam er an der Tankstation vorüber, wo Henry Miller arbeitete, der Mann, der seine Frau angezeigt hatte, nachdem er Gast in seinem Hause gewesen war. Er fand die Tankstelle von einer Menschenmenge umlagert, die noch immer neuen Zustrom erhielt. Über die Ursache war er nicht im Zweifel, denn er hatte noch auf seinem Arbeitsplatze den Artikel Tiltons in der Tribune gelesen und wußte, daß die Bevölkerung des Ortes bis zur Siedehitze über den Vorfall erregt war. Hände mit geballten Fäusten streckten sich aus der Menge heraus und laute Drohungen wurden hörbar.

»Lynchet doch den Kerl!« schrien einige. »An den nächsten Laternenpfahl mit ihm!« und »Zur Hölle mit dem Schuft!« andere.

Vor dem Zugang stand ein Mann in einem langen grauen Kittel, der Eigentümer, wie Brown vermutete. Er hielt die Arme ausgebreitet und suchte die Menge zu beruhigen.

»Ich sage euch, Leute, Miller ist nicht mehr hier!« schrie er, bemüht, den Lärm der Menge zu übertönen. »Ich habe ihn sofort entlassen, als ich von seiner Schurkerei Kenntnis erhielt. Und ich kann euch sagen, er hatte es verdammt eilig, fortzukommen und seine Haut in Sicherheit zu bringen. Teeren und Federn wäre noch zu gut für ihn gewesen. Wenn ihr mir nicht glauben wollt, so mögen zwei oder drei von euch hereinkommen und nach ihm suchen. Aber ihr könnt sicher sein, daß ich einen solchen Lumpen keine Minute länger beschäftigen würde. Nur kommt ihr zu spät und niemand bedauert das mehr als ich.«

Brown hatte genug gehört. Er gab sich nicht zu erkennen. Wozu auch? Man hätte ihn nur nutzlos aufgehalten und mit Fragen bestürmt und er hatte Eile, nach Hause zu kommen. Es war eine Unruhe in ihm, als ob ihm noch weiteres Unglück drohe. Was hatte man mit seiner Mieterin vor? Dieses nette, hübsche und immer freundliche junge Mädchen! Sie war entführt, mit Gewalt entführt – und das bedeutete immer das Schlimmste.

Nach etwa zehn Minuten langte er vor seinem Hause an und schloß die Tür auf, die in einen kleinen Parlor führte. Kaum aber hatte er sie wieder hinter sich in das Schloß gedrückt, als er erschrocken zurückfuhr.

In dem halben Dunkel, das den Raum füllte, wurden die Umrisse der Gestalt eines Mannes sichtbar, und ein halblauter, aber mit eindringlicher Stimme gegebener Befehl: »Hände hoch!« drang an sein Ohr.

Er gehorchte. Es wäre Selbstmord gewesen, wenn er es nicht getan hätte.

»Was wollen Sie von mir?« fragte er, indem er versuchte, den Holdup-Mann in dem Halbdunkel schärfer ins Auge zu fassen. »Wenn Sie es darauf abgesehen haben, das Haus zu plündern, warum gehen Sie nicht zu den reichen Leuten, wo es sich lohnt, hier werden Sie nicht viel finden; ich bin ein armer Arbeiter.«

Der Mann vor ihm, der einen Revolver auf ihn gerichtet hielt, war ein noch junger Mensch, stark und untersetzt, bartlos, aber mit Gesichtszügen, die man nicht als unangenehm bezeichnen konnte. Nur der Blick seiner Augen war stahlhart und ließ keinen Zweifel daran, daß er sich keinen Augenblick besinnen würde, einen Menschen niederzuknallen.

Jetzt erst bemerkte Brown in dem Rahmen der offenen Tür, die nach den hinter dem Parlor liegenden Zimmern führte, eine zweite Mannesgestalt, die ihn ebenfalls mit einem Revolver deckte.

»Sie brauchen keine Angst zu haben, Mister«, ließ sich der erste Bandit vernehmen, »wir werden Ihnen nichts tun, wenn Sie sich still verhalten, wenn nicht, dann kann jemand morgen für Ihr Begräbnis sorgen. Auch rauben werden wir Ihnen nichts, wir verstehen unser Geschäft besser, als um uns an dem Krempel eines Arbeiters zu vergreifen.«

»Was wollen Sie also?«

»Sie zunächst ein wenig binden und knebeln. Das ist nicht angenehm, läßt sich aber nicht vermeiden. Wir haben unsere Geschäfte zu erledigen und Sie würden uns dabei nur im Wege sein. Gehen Sie die Treppe hinauf nach Ihrer Schlafstube. Wir haben uns in Ihrem Hause umgesehen und wissen Bescheid. Und noch einmal: keine Tricks, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist.«

Brown gehorchte. Er war sicher, daß der Holdup in Verbindung stand mit der Entführung von Miß Barranca, nur fehlte ihm für beides jede Erklärung.

Sie befahlen ihm, sich aus einen Stuhl zu setzen und der zweite Bandit brachte aus seiner Tasche eine kleine Rolle Draht zum Vorschein, mit dem sie seine Füße an die Stuhlbeine und den Oberkörper und die Arme an die Lehne fesselten. Das war sicherer als Stricke.

Er hatte keine Furcht mehr für sein Leben. Sie hatten ihm gesagt, daß sie es nicht darauf abgesehen hatten, und er hätte sich auch keinen Grund dafür denken können, da Raub, der ihre Mühe auch kaum gelohnt hätte, nicht in ihrer Absicht zu liegen schien.

Es gab sich ihm jetzt aber eine gute Gelegenheit, auch den zweiten Mann scharf, aber unauffällig ins Auge zu fassen. Es würde von Wichtigkeit sein, wenn er der Polizei eine genaue Beschreibung von beiden geben konnte und sich ihr Äußeres so einprägte, daß er imstande war, sie bei einer Gegenüberstellung mit Bestimmtheit wiederzuerkennen.

Wenn der erste, der wohl um ein Dutzend Jahre jünger sein mochte als sein Kumpan, keinen zu abstoßenden Eindruck machte und seine Zugehörigkeit zur Unterwelt noch nicht allzu deutlich verriet, so war das bei dem anderen um so mehr der Fall. Bei dem jüngeren waren es in der Hauptsache nur die Augen und die verlebten, aber keineswegs häßlichen Gesichtszüge, die auf verbrecherische Anlagen und Gewohnheiten deuteten und jeden aufmerksamen Beobachter vor ihm warnten. Der andere dagegen zeigte ganz den allgemeinen rohen, aus hundert sieg- oder verlustreichen Schlägereien hervorgegangenen Verbrechertypus.

Man brauchte nicht ein zweites Mal auf ihn zu blicken, um zu wissen, daß er ein Gangster der schlimmsten Art war. Ihn sehen und ihm aus dem Wege gehen, so lange noch Zeit dazu blieb, war der beste Rat, den man jemand geben konnte. Kein Theaterfriseur hätte ihm eine bessere Maske schaffen können, als die Natur und ein wildes Leben ihm gegeben hatten.

Er besaß einen kurzen Stiernacken, sein Gesicht mit den Hängebacken und die Hände zeigten eine ganze Unzahl von Narben, die Ergebnisse von Meinungsverschiedenheiten, die nicht immer nur mit den Fäusten, sondern auch mit Messern ausgekämpft worden waren. Seine Nase, das in solchen Fällen am meisten bloßgestellte Organ, war breitgedrückt und ihr unterer Teil etwas nach links verschoben. Die Ohren hatten ihre ursprüngliche Form so eingebüßt, daß es aussah, als habe zu irgendeiner Zeit ein Bullterrier sie zwischen den Zähnen gehabt. Sein dunkles Haar stand empor wie eine Flaschenbürste. Auch bei seinen Augen und Augenbrauen stimmte etwas nicht. Sie patzten nicht zusammen. Das rechte Auge war höher als das linke und die fast zusammengewachsenen schwarzen Brauen bildeten einen Bogen über beide. Und sie wirkten durch den grausamen kalten Blick, der in ihnen lebte und sich niemals änderte, stets wie eine Drohung.

Ja, Brown stand nicht in Gefahr, diesen Mann jemals zu vergessen. Ebensowenig wie den anderen. Ein Blick in dessen Augen würde immer genügen. Ein Verbrecher mag imstande sein, sein ganzes Äußere so zu verändern, daß ihn sein bester Freund nicht wieder erkennt, aber in bezug aus seine Augen ist er hilflos, die bleiben unverändert.

Als die beiden die Fesselung Browns, die ihre lange Übung in dieser Kunst bewies, beendet hatten, holte der eine einen Knebel aus der Tasche und preßte ihn in den Mund des Überfallenen. Auch das geschah sachverständig und mit einer Fertigkeit, wie sie nur lange Erfahrung verleiht.

»Wenn Sie jetzt nur durch die Nase atmen wollen, werden Sie den Brechreiz bald überwunden haben«, sagte der jüngere der Banditen geschäftsmäßig wie ein Zahnarzt. »Wir können Ihnen das nicht ersparen, denn es könnte Ihnen in den Sinn kommen, Dummheiten zu begehen und ich möchte den Lärm vermeiden, den ein Revolver immer verursacht, wenn ich etwa gezwungen sein sollte, ein paar Luftlöcher in Ihren Schädel zu bohren.«

Brown ergab sich in sein Schicksal. Widerstand war ganz ausgeschlossen. Er bemühte sich nur, herauszufinden, was eigentlich der plan der Banditen war. Das gelang ihm freilich nicht, die ganze Sache blieb ihm rätselhaft.

Eine Weile danach klingelte unten im Parlor der Fernsprecher.

Der jüngere Bandit gab seinem Gefährten einen Wink, zurückzubleiben und eilte die Treppe hinunter.

Brown konnte deutlich vernehmen, wie er den Hörer abhängte und in den Apparat hineinrief:

»Ja. Wer ich bin? wollen Sie mir nicht lieber zuerst sagen, wer Sie sind? – Miß Barranca wollen Sie sprechen? – wer sind Sie denn? – Mr. Tilton von der Tribune? Und Sie hatten eine Zusammenkunft mit ihr um fünf Uhr verabredet? Ja, ich weiß. Miß Barranca konnte die Verabredung aber leider nicht einhalten. hat einen kleinen Unfall gehabt. Glitt auf der Treppe aus und hat sich den Fuß verstaucht. Aber sie hat Ihnen dringende Mitteilungen zu machen und bittet Sie, wenn Ihnen das möglich ist, hierher zu kommen. – Ja, sofort. Wollen Sie es tun? – All right. Sie darf Sie also innerhalb einer halben Stunde erwarten? – Wie? – Nein, aus der Reise nach San Franzisko wird nun wohl nichts werden, heute sicher nicht, denn sie kann nicht auftreten. Ich? – Ich bin Mr. Brown. – Ja. – Well, das wird sie Ihnen alles selbst erzählen. – Schluß!«

Jetzt hatte Brown die Lösung des Rätsels, oder doch wenigstens eine halbe Lösung.

Tilton, der Reporter der Tribune, der den Artikel über die Behandlung seiner Frau im Gefängnis geschrieben hatte, sollte in eine Falle gelockt werden. Daher der Überfall.

Aber warum? Warum, zum Teufel? Und warum hatte man Miß Barranca zuerst entführt? Hingen beide Ereignisse zusammen? Er wußte nicht, daß Miß Barranca den Mann kannte, aber es mußte wohl so sein, denn es war vollkommen unwahrscheinlich, daß sich zwei voneinander getrennte Holdups an einem Tage hätten ereignen sollen.

Er fand keine Antwort auf diese Fragen.

Der jüngere Bandit kam jetzt wieder herauf.

»Er kommt«, sagte er kurz zu seinem Kumpan.

»Ich habe es gehört«, bemerkte dieser.

Und nun begann eine endlose Zeit des Wartens. Die beiden Männer zogen sich Stühle heran und ließen sich darauf nieder. Der ältere holte eine Pfeife aus der Tasche, füllte sie gemächlich aus einer Blechdose ›Prince Albert‹ und setzte sie in Brand, während der jüngere die Beine übereinanderschlug und aufmerksam auf die Straße hinaus horchte.

Die Minuten vergingen bleiern langsam. Der jüngere Strolch, der offenbar die Leitung des Unternehmens in der Hand hatte, wandte sich endlich wieder an Brown und sagte:

»Wir werden in ein paar Minuten mit dem Manne, den wir erwarten, fertig sein. Dann haben wir hier nichts mehr verloren und werden Ihr Haus verlassen, wenn Sie versprechen wollen, der Polizei vor morgen früh keine Anzeige zu machen, so können Sie in ungefähr einer Stunde wieder frei sein, wir werden dann einem Nachbarn von Ihnen anklingeln und ihn auffordern, Ihnen die Fesseln abzunehmen. Wollen Sie das tun? Andernfalls können Sie hier sitzen, bis jemand zufällig kommt und Sie findet.«

»Wozu denn das?« fragte der andere Bandit mißmutig. »Laß ihn doch sitzen. Rücksichten nehmen! Das paßt nicht für uns. Man schafft sich immer nur Unannehmlichkeiten dadurch.«

Sein Genosse achtete nicht daraus und wandte sich noch einmal an Brown:

»Sie hören, was er sagt. Richten Sie sich danach. Und merken Sie sich: wenn Sie der Polizei vor morgen früh Anzeige machen, kommen wir zu einer passenden Zeit, wenn Sie es am wenigsten vermuten, zurück und holen Sie für eine Fahrt.«

»Da hast du's ja«, murrte der andere. »Das können wir uns doch sparen.«

Ein klingeln an der Haustür verhinderte eine Antwort darauf, wenn eine solche beabsichtigt war.

Beide erhoben sich und eilten, ihre Revolver in den Händen, die Treppe hinab.

Der jüngere schloß auf und sah einen noch jungen Mann vor sich.

»Sind Sie Mr. Brown?« fragte dieser.

»Sind Sie Mr. Tilton?« fragte er an Stelle einer Antwort zurück.

»Ja.«

Sein Genosse hatte inzwischen die Haustür wieder geschlossen und Tilton starrte in den Lauf eines Revolvers, den der erstere auf ihn richtete.

»Hände hoch!«

Im Schreck über diesen ganz unerwarteten Empfang gehorchte Tilton. Einen Augenblick lang glaubte er an einen Irrtum. Die Leute hier im Hause waren durch das, was sich ereignet hatte, wohl so nervös geworden, daß sie in jedem Besuch einen Holdup-Mann vermuteten. Aber er sah zwei Männer hier, die einen keineswegs vertrauenerweckenden Eindruck machten.

»Ich sage Ihnen doch, daß ich Mr. Triton bin von der Tribune.«

»Ich habe es gehört. Gerade auf Sie haben wir gewartet«, entgegnete der Mann vor ihm mit einem häßlichen Grinsen.

»Kann ich Miß Barranca sehen?«

»Nichts leichter als das. Wir werden Sie sogar zu ihr führen. Kehren Sie jetzt um und steigen Sie in das Auto vor der Türe. Aber eine falsche Bewegung und Sie haben eine Kugel im Kopfe.«

In der Tat hörte Tilton jetzt draußen auf der Straße das Rattern eines Motors. Als er das Haus betrat, hatte er kein Auto gesehen. Es mußte also in einiger Entfernung gehalten haben und nach seinem Eintritt vorgefahren sein. Das machte ihn sicher, daß er hier in eine Falle gegangen war, eine Halle, die Piggy Donnovan und seine Leute für ihn vorbereitet hatten.

Der zweite Bandit hatte die Tür jetzt wieder geöffnet.

»Vorwärts!« befahl der andere. »Und noch einmal –«

Er folgte ihm auf dem Fuße und Tilton konnte den Lauf seines Revolvers am Rücken fühlen.

Draußen stand wirklich ein Auto, mit einem Führer am Steuer und den Motor eingestellt.

Der ältere Bandit hielt die Tür geöffnet und sie schritten hindurch.

»Einsteigen!« gebot der Mann dicht hinter ihm.

Tilton war nicht im Zweifel darüber, daß er sich vollkommen in der Gewalt der beiden Männer befand und jeder Versuch eines Widerstandes mehr als Torheit gewesen wäre. Er gehorchte daher dem Befehl, obwohl er wußte, daß er jetzt seine letzte Fahrt antrat. Die Gedanken wirbelten in seinem Kopfe. Jetzt sterben, wo er noch so viel Aufgaben im Leben zu erfüllen hatte! Trotzdem empfand er keine Furcht vor dem Tode, als höchstens einen grauenhaften Widerwillen gegen einen Tod dieser Art und Schrecken über das plötzliche und so gänzliche Herausgerissenwerden aus dem Leben, mitten aus allen Plänen, allem Hoffen und Wünschen.

Und was war mit Dolores geschehen?

Er glaubte jetzt nicht mehr an den Unfall, den sie erlitten haben sollte. Das gehörte zu der Falle, die man ihm gestellt hatte.

Verwünscht sein Artikel. Er hatte Piggy Donnovan die nötigen Aufschlüsse gegeben. Dolores hatte es abgeleugnet, ihn, Tilton, zu kennen, aber der Artikel trug seinen Namen und die Tribune brachte ihn vor den andern. Er betraf ihre Wirtin. Der Gedanke also, daß Tilton den Tip von ihr erhalten hatte und daß sie ihn doch kannte, mußte sich Piggy von selbst aufdrängen. Und damit war es auch klar, daß die Warnung vor dem auf ihn beabsichtigten Attentat von ihr ausging. Die beiden Männer, in deren Gewalt er geraten war, gehörten also zu Piggys Gang und handelten in seinem Aufträge. Das machte ihm die Unabweislichkeit des gewaltsamen Endes, das ihm jetzt an irgendeiner einsamen Stelle bevorstand, unheimlich klar und er zermarterte sein Gehirn nach irgendeinem Ausweg. Im Augenblicke konnte es sich nur darum handeln, Zeit zu gewinnen. Zeit war jetzt alles. Freilich, es war so gut wie aussichtslos, noch auf eine Rettung zu hoffen, aber solange noch Leben in ihm war, wollte er die Hoffnung nicht aufgeben.

Seine Gedanken fieberten.

Der Kerl hinter ihm hatte ihn mit der Mündung seines Revolvers auf den Rücksitz gedrängt, war dann selbst eingestiegen und hatte neben ihm Platz genommen. Der Lichtschimmer einer nahen Straßenlaterne fiel auf den schwarzglänzenden Lauf eines.38 Revolvers in seiner Hand. Sein Gefährte hatte sich neben den Führer gesetzt und er hatte die Türe noch nicht zugeschlagen, als dieser auch schon die Kuppelung einschaltete und den Wagen in Bewegung setzte.

Tilton hatte nicht bemerkt und auch die Gangster hatten es nicht gesehen, daß sich in dem Augenblick, als die Tür ins Schloß fiel, auf der gegenüberliegenden Seite der Straße aus dem Schatten einer Garage die Gestalt eines Mannes löste. Eilig schritt er in einer Richtung, die der von dem Auto der Gangster eingeschlagenen entgegengesetzt war, ein paar hundert Schritt weiter bis an die Ecke einer Seitenstraße. Dort gesellte sich, aus irgendeiner dunklen Stelle kommend, wo er bisher verborgen gestanden hatte, ein anderer Mann zu ihm. Sie sprachen ein paar Worte miteinander. Dann schritt der zweite Mann die Straße hinunter in der Richtung auf Mr. Browns Haus zu, während der erste ein Auto bestieg, das in der Seitenstraße gehalten und offenbar auf ihn gewartet hatte. Er richtete ein paar Worte an den Führer und gleich darauf rollte es, um die Ecke biegend, dem Banditenauto in schnellstem Tempo nach.


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