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15.

Als die beiden Detektive die Office der Tribune verlassen hatten, wandelten sie die Straße entlang. Nachdem sie an einigen Seitenstraßen vorübergeschritten waren, sprangen sie in ein eben herankommendes Mietauto und wiesen den Führer an, sie nach der Polizeistation zu fahren. Sie waren unauffällig gekleidet, da es sich aber um ein Warten vor der Tribune oder doch in der Nähe für eine voraussichtlich lange Zeit handelte, bestand die Gefahr, daß sie auch in dieser den Gangstern, die Tilton etwa auflauerten und die schon um ihrer eigenen Sicherheit willen die Straße und ihre Passanten genau prüfen würden, verdächtig erscheinen könnten.

Daher hatten sie beschlossen, sich umzukleiden. Tilton würde seiner eigenen Erklärung nach das Haus nicht vor dem Abend verlassen und so glaubten sie die Stunde, die für das Umkleiden und einige andere Vorbereitungen erforderlich war, darauf verwenden zu können.

Die anderen Vorbereitungen bestanden darin, daß sich O'Hara sofort telephonisch mit einem Restaurant in der Nähe der Tribune in Verbindung setzte und die Erlaubnis des Managers erbat, Plakate mit einer Reklame für das Lokal durch Detektive in der Verkleidung von Sandwichmännern durch die Straße tragen und Handzettel mit einer ebensolchen Reklame verteilen zu lassen.

Es war ein Speisehaus, das einer Gesellschaft gehörte, die wenigstens fünfzig Häuser der Art in der Stadt in Bewirtschaftung hatte und bei dem sie daher sicher waren, daß es mit den Gangstern keine Beziehungen unterhielt.

Die Erlaubnis wurde gern gewährt. Es war nicht das erstemal, daß ein solcher Kniff angewendet wurde, und Plakate und Handzettel, die nur noch den Eindruck der Firma erforderten, sowie Gestelle, die sie als angebliche Plakatträger auf den Schultern zu tragen hatten, waren daher vorrätig.

Es nahm in der Tat nicht länger als eine Stunde in Anspruch, bis sie sich in abgetragener Kleidung und mit schlechten Schuhen, ihre Plakate einstweilen unter dem Arm tragend, wieder auf ihren Posten begaben. Sie konnten eine Strecke weit die Straßenbahn benützen und hatten dann nur noch einen kurzen Weg zurückzulegen. In dieser Verkleidung konnten sie, ohne aufzufallen, vor dem Hause der Tribune auf und nieder wandern und ihre Handzettel verteilen, in denen die vorübergehenden aufgefordert wurden, ihre Mahlzeiten in dem Restaurant einzunehmen.

Ihr langsames Auf- und Abschreiten gestattete ihnen aber auch, die Vorübergehenden, sowie die Haus- und Ladeneingänge sorgfältig zu beobachten. In einzelnen standen Personen im Gespräch. Meist waren es Männer, aber auch Männer und Frauen. Manchmal gingen sie weiter und blieben vor einem andern Haus- oder Ladeneingange stehen. Diese, auch wenn sie den Eindruck von Fremden machten, die durch die Stadt bummelten, unterzogen die Detektive ihrer besonderen Aufmerksamkeit, denn müßige Leute fallen in Chikago immer auf. Das Gebaren als Fremde kann Maske sein und das Gespräch mit einer Frau ein Mittel, um unverdächtig zu erscheinen.

Eine ganze Stunde lang hatte sich aber doch nichts ergeben, was ihr geschultes Beobachtungsvermögen zu einer näheren Prüfung herausgefordert hätte. Der Polizist an der nächsten Straßenkreuzung richtete einen kurzen prüfenden Blick auf sie, und sie streiften ihn ebenfalls mit einem Blick, der auch einem aufmerksamen Beobachter nichts hätte sagen können, aber zur beiderseitigen Erkennung genügte, war er doch erst vor ein paar Minuten durch den Polizeifernsprecher, dessen Signal er im Vorübergehen bemerkt hatte, auf die beiden Plakatträger und die Aufgabe, mit der sie betraut waren, aufmerksam gemacht worden.

Als sie ihren Weg dann wieder zurückverfolgten und an der Tribune wieder vorübergelangt waren, fragte Mulberry plötzlich seinen Kollegen:

»Hast du etwas bemerkt?«

»Nein.«

»Well, wenn wir wieder an der Tribune vorbeikommen, sieh dir den Bully im grauen Anzug und braunem Hute an und behalte ihn im Auge. Er steht vor dem nächsten Hause auf unserer Seite.«

»Wer ist es?«

»Ein Nachtkellner aus dem Speakeasy, in dem Piggy immer verkehrt. Er scheint darauf aus zu sein, sich auch am Tage etwas zu verdienen. Er ist wahrscheinlich derjenige, der unsern Mann kennt, und er soll ihn den andern ausdeuten. Habe mich schon die ganze Zeit gewundert, wie sie es anstellen, den Richtigen zu finden. Wir können sicher sein, daß sich jetzt etwas entwickeln wird.«

Eine Strecke weiter fiel ihnen etwas anderes auf. In der Reihe der Autos an der Straßenkante, die entweder als Mietautos auf Fahrgäste oder als Eigenwagen auf ihre Besitzer warteten, stand ein viertüriger Sedanwagen, geschlossen und mit halbverhangenen Fenstern. Das war schon an sich nichts ganz Gewöhnliches, denn die Sonne schien nicht grell genug, um den Schutz durch Gardinen erforderlich zu machen. Außerdem waren diese, wie die beiden Detektive sich überzeugten, auf beiden Seiten vorgezogen. Freilich nicht weit genug, um Verdacht zu erregen und auf eine Absicht zu deuten. Es machte mehr den Eindruck einer Zufälligkeit. Der hielt aber vor den scharfen, wenn auch völlig unauffälligen Blicken, die die beiden Plakatträger im Vorbeigehen in das Gefährt warfen, nicht stand.

Sie sahen, daß es mit vier jüngeren Männern besetzt war, Männern von jener Klasse, die trotz aller Anstrengung ihre Zugehörigkeit zum Mob nicht verleugnen können. Sie warteten augenscheinlich auf irgendwen oder irgendwas.

Keiner der Plakatträger machte eine Bemerkung zum andern. Es war nicht nötig. Erst als sie eine Strecke weitergewandert waren, sagte Mulberry zu seinem voranschreitenden Kollegen:

»Umkehren!«

Sie wanderten zurück, wieder an dem Sedan vorbei, wobei sie die gemachten Feststellungen durch einen neuen, forschenden Blick in das Innere zu ergänzen suchten, und schritten dann in der Richtung der Tribune weiter.

»Kennst du die Kerle?« fragte O'Hara halblaut.

»Einen davon«, erwiderte Mulberry, ebenfalls mit gedämpfter Stimme. »Es ist Mike de Pike, einer von Al Capones Leuten. Die andern sah ich nicht genau genug, um sie zu erkennen. – Übrigens, da steht der Bully noch. Sieh ihn dir an.«

Der Mann im grauen Anzuge und braunem Hute, Nachtkellner in dem Speakeasy, wie Mulberry behauptet hatte, stand jetzt etwas näher am Torwege, der nach der Druckerei und dem Hofraume führte. Dort herrschte jetzt ein lebhafteres Treiben. Lastautos und sonstige Gefährte rasselten aus ihm heraus, um die Frühausgabe der Abendnummer in der Stadt zu verteilen. An den Seiten drängten sich Zeitungsjungen mit Bündeln von Zeitungen für den Straßenverkauf an ihnen vorbei.

»Mörder von Dreifinger-Jack entdeckt«, schrien sie. »Attentat auf Tribune-Reporter beabsichtigt.«

Sie sahen noch, wie der Bully in größter Überraschung eine Nummer von einem der Jungen kaufte und in Hast nach dem angekündigten Bericht suchte.

»Schnell«, rief Mulberry, »hole Verstärkung. Ich gehe nach dem Auto zurück.«

O'Hara schritt ohne ein Wort der Erwiderung, beschleunigt, aber noch seiner Rolle als Plakatträger getreu, weiter bis zu der Stelle, wo der uniformierte Polizist seinen Posten hatte. Als er an ihm vorüber kam, raunte er ihm, ohne den Kopf zu wenden, zu:

»Sechs Mann Verstärkung. Auto, vor Haus Nummer 1345.«

Damit kehrte er um und schritt, wiederum beschleunigt, aber noch immer mit der bedächtigen Geschäftsmäßigkeit eines echten Plakatträgers die Straße hinab, um sich mit seinem Kollegen zu vereinigen, der seine Hilfe vermutlich dringend nötig haben würde.

Der Torweg der Tribune spie noch immer seine Kolonnen von Zeitungsjungen aus und sandte Reihen von Lastautos mit der Frühausgabe, die zugleich Ausgabe für die Landbezieher war, auf die Straße.

Der Bully stand noch auf seinem Platze, gegen eine Haustür gelehnt und las mit einem Schrecken, den man ihm vom Gesicht ablesen konnte, die Zeitung. Nach einer Weile faltete er sie aber entschlossen zusammen und schritt eiligst die Straße hinunter.

Vor dem Hause Nummer 1345 blieb er stehen und wandte sich nach dem Sedan, der den beiden Detektiven aufgefallen war. Eine Minute oder zwei sprach er hastig durch das Fenster zu den Insassen, darauf öffnete er die Tür, um einzusteigen.

In diesem Augenblick legte sich aber eine Hand auf seine Schulter. »Einen Augenblick«, sagte eine befehlende Stimme, während irgend jemand hinter seinem Rücken eine Polizeipfeife blies.

Das überzeugte den Bully mehr als alles andere, daß er es hier mit Polizei zu tun hatte. Es jagte ihm aber keinen Schrecken ein, selbst nicht, als er die Mündung eines Revolvers im Nacken spürte und eine andere barsche Stimme rief:

»Keine Unvorsichtigkeiten, mein Junge, oder ich blase dir das Gehirn aus dem Schädel!«

Nein, es schreckte den Bully nicht. Es war Demonstration vor dem Publikum. Irgendwie war das, was er und die Männer im Auftrage Piggy Donnovans hatten ausführen sollen, fehlgegangen, der Bericht in der Zeitung hatte ihn schon darauf vorbereitet, aber von der Polizei hatten die Gangster doch nichts zu fürchten.

Er wandte sich um und musterte den Mann, der ihn noch immer an der Schulter gepackt hielt. Die schlechte Kleidung, die er trug – die Plakate, die er und sein Kollege bisher getragen, hatten sie abgeworfen – täuschte ihn nicht darüber, daß er es mit einem Detektiv zu tun hatte. Gleichzeitig fuhr aus der gegenüberliegenden Seite des Sedans ein anderes Auto an und kam zum Stillstand. Die Tür wurde ausgestoßen und drei Männer, Kriminalbeamte mit schußfertigen Revolvern in der Hand, sprangen heraus und eilten zur Deckung von O'Hara und Mulberry herbei, während zwei andere in dem Wagen zurückblieben und durch die niedergelassenen Fenster die Insassen des Sedans mit Revolvern bedrohten.

Die Menge der Straßenpassanten, auf die Szene aufmerksam geworden, begann sich anzusammeln, wurde aber durch zwei uniformierte Polizisten, die auf irgendeine rätselhafte Weise plötzlich hier zur Stelle waren, zurückgedrängt.

»Wollen Sie wohl die Freundlichkeit haben, uns zu sagen, was das bedeuten soll?« fragte der Bully mit ironischer Höflichkeit.

Ein einziger Blick hatte ihn überzeugt, daß eine Flucht, die er bei der ihm allmählich doch wohl unsicher erscheinenden Lage der Dinge vorgezogen haben würde, ausgeschlossen war. Das Auto war eingekeilt und eine Flucht zu Fuß hätte sie nicht weit gelangen lassen.

»Wir wollen nur Ihr Auto durchsuchen«, antwortete Mulberry.

»Haben Sie einen Durchsuchungsbefehl?«

»Brauchen wir nicht. Dringender Verdacht des Waffenbesitzes. Das genügt. Aussteigen! Hände hoch! Wenn wir nichts finden, könnt ihr mit unsern besten Entschuldigungen weiterfahren.«

Die vier Männer im Sedan zögerten.

»Wird's bald!« drängte Mulberry.

Sie sahen wohl, daß ein Widerstand, dessen Aussichten sie längst erwogen hatten, nutzlos war. Die Überzahl, die den Gangstern sonst immer den Erfolg sichert, war diesmal auf der andern Seite. Die Dinge hatten eine Entwicklung genommen, auf die sie nicht vorbereitet gewesen waren. Jetzt würde es einige Unannehmlichkeiten geben und es war möglich, daß sie die Nacht in Haft zubringen mußten, aber ihr Rechtsanwalt würde sie am nächsten Tage sicher genug gegen Stellung einer Bürgschaft wieder herausholen. Es blieb ihnen also nichts anderes übrig, als sich einstweilen in das Unvermeidliche zu fügen.

Einer nach dem andern kam heraus, hob die Hände hoch und wurde sofort von den Beamten untersucht. Der Bully war der erste. Die an seinem Körper entlang gleitenden Hände Mulberrys verrieten ihm sofort in der Jackentasche einen Revolver. Die andern Gangster hatten je zwei im Besitz.

Als der letzte von ihnen ausgestiegen war, schlüpfte einer von den Beamten in den Wagen und es währte keine Minute, dann rief er:

»Ein Maschinengewehr!«

»Well, das genügt«, entschied einer der Beamten, der seinem ganzen Auftreten nach einen höheren Rang zu bekleiden schien. »Ihr müßt mit nach der Wache, Boys. Unterwegs könnt ihr euch ausdenken, wozu ihr mit diesem Waffenarsenal hier herumfahrt.«

»Zu unserem Schutze natürlich«, rief Mike de Pike, »oder eigentlich zum Schutze von Narbengesicht Al, den man wieder einmal auf den Platz bringen will. Er ist eben die Straße hinaufgegangen und wir wollten ihm gerade nachfahren.«

»Das ist unangenehm«, entgegnete der Sergeant oder Leutnant, oder was immer er war, »denn wenn mich nicht alles täuscht, werdet ihr für einige Zeit daran verhindert sein. – Einsteigen jetzt!«

Auf seine Anordnung stiegen drei von den Gangstern, aneinandergefesselt, mit zwei Polizisten in den Sedan. Der eine der Polizisten nahm am Rade Platz, während der andere die Gefangenen mit schußfertigem Revolver vom Vordersitze aus bewachte. Die beiden anderen, ebenfalls mit zwei Beamten, bestiegen das Polizeiauto. Der fünfte rief ein Mietauto heran, packte das Maschinengewehr und die den Gangstern abgenommenen Revolver hinein und folgte in diesem den sich jetzt in Bewegung setzenden beiden Wagen.

Nur Mulberry und O'Hara waren zurückgeblieben. Ihr Auftrag lautete, Tilton als Schutzwache zu dienen. Es war jetzt, nachdem es ihnen gelungen war, das Attentat auf ihn zu verhindern, kaum noch nötig, aber sie mußten erst weitere Weisungen einholen, bevor sie davon abstehen durften. Es war auch ratsam zu hören, wie der Editor darüber dachte, ob er den Schutz für den Reporter noch weiter verlangte oder nicht. Sie zogen es auch vor, sich von der Office der Zeitung aus mit der Wache in Verbindung zu setzen, als den Polizeifernsprecher zu benützen, da dies Vorübergehenden unnützerweise ihre Eigenschaft als Kriminalbeamte enthüllt hätte.


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