Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

16.

»Sie werden heute etwas zu spät zu Ihrem Dinner kommen«, bemerkte Rogers zu Tilton, als die Detektive, nachdem sie beide von dem vorgefallenen ausführlichen Bericht erstattet und jeder eine Zehndollarnote dafür in Empfang genommen hatte, gegangen waren. Für den Augenblick hatte man auf ihre Dienste verzichtet, denn die unmittelbare Gefahr für Tilton schien durch die Verhaftung der Gangster beseitigt. was sich weiter ereignen würde, hing ganz von der nunmehrigen Entwickelung der Dinge ab. Auf jeden Fall hielt Tilton sich heute und wahrscheinlich auch morgen für sicher. Der Chef der Detektivabteilung war der gleichen Meinung gewesen, als Mulberry ihm durch den Fernsprecher das Ergebnis der Besprechung mit dem Editor und Tilton bekanntgegeben hatte.

»Sie müssen noch den Arrest der Gangster für die Morgenausgabe bearbeiten«, fuhr Rogers fort. »Die andern Zeitungen werden ja auch Kenntnis davon erhalten und Johnson wird uns ihre Namen von der Station bringen. Aber wir wissen zweifellos mehr Einzelheiten und können die andern Blätter damit schlagen. Schließlich dreht sich die ganze Sache ja um Sie, einen Reporter der Tribune. Das können sie nicht verschweigen und es gibt uns auch etwas wie einen Scoop. Das hat uns gerade noch gefehlt, um Ihrem Artikel von heute die richtige Einschätzung zu sichern.«

»Was glauben Sie, daß den Gangstern geschehen wird?« fragte Tilton.

Rogers zuckte die Achseln.

»Well, die Absicht, ein Attentat auf Sie auszuführen, kann ihnen nicht nachgewiesen werden. Sie ist für jeden klar, der Ihren Artikel gelesen hat, aber der Beweis fehlt. Außerdem ist eine Absicht, so lange sie sich noch nicht in Handlung umgesetzt hat, nicht strafbar.«

»Es war aber doch der erste Schritt zu ihrer Ausführung«, warf Tilton ein, indem er sich eine Zigarette ansteckte.

»Sicher war es das«, gab der Editor zu. »Sie haben ihnen aber nachzuweisen, daß ihre Anwesenheit hier in der Straße Ihnen galt. Das wird kaum gelingen. Soweit ich die Sache bis jetzt überschaue, wird man sie nur wegen unbefugten Waffenbesitzes bestrafen können. Allerdings wird man unter Berücksichtigung der Umstände ihnen das Höchstmaß der Strafe geben, das ist ein Jahr Gefängnis. Die Sache wird vor dem Racketeergericht verhandelt und Richter Lyle läßt sich nichts vormachen. Ihr Rechtsanwalt wird natürlich morgen ihre vorläufige Freilassung gegen Bürgschaft verlangen. Die muß Lyle ihnen gewähren, denn nur im Falle eines Mordes kann er sie verweigern. Hat er damit Erfolg und werden die Kerle freigelassen, so verschwinden sie natürlich. Der Richter hat aber einen gewissen Spielraum in bezug auf die Höhe der Bürgschaft. Er kann sie so hoch bemessen, daß Piggy vielleicht sie nicht wird aufbringen können. Dagegen ist Beschwerde zugelassen, aber da die Kerle wegen unbefugten Waffenbesitzes überführt sind, kann die Verhandlung und ihre Verurteilung sofort stattfinden, noch bevor über den Freilassungsantrag des Rechtsanwalts gegen Bürgschaft entschieden ist.«

»Wenn Piggy nun aber die Bürgschaft bezahlt oder bezahlen läßt?«

»So weit wird es Lyle nicht kommen lassen. Er kennt seine Leute und wird dem Rechtsanwalt mit der Verhandlung eben zuvorkommen. Wenn sie erst einmal verurteilt sind, kann er eine Freilassung gegen Bürgschaft verweigern, und er wird das auch sicher tun. Der Anwalt kann dann Anträge über Anträge stellen, aber seine Leute bleiben im Gefängnis.«

Tilton kehrte nach dem Reporterzimmer zurück und setzte sich an die Schreibmaschine. Er schilderte den Vorgang in allen Einzelheiten und vergaß auch nicht zu erwähnen, daß die Detektive, als Sandwichmänner verkleidet, vor der Tribune auf- und abgewandert waren und die Gangster in ihrem Auto aufgespürt hatten.

Das war eine Einzelheit, von der die andern Blätter sicher keine Kenntnis hatten. Daß die Polizei für diese Enthüllung eines ihrer Tricks ein paar saftige Flüche für ihn haben würde, dessen war er freilich auch sicher. Danach konnte er sich aber nicht richten. Die Zeitung und ihre Leser standen ihm näher als die Polizei. Die mochte sich andere Tricks aussinnen.

Die Namen der Detektive waren, wie üblich, genannt, ebenso die Namen der Gefangenen. Man hatte sie inzwischen festgestellt und Johnson, der Polizeireporter, hatte sie ihm durch den Fernsprecher mitgeteilt. Es waren zuerst Mike de Pike, dann ein gewisser Monk Eastman, Eat-em-up Jack McManus und Silberdollar-Smith. Der Kellner aus dem Speakeasy hatte seinen Namen als Paul Kelly angegeben.

»Mr. Tilton – Fernsprecher!«

Tilton fuhr zusammen. Er war so in seine Arbeit vertieft gewesen, daß er für Augenblicke seine Umgebung, obwohl sie geräuschvoll genug war, ganz vergessen hatte. Neugierig, denn man hatte ihn persönlich verlangt, trat er an den Apparat.

Eine bekannte weibliche Stimme fragte in unverkennbarer Erregung:

»Sind Sie das, Mr. Tilton – persönlich?«

»Ja.«

»Sie haben ja alles veröffentlicht, was ich Ihnen heute morgen sagte!«

Es klang mehr ängstlich als vorwurfsvoll.

»Ja. Ich mußte mich doch schützen. Und es hat auch schon Erfolg gehabt. Seine Leute, Sie wissen, wen ich meine, haben mir in der Straße in einem Auto mit Maschinengewehr und Revolvern aufgelauert und sind verhaftet.«

Ein halberstickter Laut des Schreckens am andern Ende beantwortete diese Mitteilung.

»Hören Sie, Miß Dolores –«

»Um Gottes willen, wer hat Ihnen gesagt –«

»Das erzähle ich Ihnen später, denn Sie müssen mir unbedingt eine Gelegenheit geben, Sie zu sprechen. Habe Ihnen Dinge von höchster Wichtigkeit aus einer Seestadt mitzuteilen. Vermeiden Sie P. einstweilen und treffen Sie mich heute abend zum Dinner. Sind Sie bereit?«

»Ja. Ich hatte schon daran gedacht, Sie in Ihrer Office aufzusuchen. Eine Sache, in der ich Rat und Hilfe brauche. Dringend. Sie als Zeitungsmann werden sie mir am besten geben können. Wann und wo?«

Tilton dachte einen Augenblick nach. Er mußte ein Lokal wählen in einer Gegend, wo sie sicher sein konnten, nicht etwa von Piggy Donnovan überrascht zu werden. Die Südseite von Chikago war dazu am geeignetsten. Seine Lokalkenntnis war noch sehr unvollständig, aber er kannte doch dort ein besseres Speisehaus, in dem es zwar auch alkoholische Getränke gab, wie fast überall, in dem aber doch ein Publikum verkehrte, das ein unvermutetes Zusammentreffen mit dem Gangster so ziemlich ausschloß.

Er nannte ihr das Lokal und sie verabredeten, sich dort um acht Uhr zu treffen. Das ließ ihm Zeit, seinen Artikel zu beenden und dann nach Hause zu gehen und sich umzukleiden.

Richtig, da war ja noch seine Verabredung mit Dorsey. Well, das ließ sich ändern. Und er wandte sich noch einmal zu dem Fernsprecher zurück.


 << zurück weiter >>