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9.

Alderman Purnell, Hiram Purnell, saß in seinem großen, mit einem dicken Teppich belegten und auch sonst luxuriös eingerichteten Arbeitszimmer in dem Hause, das er vor ein paar Jahren gekauft hatte, an seinem Diplomatenschreibtisch.

Er arbeitete nicht, sondern dachte nach, während seine Hände mechanisch mit einem schweren silbernen Briefbeschwerer spielten, den er eben von einer Anzahl von Schriftstücken abgehoben hatte.

Es war nicht immer so gewesen, wenn man den Gerüchten, die sich mit seiner Vergangenheit beschäftigten, Glauben schenken wollte, so war sein früherer Lebensgang ein dauerndes Auf und Nieder, meist aber Nieder gewesen.

Er hatte sein Glück in den verschiedensten Staaten der Union versucht und war der Reihe nach Händler mit Apfelsinen, Fischen und sonstigen nützlichen Dingen, Verkäufer von Öl- und Minenanteilen, Nähmaschinen und Grammophonen auf Abzahlung und Gründer von einigen Gesellschaften gewesen, die aber das Unglück gehabt hatten, die glänzenden Aussichten, auf die in den Ankündigungen hingewiesen war, nicht zu erfüllen.

Das war indessen so ziemlich alles, was man von ihm wußte und nicht mehr, als man von den meisten erfolgreichen Amerikanern sagen konnte.

Mr. Purnell hätte das Bild seiner Vergangenheit freilich wesentlich erweitern können, davor hütete er sich aber wohlweislich.

Immerhin hatte er die Öffentlichkeit zu dieser Zeit nicht allzusehr beschäftigt und es auch fertig gebracht, seine geschäftlichen Unternehmungen innerhalb der Gesetze zu halten und wo das etwa nicht der Fall war, eine Nachprüfung derselben durch die Stellen, die am besten dazu in der Lage gewesen wären, zu vermeiden.

Das war ein großes Glück für ihn, denn ein Polizeirekord wäre ihm in seiner jetzigen Stellung als Politiker sehr hinderlich gewesen.

Eigentlich war es bedauerlich, daß er so viele Jahre hindurch die Unbill der Zeiten hatte ertragen müssen, denn er stammte aus einer alten, hochangesehenen, später aber leider verarmten Familie, deren Vorfahren zu den Pilgervätern gehört hatten, die seinerzeit mit der »Mayflower« in das Land gekommen waren. Da er das bei passenden Gelegenheiten selbst erzählte, so konnte die Richtigkeit dieser Angabe keinem Zweifel unterliegen.

Es war die Überlieferung, die durch die Jahrhunderte hindurch in seiner Familie fortgelebt hatte. Und eine solche Abstammung gilt, wie jedermann weiß, in Amerika als Adelsbrief.

Daher versucht auch jeder, sobald er genügend Geld gemacht hat, um Anspruch auf gesellschaftliche Stellung geltend machen zu können, nachzuforschen, ob das nicht vielleicht auch bei ihm der Fall ist. Man kann doch nicht wissen.

Merkwürdigerweise fallen diese Nachforschungen stets bejahend aus. Nach der Zahl der Ansprüche, die in bezug auf eine solche Herkunft erhoben werden, muß die Mayflower damals wenigstens zehntausend Pilgerväter an Bord gehabt haben.

Aus Pietät gegen eine solche Abstammung hatte er sich von einem Zeichner nach einer Vorlage, die dieser in einer alten Zeitschrift entdeckt hatte, ein Bild der Mayflower anfertigen lassen, das seinem Schreibtisch gegenüber an der Wand hing, so daß sein Blick immer wieder darauf ruhen konnte.

Später hatte er dann durch glückliche Börsenspekulationen seine Verhältnisse aufgebessert und war durch günstige Kapitalanlagen endlich wieder auf den Platz gelangt, der ihm nach seiner Herkunft gebührte. Da er das wiederum selbst behauptete, so konnte über die Quelle seines jetzigen Vermögens auch kein Zweifel sein.

Wie weit diese Ansprüche in bezug auf seine Herkunft übrigens seinem eigenen Ehrgeiz entsprangen oder von seiner Frau geschürt wurden, ließ sich nicht entscheiden. Gewiß war nur, daß seine Frau von einem unbändigen Ehrgeiz besessen war.

Ihre Vergangenheit war in Dunkel gehüllt, das sie nur manchmal insofern selbst lüftete, als sie gelegentlich auf ihre vornehme und begüterte Familie hinwies.

Ihr Bildungsgrad entsprach dem einer Kellnerin in einem Speisehaus, die Mühe hat, einen vernünftigen Brief zusammenzustellen.

Sie hatte sich aber bereits eine Sekretärin zugelegt, die ihr den Weg in die beste Gesellschaft öffnen sollte. Jeder Verein wurde daraufhin geprüft, welche Damen den Vorstand bildeten. Waren es solche, deren Bekanntschaft und gesellschaftliche Anerkennung sie wünschte, so wurde mit allen Mitteln ihr Beitritt und nach einiger Zeit ihre Wahl in den Vorstand betrieben. Summen für wohltätige Zwecke wurden nach dem Range der Mitglieder des Ausschusses berechnet.

Alle Etikettefragen löste die Sekretärin, die auch unaufhörlich bestrebt war, Mrs. Purnell Verständnis für ein richtiges Englisch beizubringen, und nicht müde wurde, ihr einzuprägen, stets zu schweigen, wo sie in Gefahr stand, ihre Unbildung zu verraten. Das können sich nur Leute leisten, deren gesellschaftliche Stellung durch ihre Geburt gesichert ist, aber beileibe nicht diejenigen, die sich ihren Weg in die Gesellschaft erst bahnen müssen.

Es war Mrs. Purnell gelungen, in »Who is Who« aufgenommen zu werden. Zuerst hatte sich Mrs. Purnell kindisch darüber gefreut, denn es war die unerläßliche Vorbedingung ihrer Aufnahme in die Gesellschaft, die sie sich niemals so schwer vorgestellt hatte, die sie aber doch noch mit Hilfe ihrer erfahrenen Sekretärin und geschickter Taktik zu bewerkstelligen hoffte. Jetzt betrachtete sie das aber schon als etwas Selbstverständliches, ihr Gebührendes.

Alderman Purnell wurde aus seinen Gedanken aufgestört durch den Eintritt eines Footman in blausamtnen Kniehosen, weißen Strümpfen und gelbgemustertem Frack mit blanken Knöpfen, die irgendein Wappen zeigten, das er sich angeeignet hatte.

Für die Dienerschaft seines ausgedehnten Haushalts hatte er sich die englischen Gebräuche zum Muster genommen.

»Mr. Berkowitsch wünscht Mr. Purnell zu sprechen. Er sagt, er habe eine Verabredung.«

Alderman Purnell warf einen Blick auf die kleine Standuhr auf seinem Schreibtisch.

»Schon so spät«, sagte er überrascht. »Führen Sie den Herrn herein.«

Der Diener verschwand und ließ gleich darauf einen gut, wenn auch keineswegs modisch gekleideten beleibten Herrn, von etwas über Mittelgröße, mit einem dunklen Vollbart, der ihm ein europäisches Aussehen verlieh, und runder Intelligenzbrille mit dickem, schwarzen Horngestell eintreten.

»Mr. Berkowitsch«, meldete er.

»Es ist gut. Ich bin bis drei Uhr für niemand zu sprechen.«

Der Diener verschwand.

Der Eingetretene warf einen prüfenden Blick auf die hohe schwere Tür, um sich zu überzeugen, daß sie auch richtig geschlossen war, dann erst wandte er sich zu dem Manne am Schreibtisch und sagte gemütlich:

»Hello, Hiram.«

»Hello, Al.«

Der Besucher rückte sich ohne Umstände einen Stuhl auf der andern Seite des Schreibtisches zurecht und ließ sich darauf nieder.

Eine Weile sahen sich beide forschend ins Gesicht. Dann legte sich ein Lächeln um die sonst stets zugekniffenen Lippen des Aldermans, die seinem bartlosen Gesicht einen Ausdruck von Härte gaben, der durch das bereits stark angegraute, aber noch volle Haar nicht gemildert wurde, und er sagte:

»Die Verkleidung ist gut. Hätte Sie bei meiner Ehre nicht erkannt, wenn ich Sie auf der Straße gesehen.«

Auch der Besucher lächelte bei der Berufung des Aldermans auf seine Ehre. Er schien zu wissen, was beider Ehre wert war, und war nicht geneigt, sich etwas weismachen zu lassen.

Nicht, daß er sich deswegen geringer einschätzte als andere Leute. Die waren auch nicht besser. In diesen modernen Zeiten war Ehre ein ausgestorbener Begriff. Er kannte keinen einzigen Menschen, der nicht betrog und zu betrügen bereit war, wenn ihm die Gelegenheit dazu geboten wurde, ob sich das um Milliarden handelte für verschacherte Ölrechte, die der Nation gehörten, oder nur um ein paar Dollars für einen Policeman, damit der im gegebenen Augenblick nach der anderen Seite sieht.

Und wenn es darauf ankam, war er vielleicht noch der Ehrlichere von allen, denn er betrog niemand, sondern lieferte Ware und nahm Bezahlung dafür.

Daß das gegen das Gesetz verstieß, machte ihm nichts aus. Das war ein äußerlicher Zufall, der einem Teil des Volkes von dem anderen mit ein paar Stimmen Mehrheit aufgezwungen.

Er war deswegen genau so ehrenhaft – oder das Gegenteil – wie die Leute, die seinen Whisky und sein Bier kauften, viele davon saßen im Kongreß und im Senat, und die Mehrzahl seiner Kunden gehörte zur »trockenen« Partei. Sie donnerten gegen den Alkoholismus, priesen den Segen der Prohibition, verteidigten jeden von Prohibitionsagenten an schuldlosen Bürgern auf leeren Verdacht hin begangenen Mord – und tranken selbst.

Ja, er, Al Capone, Narbengesicht Al, hätte erstaunliche Geschichten darüber erzählen können.

Aber er hütete sich, die Trockenen bloßzustellen, denn er brauchte sie. Es waren die Leute, die die Prohibition, der er sein Vermögen verdankte, aufrechterhielten.

Nur von ihrer Ehre sollten sie ihm schweigen. So etwas gab es einfach nicht.

Seiner Meinung nach gab es nur zwei Klassen von Menschen: solche, die Gelegenheit hatten zu betrügen und es dann natürlich auch taten, und die anderen, denen diese Gelegenheit fehlte.

»Well, ich kann es mir nicht leisten, nicht gut verkleidet zu sein. Mein Mann ist ein Künstler darin. Sie sollten nur einmal sein Atelier sehen. Er täuscht jeden Dick mit seinen Masken«, sagte er jetzt in Antwort auf die Bemerkung des Alderman.

»Trotzdem, ich habe es nicht gern, wenn Sie hierherkommen. Ein Mann in meiner Stellung sitzt immer in einem Glashause.«

»Es ist keine Gefahr«, versetzte Narbengesicht Al leichthin. »Das ist ein Spiel, das ich zu oft spielen muß, um darin nicht sicher zu sein. Meinen italienischen Dialekt kann ich nicht loswerden. Deswegen verkleide ich mich am liebsten als Pole. Ob meine Aussprache polnisch ist oder italienisch, kann man nicht so leicht entscheiden; nur für einen Amerikaner würde mich niemand halten. Übrigens habe ich alle Vorsichtsmaßregeln gebraucht, bin hin und zurück durch die halbe Stadt gefahren und habe sicher jeden abgeschüttelt, der mich etwa beschatten wollte. Es war nötig, denn dem Fernsprecher kann ich nicht mehr trauen. Irgendwo und irgendwie werden meine Gespräche abgeleitet und überhört. Entweder von meinen Freunden von der Prohibition, oder den Moranleuten, oder von beiden.«

»Das können Sie doch herausfinden.«

»Habe ich schon. Ich kenne auch die Leute, die meine Leitung angezapft haben, aber ich weiß noch nicht, zu welchem Gange sie gehören. Aber auch das werde ich noch feststellen, denn ich lasse sie beschatten. Einstweilen ist es aber ganz vorteilhaft für mich, wenn es so bleibt, wie es ist, denn es gibt mir Gelegenheit, ihnen manchen falschen Tip zukommen zu lassen. Für die Mitteilungen, die ich geheimhalten will, habe ich sichere Boten – oder ich gehe selbst.«

»All right. Und da Sie nun einmal hier sind, will ich Ihnen ruhig gestehen, daß es mir ganz recht ist, daß Sie wieder mal selber gekommen sind, denn ich möchte Sie warnen, Dummheiten zu machen.«

»Danke. Sie meinen zweifellos den Brief, den ich an Chief-Justice McGoorty vom Kriminalgericht schrieb, über den sich die Presse im ganzen Lande jetzt aufregt?«

»Ja. Und noch einiges andere. Aber stecken Sie sich erst eine Zigarre an.«

»Ich ziehe eine Zigarette vor und wenn Sie gestatten, rauche ich eine von meinen eigenen, habe eine besondere Marke, direkte Importe. Kostet freilich auch zwanzig Cents das Stück.«

»Ja, die Kosten der Lebenshaltung in Amerika sind hoch«, bemerkte Purnell trocken, indem er einem Kistchen, das er aus einem Schreibtischfach holte, eine Zigarre entnahm, bedächtig mit einer kleinen Schere die Spitze abknipste und sie anzündete.

Sein Besucher, »Al«, wie er ihn genannt, zog aus der Brusttasche eine goldene Zigarettendose, die durch den Druck auf einen bohnengroßen Türkis aufsprang, und setzte sie mittels eines Benzinfeuerzeuges, das der Alderman ihm reichte, in Brand.

»Well, was ist es mit meinem Angebot an Richter Goorty?« fragte er dann.

»Es scheint, als ob Sie sich manchmal vom Teufel reiten lassen«, antwortete Purnell, »oder ist Ihnen Ihr Erfolg so zu Kopfe gestiegen, daß er Ihre Denkfähigkeit ausgelöscht hat?

Sie schreiben dem Richter einen Brief und lassen ihm diesen durch den Sekretär der Kohlenfahrergewerkschaft zustellen. In diesem Briefe bieten Sie ihm einen ganz erstaunlichen Handel an: Sie wollen sich von aller weiteren Kontrolle über die Arbeitergewerkschaften zurückziehen; wollen sich der Polizei, da Sie auf der Liste der ›öffentlichen Feinde‹ stehen, wegen der Anklage auf Landstreicherei stellen; sind bereit, Chikago zu verlassen und nur noch das Biergeschäft von einem neutralen Orte aus zu leiten. Als Gegenleistung verlangen Sie dafür, daß die Polizei Sie in Ihrem Biergeschäft nicht stört und behelligt, sowie Freispruch auf die Anklage von Landstreicherei hin, sobald Sie sich gestellt haben. – Stimmt das?«

»Ja.«

»Da muß ich wirklich fragen, ob Sie Ihren Verstand beisammen hatten, als Sie das taten? Haben Sie denn auch nur für einen Augenblick glauben können, daß ein Richter auf einen derartigen Handel eingehen kann? Selbst wenn er Politiker oder sonstwie zu beeinflussen wäre und auf seine Wiederwahl Rücksicht nehmen muß, und gerade dann, kann er mit einem Manne, den das Gesetz als Verbrecher ansieht, keinen Vergleich eingehen. Das würde ihm bei der nächsten Wahl sein Amt kosten. – Hier ist die ›Chikago Evening Post‹ –«. Er nahm eine Zeitung von seinem Schreibtische auf und begann eine blau angestrichene Stelle laut vorzulesen.

»Was wir besonders hervorheben müssen, ist die Tatsache, daß Chikago an einem Punkte angelangt ist, wo ein derartiges Angebot überhaupt möglich ist; wo der verantwortliche Leiter einer Gewerkschaft es wagen kann, sich als Vertreter des gefährlichsten und rücksichtslosesten Gangsters einem Richter vorzustellen und ihm anzubieten, er solle ein Abkommen mit dem organisierten Verbrechertum schließen.«

Er legte die Zeitung beiseite und richtete von neuem einen prüfenden Blick auf sein Gegenüber.

»Sie haben das wohl schon gelesen? Die anderen Zeitungen schreiben ja ähnlich. Und nicht nur die Zeitungen in Chikago, sondern im ganzen Lande. Man hat Sie bisher als einen sehr intelligenten Menschen angesehen, aber Sie hätten sich doch sagen müssen, daß ein solcher Schritt Sie um allen Kredit bringt.«

»Well«, entgegnete Al, Narbengesicht Al, etwas zögernd, »die Dinge gehen nicht immer so aus, wie Sie erwarten. Ich hatte nicht damit gerechnet, daß McGoorty das Angebot öffentlich bekanntmachen würde. Mit der Polizei habe ich Abkommen dieser Art genug getroffen und niemand hat etwas davon erfahren.«

»Ganz recht. Aber ein Richter in hoher Stellung ist doch immer noch etwas anderes als die Polizei, warum sind Sie nicht bei der Polizei geblieben? Die hätte das alles ohne Aufsehen und wahrscheinlich zu Ihrer vollen Zufriedenheit vermitteln können, denn schließlich kann doch auch ein Richter über Fälle nur urteilen, wenn sie ihm von der Polizei vorgelegt werden, wenn das nicht geschieht, – well –«

»Ich habe es in der letzten Zeit nicht mehr so leicht gefunden, mit der Polizei zu verhandeln. Die wird seit der Sache mit Lingle von Zeitungen und Publikum zu sehr angegriffen.«

»Ich weiß. Die Geschichte mit Lingle wäre besser unterblieben. Es ist Ihr Fehler, daß Sie immer erst handeln und sich die Sache hintennach überlegen.«

Er blickte Narbengesicht Al wieder scharf an. Der verstand den Blick und machte nicht erst den Versuch, seine Urheberschaft oder doch Mitverantwortlichkeit an dem Morde zu leugnen.

»Das geht in unserem Geschäft nicht anders«, verteidigte er sich nur. »Sie müssen da schnell handeln, bevor die andern handeln. Lingle hatte Kenntnis von einem Biertransport, den ich von Kanada erwartete, und verriet das an den Morgan-Gang. Sie überfielen ihn, schossen zwei von meinen Leuten nieder und raubten mir Ware im Werte von fünfundzwanzigtausend Dollar. Das kann ich mir nicht gefallen lassen. Auch wußte Lingle Dinge, die ein paar andere von meinen Leuten auf den elektrischen Stuhl gebracht hätten, und ich war keine Stunde sicher, daß er sie nicht verriet. Er mußte also stumm gemacht werden.«

»Mag sein. Aber das Angebot an Richter McGoorty und besonders zu einer Zeit, wo sich die Aufregung über den Fall Lingle noch nicht gelegt hat, wird dadurch nicht gerechtfertigt. Es bleibt eine Dummheit. Und es ist leider nicht die einzige. Da ist der andere Fall mit den Fruitindustries, Inc. Sie haben ihr gedroht, ihre Leute zu ermorden, wenn sie ihr Erzeugnis in Chikago einführt.«

»Dazu war ich gezwungen, denn mein Geschäft ist mir verdorben, sobald das geschieht, oder es lohnt sich nicht mehr bei den hohen Spesen, die ich habe. Sie wissen so gut wie ich, daß der Traubensaft nur so lange nicht in Gärung gerät, als er in den verschlossenen Behältern bleibt. Sobald man ihn abfüllt, setzt die Gärung ein und jeder hat dann Wein zu Hause.«

»Das stimmt und ich bin ja auch der Meinung, daß die Leute verhindert werden müssen, nach Chikago zu kommen. Sie haben aber den falschen Weg dazu gewählt. Sie hätten das mir und meinen Freunden von der Prohibition überlassen sollen. Wir hätten gerade aus diesem Grunde ein Geschrei darüber erhoben, so daß ihnen der Verkauf bald genug untersagt worden wäre.«

»Daran glaube ich nicht. Das heißt, ich glaube wohl an Ihre Bereitwilligkeit zur Stimmentfaltung, denn davon habe ich Beispiele erlebt, aber nicht an ihre Wirkung. Es wäre höchstens wieder einmal eine Gelegenheit für Hoover gewesen, eine seiner berühmten Kommissionen zu ernennen. Ich kann Ihnen sagen, wenn Gott die Erschaffung der Erde einer Kommission übertragen hätte, dann wäre sie heute noch nicht fertig. – Übrigens, die Drohungen sind erfolgt, und es ist nichts mehr daran zu ändern.«

»Nein, nur die Wirkung bleibt – ich meine die Folgen für Sie.«

Er klopfte bedächtig die Asche seiner Zigarre in einen kristallenen Aschbecher und fuhr fort:

»Daß die Fruitindustries, Inc. sich an Ihre Drohungen nicht kehrt, wissen Sie wohl schon aus den Zeitungen und deshalb wiederhole ich, es war sehr unüberlegt, was Sie da getan haben. Es hat Washington gegen Sie auf die Beine gebracht und mit der föderierten Polizei werden Sie nicht so leicht fertig werden wie mit der in unserer guten Stadt hier. Sie sollen wegen Steuerhinterziehung angeklagt werden und darauf steht bis zu fünf Jahren Gefängnis.«

Die dicken Lippen Al Capones formten sich zu einem geringschätzigen Lächeln. Er wiegte den Kopf hin und her, um anzudeuten, welchen Wert er der Nachricht beimaß.

»Die Herren in Washington werden nichts tun«, sagte er ruhig, aber mit einer Bestimmtheit, die seinen Worten eine tiefere Bedeutung verlieh. »Es ist nichts als Theater. Ein Spektakelstück. Nach dem Falle Lingle, der nicht vermieden werden konnte, müssen sie irgend etwas tun oder doch wenigstens ankündigen, und dabei wird es bleiben. Es ist Sensation für eine Woche oder im besten Falle für zwei, dann hört man nichts mehr davon. Die Sache ist vergessen, abgelöst von einer andern Sensation. Selbst wenn in den Kommissionen dort Leute sitzen sollten, die selber so rein sind, daß sie es wagen könnten, einen Stein oder auch mehrere auf andere zu werfen, so gibt es doch zu viele andere, die sie um ihrer eigenen Sicherheit willen daran verhindern würden. Sie können einfach nicht zulassen, daß irgendein Unbesonnener den Funken in das offene Pulverfaß wirft. Präsident Harding ist tot, aber sein Schatten geht noch um im Lande. Wir wissen, wie er gestorben ist. Jeder weiß es. Die Erklärung, daß er sich bei einem Dinner in Vancouver eine Fleischvergiftung zugezogen hat, ist nicht einmal gut genug für den ›Mann von der Straße‹. Kein anderer der vielen Teilnehmer an dem Dinner hat etwas von verdorbenem Fleisch gemerkt. Außerdem braucht so etwas auch nicht fünf Tage, um sich zu äußern. Seine Frau war die einzige, die in den letzten zehn Minuten vor seinem Tode bei ihm war. Sein Leibarzt, General Sawyer, hatte sich entfernt, um einen Spaziergang zu machen. Seine Frau, äußerst eifersüchtig und ebenso ehrgeizig, hatte davon geträumt, durch ihn das reichste Land der Welt zu regieren. Sie hatte aber erkennen müssen, daß das nicht länger möglich war. Die Erpresserbande um ihn herum war immer dreister geworden, hatte immer mehr Gewalt über ihn erlangt und zwang ihn, jedes Schriftstück zu unterzeichnen, das sie ihm zur Unterschrift vorlegten. Er wußte, daß er mit dem Rücken an der Wand stand und sah das Unheil unaufhaltsam an sich herankommen. Und nun war sie allein mit ihm. Sie haßte ihren Mann wegen der Geschichte mit Nan Britton jetzt ebensosehr, wie sie ihn vorher geliebt hatte, Die Zeit, ihm seine Arznei zu reichen, war gekommen. Sie gab sie ihm. Gleich darauf starb er.«

»Warum erzählen Sie mir, was doch allgemein bekannt ist?« fragte Alderman Purnell, indem er sich in seinen Stuhl zurücklehnte und die Beine übereinanderschlug.

»Das werden Sie gleich sehen«, antwortete Narbengesicht Al. »Präsident Harding war also tot. Es war ihm noch vergönnt gewesen, ›in Ehren zu sterben‹. Vierundzwanzig Stunden später wäre das wahrscheinlich nicht mehr der Fall gewesen. Hören Sie.«

Er steckte sich eine neue Zigarette an.

»Ich höre es«, versetzte der Alderman. »Aber noch einmal, warum erzählen Sie mir, was doch jeder weiß?«

»Warten Sie, es kommt noch. Präsident Harding hat viel gesündigt, aber er sündigte nicht aus freiem Willen, sondern unter Zwang. Es ist noch mehr gegen ihn gesündigt worden. Die Verbrecherbande, die er aus seinem Staate Ohio mit nach Washington brachte und die sein Kabinett und seine nächste Umgebung bildete, hatte ihn vollständig in Händen und erpreßte seine Unterschrift unter die unglaublichsten Verfügungen. Wie konnte das geschehen? Well, der Präsident, der schönen Frauen gegenüber einfach willenlos war, hatte eine kleine Unvorsichtigkeit begangen. In Marion, wo er viele Jahre eine Zeitung herausgab, lebte ein junges Mädchen, Nan Britton. Ich habe sie später gesehen, als sie ihn in Washington aufsuchte und ich kann Ihnen sagen, Hiram, sie war auch damals noch hübsch und von einem Wuchs, der auch einen anderen Mann als Harding hätte betören können. Zur Zeit, als ihre Bekanntschaft begann, mochte sie dreizehn oder vierzehn Jahre alt gewesen sein. Merken Sie was?

Es mag seltsam erscheinen, aber es ist nichtsdestoweniger Tatsache, daß sie sich in den dreißig Jahre älteren Harding verliebte und ihm nachstellte, wo sie nur konnte. Harding war allerdings ein auffallend schöner Mann. Sie kam oftmals abends, angeblich mit einem Manuskript, in die Office und einer seiner Leute beobachtete ihn durch das Fenster über seiner Tür. Er sah sie auf seinem Knie sitzen, die Arme um seinen Hals geschlungen. Wann die intimen Beziehungen zwischen ihnen ihren Anfang nahmen, weiß natürlich niemand. Sie hatte aber ein Kind von ihm, eine Tochter, und – well, sie war eine sehr junge Mutter.«

Alderman Purnell hatte eine Miene aufgesetzt, als ob er sich in die Anhörung der Dinge, die ihm doch ebenso gut bekannt waren wie dem Sprecher selbst, ergeben habe.

»Well«, fuhr Narbengesicht Al fort, »seine Freunde wußten das und auch noch einiges andere und hatten ihn damit in der Hand. Der gefährlichste von ihnen war Harry M. Daugherty. Er machte sich zum Attorney General. Hören Sie, Hiram, er machte sich selbst dazu, nicht der Präsident tat es. Der Posten, so wie er ihn auffaßte, bot ihm die beste Gelegenheit zu Betrügereien in einem unerhörten Ausmaße. Seine Ernennung stieß natürlich bei allen, die ihn kannten, auf lebhaften Widerstand, aber Harding konnte es nicht wagen, sich seinem Verlangen zu widersetzen. Nachdem er nun an der Spitze des Justizdepartements stand, hatte er Kontrolle über Gesetz, Richter und Polizei. Einen Wink von ihm nicht zu beachten, wäre für einen Richter gleichbedeutend gewesen mit dem Verlust seiner Stellung. Er wußte mit allen Widerständen fertig zu werden. Da war zunächst die Geschichte mit den Oil-Leases, Milliarden von Dollars im Werte. Sie waren unter der Kontrolle der Marineverwaltung, aber der Präsident mußte eine Verfügung erlassen, die sie der Marineverwaltung entzog und dem Justizdepartement unterstellte. Damit war der Weg frei und Daugherty konnte sie, zusammen mit Fall für lächerlich geringe Summen verschachern. Die Summen, die sie selbst erhielten, blieben natürlich geheim.«

Er hob seine Hand und strich seinen falschen Bart.


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